L 1 R 53/16

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 42 R 90160/10
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 53/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 164/18 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Weiterbewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) streitig.

Die am ... 1961 geborene Klägerin absolvierte von 1977 bis 1979 eine Ausbildung zum Facharbeiter für Polstertechnik. Sie war anschließend als Polsterin, Gardinennäherin und zuletzt von Dezember 1989 bis Juli 1991 als Kommissionierer tätig. Danach war sie arbeitslos und nahm an AB-Maßnahmen teil. Sie arbeitete von November 1996 bis April 1997 als Telefonverkäuferin von EDV-Zubehör und übte von April 1999 bis zu dem Verkehrsunfall am 4. August 2000 eine geringfügige Tätigkeit als Fleisch- und Wurstverkäuferin aus.

Bei dem Verkehrsunfall erlitt die Klägerin komplexe Fußwurzel- und Vorfußverletzungen beidseits. Bei ihr war seit dem 24. November 2000 ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 festgestellt, seit April 2015 ist ein GdB von 50 anerkannt.

Die Klägerin beantragte am 14. Dezember 2000 bei der Landesversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt (LVA), der Rechtsvorgängerin der Beklagten, die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit/Berufsunfähigkeit. Die LVA bewilligte ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. März 2001 bis zum 31. August 2003. Nach der Ablehnung ihres Weitergewährungsantrages erhob die Klägerin Klage bei dem ehemaligen Sozialgericht Stendal (S 2 RJ 3/04). Sie stellte am 13. Dezember 2005 einen Antrag auf Überprüfung des Rentenbescheides vom 22. Mai 2001 hinsichtlich des anzuwendenden Rechts. Diesen Überprüfungsantrag lehnte die LVA mit Bescheid vom 27. Februar 2006 ab.

Das Sozialgericht Stendal verurteilte die LVA mit Urteil vom 18. Dezember 2007, der Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab dem 1. März 2001 auf Dauer zu bewilligen. Das anschließende beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt anhängige Berufungsverfahren L ... wurde am 26. März 2009 mit Vergleich dahingehend beendet, dass sich die Beklagte verpflichtete, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31. August 2003 hinaus bis zum 31. August 2009 zu bewilligen.

Am 15. Juni 2009 beantragte die Klägerin die Weitergewährung dieser Rente. Die Beklagte zog zunächst die medizinischen Unterlagen aus den vorangegangenen Rehabilitations- und Rentenverfahren bei. Ausweislich des Entlassungsberichts nach der stationären Rehabilitation vom 2. bis zum 23. Oktober 2000 sei eine regelmäßige Erwerbstätigkeit ausgeschlossen. In dem von dem Facharzt für Orthopädie, Sportmedizin Dr. F. erstatteten Gutachten vom 29. August 2002 war ebenfalls eine Erwerbsfähigkeit verneint worden. Die Fachärztin für Orthopädie Dr. D. hatte in ihrem Gutachten vom 10. Juni 2003 die Klägerin für in der Lage erachtet, leichte körperliche Tätigkeiten überwiegend im Sitzen mit weiteren qualitativen Einschränkungen sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten. Der Chefarzt der Chirurgischen Klinik der Kliniken He. ( ...) Dr. H. hatte in dem auf Anforderung des Sozialgerichts Stendal in dem Verfahren S ... eingeholten Gutachten vom 15. November 2004 eingeschätzt, dass die Klägerin leichte körperliche Arbeiten mehr als sechs Stunden täglich bis vollschichtig mit qualitativen Einschränkungen ausüben könne. Ferner könne sie viermal täglich mindestens 500 m zu Fuß zurücklegen und öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Die die Klägerin bis April 2003 behandelnde Fachärztin für Chirurgie Dr. M. hatte in dem nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstatteten Gutachten vom 17. Dezember 2006 eine tägliche Leistungsfähigkeit von maximal vier Stunden für leichte körperliche Arbeiten bescheinigt. Alle zwei Stunden sei eine Pause zur kurzzeitigen Entlastung der Beine einzulegen. Der Klägerin sei eine Gehstrecke von höchstens 200 m viermal täglich zumutbar. In einem weiteren auf Veranlassung des Sozialgerichts von Dr. H. eingeholten Gutachten vom 31. Mai 2007 war ein tägliches Leistungsvermögen der Klägerin im Umfang von sechs Stunden und mehr für leichte körperliche Arbeiten mit weiteren qualitativen Einschränkungen aufgezeigt worden. Ferner könne diese viermal täglich mindestens 500 m zu Fuß mit Pausen zurücklegen.

In dem streitgegenständlichen Weitergewährungsverfahren holte die Beklagte u.a. einen Befundbericht der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. vom 23. August 2009 ein, die als Diagnose eine leichte depressive Episode anführte. Die Beklagte ließ den Facharzt für Orthopädie Dr. Fl. das Gutachten vom 2. November 2009 auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung der Klägerin vom selben Tag erstatten. Diese habe angegeben, 500 m langsam und ohne Unterbrechung mit den orthopädischen Schuhen bewältigen zu können. Das Gangbild habe sich auf kurzer Strecke unauffällig dargestellt. Bei längerer Laufbelastung benutze die Klägerin eine Gehhilfe. Als Diagnosen gab Dr. Fl. ein Halswirbelsäulen (HWS)-Syndrom, einen Verdacht auf cervikogenen Kopfschmerz und Schwindel, ein Lendenwirbelsäulen (LWS)-Syndrom, eine Arthralgie der Schultergelenke beidseits und des Handgelenkes rechts, eine Arthrose des linken Handgelenkes, Handwurzelarthrosen links, eine Sattelgelenk (STT)-Arthrose beidseits, eine Chondropathia patellae beidseits, eine Arthralgie der Sprunggelenke beidseits, einen Senk-Spreiz-Fuß beidseits, einen Hallux valgus links sowie eine posttraumatische Vorfußdeformität links mit Luxation des Grundgelenkes 2 und 3 links an. Die Klägerin sei in der Lage, eine leichte Tätigkeit hauptsächlich sitzend, ohne längere Lauf-, Steh- und Gehbelastungen, ohne Zwangshaltungen, häufig wiederkehrende Vorbeugebelastungen, überstarke Belastungen des linken Handgelenkes und unter Meidung von feuchtem Milieu vollschichtig zu verrichten. Im Ankreuzverfahren bejahte Dr. Fl. die Fähigkeit der Klägerin, eine einfache Gehstrecke von mehr als 500 m innerhalb von 20 min viermal täglich zurücklegen zu können.

Mit Bescheid vom 18. November 2009 lehnte die Beklagte den Antrag auf Weitergewährung der Rente über den Monat August 2009 hinaus ab. Die Klägerin könne noch mindestens sechs Stunden je Arbeitstag unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein. In dem anschließenden Widerspruchsverfahren machte die Klägerin eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes geltend. Sie könne keine drei Stunden täglich erwerbstätig sein. Ihre Gehfähigkeit sei zudem erheblich eingeschränkt. Sie könne keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Sie verfüge über keinen eigenen Pkw.

Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 23. März 2010 zurück. Bei der Klägerin bestehe ein Leistungsvermögen im Umfang von sechs Stunden und mehr täglich für leichte Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen.

Hiergegen hat sich die Klägerin mit der am 15. April 2010 beim Sozialgericht Stendal erhobenen Klage gewendet. Ihr Gesundheitszustand, der sich weiter verschlechtert habe, sei seit dem 1. September 2009 maßgeblich. Es dürfe nicht auf ältere Befunde abgestellt werden.

Das Sozialgericht hat Befundberichte von Dr. L. vom 27. September 2010, von der Internistin Dipl.-Med. B. vom 17. Oktober 2010 (erfolgreiche Behandlung der Hyperthyreose) und von der Hautärztin Dr. J. vom 19. Oktober 2010 (Vorliegen einer mindestens sechsstündigen Erwerbsfähigkeit der Klägerin) eingeholt. Dr. L. hat eingeschätzt, die Klägerin könne bei einer ausgeglichenen Stimmungslage mindestens sechs Stunden täglich, bei einer depressiven Stimmung aufgrund der Einschränkungen der Merk- und Konzentrationsfähigkeit keine sechs Stunden erwerbstätig sein.

Auf Veranlassung des Sozialgerichts Magdeburg hat der Facharzt für Orthopädie Dr. S. das Gutachten vom 28. Februar 2011 auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung der Klägerin vom 21. Februar 2011 erstattet. Diese habe angegebenen, die Gehstrecke sei mit einem rechts geführten Unterarmgehstock auf 300 m begrenzt. Sie leide zudem unter Schmerzen in der HWS, LWS und in den Endgelenken der rechten Hand sowie seit 1979 unter häufigen depressiven Verstimmungen. Dr. S. hat als Diagnosen angegeben:
1. Belastungs- und Ruheschmerzen in beiden Füßen mit aufgehobener Abrollfunktion beider Füße, diversen Narben und Druckschmerzhaftigkeit, mit aufgehobener Beweglichkeit im unteren Sprunggelenk und deutlich eingeschränkter Beweglichkeit, vor allem des linken oberen Sprunggelenkes, und aufgehobener Beweglichkeit der Zehen sowie ausgeprägter Fehlstellung mit Zustand nach komplexer Fußverletzung beiderseits mit diversen Frakturen und nachfolgendem Kompartmentsyndrom mit Sensibilitätsstörungen in beiden Füßen und ausgeprägtem Hohl-, Spreiz- und Krallenfuß beiderseits bei radiologisch nachgewiesener Arthrose im Mittel- und Vorfuß beiderseits.
2. Cervikocephalgie und Cervikobrachialgie rechts, d.h. Schmerzen in der HWS mit Ausstrahlung in die rechte Schulter und zeitweise Kopfschmerzen bei Muskelhartspann mit Druckschmerzhaftigkeit bei noch ausreichender Beweglichkeit bei radiologisch nachweisbaren leichten bis mäßigen degenerativen Veränderungen ohne objektivierbare radikuläre Ausfallsymptomatik.
3. Lumboischialgien, d.h. rezidivierende Schmerzen in der LWS mit gürtelförmiger Ausstrahlung in die Beine mit Muskelhartspann und Druckschmerzhaftigkeit, ausreichender Beweglichkeit ohne objektivierbare radikuläre Ausfallsymptomatik bei radiologisch nachweisbaren leichten mäßig degenerativen Veränderungen der unteren Wirbelsäule und leichter Fehlstellung.
4. Zustand nach linksseitiger Radiusfraktur mit ausreichender Beweglichkeit.
5. Zustand nach linksseitiger Schlüsselbeinfraktur mit verkürztem Schultergürtel links ohne wesentliche Beschwerdesymptomatik.
6. Rezidivierende Belastungsschmerzen der rechten Schulter mit leichter Druckschmerzhaftigkeit bei ausreichender Funktion bei rezidivierender Schleimbeutelentzündung zwischen Oberarmkopf und Schulterdach ohne radiologisch nachweisbare wesentliche degenerative Veränderungen.
7. Rezidivierende Belastungsschmerzen im linken Kniegelenk durch Fehlbelastung bei Subluxationsstellung des linken Fußes ohne radiologisch nachweisbare wesentliche degenerative Veränderungen bei guter Funktion.
8. Zustand nach Schädelbasisfraktur links 1979 mit Taubheit auf dem linken Ohr, mit Hörgerät versorgt.
9. Rezidivierende depressive Episoden mit Lustlosigkeit und Antriebsarmut, aber auch häufigen Stimmungsschwankungen seit der Schädelbasisfraktur.
10. Anamnestisch bestehender Hypertonus, medikamentös eingestellt.

Die Klägerin sei in der Lage, eine leichte körperliche Tätigkeit vorwiegend im Sitzen vollschichtig zu verrichten. Wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten wie Heben und Tragen von Gegenständen über 5 kg, Arbeiten in Zwangshaltung sowie unter Einwirkung von Kälte und Zugluft, das Steigen, Klettern und Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, häufiges Treppensteigen sowie Tätigkeiten vorwiegend im Gehen und Stehen seien ausgeschlossen. Überkopftätigkeiten sollten nur noch kurzfristig und selten abverlangt werden. Die Klägerin sei Arbeiten mit nur noch geringen geistigen Belastungen ohne Daueraufmerksamkeit, Verantwortung für die Sicherheit anderer und ohne besondere Verletzungsgefahr an Maschinen gewachsen. Es sollten nur noch leichte Anforderungen an das Hörvermögen gestellt werden. Eine Einschränkung der Gebrauchsfähigkeit beider Hände bestehe nicht. Die Klägerin sei dauerhaft auf die Versorgung mit orthopädischen Schuhen und auf ein Hörgerät links angewiesen. Ihr müsse nach 30-minütigem Sitzen die Möglichkeit eingeräumt werden, sich etwas bewegen zu können, um danach im Sitzen weiterzuarbeiten. Die Klägerin sei mit orthopädischen Schuhen und unter Zuhilfenahme einer Unterarmgehstütze in der Lage, viermal täglich 500 m jeweils unter 20 min zurückzulegen. Gegen die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel bestünden keine Einwände.

Das Sozialgericht hat auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG ein weiteres Gutachten von Dr. M. vom 26. Juli 2012 auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung der Klägerin vom 13. Juni 2012 erstatten lassen. Diese habe eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes angegeben. Sie sei trotz Schmerzmedikamenten nicht wirklich schmerzfrei. Ihre maximale Gehstrecke betrage je nach Schmerzsituation 200 bis 300 m. Dr. M. hat aufgezeigt, die Klägerin sei während der Begutachtung immer wieder in eine depressive Stimmungslage verfallen. Als Diagnosen hat sie angeführt:
- Schwere posttraumatische Veränderungen beider Füße.
- Belastungsinsuffizienz beider Füße bei fehlender Abrollfunktion und nachfolgender Lymphabflussstörung beiderseits mit zusätzlicher Störung der arteriellen Durchblutung beider Füße.
- Posttraumatische Krallenhohlfußbildung beiderseits mit Tritt- und Standunsicherheit.
- Zustand nach osteosynthetisch versorgter linksseitiger Clavicula- und Radiusfraktur mit verbliebener Beweglichkeitseinschränkung im linken Handgelenk.
- Zustand nach Schädel-Basisfraktur links mit Störungen die Hörleistungen links.
- als neue Erkrankungen seit dem Gutachten vom 17. Dezember 2006: Hörminderung beiderseits mit Hörgeräteversorgung beiderseits sowie eine depressive Stimmungslage mit Angstgefühlen und Tendenz zu suizidalen Gedankengängen.
Der Klägerin sei eine leichte körperliche Arbeit unter Beachtung weiterer qualitativer Einschränkung im Umfang von maximal drei bis vier Stunden täglich zumutbar. Ein sechsstündiger Einsatz verbiete sich aufgrund ihrer Schmerzsituation. Zudem würde es neben der einsetzenden Schmerzverstärkung zu einer Verstärkung der Depression kommen. Muskelatrophien seien vor allem im Vorfußbereich beiderseits auffällig gewesen. Aufgrund der zunehmenden Depression sollte ein psychiatrisches Gutachten eingeholt werden.

In der auf Anforderung des Sozialgerichts Magdeburg erstatteten ergänzenden Stellungnahme hat Dr. S. unter dem 14. Oktober 2012 unter Würdigung des Gutachtens von Dr. M. mitgeteilt: Er habe bei seiner Begutachtung weder eine wesentliche Schwellung der Füße bei Lymphabflussstörung feststellen können noch bestehe eine radikuläre Ausfallsymptomatik, d.h. eine Reizung der Nerven. Der Klägerin solle die Möglichkeit gegeben werden, sich nach zweistündiger sitzender Tätigkeit etwas bewegen, gegebenenfalls auch die Beine hoch legen zu können. Die Klägerin sei jedoch in der Lage, vollschichtig mit entsprechenden Pausen eine leichte Tätigkeit auszuüben. Bei weitestgehend unverändertem klinischem Befund könne sie auch eine Gehstrecke mit orthopädischen Schuhen von 500 m am Stück viermal täglich an Unterarmgehstützen zurücklegen. Eine neurologisch-psychiatrische Begutachtung halte er ebenfalls für sinnvoll.

Das Sozialgericht hat sodann den Facharzt u.a. für Neurologie und Psychiatrie St. mit der Erstattung des Gutachtens vom 25. März 2014 auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung der Klägerin vom 18. März 2014 beauftragt. Diese habe berichtet, bedarfsweise ein leichtes Schmerzmittel zu nehmen. Arbeitsteilig mit ihrem Ehemann versorge sie den Zweipersonenhaushalt. Ihr sei es möglich, 15 Minuten am Stück zu gehen. Als Hobby habe sie Handarbeiten für höchstens eine halbe bis eine Stunde angegeben. Die Klägerin habe sich in der Praxis zügig und sicher, aber mit einem etwas platschendem Gangbild fortbewegt. Während der länger dauernden Exploration habe die sitzende Position ohne erkennbare Beeinträchtigungen beibehalten werden können. Als Diagnosen hat Herr St. angeführt:
1. Depressive Episode, leicht bis mittelgradig ausgeprägt.
2. Restlesslegs-Syndrom (Syndrom der unruhigen Beine).
3. HWS-Syndrom ohne neurologische Ausfälle.
4. LWS-Syndrom ohne neurologische Ausfälle.
5. Episodischer Spannungskopfschmerz.
6. Schwerhörigkeit links, mit Hörgerät versorgt.
Hinweise auf eine psychosomatisch mitverursachte Schmerzsymptomatik im Sinne einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung bestünden nicht. Die geschilderten Schmerzen in den Füßen seien durch die äußerlich erkennbaren Deformierungen nach multiplen Frakturen organisch begründet. Die leichte bis allenfalls mittelgradig ausgeprägte depressive Symptomatik sei infolge der anhaltenden Beschwerden, insbesondere im Rahmen einer nachvollziehbaren Frustrationsreaktion in Anbetracht des langjährigen Rentenstreits aufgetreten. Belastend sei ebenfalls das gestörte Verhältnis zur jüngeren Tochter. Eine ambulante Psychotherapie habe bislang nicht stattgefunden. Bei der Klägerin seien eine ausgeglichene, leicht ins Depressive abgleitende Stimmungslage bei erhaltener Schwingungsfähigkeit und gegebenem Antrieb sowie keine Störung von Aufmerksamkeit und Konzentration festzustellen gewesen. Auch im Schmerzverhalten hätten sich keine gravierenden Beeinträchtigungen erkennen lassen, obwohl keine Bedarfsmedikation eingenommen worden sei. Die Klägerin könne noch körperlich leichte Tätigkeiten wechselweise im Gehen, Stehen und Sitzen sowie überwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit zur bedarfsweisen Lageänderung vollschichtig verrichten. Weitere Pausen als die arbeitsüblichen seien nicht erforderlich. Sie solle Arbeiten in gebückter Haltung und auf unebenem Boden, Akkord- und Fließbandarbeit, Arbeiten unter Zeitdruck und Nachtschichttätigkeit, Leiter- und Gerüstarbeiten, das Heben und Tragen mittelschwerer und schwerer Lasten über 5 kg sowie den Einfluss von ungünstigen Witterungsbedingungen (Nässe, Kälte, Zugluft) meiden. Es sollten keine besonderen Anforderungen an das Hörvermögen gestellt werden. Im Übrigen seien die Sinnesorgane nicht beeinträchtigt. Die Gebrauchsfähigkeit beider Hände sei gegeben. Es seien keine Muskelatrophien an Armen und Beinen festzustellen gewesen, die eine Schonung der betreffenden Gliedmaßen bewiesen. Es hätten sich keine Hinweise auf eine Lymphabflussstörung oder ein Kompartmentsyndrom gegeben. Eine quantitative Leistungsminderung pauschal mit "der Schmerzsituation" zu begründen, sei nicht nachvollziehbar. Die Klägerin sei aus Sicht seines Fachgebietes in der Lage, viermal täglich mindestens 500 m zu Fuß zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Sie könne auch einen Pkw fahren.

Die Klägerin hat sich ausweislich der Epikrise des Städtischen Klinikums Ma. vom 9. Dezember 2014 wegen einer zunehmenden depressiven Symptomatik vom 28. August bis zum 6. November 2014 in stationärer Behandlung befunden. Als Diagnose ist eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, benannt worden. Im Therapieverlauf habe die depressive Symptomatik Rückbildungstendenzen gezeigt. Auch die soziale Kompetenz habe sich verbessert. Die Entlassung sei in stabiler psychophysischer Verfassung erfolgt.

Auf Antrag der Klägerin ist sodann nach § 109 SGG von dem Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie - Forensische Psychiatrie - Prof. Dr. Bo. das Gutachten vom 22. April 2015 auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung der Klägerin vom 15. April 2015 eingeholt worden. Diese habe angegeben, nach Überwindung der erheblichen Anlaufschwierigkeiten morgens verrichte sie Haushaltstätigkeiten, soweit es ihre Fußbeschwerden zuließen. Ihr kranker Ehemann sei ihr nur teilweise behilflich, gehe aber mit ihr einkaufen. Sie werde durch ihre gegenüber wohnende Mutter im Haushalt unterstützt. Sie leide an depressiven Verstimmungen. Am meisten belaste sie dieses ewige "Hick-Hack" wegen der Rentensache. Sie habe bislang keinen Psychotherapeuten gefunden. Nach den Ergebnissen der testpsychologischen Untersuchung seien die Exekutivleistungen sowie die verbalen und figuralen Gedächtnisleistungen beeinträchtigt. Des Weiteren seien kognitive Defizite in den Bereichen Visuokonstruktion sowie Aufmerksamkeit und Konzentration zu verzeichnen gewesen. Darüber hinaus liege eine mittelgradige Depression vor. Im Vordergrund des psychopathologischen Befundes stehe ein mittelgradiges depressives Syndrom mit Antriebs- und Denkhemmung, verminderter affektiver Schwingungsfähigkeit und Affektlabilität. Insgesamt klinge die Selbstdarstellung der Klägerin glaubhaft. Diese habe die Gehstrecke von 40 m zum Untersuchungsraum mit einer Gehstütze rechts zügig ohne erhebliche Einschränkung der Gehgeschwindigkeit zurückgelegt. Beweglichkeit und Bewegungskoordinationsvermögen schienen nicht wesentlich eingeschränkt zu sein. Prof. Dr. Bo. hat als Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Gebiet ein mittelgradiges depressives Syndrom sowie ein mäßig ausgeprägtes hirnorganisches Psychosyndrom benannt. Die stationäre psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung 2014 habe keinen nachhaltigen Erfolg gebracht. Die von der Klägerin berichteten Beeinträchtigungen von Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, der kognitiven Umstellungsfähigkeit und des fluiden und divergenten Denkens hätten psychometrisch, ohne Hinweise auf Symptomaggravation oder Simulation, bestätigt werden können. Die depressionsbedingte Antriebs- und Motivationsminderung sowie die vitale Verstimmung begründeten weitere Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben. Die Klägerin könne nur noch leichte körperliche Arbeiten mit geringer geistiger Belastung für einen Zeitraum von zwei bis vier Stunden täglich verrichten. In der Kernspintomographie des Kopfes 2009 habe die Hirnsubstanzläsion im Schläfenhirn nach Schädel-Hirn-Trauma 1979 mit längerer Bewusstlosigkeit nachgewiesen werden können. Bei der Begutachtung durch Herrn St. sei weder eine ausgedehntere klinische Störungsdiagnostik noch eine Hirnleistungsdiagnostik erfolgt, womit das dargestellte Ausmaß der Beeinträchtigung mehrerer Hirnleistungsbereiche hätte erkannt werden können. Es sei zwar offensichtlich, dass bei der Klägerin ein Rentenbegehren vorliege. Das quantitativ eingeschränkte Leistungsvermögen sei aber mit dem Ausmaß der tatsächlich vorliegenden Beeinträchtigungen auf geistigem und psychischem Gebiet begründbar. Zur Beurteilung der Gehfähigkeit sei orthopädisch-chirurgischer Sachverstand ausschlaggebend. Die Klägerin könne einen Pkw und öffentliche Verkehrsmittel benutzen.

Mit ergänzender Stellungnahme vom 15. Juni 2015 hat Herr St. zu dem Gutachten von Prof. Dr. Bo. angegeben, aus Anamnese und Befund hätten sich keine handfesten Hinweise, z.B. auf eine hirnorganische Beeinträchtigung, ergeben. Vielmehr habe ein unspezifischer testpsychologischer Befund zu falschen differenzialdiagnostischen Schlussfolgerungen geführt. Der gesamten Aktenlage seien keine Hinweise auf eine hirnorganische Beeinträchtigung zu entnehmen. Doch selbst wenn eine solche dauerhafte Schädigung vorgelegen hätte, wäre die Klägerin aktenkundig in der Lage gewesen, auch mit dieser Schädigung langjährig berufstätig zu sein. Die depressive Störung von leichter bis mittelgradiger Ausprägung führe nicht zu einem dauerhaft quantitativ eingeschränkten Leistungsvermögen.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 4. Januar 2016 abgewiesen. Die Klägerin sei nicht voll oder teilweise erwerbsgemindert. Sie könne zumindest sechs Stunden und mehr täglich körperlich leichte Tätigkeiten mit zusätzlichen qualitativen Einschränkungen verrichten. Die Kammer lege hinsichtlich des Leistungsbildes die Gutachten von Dr. Fl., Dr. S. und Herrn St. zugrunde. Das Gutachten von Dr. M. stehe dem nicht entgegen, da diese die quantitative Leistungsminderung in der Schmerzverarbeitung und der Depression sehe und auch insoweit eine weitere Begutachtung angeraten habe. Auch das Gutachten von Prof. Dr. Bo. stehe dem nicht entgegen, da er ein hirnorganisches Psychosyndrom nicht objektiviert und selbst das offensichtliche Rentenbegehren der Klägerin festgehalten habe. Die Gehfähigkeit der Klägerin sei nicht rentenrelevant eingeschränkt. Ferner könne diese öffentliche Verkehrsmittel uneingeschränkt nutzen.

Gegen den ihr am 11. Januar 2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 11. Februar 2016 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Es widerspräche den logischen Denkansätzen, dass sie nunmehr voll erwerbsfähig sein solle. Sie habe bis 2009 die begehrte Rente erhalten. Aus allen Gutachten gehe hervor, dass in orthopädischer Hinsicht keine Besserung eingetreten sei. Zusätzlich sei eine mittelschwere Depression hinzugetreten, die ihre Leistungsfähigkeit noch weiter erheblich reduziert habe. Sie werde seit dem Jahr 2003 regelmäßig wegen der Schmerzsymptomatik medikamentös und psychologisch behandelt. Sie halte zudem an den bisherigen Beweisanträgen fest. Ihr Ehemann solle zu folgenden Themen gehört werden: "Kein Therapieplatz trotz Bemühungen, nur einfache Häkelarbeiten möglich, Gehvermögen unter 200 m am Stück, kein Fahrradfahren und Autofahren so gut wie nie, keine Besserung auf orthopädischem und psychiatrischem Gebiet sowie rezidivierendes Auftreten der Erkrankungen". Ferner sei die Sachverständige Dr. M. zu deren Gutachten anzuhören.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 4. Januar 2016 und den Bescheid der Beklagten vom 18. November 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr über den 31. August 2009 hinaus Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise ab dem 1. September 2009 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid und ihren Bescheid für zutreffend.

Der Senat hat Befund- und Behandlungsberichte eingeholt. Dr. L. hat unter dem 24. Mai 2016 angegeben, insgesamt habe sich das Stimmungsbild der Klägerin nach dem stationären Aufenthalt stabilisiert. Es träten nur noch leichte Stimmungseinbrüche, nicht von Dauer, auf. Die Ärztin hat u.a. eine MRT des Schädels vom 26. August 2009 mit übersandt. Der Facharzt für Orthopädie Dr. Bt. hat unter dem 20. Mai 2016 unveränderte Beschwerden mitgeteilt. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Bh. hat unter dem 15. Juni 2016 von schweren depressiven Verstimmungen berichtet, deren Ursache die starken Einschränkungen bei der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und Arbeitsleben seien.

Schließlich hat der Senat den Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und forensische Psychiatrie Dr. W. das Gutachten vom 20. Februar 2017 auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung der Klägerin vom 16. Dezember 2016 und des testpsychologischen Befundes des Dipl.-Psych. He. vom 20. Januar 2017 erstatten lassen. Diese habe angegeben, ihre Leistungsfähigkeit sei vor allem wegen der Beschwerden in den Beinen und der Schmerzen in den Schultern bzw. im LWS-Bereich eingeschränkt. Sie habe Angst, Auto zu fahren. Sie versuche, selbst klar zu kommen. Sie sei immer noch bei keinem Psychotherapeuten in Behandlung gewesen. Dr. L. suche sie alle drei Monate nur wegen eines Rezeptes auf. Bei Schmerzen nehme sie bedarfsweise Ibuprofen und Voltaren. Zum Tagesablauf habe die Klägerin angegeben, sich mit Handarbeiten meistens ca. 30 Minuten zu beschäftigen und Ordnung im Haushalt zu halten (Staub wischen ca. 30 Minuten bis eine Stunde, Waschmaschine befüllen, mit dem Ehemann Einkaufen fahren, zusammen mit ihm kochen). Eine Verständigungsbeeinträchtigung sei ohne Hörgerät nicht zu verzeichnen gewesen. Während der Exploration seien keine Konzentrations-, Merkfähigkeits- oder Gedächtnisstörungen registriert worden. Es sei ein uneingeschränktes Sitzvermögen bei der Klägerin festzustellen gewesen. Objektiv bestünden nach dem Schädel-Hirn-Trauma 1979 keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der neurokognitiven Funktionen. Die Veränderungen in der MRT des Schädels seien zwar auf das Schädel-Hirn-Trauma 1979 zurückzuführen. Es seien jedoch keine Koordinationsstörungen bei der Klägerin zu objektivieren gewesen. Schließlich sei sie problemlos bis zu ihrem Verkehrsunfall im Jahr 2000 Auto gefahren. Weder ihrer Biografie noch ihren Angaben seien eine verminderte kognitive Leistungsfähigkeit, eine Konzentrationsstörung und eine verringerte Leistungsfähigkeit bei den Alltagsaktivitäten nach 1979 zu entnehmen. Der schwere Unfall 2000 sowie die daraus resultierende schwere körperliche Erkrankung mit massivem Schmerzsyndrom habe die Entwicklung der Angst- und depressiven Symptomatik bedingt. Die testpsychologisch festgestellten Beeinträchtigungen seien im Wesentlichen auf die bei der Klägerin zu diagnostizierende mittelgradige Depression zurückzuführen. Die seit 2014 bestehende Einstellung auf Valdoxan 50 mg am Tag stelle keine adäquate Psychopharmaka-Behandlung der mittelgradigen Depression dar. Die von der Klägerin beklagten Schmerzen seien im Wesentlichen auf die orthopädischen Erkrankungen zurückzuführen, wobei eine psychogene Verstärkung dieses Schmerzsyndroms anzunehmen sei. Die Klägerin sei in der Lage, noch leichte körperliche Tätigkeiten überwiegend im Sitzen, ohne Wechsel-/Nachtschicht, ohne besonderen Zeitdruck und ohne häufigen Publikumsverkehr vollschichtig zu verrichteten. Sie sei Arbeiten mit bis zu durchschnittlichen Anforderungen an das Seh- und Hörvermögen, mit geistig mittelschwierigen Anforderungen und mit geringen Anforderungen an Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit gewachsen. Bei einer adäquaten Behandlung der mittelgradigen Depression könne die Klägerin auch Arbeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an diese Fähigkeiten ausüben. In Bezug auf die psychischen Störungen bestehe die qualitative Einschränkung seit Ende 2013/Anfang 2014. Die mittelgradige Depression habe während des stationären Aufenthaltes objektiviert werden können. Der Sachverhalt sei in medizinischer Hinsicht geklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 143 SGG statthafte und auch in der Form und Frist des § 151 SGG eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil die Klägerin keinen Anspruch auf Weiterbewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung über August 2009 hinaus bzw. auf Bewilligung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. September 2009 hat. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§§ 153 Abs. 1, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, also wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Abweichend vom Wortlaut des § 43 Abs. 1 SGB VI haben aber auch Versicherte, die teilweise erwerbsgemindert sind, also nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) führt die teilweise Erwerbsminderung bei praktischer Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes für Tätigkeiten in einem täglichen zeitlichen Rahmen von drei bis unter sechs Stunden zu einer vollen Erwerbsminderung auf Zeit (vgl. schon zu § 1247 Reichsversicherungsordnung (RVO), BSG, Großer Senat (GS), Beschlüsse vom 12. Dezember 1976, GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75 und GS 3/76; Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar SGB VI, § 43, Rn. 31ff.; Reinhardt, SGB VI, Lehr- und Praxiskommentar, 2. Aufl., § 43 Rn. 11).

Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt und in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Vorliegend war erneut umfassend zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Bewilligung von Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung seit dem 1. September 2009 vorlagen bzw. zu einem späteren Zeitpunkt vorliegen. Insoweit ist das Leistungsvermögen der Klägerin in dem davor liegenden Zeitraum ungeachtet dessen, dass sie vom 1. März 2001 bis zum 31. August 2009 Rente wegen voller Erwerbsminderung bezogen hat, nicht von Relevanz.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann die Klägerin seit 1. September 2009 unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein. Dabei geht der Senat von folgendem Leistungsbild aus: Die Klägerin kann noch körperlich leichte Tätigkeiten überwiegend sitzend mit der Gelegenheit zum Haltungswechsel alle 30 Minuten sechs Stunden und mehr täglich verrichten. Wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten wie Heben und Tragen von Gegenständen über 5 kg, Arbeiten in Zwangshaltung, in gebückter Haltung, auf unebenem Boden, Leiter- und Gerüstarbeiten, häufiges Treppensteigen sowie Arbeiten unter Einfluss von ungünstigen Witterungsbedingungen (Nässe, Kälte, Zugluft) sind ausgeschlossen. Überkopftätigkeiten können nur noch kurzfristig und selten abverlangt werden. Die Klägerin ist Arbeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an das Seh- und Hörvermögen, mit geistig mittelschwierigen Anforderungen und mit geringen Anforderungen an Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit, Verantwortung für die Sicherheit anderer und ohne besondere Verletzungsgefahr an Maschinen gewachsen. Es sind keine besonderen Anforderungen an das Seh- und Hörvermögen zu stellen. Akkord- und Fließbandarbeit, Arbeiten unter Zeitdruck, mit häufigem Publikumsverkehr sowie in Wechsel- und Nachtschicht sind nicht zumutbar. Die Gebrauchsfähigkeit beider Hände ist gegeben.

Dieses Leistungsbild ergibt sich für den Senat aus dem Gesamtergebnis der medizinischen Ermittlungen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, insbesondere aus den Gutachten von Dr. W. vom 20. Februar 2017 und von Herrn St. vom 25. März 2014 sowie dessen ergänzender Stellungnahme vom 15. Juni 2015, aus dem Gutachten von Dr. S. vom 28. Februar 2011 und dessen ergänzender Stellungnahme vom 14. Oktober 2012 sowie aus dem Gutachten von Dr. Fl. vom 2. November 2009.

Die Leistungsfähigkeit der Klägerin wird vorrangig durch die körperlichen Erkrankungen als Folgen des Verkehrsunfalls vom 4. August 2010 beeinträchtigt. Bei ihr bestehen Belastungs- und Ruheschmerzen in beiden Füßen, Schmerzen in der HWS mit Ausstrahlung in die rechte Schulter und zeitweise Kopfschmerzen sowie rezidivierende Schmerzen in der LWS, ein Zustand nach linksseitiger Radiusfraktur und nach linksseitiger Schlüsselbeinfraktur mit verkürztem Schultergürtel links, rezidivierende Belastungsschmerzen der rechten Schulter sowie rezidivierende Belastungsschmerzen im linken Kniegelenk.

Dr. S. hat nachvollziehbar aufgezeigt, dass im Vordergrund die ständigen Schmerzen in beiden Füßen links mehr als rechts stehen. Neben einer ausgeprägten Fehlstellung bei Hohl-, Spreiz- und Krallenfuß links mehr als rechts haben sich eine Bewegungseinschränkung und eine aufgehobene Abrollfunktion der Füße gezeigt. Linksseitig ist eine Supinationshaltung festzustellen gewesen, d.h. die Klägerin berührt mit der Außenkante des Fußes zuerst den Boden. Der Gutachter hat eine diffuse Druckschmerzhaftigkeit, reizlose Narben und eine verminderte Sensibilität im Bereich beider Füße beschrieben.

Dr. S., Dr. Fl. und Herr St. haben zudem eine noch ausreichende Beweglichkeit der HWS und der LWS ohne radikuläre Ausfallsymptomatik beschrieben. Herr St. hat eine sehr gute Wirbelsäulenbeweglichkeit bei einem Finger-Boden-Abstand von 0 cm aufgezeigt. Die rezidivierenden Schmerzen im linken Kniegelenk sind auf die Fehlstellung des linken Fußes und daraus folgend auf eine Überlastung des linken Kniegelenkes bei weiterhin guter Funktion zurückzuführen. Trotz Arthralgien an beiden Händen sind beiderseits Faustschluss, Spitz- und Schlüsselgriff gut möglich gewesen. Aus der linksseitigen Radius- und Schlüsselbeinfraktur resultiert keine wesentliche Beschwerdesymptomatik. Die Funktion der rechten Schulter ist trotz rezidivierender Belastungsschmerzen regelrecht.

Der abweichenden Einschätzung von Dr. M. in ihrem Gutachten vom 26. Juli 2012 vermag der Senat nicht zu folgen. Es ist zunächst auffällig, dass bis auf wenige Sätze das damals ebenfalls nach § 109 SGG eingeholte Gutachten vom 17. Dezember 2006 wortgleich ist. Ihre Leistungseinschätzung im Sinne eines täglichen Leistungsvermögens von maximal drei bis vier Stunden hat Dr. M. nicht mit durch eigene Untersuchungen gewonnenen medizinischen Erkenntnissen belegt. Vielmehr hat sie erkennbar den Beschwerdevortrag der Klägerin der Beurteilung des Leistungsvermögens zugrunde gelegt. Sie hat die quantitative Leistungsminderung auf die Schmerzsituation der Klägerin gestützt. Herr St. hat hingegen dargestellt, dass während seiner Untersuchung der Klägerin keine schmerzbedingten Beeinträchtigungen festzustellen gewesen seien. Auch Dr. W. hat ein während der Exploration uneingeschränktes Sitzvermögen der Klägerin beschrieben. Diese konnte zudem eineinhalb Stunden von Beginn bis zur Unterbrechung der mündlichen Verhandlung anlässlich der Beratung des Senats vor der Urteilsverkündung weitgehend unbeeinträchtigt sitzen. Im Übrigen spricht gegen eine ausgeprägte, dauerhafte Schmerzsymptomatik die Tatsache, dass die Klägerin bislang keine schmerztherapeutische Behandlung in Anspruch genommen hat und lediglich eine niedrig dosierte Bedarfsmedikation erfolgt. Zudem hat Dr. M. fachfremd eine Verstärkung der Depression bei einer sechsstündigen Tätigkeit angenommen, obgleich sie wegen der Beurteilung des psychischen Zustandes der Klägerin eine nervenfachärztliche Begutachtung empfohlen hat. Zudem haben Dr. S. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 14. Oktober 2012 und Herr St. in seinem Gutachten vom 25. März 2014 aufgezeigt, dass weder eine wesentliche Schwellung der Füße bei Lymphabflussstörung noch eine radikuläre Ausfallsymptomatik d.h. eine Reizung der Nerven, besteht. Da Dr. M. im Vergleich zu der Begutachtung durch Dr. S. einen weitestgehend unveränderten körperlichen Befund beschrieben hat, ist ihre abweichende Leistungseinschätzung für den Senat nicht plausibel.

Auf psychiatrischem Gebiet bestehen bei der Klägerin depressive Erkrankungen mit rezidivierenden depressiven Episoden. Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. hatte 2009 eine leichte depressive Episode bescheinigt. Sie hat die Klägerin jedoch von 2010 bis August 2013 nicht behandelt. Die Wiedervorstellung wegen Depressionen erfolgte bei Dr. L. erst am 26. August 2013. In diesem Zeitraum wurden jedoch von keinem Gutachter Hinweise auf neurokognitive Defizite aufgezeigt. Dr. S. hat lediglich eine rezidivierende depressive Verstimmung mit Lustlosigkeit, Antriebsarmut und Stimmungsschwankungen erwähnt. Erst nach der Begutachtung durch Herrn St., der am 18. März 2014 nur eine leichte bis allenfalls mittelgradige depressive Symptomatik festgestellt hat, ist die Klägerin vom 28. August bis zum 6. November 2014 zur stationären Psychotherapie im Städtischen Klinikum Ma. gewesen. Dort ist erstmalig eine rezidivierende depressive Störung mit mittelgradiger Episode diagnostiziert worden. Infolge der stationären Behandlung hat sich die depressive Symptomatik im Wesentlichen zurückgebildet und die soziale Kompetenz der Klägerin verbessert. Dr. L. hat in ihrem Befundbericht vom 24. Mai 2016 eine Stabilisierung und Besserung der Stimmung der Klägerin nach dem stationären Aufenthalt bestätigt. Sowohl Prof. Dr. Bo. als auch Dr. W. haben schließlich eine mittelgradige Depression diagnostiziert. Die testpsychologisch von Herrn He. festgestellten objektivierbaren Beeinträchtigungen im Konzentrations- und Aufmerksamkeitsbereich sind im Wesentlichen darauf zurückzuführen. Sie führen zu den o.g. qualitativen Einschränkungen in mnestischer Hinsicht, begründen aber keine quantitative Leistungsminderung.

Die therapeutischen Möglichkeiten sind bei der Klägerin nach der übereinstimmenden Auffassung von Dr. W. und Herrn St. nicht ausgeschöpft. Die Klägerin hat zwar in der mündlichen Verhandlung angegeben, die empfohlene Psychotherapie mangels Kapazitäten noch nicht begonnen bzw. durchgeführt zu haben. Allerdings hat der Senat Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Bemühungen um einen Therapieplatz. Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin bei konsequenter Suche zumindest seit der Entlassung aus dem Klinikum Ma. am 6. November 2014 nach mehr als dreieinhalb Jahren keinen behandlungsbereiten Psychotherapeuten gefunden haben soll. Im Übrigen lässt auch die Tatsache, dass sie sich nach Kenntnis des Gutachtens von Dr. W. nicht wegen dessen Empfehlung einer Höherdosierung des Antidepressivums an ihre behandelnde Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. gewendet hat, gerade nicht auf einen hohen Leidensdruck schließen. Der Gutachter hat ausdrücklich aufgezeigt, dass die seit 2014 bestehende Einstellung auf Valdoxan 50 mg am Tag keine adäquate Psychopharmaka-Behandlung der mittelgradigen Depression darstellt.

Das Vorliegen einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung ist nicht nachgewiesen. Dr. W. hat lediglich eine psychogene Verstärkung des Schmerzsyndroms ohne Auswirkung auf das Leistungsvermögen der Klägerin angenommen. Er hat ausdrücklich aufgezeigt, dass die von dieser beklagten Schmerzen im Wesentlichen auf die festgestellten orthopädischen Erkrankungen zurückzuführen sind. Dies wird bestätigt durch die Ausführungen von Herrn St. in dessen Gutachten.

Die Schwerhörigkeit links ist mit einem Hörgerät gut kompensiert, obgleich eine Kommunikation mit der Klägerin auch ohne Hörgerät ohne weiteres ausweislich der Angaben von Dr. W. möglich ist.

Die Leistungseinschätzung von Prof. Dr. Bo. in dessen Gutachten vom 22. April 2015 ist für den Senat ebenfalls nicht nachvollziehbar. Das Vorliegen eines - mäßig ausgeprägten - hirnorganischen Psychosyndroms nach Schädelbasisfraktur links 1979 ist nicht nachgewiesen. Defizite im Bereich der Mnestik und Kognition waren nach dem Schädel-Hirn-Trauma 1979 nicht objektiviert worden. Der gesamten Aktenlage sind keine Hinweise auf eine hirnorganische Beeinträchtigung zu entnehmen. Von keinem der die Klägerin begutachteten Chirurgen und Orthopäden wurden bis 2009 Anhaltspunkte für Defizite im neurokognitiven oder mnestischen Bereich beschrieben. Bis zum Jahr 2009 war sie nicht in psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung.

Auch unter Berücksichtigung der Lebensgeschichte der Klägerin und ihrer eigenen subjektiven Einschätzung lassen sich keine kognitiven Einschränkungen erkennen. Die Klägerin war nach dem Motorradunfall 1979 in der Lage, ihre Lehre erfolgreich abzuschließen. Sie war bis zum Jahr 2000 erwerbstätig. Sie ist zudem bis zum Jahr 2000 selbst Auto gefahren.

Weder von der behandelnden Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. noch von den Psychiatern des Städtischen Klinikums Ma. wurden Hinweise auf einen beginnenden demenziellen Prozess festgestellt. Die von Prof. Dr. Bo. durchgeführten Hirnleistungstests lassen zwar Defizite in der Gedächtnisleistung, der kognitiven Flexibilität und der Aufmerksamkeit erkennen. Allerdings unterliegen sämtliche Hirnleistungstests dem Motivationsverhalten der Probanden und sind abhängig von deren Mitarbeit. Prof. Dr. Bo. hat schließlich ein Rentenbegehren der Klägerin bejaht. Im Übrigen steht das von ihm aufgezeigte mäßiggradige Psychosyndrom in Widerspruch zu der von ihm beschriebenen Fähigkeit der Klägerin, Auto zu fahren.

Dr. W. hat darüber hinaus überzeugend aufgezeigt, dass die testpsychologische Diagnostik zwar einen Beitrag zur psychiatrischen Diagnostik liefern kann. Jedoch handelt es sich dabei um ergänzende Informationen für die Diagnosestellung. Das entscheidende ist die Verhaltensbeobachtung und Erhebung des psychopathologischen Befundes durch den Psychiater. Zwar sind in dem Gutachten von Prof. Dr. Bo. mehrmals in verschiedenen kognitiven Bereichen unterdurchschnittliche Leistungen festgestellt worden. Gleichwohl sind sowohl in der testpsychologischen Untersuchung durch Herrn He. als auch bei der psychologischen Untersuchung durch Prof. Dr. Bo. lediglich leichte Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen objektiviert worden. Dr. W. hat ebenfalls aufgezeigt, während der Erhebung des psychischen Befundes keine Anhaltspunkte für ein dementielles Syndrom bei der Klägerin gesehen zu haben. Ausgeprägte psychische Ausfallerscheinungen, Konzentrations-, Merkfähigkeits- oder Gedächtnisstörungen sind nicht festgestellt worden. Herr St. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 15. Juni 2015 bestätigt, dass keine Hinweise auf eine hirnorganische Beeinträchtigung vorgelegen haben. Im Übrigen beschäftigt sich die Klägerin nach ihren eigenen Angaben bei Dr. W. mit Handarbeiten, sofern ihre Konzentration wie auch die Feinmotorik nicht beeinträchtigt seien. Sie hat einen strukturierten Tagesablauf und verbringt den Tag mit Arbeiten im Haushalt, Kochen, Einkaufen und Besuchen der Mutter. Die testpsychologisch festgestellten geringgradigen Beeinträchtigungen sind vielmehr im Wesentlichen auf die mittelgradige Depression zurückzuführen.

Es liegen bei der Klägerin auch keine schwere spezifische Leistungsbehinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, die trotz der sechsstündigen Einsetzbarkeit zur Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes führten. Die Beklagte ist daher nicht verpflichtet, einen konkreten Arbeitsplatz zu benennen. Denn das Restleistungsvermögen der Klägerin reicht noch für leichte körperliche Verrichtungen, wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Reinigungsarbeiten, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen, aus (vgl. die Aufzählungen in dem Beschluss des Großen Senats des BSG vom 19. Dezember 1996 - GS 2/95 -, SozR 3-2600 § 44 SGB VI Nr. 8 = BSGE 80, 24, 33f.; BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011, B 13 R 78/09 R). Die Klägerin verfügt über die notwendigen körperlichen, geistigen und mnestischen Fähigkeiten.

Zudem ist für die Klägerin der Arbeitsmarkt nicht verschlossen, weil es ihr an der so genannten Wegefähigkeit fehlte. Zur Erwerbsfähigkeit gehört auch das Vermögen, einen Arbeitsplatz aufsuchen zu können. Dabei ist nach der Rechtsprechung des BSG ein abstrakter Maßstab anzuwenden. Ein Katalogfall liegt nicht vor, soweit ein Versicherter täglich viermal Wegstrecken von knapp mehr als 500 m mit einem zumutbaren Zeitaufwand von bis zu 20 Minuten zu Fuß zurücklegen und zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten unter Berücksichtigung aller ihm zur Verfügung stehenden Mobilitätshilfen benutzen kann. Dann gilt die Erwerbsfähigkeit als nicht in beachtlichem Maße eingeschränkt und die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit ist nicht erforderlich. Ist ein Arbeitsplatz auf andere Art als zu Fuß erreichbar, z.B. mit einem eigenen Kraftfahrzeug, ist der Arbeitsmarkt ebenfalls nicht verschlossen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2011 - B 13 R 79/11 R - juris).

Nach der übereinstimmenden Einschätzung von Dr. W., Herrn St., Dr. S. und Dr. Fl. kann die Klägerin mit orthopädischen Schuhen mehr als 500 m viermal täglich jeweils binnen 20 Minuten zu Fuß bewältigen. Sie hat im Übrigen in der mündlichen Verhandlung angegeben, ihr Gehvermögen sei seit dem Unfall im Wesentlichen, bis auf sich vermehrt entwickelnde Hüftbeschwerden, unverändert. Sie hatte nach dem von der Beklagten in dem ersten Rentenverfahren beigezogenen Bericht der Klinikum C. vom 9. Mai 2002 mitgeteilt, insgesamt ca. 45 Minuten am Stück mit Gehhilfe zu laufen. Ausweislich des Befundberichtes der Fachärztin für Chirurgie Dr. M. vom 2. März 2004 bei einer letztmaligen Behandlung der Klägerin am 11. April 2003 laufe diese täglich eine halbe Stunde. Bei Dr. H. hatte sie im Oktober 2004 angegeben, sie könne eine halbe Stunde schmerzfrei laufen. Im April 2007 hatte sie diesem gegenüber geschildert, alle halbe Stunde müsse sie eine Pause einlegen, um dann "ca. 600 m oder darunter" gehen zu können. Bei Dr. Fl. hatte sie im November 2009 noch angegeben, 500 m langsam und ohne Unterbrechung zu bewältigen. Soweit die Klägerin bei den späteren Begutachtungen - bei Dr. S. und Dr. M. - eine ihr mögliche Gehstrecke von 200 bis 300 m beschrieben hat, geht der Senat von einem anspruchsorientierten Vorbringen aus. Die Strecke von 200 m vom Parkplatz bis zur Praxis von Herrn St. konnte sie ohne Gehstütze zurücklegen. Der Umstand, dass sie noch in der Lage ist, ca. 30 Minuten bis eine Stunde stehend Staub zu wischen, um sich dann erst zu setzen, und dass sie sich innerhalb des Hauses und des Garten ohne Gehstütze fortbewegt, spricht ebenfalls nicht für eine aufgehobene Wegefähigkeit. Es ist auch angesichts des eher zügigen Gehtempos, welches Herr St. und auch Prof. Dr. Bo. beschrieben haben, nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin maximal 300 m zu Fuß zurücklegen können soll. Im Übrigen hat die Klägerin nach dem Ende der mündlichen Verhandlung mit normaler Gehgeschwindigkeit schon fast den Sitzungssaal verlassen, um dann an der Tür kehrt zu machen und den an ihrem Platz vergessenen Gehstock zu holen. Ferner kann sie auch öffentliche Verkehrsmittel benutzen.

Schließlich kann die Klägerin unter arbeitsmarktüblichen Bedingungen einer mindestens sechsstündigen täglichen leidensgerechten Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgehen. Sie benötigt für die Durchführung einer leidensgerechten Tätigkeit von mindestens sechs Stunden täglich insbesondere keine betriebsunüblichen Pausen. Eine Unterbrechung der sitzenden Position - gemäß Dr. S. - alle 30 Minuten oder - gemäß Dr. M. - nur alle zwei Stunden zur Entlastung der Beine durch ein kurzes Durchbewegen, Umhergehen oder Hochlagern der Beine stellt noch keine Arbeitspause dar. Vielmehr handelt es sich um einen kurzzeitigen Haltungswechsel, der dem Arbeitsablauf angepasst werden kann.

Der Senat war nicht verpflichtet, den Ehemann der Klägerin als Zeugen zu hören. Die Frage, ob diese trotz Bemühungen noch keinen Therapieplatz habe und ob sie nur noch einfache Häkelarbeiten verrichten könne, ist für die Beurteilung des Leistungsvermögens nicht von Bedeutung. Im Übrigen geht der Senat davon aus, dass die Klägerin seit dem Unfall im August 2000 weder Auto noch Fahrrad fährt. Für den Senat ist darüber hinaus eine Besserung der gesundheitlichen Situation über den 31. August 2009 hinaus weder von den behandelnden Ärzten noch von den Gutachtern festgestellt worden. Vielmehr legt er seiner Beurteilung einen in körperlicher Hinsicht im Wesentlichen unveränderten Gesundheitszustand zugrunde. Hinzu kommt seit 2014 eine episodische mittelgradige Depression. Bereits die eigenen Angaben der Klägerin sind in Bezug auf ihre Wegefähigkeit derart widersprüchlich, dass der Senat von einer Vernehmung des Ehemannes zur Frage der Gehfähigkeit absehen konnte.

Ferner sah sich der Senat nicht veranlasst, Dr. M. zu ihrem Gutachten zu hören. Ihr Gutachten ist weder unklar noch ergänzungsbedürftig. Ihre Einschätzung ist allerdings für den Senat aus den oben angeführten Gründen nicht nachvollziehbar und wird widerlegt durch die Gutachten von Dr. W., Herrn St., Dr. S. und Dr. Fl ...

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Entscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.
Rechtskraft
Aus
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