S 120 AL 207/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
120
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 120 AL 207/18
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Rückwirkung nach § 141 Abs. 3 SGB III gilt nur im Anschluss an ein tatsächliches Beschäftigungsverhältnis
Die Klage wird abgewiesen. Kosten des Verfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung – (SGB III) für den Samstag und den Sonntag (26. und 27.08.2017) vor der am Montag danach erfolgten persönlichen Arbeitslosmeldung.

Der 1961 geborene Kläger war von April 1992 bis zur betriebsbedingten Kündigung zu Ende September 2016 durchgehend bei einer Arbeitgeberin versicherungspflichtig beschäftigt und wechselte dann zum 1. Oktober im Rahmen eines Sozialplanes in ein bis Ende März 2017 befristetes Beschäftigungsverhältnis. Nahtlos an die Beendigung dieses Beschäftigungsverhältnisses bezog der Kläger Krankengeld vom 01.04.2017 bis zum Freitag, den 25.08.2017; die der Krankengeld zugrundeliegende Arbeitsunfähigkeit hatte – nach einer Notiz der Beklagten – am 30.03.2017 begonnen.

Am Montag - den 28.08.2017 - meldete sich der Kläger persönlich arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld, das ihm die Beklagte mit Bescheid vom 30.08.2017 für 540 Tage beginnend ab 28.08.2017 bewilligte. Der Kläger legte Widerspruch wegen des Beginndatums ein. Er sei ab 26.08.2017 arbeitslos gewesen und habe die persönliche Meldung erst am Montag vornehmen können, weil der 26. ein Samstag war. Mit Änderungsbescheid vom 09.10.2017 erhöhte die Beklagte den täglichen Leistungsbetrag auf 72,02 EUR. Zum 15. November 2017 nahm der Kläger wieder ein die Arbeitslosigkeit beendendes Beschäftigungsverhältnis auf (vgl. Aufhebungsbescheid vom 15.11.2017). Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte unter Hinweis auf den Wortlaut zu § 141 Abs. 3 SGB III aus, die persönliche Meldung wirke nur dann zurück, wenn zuvor eine berufliche Tätigkeit (Beschäftigung) ausgeübt worden sei. Dies sei vorliegend aufgrund des vorangegangenen Krankengeldbezuges nicht gegeben, so das Arbeitslosengeld erst ab dem Tag der persönlichen Meldung zu bewilligen sei.

Daraufhin hat der Kläger am 19. Februar 2018 Klage erhoben.

Der Kläger ist der Auffassung, die Arbeitslosmeldung am 28. wirke auf den 26.08.2017 zurück Er habe anlässlich eines Telefonats mit der Beklagten am 27.07.2017 mitgeteilt, bis Freitag, den 25.08.17 krankgeschrieben zu sein und gefragt, wann er sich arbeitslos melden müsse. Es sei ihm – von der Mitarbeiterin Frau N. - die Auskunft gegeben worden, es sei ausreichend, wenn er am Montag, den 28.08.2017 persönlich vorspreche. § 141 Abs. 3 SGB III sei derart auszulegen, dass eine Rückwirkung auch eintrete, wenn die Beklagte an dem ersten Tag nach Krankengeldbezug nicht dienstbereit sei. Dies korrespondiere auch mit der Regelung zu § 325 Abs. 2 SGB III. Es sei auch nicht nachvollziehbar, wenn Arbeitslose nach Krankheit schlechter behandelt werden, als nach einem Beschäftigungsverhältnis. Die Rückwirkung gelte jedenfalls im Anschluss an eine Arbeitsunfähigkeit, wenn diese bereits während des Beschäftigungsverhältnisses begonnen und darüber hinaus fortbestanden habe. Einer persönlichen Meldung am 25.08.2017 habe im Übrigen die Krankheit entgegengestanden. Unabhängig davon habe er auf die Richtigkeit der Auskunft der Mitarbeiterin der Beklagten vertrauen dürfen, so dass er sich auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch berufen könne.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 30.08.2017 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 09.10.2017 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 17.01.2018 zu verurteilen, ihm beginnend ab 26.08.2017 Arbeitslosengeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bleibt bei ihrer Auffassung, eine Rückwirkung nach § 141 Abs. 3 SGB III gelte nur im Anschluss an ein tatsächliches Beschäftigungsverhältnis. In anderen Fällen sei es zumutbar, die persönliche Meldung rechtzeitig vorzunehmen. Ein Telefonat vom 27.07.17 sei nicht dokumentiert; eine Sachbearbeiterin N. nicht bekannt.

Die Bevollmächtigte des Klägers hat mit Schriftsatz vom 25.07.2018, die Beklagte mit Schriftsatz vom 05.09.2018 Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Unterlagen der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Die Beklagte hat dem Kläger zu Recht Arbeitslosengeld erst ab 28.08.2017 bewilligt. Für den 26. und 27.08.2017 hat der Kläger keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, weil an diesen Tagen nicht aller materiellen Leistungsvoraussetzungen für die Gewährung von Arbeitslosengeld erfüllt sind: es fehlt an der persönlichen Arbeitslosmeldung. Die – erstmals – am 28.08.217 erfolgte persönliche Arbeitslosmeldung wirkt nicht zurück, auch nicht aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches.

Nach § 137 Abs. 1 SGB III hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer arbeitslos ist (nähere Ausgestaltung in §§ 138 - 140 SGB III), sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet hat (vgl. § 141 SGB III) und die Anwartschaftszeit erfüllt hat (Näheres in §§ 142, 143 SGB III). Nur wenn alle diese Leistungsvoraussetzungen erstmals zusammen zur gleichen Zeit vorliegen, entsteht der Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Nach § 141 Abs. 1 SGB III hat sich der Arbeitslose persönlich arbeitslos zu melden, was bereits zulässig ist, wenn Arbeitslosigkeit noch nicht eingetreten ist, aber innerhalb der nächsten drei Monate zu erwarten ist. Hingegen ist eine Rückwirkung der persönlichen Arbeitslosmeldung nach § 141 Abs. 3 SGB III nur dann möglich, wenn "die zuständige Agentur für Arbeit am ersten Tag der Beschäftigungslosigkeit" nicht dienstbereit ist. Dieser seit August 1999 geltende Gesetzeswortlaut knüpft an den ersten Tag der "Beschäftigungslosigkeit" an. Bis Juli 1999 war die gesetzliche Regelung (§ 122 Abs. 3 SGB III in der bis Juli 1999 geltenden Fassung) vom Wortlaut her weiter gefasst: es kam auf den "Tag, an dem der Arbeitslose sich persönlich arbeitslos melden will" an. Zum 1. August 1999 änderte der Gesetzgeber die Vorschrift auf den heute noch geltenden Wortlaut mit der Begründung, dass der Prüfungsaufwand erheblich sei und deshalb nur eine Rückwirkung gelten solle, wenn der Arbeitslose die persönliche Arbeitslosmeldung wegen fehlender Dienstbereitschaft der Agentur nicht am ersten Tag seiner Beschäftigungslosigkeit vernehmen könne (vgl. BT-Drs. 14/873, Seite 12/13). Systematisch gesehen formuliert Abs. 3 eine Ausnahme vom Grundsatz, dass die Rechtswirkung der Arbeitslosmeldung erst mit dem Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Vornahme eintreten soll. Sinn und Zweck der persönlichen Arbeitslosmeldung ist es, die Agentur für Arbeit die Kenntnis zu vermitteln, dass der Leistungsfall eingetreten ist, auch um Maßnahmen der Vermittlung einzuleiten. Mit der Änderung der Gesetzesformulierung hat der Gesetzgeber bekräftigt, dass nur in eng begrenzten Fällen der Ausnahmefall einer Rückwirkung eintreten soll (vgl. Striebinger in Gagel, SGB III, Stand September 2019, § 141, Rnr. 58 unter Hinweis auf BSGE 60, 43-50).

Die Auslegung zu § 141 Abs. 3 SGB III hat daher eng am Wortlaut zu erfolgen. "Beschäftigungslosigkeit" ist in § 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III definiert als "nicht in einem Beschäftigungsverhältnis" stehend. Eine Rückwirkung kann daher nur im Anschluss an berufliche Tätigkeit eintreten (so die Formulierung der Beklagten in ihren im Juli 2017 "klargestellten" fachlichen Weisungen) und hat daher als Anknüpfungspunkt den ersten Tag der Beschäftigungslosigkeit, was im Fall des Klägers der 01.04.2017 war.

Etwas anderes ergibt sich nicht aus § 325 Abs. 2 Satz 2 SBG III, denn dieser passt nur den Grundsatz "Keine Leistung vor Antragstellung" der Regelung zu § 141 Abs. 3 SGB III an. Maßgebend bleibt dabei jedoch die Auslegung des § 141 Abs. 3 SGB III.

Es ist auch keine Schlechterbehandlung von erkrankten Arbeitslosen zu erkennen. Wer arbeitsunfähig krank ist, kann einer Erwerbstätigkeit nicht nachgehen. Steht die betreffende Person zu Beginn der Arbeitsunfähigkeit noch in einem Beschäftigungsverhältnis, so misst sich die Arbeitsunfähigkeit an den körperlichen und geistigen Anforderungen der arbeitsvertraglich geschuldeten Erwerbstätigkeit. Liegt hingegen Arbeitslosigkeit vor, ist Maßstab für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit der allgemeine Arbeitsmarkt; erst wenn dort kein Beschäftigungsverhältnis denkbar ist, das die betreffende Person mit den krankheitsbedingten Leistungseinschränkungen ausüben kann, tritt Arbeitsunfähigkeit ein. Es ist daher nicht selten der Fall, dass eine im Beschäftigungsverhältnis arbeitsunfähige Person gemessen an einer Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeitsfähig wäre. Der klägerseitige Einwand, jedenfalls die Personen, die über das Ende des Beschäftigungsverhältnisses hinaus arbeitsunfähig krankgeschrieben sind, seien in die Rückwirkung einzuziehen, überzeugt die Kammer insbesondere vor diese Hintergrund nicht, denn Beschäftigungslosigkeit tritt nach der Definition des SGB III (s.o.) unabhängig von der Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt (hier würde eine etwaige Arbeitsunfähigkeit Relevanz entfalten) ein und eine besondere Schutzbedürftigkeit für diesen Personenkreist ist nicht ersichtlich.

Vielmehr ist nach allgemeiner Lebenserfahrung davon auszugehen, dass eine arbeitsunfähige Person am letzten Tag einer Arbeitsunfähigkeit krankheitsbedingt gerade nicht gehindert ist, sich (nur) persönlich und für den nächsten Kalendertag wirkend arbeitslos zu melden. Sollte dies gesundheitlich unmöglich sein, dürfte wohl regelmäßig eine Fortschreibung der Arbeitsunfähigkeit (über den Freitag hinaus) erforderlich sein. Zudem hat der Gesetzgeber für erheblich leistungsgeminderte, arbeitslose Personen über § 145 Abs. 1 Satz 3 SGB III den Grundsatz der persönlichen Arbeitslosmeldung durchbrochen und die Meldung durch einen Vertreter zugelassen. Auch diese Regelung spricht für eine strenge Wortlautauslegung zu § 141 Abs. 3 SGB III.

Es liegt auch kein vergleichbarer Sachverhalt vor, der er es rechtfertigt den arbeitsunfähig ausscheidenden Beschäftigten bzw. Arbeitslosen wie einen arbeitsfähig ausscheidenden Beschäftigten zu behandeln, denn der arbeitsfähige Erwerbstätigen hat bei einem Ende des Beschäftigungsverhältnisses an einem Freitag – oder einem Werktag vor einem Feiertag - grundsätzlich auch an diesem Tag noch seine Arbeitsleistung zu erbringen, so dass er die Agentur für Arbeit nicht während der Öffnungszeit wird aufsuchen können. Diese Fallkonstellation hatte der Gesetzgeber bei der Ausnahmeregelung des § 141 Abs. 3 SGB III im Blick und hat die Rückwirkung mit eindeutigem Wortlaut an das Ende des Beschäftigungsverhältnisses angeknüpft.

Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch kann hier nicht den geltend gemachten Anspruch begründen. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch hat zur Voraussetzung, dass der Sozialleistungs¬trä¬ger eine ihm obliegende Pflicht - ins¬besondere zur Beratung und Auskunft -verletzt hat. Ferner ist erforderlich, dass zwischen der Pflichtverletzung und dem Nachteil des Be¬troffe¬nen ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Schließlich muss der durch das pflicht-widrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können (vgl z.B. Bundessozialgericht vom 16.02.12 zum Aktenzeichen B 4 AS 77/11 R, Rnr. 23 mit weiteren Hinweisen, juris). Es kann dahingestellt bleiben, ob von einem Beratungsfehler (z.B. durch unklare Aussagen im Merkblatt oder anlässlich des aktenkundigen Telefonats im März 2017) auszugehen ist oder sogar – wie vom Kläger vorgetragen – eine konkrete Falschberatung am 27.07.2017 erfolgt war, denn eine persönliche Arbeitslosmeldung kann als sogenannte Tatsachenerklärung nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches fingiert werden bzw. in die Vergangenheit zurückwirken (vgl. Brand in Brand, Kommentar zum SGB III, 8. Auflage 2018, § 141, Rnr. 5).

Nach alledem ist die Klage mit der Kostenfolge des § 193 SGG abzuweisen.

Die Berufung gegen dieses Urteil ist nicht zulässig, da der Beschwerdewert unter 750 EUR liegt (§ 144 Abs. 1 Satz Nr. 1 SGG), denn es liegt dem Rechtsstreit lediglich ein streitiger Betrag von 144,04 EUR (2 x 72,02 EUR) zugrunde; Zulassungsgründe des § 144 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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