L 4 SO 46/18

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 52 SO 557/17
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 SO 46/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII).

Die Kläger sind verheiratet und beide schwerbehindert. Die 1942 geborene Klägerin zu 1. hat einen Grad der Behinderung von 50 und trägt das Merkzeichen G. Der 1940 geborene Kläger zu 2. – ihr Ehemann – hat einen Grad der Behinderung von 90. Er trägt die Merkzeichen G und RF. Beide Kläger leiden an einer Reihe von Erkrankungen. Die Kläger beziehen Altersrenten in Höhe von insgesamt 973,71 Euro monatlich. Sie leben in einem unbelasteten Eigenheim und haben zwei Kraftfahrzeuge: einen im März 2009 erstmals zugelassenen Mercedes-Benz CLK 200 Kompressor Cabriolet mit einer Laufleistung von ca. 60.000 km und einen im Juli 2010 erstmals zugelassenen Mercedes-Benz A 160 mit einer Laufleistung von ca. 50.000 km.

Im März 2017 beantragten die Kläger bei der Beklagten die Gewährung ergänzender Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem SGB XII. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 21. April 2017 mit der Begründung ab, die Kläger seien nicht bedürftig. Sie würden über vorrangig einzusetzendes Vermögen verfügen. Dabei verwies die Beklagte vor allem auf die beiden Fahrzeuge, die nach ihren Ermittlungen einen Wert von 20.200 Euro bzw. 11.600 Euro hätten.

Die Kläger widersprachen dem Ablehnungsbescheid mit Schreiben vom 10. Mai 2017 und führten aus, dass sie aus gesundheitlichen Gründen, vor allem wegen ihrer Gehbehinderungen, auf zwei Fahrzeuge angewiesen seien. Sie dürften nicht auf Billigfahrzeuge verwiesen werden, weil diese reparaturanfälliger seien und deshalb aus Kostengründen nicht geeignet seien. Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 2017 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Sie war der Auffassung, dass die Verwertung der Pkws nicht nach § 90 Abs. 2 SGB XII grundsätzlich ausgeschlossen sei und auch keinen Härtefall vorliege.

Die Kläger erhoben am 22. November 2017 Klage beim Sozialgericht, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgen. Zur Begründung vertieften sie die Ausführungen aus dem Widerspruchsschreiben. Ein am gleichen Tag anhängig gemachtes Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes war erfolglos. Das Sozialgericht lehnte den Antrag mit Beschluss vom 27. Dezember 2017 (S 52 SO 556/17 ER) ab. Die dagegen eingelegte Beschwerde zum Landessozialgericht blieb erfolglos (LSG Hamburg, Beschluss vom 15. Februar 2017, L 4 SO 5/18 B ER).

Mit Gerichtsbescheid vom 26. April 2018 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, einem Anspruch der Kläger auf Grundsicherungsleistungen stünden die §§ 41 Abs. 2, 19 SGB XII entgegen. Nach § 19 Abs. 2 SGB XII sei Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung jenen Personen zu leisten, die – was auf die Kläger zutreffe - die Altersgrenze nach § 41 Absatz 2 SGB XII erreicht hätten und ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften oder Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten könnten. Nach § 90 SGB XII sei grundsätzlich das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen. Vermögen seien alle beweglichen und unbeweglichen Güter und Rechte in Geld oder Geldeswert; umfasst würden auch Forderungen bzw. Ansprüche gegen Dritte, soweit sie nicht normativ dem Einkommen zuzurechnen seien. Die Kläger hätten Vermögen, das sie vorrangig zur Bedarfsdeckung einsetzen könnten und müssten. Bei den beiden Kraftfahrzeugen der Kläger handelte es sich um Vermögensgegenstände im Sinne von § 90 Abs. 1 SGB XII, die von den Klägern durch einen Verkauf verwertet werden könnten. Die Kraftfahrzeuge seien nicht nach § 90 Abs. 2 SGB XII von der Verwertung ausgenommen. Die Kläger könnten sich nicht auf § 90 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII berufen. Bei den beiden Autos handelte es sich nicht um "angemessenen Hausrat" im Sinne dieser Vorschrift. Zum "angemessenen Hausrat" gehörten alle Sachen, die der Hauswirtschaft und dem familiären Zusammenleben dienten, wie Möbel, sonstige Wohnungseinrichtungsgegenstände, Haushaltsgeräte, Wäsche u. ä. Ein Pkw falle erkennbar nicht unter diesen Begriff. Die Kläger könnten sich auch nicht mit Erfolg auf § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII berufen. Danach dürfe die Gewährung von Sozialhilfe nicht von der Verwertung kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte abhängig gemacht werden, wobei eine besondere Notlage der nachfragenden Person zu berücksichtigen sei. Die auf Grundlage von § 96 Abs. 2 SGB XII erlassene Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII (DVO § 90 SGB XII – in der ab 1.4.2017 geltenden Fassung von Art. 1 Nr. 1 der Zweiten Änderungsverordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII) bestimme in ihrem § 1 Satz 1 Nr. 1 nunmehr für jede in § 19 Abs. 3, § 27 Abs. 1 und 2, § 41 und § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB XII genannte volljährige Person als kleineren Barbetrag einen solchen von 5.000 Euro. Dem § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII unterfielen nicht nur unmittelbar Geldbeträge und Geldwerte im engeren Sinn, sondern auch Vermögensgegenstände, wenn der Erlös nicht den maßgeblichen Freibetrag übersteige. Der für die Einsatzgemeinschaft der Kläger insgesamt von der Verwertung ausgenommene Betrag von 10.000 Euro werde deutlich überschritten. Das Sozialgericht habe im den gleichen Gegenstand betreffenden Eilverfahren S 52 SO 556/17 ER für die Autos im Dezember 2017 Werte von 14.900 Euro bzw. rund 8.500 Euro ermittelt. In der Summe hätten die Autos demnach einen Gesamtwert von 23.400 Euro. Es bestehe kein Anlass, die Richtigkeit dieser Werte in Frage zu stellen. Zum einen sei zu berücksichtigen, dass das Sozialgericht bei der Wertermittlung von einem nur mittelmäßigen Erhaltungszustand ausgegangen sei, während die Kläger im Verwaltungsverfahren darauf hingewiesen hätten, dass sich die Fahrzeuge in "einwandfreiem Zustand" befänden. Hätte das Gericht die Angaben der Kläger zum Erhaltungszustand der Autos aus dem Verwaltungsverfahren zugrunde gelegt, hätte sich ein noch höherer Wert ergeben. Zum anderen seien seit der Wertermittlung im Eilverfahren erst vier Monate vergangen, sodass nicht zu erwarten sei, dass der Wert der Autos inzwischen deutlich gesunken wäre. Der Einsatz des vorhandenen Vermögens stelle für die Kläger auch keine Härte nach § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII dar. Bei dem Begriff der Härte handele es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Anwendung gerichtlich voll zu überprüfen sei. Unter einer Härte i.d.S. würden außergewöhnliche Fallgestaltungen verstanden, die von den Regelfällen des Verwertungsausschlusses in § 90 Abs. 2 Nr. 1-9 SGB XII nicht erfasst würden, diesen aber nach den daraus abzuleitenden Wertungen und Zielen gleichzusetzen seien. Dabei seien alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und daraufhin zu überprüfen, ob sie in ihrem Zusammenwirken eine bei anderen Hilfebedürftigen regelmäßig nicht anzutreffende, also atypische schwere Belastung des Vermögensinhabers ergäben. Eine Härte liege danach vor, wenn auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalles, wie z.B. der Art, Schwere und Dauer der Hilfe, des Alters, des Familienstands oder der sonstigen Belastungen des Vermögensinhabers und seiner Angehörigen, eine typische Vermögenslage deshalb zu einer besonderen Situation werde, weil die soziale Stellung der nachfragenden Person insbesondere wegen einer Behinderung, Krankheit oder Pflegebedürftigkeit nachhaltig beeinträchtigt sei. Dies zugrunde gelegt, sei die Verwertung der Pkw, wie die Beklagte es fordere, keine Härte. Das gelte selbst dann, wenn man den Umstand berücksichtige, dass beide Kläger schwerbehindert seien und das Merkzeichen G führten. Dem könne regelmäßig schon dadurch Rechnung getragen werden, dass in einem Haushalt ein Fahrzeug für mehrere Personen verfügbar sei. Es sei kein plausibler Grund erkennbar, warum die Kläger auf zwei Fahrzeuge angewiesen sein sollten. Der Hinweis auf Arztbesuche verfange insoweit nicht. Grundsätzlich sei es zumutbar, Arztbesuche so zu koordinieren, dass mehrere Personen hierfür ein gemeinsames Fahrzeug in Anspruch nehmen. Dass dies im Fall der Kläger ausnahmsweise nicht möglich sei, werde nur sehr pauschal behauptet und sei nicht lebensnah. Abgesehen davon halte es das Gericht auch für zumutbar, auf ein kleineres und preiswerteres Fahrzeug umzusteigen. Der durch einen Verkauf erzielte Gewinn lasse sich vorrangig zur Bedarfsdeckung einsetzen (so auch LSG Hamburg, Beschluss vom 15. Februar 2018, Az. L 4 SO 5/18 ER). Auch der Hilfsantrag bliebe ohne Erfolg. Es liege keine Konstellation vor, in der eine bloße Verpflichtung zur Neubescheidung ausgesprochen werden könnte. Die in Rede stehenden Ansprüche begründeten namentlich keine Ermessensleistungen.

Gegen den ihnen am 11. Mai 2018 zugestellten Gerichtsbescheid haben die Kläger am 6. Juni 2018 Berufung eingelegt. Zur Begründung führen sie aus, dass die Fahrzeuge bereits zu dem geschützten Hausrat gehörten. Die Verwertung der Pkw würde auch eine besondere Härte darstellen. Die Kläger seien schwerbehindert und brauchten die Pkws für alltägliche Arztbesuche. Zudem seien die Kläger außergewöhnlich gehbehindert und die dadurch bedingte Einschränkung der Mobilität könne mit dem Kfz ausgeglichen werden. Hierzu werde auf den Beschluss des OVG Hamburg vom 20. Dezember 1994, Bs IV 196/94, Bezug genommen. Die Preise im Internet seien zudem Lockpreise und nicht zu erzielen. Jedenfalls aber sei ein Darlehen zu gewähren, weil die Verwertung nicht sofort möglich sei.

Die Kläger beantragen nach Lage der Akten, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 26. April 2018 sowie den Bescheid vom 21. April 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihnen Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem SGB XII zu gewähren.

Die Beklagte beantragt nach Lage der Akten, die Berufung zurückzuweisen.

Sie beruft sich auf die Ausführungen in den Entscheidungen des Sozialgerichts zu den Aktenzeichen S 52 SO 556/17 ER und S 52 SO 557/17 sowie des Landessozialgerichts zum Aktenzeichen L 4 SO 5/18 B ER.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis erklärt zur Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter und zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Prozessakten und Verwaltungsakten verwiesen. Sie haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin gem. § 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und ohne mündliche Verhandlung gem. § 153 Abs. 1 i.V.m. 124 Abs. 2 SGG entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis hierzu erteilt haben.

Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben.

Sie ist aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 21. April 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Gewährung von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII. Der Senat nimmt gem. § 153 Abs. 2 SGG vollumfänglich auf die überzeugenden Ausführungen des Sozialgerichts im Gerichtsbescheid vom 26. April 2018 Bezug.

Der Vortrag der Kläger mit der Berufung führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Die Grenze des Schonvermögens beträgt bei den Klägern wie vom Sozialgericht dargelegt 10.000 Euro. Der Wert der beiden vorhandenen Kraftfahrzeuge übersteigt auch zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Berufung noch diesen Schonbetrag. Die Bewertung von Pkw mittels "Listen" ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 6.9.2007, B 14/7b AS 66/06 R) zulässig und anerkanntes Mittel zur Ermittlung des Wertes eines Autos. Privatverkäufer können die seriöse Bewertung durch den ADAC (Allgemeiner Deutscher Automobil-Club e.V.), sowie durch frei zugängliche seriöse Online-Verkaufs-Portale wie "wirkaufendeinauto.de" oder "mobile.de" nutzen. Die Ergebnisse spiegeln reale Verhältnisse wieder. Ein Sachverständigengutachten ist nicht erforderlich. Nach den vom Senat im Berufungsverfahren bei entsprechender Recherche erzielten und den Beteiligten übermittelten Ergebnissen liegt der Wert der beiden Kfz bei Zugrundelegung der niedrigsten Verkaufswerte bei 16.000 Euro. Es handelt sich bei den beiden Pkws auch nicht um Hausrat gem. § 90 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII. Hierunter fallen nur Sachen, die der Hauswirtschaft und dem Zusammenleben dienen, wie Möbel, Wäsche etc. (vgl. Beschluss des LSG Hamburg vom 15.2.2018, L 4 SO 5/28 B ER). Zudem liegt mit der Verwertung zumindest eines Pkws kein Härtefall gem. § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII vor. Dem Sozialgericht ist darin zu folgen, dass es den Klägern zumutbar ist, ein Auto gemeinsam zu nutzen und ihre Arzttermine und Einkäufe so zu legen, dass ihr Alltag mit einem Auto zu bewältigen ist. Den Klägern verbleibt bei Verwertung eines Pkw weiterhin die Mobilität mit dem anderen Pkw (anders als im angeführten Beschluss des OVG Hamburg vom 20.12.1994, Bs IV 196/94, in dem es um ein einziges Auto ging). Zudem liegt (ebenfalls anders als im zitierten Fall vor dem OVG Hamburg, Bs IV 196/94) bei den Klägern zwar das Merkzeichen G (erheblich beeinträchtigt in der Bewegungsfähigkeit, d.h. nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren Wegstrecken im Ortsverkehr zurücklegen zu können; Maßstab dabei ist eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird), nicht aber das Merkzeichen aG (außergewöhnliche Gehbehinderung, d.h. sich dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb des Kraftfahrzeuges bewegen zu können) vor. Schließlich kommt auch eine darlehensweise Gewährung, wie von den Klägern hilfsweise beantragt, gem. § 91 SGB XII nicht in Betracht, da die Verwertung zumindest eines Autos auch kurzfristig möglich und zumutbar ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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