L 7 AS 2137/19 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 9 AS 1912/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 2137/19 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 21.11.2019 wird zurückgewiesen. Kosten sind aus der Landeskasse nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Auferlegung eines Ordnungsgeldes iHv 50 EUR wegen Nichterscheinens zu einem Erörterungstermin.

In der Hauptsache begehrt der Kläger vom Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 22.09.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2015 weitere 6,59 EUR für die Übersendung eines Antwortbogens zu einem Vermittlungsvorschlag des Beklagten. Der Kläger hatte sich auf ein Stellenangebot für eine Callcenter-Tätigkeit vom 18.08.2015 nicht beworben, weil er diese Tätigkeit als unzumutbar erachtete. Entsprechend eines dem Vermittlungsvorschlag vom 18.08.2015 beigefügten "Rückantwort"-Vordrucks hatte der Kläger dem Beklagten am 02.09.2015 mitgeteilt, dass er sich nicht beworben habe. Die Kosten dieser Rückantwort nebst Kostenaufstellung und Kostenantrag bezifferte der Kläger mit 8,87 EUR (Kosten für Papier, Toner, Strom, Abnutzung, Kopien, Briefumschlag, Porto, Einschreibegebühr, Fahrtkosten zur Postdienstelle). Mit dem angegriffenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides übernahm der Beklagte hiervon 2,28 EUR, weil unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (§ 3 Abs. 1 Satz 4 SGB II) die Rückantwort persönlich hätte übergeben werden müssen. Dann hätten beim dortigen Empfangsbüro kostenlos Kopien erstellt werden können. Für Hin- und Rückfahrt wären 2,28 EUR angefallen (11,4 km x 0,2 EUR).

Am 04.10.2019 hat das Sozialgericht den Kläger zu einem Erörterungstermin am 21.11.2019 geladen. Sein persönliches Erscheinen wurde angeordnet. Zugleich erfolgte die Ladung zu vier weiteren Erörterungsterminen.

Der Kläger teilte unter dem 30.10.2019 mit, dass er nicht erscheinen und keinen Vertreter zum Termin entsenden werde. Die Beteiligten hätten sich zur Sache erschöpfend schriftsätzlich geäußert. Der Sachverhalt sei vollständig aufgeklärt und unstrittig. Die zu entscheidenden Rechtsfragen seien von unterdurchschnittlicher Schwierigkeit. Schon mit einem Schriftsatz vom 16.03.2018 habe er mitgeteilt, dem schriftlichen Vortrag nichts mehr hinzufügen und nicht zurücknehmen zu wollen. Ein Vergleichsschluss werde ebenfalls ausgeschlossen. Der anberaumte Erörterungstermin diene auch nicht der Verfahrensbeschleunigung. Die Verfahren seien seit 2016 entscheidungsreif. Beide Parteien hätten ihr Einverständnis zu einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt. Das Gericht könne ohne weitere Verzögerung entscheiden.

Zu dem Termin am 21.11.2019 erschien für den Kläger niemand. Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 21.11.2019 gegen den Kläger ein Ordnungsgeld in Höhe von 50 EUR festgesetzt. Dieser sei zum Termin am 21.11.2019 trotz ordnungsgemäßer Ladung und Anordnung des persönlichen Erscheinens nicht erschienen. Sein Erscheinen sei erforderlich gewesen, um den Streitgegenstand persönlich zu erörtern. Die Festsetzung des Ordnungsgeldes sei angemessen, um dem Kläger die Bedeutung einer gerichtlichen Ladung deutlich zu machen. In den vier Parallelverfahren hat das Sozialgericht mit gleicher Begründung ein Ordnungsgeld iHv je 50 EUR gegen den Kläger festgesetzt.

Gegen den ihm am 29.11.2019 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 23.12.2019 Beschwerde erhoben. Es gebe keine objektiven Anhaltspunkte dafür, dass seine Anwesenheit im Termin zur Klärung von umstrittenen Tatsachen notwendig gewesen sei. Er habe bereits mit Schriftsätzen vom 16.03.2018 und 30.10.2019 deutlich gemacht, dass die Sache entscheidungsreif sei, sodass sich weitere Erörterungen erübrigten.

II.

Die zulässige, insbesondere nach §§ 172, 173 SGG statthafte Beschwerde ist nicht begründet. Der angefochtene Beschluss des Sozialgerichts ist rechtmäßig.

Bleibt ein Beteiligter, dessen persönliches Erscheinen nach § 111 Abs. 1 Satz 1 SGG angeordnet worden ist, im Termin aus, so kann gegen ihn ein Ordnungsgeld wie gegen einen im Vernehmungstermin nicht erschienenen Zeugen festgesetzt werden (§ 202 SGG iVm § 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO). Die Auferlegung eines Ordnungsgeldes setzt voraus, dass dem Beteiligten unter Anordnung des persönlichen Erscheinens und Hinweis auf die Folgen seines Ausbleibens (§ 111 Abs. 1 Satz 2 SGG) ordnungsgemäß Mitteilung vom Termin gemacht worden ist und dass er ohne rechtzeitige genügende Entschuldigung (§ 202 iVm § 381 Abs. 1 Satz 1 ZPO) zum Termin weder erschienen ist, noch einen geeigneten Vertreter entsandt hat (§ 202 SGG iVm § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO).

Das Sozialgericht hat dem Kläger die Terminsmitteilung unter Anordnung des persönlichen Erscheinens ordnungsgemäß zugestellt und den Kläger auf die Folgen des Ausbleibens hingewiesen.

Die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers zu dem Erörterungstermin am 21.11.2019 ist zu Recht erfolgt. Gem. § 106 Abs. 1 SGG hat der Vorsitzende darauf hinzuwirken, dass Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden. Gem. § 106 Abs. 2 SGG hat der Vorsitzende bereits vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen. Zu diesem Zweck kann er einen Termin anberaumen, das persönliche Erscheinen der Beteiligten hierzu anordnen und den Sachverhalt mit diesen erörtern (§ 106 Abs. 3 Nr. 7 SGG). Ob das persönliche Erscheinen eines Beteiligten angeordnet wird, liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Vorsitzenden (Schmidt in: Meyer-Ladewig, SGG, 12. Aufl., § 106 Rn. 16).

Das Sozialgericht hat sein Ermessen in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt. Im sozialgerichtlichen Verfahren kann das persönliche Erscheinen nicht nur dann angeordnet werden, wenn dies zur Aufklärung des Sachverhalts geboten ist, sondern auch, wenn das Gericht die Anordnung für erforderlich hält, um mit den Beteiligten ein Rechtsgespräch zu führen und eine unstreitige Erledigung zu fördern. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der §§ 106 Abs. 3 Nr. 7, 111 Abs. 1 Satz 1 SGG, der eine dem § 141 Abs. 1 Satz 1 ZPO entsprechende Beschränkung nicht enthält. Außerdem spricht die systematische Stellung von § 106 Abs. 3 Nr. 7 SGG als vom Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehenes Instrument zum Erreichen der Prozessförderungspflicht des Vorsitzenden für eine entsprechende Auslegung (so auch LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 08.03.2010 - L 5 AS 1114/09 B; Freudenberg, JurisPR- SozR 10/2009 Anm. 6; Schmidt in: Meyer-Ladewig, SGG, 12. Aufl., § 111 Rn. 2).

Das Verfahren bietet hinreichend Anlass für die Annahme, dass ein Rechtsgespräch mit dem Kläger erforderlich ist. So begründet er sein Anliegen mit offensichtlich sachfremden Ausführungen, die nicht geeignet sind, sein Begehren zu tragen (Schriftsatz vom 20.04.2016).

Die Anordnung des persönlichen Erscheinens war nicht unverhältnismäßig. Die Anberaumung eines Erörterungstermins mit der Anordnung des persönlichen Erscheinens eines Beteiligten - sofern es sich bei diesem nicht um eine Behörde handelt - stellt einen grundrechtsrelevanten Eingriff in die Freiheitsphäre des Betroffenen dar und muss daher dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen (vgl. nur Schmidt in: Meyer-Ladewig, SGG, 12. Aufl., § 106 Rn. 16; Wiesner, SGb 1994, 1629). Die Anordnung war hier nicht unverhältnismäßig. Prüfungsmaßstab dafür ist nicht die Bedeutung des Streit-gegenstandes, sondern die Frage, in welchem Verhältnis die für den Kläger mit der Teminswahrnehmung verbundene Belastung zu dem öffentlichen Interesse an einem ordnungsgemäß durchgeführten sozialgerichtlichen Verfahren steht.

Der Kläger hat keine Gesichtspunkte vorgetragen, die für eine unverhältnismäßige Belastung in diesem Sinne sprechen. Soweit er vorträgt, er habe mitgeteilt, dass er nichts zurücknehmen wird und er zu einem Vergleichsschluss nicht bereit sei, entlastet ihn dies nicht. Der Kläger kann nicht antizipieren, welche rechtlichen oder tatsächlichen Hinweise das Gericht geben wird oder auf welche Gesichtspunkte es hinweisen wird, die für eine umfassende Erörterung des Sach- und Streitverhältnisses erforderlich sind. Sofern der Kläger zum Ausdruck bringen will, dass er sich für entsprechende Hinweise ohnehin nicht interessiert und er an einer einmal eingeschlagenen Linie ohne Berücksichtigung von Ausführungen des Gerichts, gleichgültig welchen Inhalts, festhalten wird, ist dann berechtigtes Ziel eines Erörterungstermins, den Kläger auf die möglichen prozessualen Folgen (zB Verschuldenskosten gem § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG; Präklusion von Vorbringen gem. § 106a SGG) hinzuweisen. Zudem ist das Gericht verpflichtet, in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits oder einzelner Streitpunkte bedacht zu sein (§§ 202 SGG, 278 ZPO). Zwar mag der Kläger sich einer entsprechenden Einigungsbereitschaft im Ergebnis verweigern, dies hindert das Sozialgericht jedoch nicht daran, in ein entsprechendes Gespräch mit den Beteiligten eintreten zu wollen und Einigungsmöglichkeiten auszuloten, zumal auch die Annahme eines von der Gegenseite erklärten Anerkenntnisses (§ 101 Abs. 2 SGG) hierzu zu rechnen ist. Dies ist ein allgemein anerkanntes prozessuales Ziel, das im öffentlichen Interesse besteht und nicht allein in die Disposition der Beteiligten gestellt ist. Selbst im vom Beibringungsgrundsatz geprägten Zivilprozess ist die Durchführung einer Güteverhandlung mit einer sanktionsbewehrten Anordnung des persönlichen Erscheinens der Parteien ausdrücklich gesetzlich vorgesehen (§§ 278 Abs. 3 iVm 141 Abs. 3 ZPO).

Auch die Voraussetzungen für die Festsetzung des Ordnungsgeldes liegen vor. Bleibt der Beteiligte aus, so kann gem. § 202 SGG, § 141 Abs. 3 ZPO gegen ihn ein Ordnungsgeld wie gegen einen im Verhandlungstermin nicht erschienenen Zeugen festgesetzt werden. Die Festsetzung eines Ordnungsgeldes ist nicht darauf beschränkt, dass die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Aufklärung des Sachverhaltes diente. Hierfür enthält der Wortlaut der Norm keine Grundlage (LSG Hamburg Beschluss vom 06.03.2006 - L 5 B 159/04 AL). Die Frage, ob ein Ordnungsgeld festgesetzt wird, ist aber eine Ermessensentscheidung (LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 08.03.2010 - L 5 AS 1114/09 B). Deshalb ist ggf. eine Differenzierung danach erforderlich, weshalb die Anordnung erfolgte. Bei der pflichtgemäßen Ausübung des Ermessens hat das Gericht sich am Zweck der Vorschrift zu orientieren. Das Erreichen des mit der Anordnung des persönlichen Erscheinens verbundenen Zwecks soll sichergestellt werden. Die Festsetzung bedarf einer Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls unter Einbeziehung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 30.08.2019 - L 4 AS 276/19 B).

Das Sozialgericht hat sein Ermessen, ob das Ordnungsgeld verhängt wird, rechtmäßig ausgeübt. Der Kläger hat keinerlei Umstände vorgetragen, die eine individuelle Unzumutbarkeit der Terminswahrnehmung oder auch nur eine irgendwie geartete besondere Belastung hierdurch belegen. Sowohl aus seinem Schriftsatz vom 30.10.2019 als auch aus der Beschwerdebegründung wird vielmehr deutlich, dass er grundsätzlich der Meinung war, den Termin nicht wahrnehmen zu müssen. Hiermit irrte der Kläger indes - wie dargelegt - rechtlich, was für ihn angesichts der Hinweise in der Terminsmitteilung ohne weiteres erkennbar war. Dafür, dass der Kläger nicht in der Lage war, die ihm gegebenen Hinweise zu verstehen oder danach zu handeln, gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Im Verhältnis zum Zweck an der Anordnung des persönlichen Erscheinens - das öffentliche Interesse an der Sicherstellung eines prozessual ordnungsgemäßen Verfahrens unter Berücksichtigung der Verpflichtung des Gerichts, auf eine gütliche Einigung hinzuwirken - ist die Verhängung des Ordnungsgeldes nicht unangemessen.

Auch gegen die Höhe des Ordnungsgeldes bestehen keine Bedenken. Da die Höhe des Ordnungsgeldes durch SGG und ZPO nicht bestimmt ist, beträgt gem. Art. 6 Abs. 1 EGStGB das Mindestmaß 5, das Höchstmaß 1000 EUR. Das Sozialgericht hat sich mit 50 EUR im unteren Rahmen dieses Betrages bewegt und dabei die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kläger berücksichtigt. Liegt das Ordnungsgeld - wie hier - im unteren Festsetzungsrahmen, bedarf es keiner weiteren Ausführungen zu dessen Höhe (LSG Ba-den-Württemberg Beschluss vom 20.01.1998 - L 13 Ar 3793/97 mwN). Der Umstand, dass gegen den Kläger auch in weiteren Verfahren jeweils Ordnungsgeld iHv 50 EUR festgesetzt worden sind, führt nicht zu einer abweichenden Bewertung. Wiederholte oder mehrere Sanktionen führen nicht zu einer Entlastung bei der jeweiligen einzelnen Pflichtverletzung. Der Gesamtbetrag bildet dann die angemessene Sanktion für die Mehrzahl der Pflichtverletzungen ab.

Da der Kläger mit seiner Beschwerde gegen das Ordnungsgeld nicht erfolgreich ist, fallen die Kosten der Staatskasse in entsprechender Anwendung von § 46 OWiG iVm § 467 Abs. 1 StPO (so Bayerisches Landessozialgericht Beschluss vom 02.02.2010 - L 2 KA 25/09; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 08.03.2010 - L 5 AS 1114/09 B; LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 30.08.2019 - L 4 AS 276/19 B) bzw. in entsprechender Anwendung von § 193 SGG (Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 111 Rn. 6c mwN) nicht zur Last.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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