L 8 SO 34/19

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 7 SO 101/17
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 8 SO 34/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 SO 33/20 B
Datum
Kategorie
Beschluss
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Leistungen der Eingliederungshilfe als Persönliches Budget für den Zeitraum von April bis Juni 2017 und die Zahlung von Schmerzensgeld umstritten.

Die am ... 2003 geborene Klägerin ist von einer spinalen Muskelatrophie Typ II/III betroffen. Für sie war seit dem 19. Januar 2007 der Grad der Behinderung (GdB) von 80 mit den Merkzeichen "G", "aG", "H" und "B" anerkannt. Ab dem 30. Januar 2012 wurde der GdB mit 100 festgestellt. Sie erhält seit dem Besuch der Grundschule ab Sommer 2010 sowie seit dem Besuch des Ag. Gymnasiums in H. ab dem Schuljahr 2014/2015 Leistungen der Eingliederungshilfe als Hilfe zur angemessenen Schulbildung. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass für den Schulbesuch der Klägerin die Begleitung durch einen Integrationshelfer erforderlich gewesen ist.

Für die Schuljahre 2010/2011 und 2011/2012 erhielt die Klägerin vom B. im Namen des Beklagten auf der Grundlage jeweils abgeschlossener Zielvereinbarungen Leistungen der Eingliederungshilfe als Hilfe zur angemessenen Schulbildung gemäß §§ 53, 54 Abs. 1 Nr. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe - SGB XII) in Form eines Persönlichen Budgets. Ab dem 1. Dezember 2012 hob der Beklagte (erstmals) die Bewilligung des Persönlichen Budgets mit der Begründung auf, die zugrunde liegende Zielvereinbarung sei gekündigt worden, da diese unter Punkt 2.5 die Verpflichtung enthalten habe, dass die Deckung des Bedarfs der Klägerin durch selbstorganisierte Fachkräfte erfolge und die entsprechenden Rechnungen dem Sozialamt vorzulegen seien. Da zwischenzeitlich - aufgrund der Erkrankung und des Versterbens der arbeitsvertraglich verpflichteten Integrationshelferin - die Aufgaben durch den Vater der Klägerin wahrgenommen worden seien, sei nicht von einer ordnungsgemäßen Verwendung des Persönlichen Budgets für den Einsatz einer selbst organisierten Fachkraft auszugehen (Bescheid vom 26. November 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2013). Die hiergegen beim Sozialgericht Halle erhobene Klage (S ...) wurde abgewiesen und die dagegen gerichtete Berufung vom Landessozialgerichts (LSG) Sachsen-Anhalt zurückgewiesen (Urteil vom 19. Juli 2017 - L ...).

Ab März 2013 wurde der Klägerin vom B. im Namen des Beklagten zunächst Eingliederungshilfe u.a. in Form der Betreuung und Begleitung während des Schulbesuchs durch einen Integrationshelfer und sodann ab dem Schuljahr 2014/2015, d.h. vom 1. September 2014 bis zum 31. Juli 2015, für das Schuljahr 2015/2016, d.h. vom 1. August 2015 bis zum 30. Juni 2016, und für das Schuljahr 2016/2017, d.h. vom 1. August 2016 bis zum 30. Juni 2017, erneut in Form eines Persönlichen Budgets auf der Grundlage jeweils abgeschlossener Zielvereinbarungen bewilligt (Bescheide vom 7. August 2014, 8. Mai 2015 und 8. August 2016). Die Höhe des bewilligten Persönlichen Budgets betrug für das Schuljahr 2016/2017 1.582,37 EUR.

In den Zielvereinbarungen ist - übereinstimmend - u.a. folgendes geregelt:

[ ... ]
2.5. Zur Deckung des Bedarfes nimmt der Budgetnehmer selbst organisierte Hilfskräfte (keine Angehörigen) in Anspruch.
Unter Angehörigen sind in erster Linie Ehegatten, Verwandte, Verschwägerte und auch Verlobte zu verstehen (Hinweis auf Kommentierung von Mergler/Zink Rz. 17 zu § 2 SGB XII - Stand November 2012).

2.6. Verwendungsnachweis
Monatliche Vorlage der Lohnzettel bis zum 15. für den Vormonat. Weiterhin einen Nachweis über den von Ihnen abgeführten Arbeitgeberanteile. Bitte weisen Sie beide Zahlungen (Lohn und den AG-Anteil) mittels Kontoauszug nach. Der Bescheid der Unfallkasse ist nach Erhalt einzureichen.

3. Mittelverwendung
3.1. Das Persönliche Budget ist zweckgebunden und darf nur für die Erreichung der vereinbarten Ziele verwendet werden. [ ...]
[ ...]
7. Vorzeitige Beendigung/Kündigung
7.1. [ ...]
7.2. Bei wiederholter nicht ordnungsgemäßer Verwendung des Persönlichen Budgets kann das Sozialamt die Vereinbarung mit sofortiger Wirkung kündigen.

Im Rahmen einer Hospitation durch den Mobilen Sonderpädagogischen Diagnostischen Dienst am 6. März 2017 ergab sich, dass die Klägerin seit dem 15. Februar 2017 durch den Vater im Schulalltag begleitet wurde, mit der Begründung, die Integrationshelferin befinde sich im Krankenstand. Unter dem 7. März 2017 teilte der B. der Klägerin mit, dass beabsichtigt sei, die Zielvereinbarung vom 8. August 2016 zu kündigen, sofern die Schuldbegleitung durch den Vater ausgeübt und nicht entsprechend der geschlossenen Zielvereinbarung vom 8. August 2016 (Punkt 2.5) gehandelt werde. Die Schule habe eine kurzzeitige Vertretung der Integrationshelferin im Krankheitsfall zugesichert. Die Klägerin teilte hierzu am 22. März 2017 mit, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall leisten zu müssen. Es sei nicht zutreffend, dass das Gymnasium die Vertretung der Integrationshelferin habe sicherstellen können.

Unter dem 24. März 2017 kündigte der B. im Namen des Beklagten die mit der Klägerin am 8. August 2017 geschlossene Zielvereinbarung mit Wirkung zum 1. April 2017. Darin sei unter Punkt 2.5. festgelegt, dass zur Deckung des Bedarfs eine selbstorganisierte Hilfskraft, die kein Angehöriger sei, in Anspruch genommen werde. Die selbst organisierte Integrationshelferin sei seit dem 15. Februar 2017 erkrankt. Darüber sei das Sozialamt trotz des Hinweises auf die Mitwirkungspflichten im Bewilligungsbescheid vom 8. August 2016 nicht informiert worden. Selbst der verspätet eingereichte Nachweis zur Verwendung des Persönlichen Budgets (hier Lohnzettel) lasse die Erkrankung der Arbeitnehmerin nicht erkennen. Im Monat März 2017 sei sogar rechtswidrig die Lohnfortzahlung an die erkrankte Arbeitnehmerin über den 42. Krankheitstag hinaus erfolgt. Damit werde zumindest grob fahrlässig, wenn nicht sogar vorsätzlich, gegen die o.g. Zielvereinbarung verstoßen, was zur Kündigung der Zielvereinbarung aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung berechtige (Hinweis auf § 4 Abs. 2 S. 1 Budgetverordnung (BudgetVO)).

Mit Bescheid vom 27. März 2017 hob der B. im Namen des Beklagten den Bescheid vom 8. August 2016 über die Bewilligung von Leistungen der Eingliederungshilfe als Persönliches Budget mit Wirkung vom 1. April 2017 auf. Über die Weiterbewilligung der Eingliederungshilfe in Form der Sachleistung werde ein gesonderter Bescheid ergehen. Die zuviel geleistete Sozialhilfe i.H.v. 1.582,37 EUR sei zu erstatten. Rechtsgrundlage sei § 48 Abs. 1 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X). Mit der Kündigung der Zielvereinbarung zum 1. April 2017 sei eine wesentliche Änderung in den rechtlichen Verhältnissen, die dem Erlass des Bescheides vom 8. August 2016 zugrunde gelegen hätten, eingetreten. Gemäß § 50 Abs. 1 SGB X seien die bereits - im Voraus für April 2017 - erbrachten Leistungen zu erstatten.

Der Schulleiter des Ag. Gymnasiums teilte dem B. unter dem 27. März 2017 mit, dass die Integrationshilfe für die Klägerin bis zum 31. März 2017 schulintern abgesichert werde.

Mit weiterem Bescheid vom 28. März 2017 bewilligte der B. im Namen des Beklagten der Klägerin Eingliederungshilfe in Form der Betreuung und Begleitung während des Schulbesuchs durch einen Integrationshelfer im Schuljahr 2016/2017 für den Zeitraum vom 1. April bis zum 23. Juni 2017 als Sachleistung. Die gewährte Eingliederungshilfe werde durch den S. e.V. erbracht. Die anfallenden Kosten i.H.v. 14,19 EUR pro Stunde würden als Kostenübernahme im Einzelfall vom überörtlichen Sozialhilfeträger nach monatlicher Rechnungslegung und vorliegender Anwesenheitsmeldung direkt an den Leistungserbringer erstattet.

Die Klägerin legte sowohl gegen die Kündigung der am 8. August 2016 geschlossenen Zielvereinbarung als auch gegen die Bescheide vom 27. und 28. März 2017 Widerspruch ein. Aus der Zielvereinbarung gehe eine Mitwirkungspflicht, dem Sozialamt mitzuteilen, wenn die Integrationshelferin erkrankt sei, nicht hervor. Aus datenschutzrechtlichen Gründen sei niemand außer der Krankenkasse und dem Arbeitgeber darüber zu informieren, ob ein Mitarbeiter krank sei. Für das Sozialamt sei nur von Relevanz, dass - sie - die Klägerin am Unterricht teilnehme, eine Integrationshilfe vorhanden sei und das Persönliche Budget ausschließlich dafür verwendet werde. Ihre Eltern hätten abzusichern, dass sie der Schulpflicht nachkomme. Wenn die Integrationshelferin krank sei, müsse also eine Vertretung die Integrationshilfe durchführen; nichts anderes habe ihr Vater getan. Die vom Beklagten bewilligte Sachleistung lehne sie ab. Sie wolle selbst entscheiden, wer ihr Integrationshelfer sei.

Der Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin gegen die Kündigung der Zielvereinbarung vom 24. März 2017 mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2017 zurück. Der Widerspruch sei unzulässig, da er sich nicht gegen einen Verwaltungsakt im Sinne von § 31 SGB X richte. Bei dem Schreiben vom 24. März 2017 handele es sich um die Kündigung der Zielvereinbarung vom 8. August 2016, d.h. eines öffentlichrechtlichen Vertrages. Eine Kündigung sei kein Verwaltungsakt im Sinne des § 31 S. 1 SGB X.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 2017 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 27. März 2017 als unbegründet zurück. Der Bewilligungsbescheid vom 8. August 2016 sei zu Recht aufgehoben worden. Denn gegenüber den Verhältnissen zum Zeitpunkt des Erlasses dieses Bescheides sei eine wesentliche Änderung eingetreten. Die Klägerin sei nicht mehr von der von ihr beschäftigten Integrationshelferin begleitet worden, sondern durch den Vater als Angehörigen. In der zugrundeliegenden Zielvereinbarung vom 8. August 2016 sei der Einsatz einer selbstorganisierten Kraft vereinbart und Angehörige seien ausdrücklich ausgeschlossen worden. Daraufhin sei die Zielvereinbarung mit Wirkung zum 1. April 2017 gekündigt worden. Erbrachte Leistungen seien zu erstatten.

Den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 28. März 2017 über die Bewilligung von Leistungen der Eingliederungshilfe als Sachleistung wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2017 als unbegründet zurück. Zum einen sei der Bescheid des B. vom 28. März 2017 rechtmäßig ergangen. Zum anderen könne ein Rechtsschutzinteresse für den Widerspruch gegen den Bescheid vom 28. März 2017 nicht mehr festgestellt werden. Denn die Wirksamkeit der Leistungsgewährung als Sachleistung habe sich letztlich durch Zeitablauf erledigt. Die Rechtsstellung der Klägerin könne sich infolge der nicht in Anspruch genommenen Sachleistung und des eingetretenen Zeitablaufs (Bewilligung der Sachleistung vom 1. April bis zum 23. Juni 2017) nicht mehr verbessern.

Am 13. Juli 2017 hat die Klägerin beim Sozialgericht Halle Klage gegen die Kündigung der Zielvereinbarung vom 8. August 2016 unter dem 24. März 2017 und den hierzu ergangenen Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2017, gegen den Aufhebungsbescheid hinsichtlich der Eingliederungshilfe als Persönliches Budget vom 27. März 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2017 sowie gegen den Bescheid vom 28. März 2017 über die Gewährung der Eingliederungshilfe ausschließlich in Form der Sachleistung in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2007 erhoben. Zudem hat sie die Verurteilung des Beklagten zum Ausgleich des ihr für die Monate April, Mai und Juni 2017 entstandenen Schadens i.H.v. 4.747,11 EUR (3 × 1.582,37 EUR) verfolgt. Schließlich sei der Beklagte zu verurteilen, Schmerzensgeld i.H.v. 10.000,00 EUR aufgrund der rechtswidrigen, durch Willkür getriebenen Handlungen und der daraus resultierenden unermesslichen psychologischen Belastung für sie und ihre Familie zu leisten. Unter dem 24. Juli 2017 hat die Klägerin klargestellt, dass mit dem Schmerzensgeld ein Schadensersatzanspruch gemeint sei.

Zur Begründung hat die Klägerin vorgetragen, die Kündigung der Zielvereinbarung vom 8. August 2016 sei unbegründet und rechtswidrig, da sie letztlich aus persönlichen Gründen erfolgt sei. Seit 2010 seien die Bestrebungen des Beklagten unverkennbar, das Persönliche Budget zu verhindern bzw. dessen Handhabung so zu erschweren, dass die Nutzung dieser Form der Eingliederungshilfe möglichst unmöglich sei. Ihr Vater habe die Integrationshilfe vertretungsweise ab dem 15. Februar 2017 übernommen, weil die Integrationshelferin erkrankt gewesen sei. Die von ihr organisierten Ersatz- Integrationshelferinnen habe der Schulleiter am 27. und 28. März 2017 ohne jegliche Begründung der Schule verwiesen. Auch ihrem Vater sei durch den Schulleiter untersagt worden, die Integrationshilfe weiterhin durchzuführen. Zeitweise sei ihr vom Schulleiter der Schulbesuch verboten worden. Soweit sie versucht habe, ihren Schulbesuch gerichtlich durchzusetzen, habe das Gericht den Verleumdungen und uneidlichen Falschaussagen des Schulleiters mehr Glauben geschenkt und ihren Antrag auf einstweilige Anordnung zurückgewiesen. Sie habe das Persönliche Budget ausschließlich für die Bezahlung der Integrationshelferin verwendet, da der Lohn auch im Krankheitsfall für sechs Wochen uneingeschränkt weitergezahlt werden müsse. Welche Konsequenzen sich daraus ergeben hätten, wenn sie den Beklagten darüber informiert hätte, dass die Integrationshelferin erkrankt sei, habe der Beklagte nicht mitgeteilt. Soweit die Zielvereinbarung vom 8. August 2016 vorsehe, dass Angehörige die Integrationshilfe nicht durchführen dürften, sei die Vereinbarung von vornherein nichtig. Die Handhabung des Beklagten stelle eine Diskriminierung von Angehörigen von Menschen mit Behinderungen dar. Der Beklagte sei auch seiner Beratungspflicht ihr gegenüber nicht nachgekommen und habe auf Drängen der Schulleitung, des Landesschulamtes und des B. aus rein persönlichen Gründen den Bescheid vom 28. März 2017 erlassen. Sie habe Anspruch auf ein Persönliches Budget. Aufgrund der Pflichtverletzung ergebe sich ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 24. April 2019 hat das Sozialgericht Halle das Verfahren in Bezug auf den geltend gemachten Anspruch auf Schadensersatz bzw. Schmerzensgeld i.H.v. 10.000,00 EUR aus Amtshaftung abgetrennt. Mit Beschluss vom 24. Mai 2019 hat es den Rechtsstreit insoweit an das Landgericht Halle verwiesen. Gegen beide Beschlüsse hat die Klägerin Beschwerde beim LSG Sachsen-Anhalt erhoben (L ...). Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 24. April 2019 hat das LSG Sachsen-Anhalt mit Beschluss vom 2. Dezember 2019 (als nicht statthaft) zurückgewiesen. Die Beschwerde gegen den Beschluss vom 24. Mai 2019 hat das LSG Sachsen-Anhalt mit Beschluss vom 2. Dezember 2019 (als unbegründet) zurückgewiesen. Das Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen die Vorsitzende Richterin am Landessozialgericht K., den Richter am Landessozialgericht Dr. F. und den Richter am Landessozialgericht Hü. hat der 5. Senat des LSG Sachsen-Anhalt am 27. Januar 2020 als unbegründet zurückgewiesen. Die von der Klägerin gegen die Beschlüsse des 8. Senats des LSG Sachsen-Anhalt vom 2. Dezember 2019 erhobenen Anhörungsrügen sind mit den Beschlüssen vom 19. Dezember 2019 als unzulässig verworfen worden (L ...).

Im Termin zur mündlichen Verhandlung beim Sozialgericht am 24. April 2019 hat die Klägerin ihr Begehren insoweit weiterverfolgt, als sie beantragt hat, den Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2017 und den Bescheid vom 27. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2017 aufzuheben sowie den Bescheid vom 28. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2017 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihr für den Zeitraum April bis Juni (gemeint ist: 2017) Leistungen der Eingliederungshilfe als Persönliches Budget zu bewilligen und die Leistung an ihre Eltern auszuzahlen.

Mit Urteil vom 24. April 2019 hat das Sozialgericht Halle die Klage abgewiesen. Die zulässige Klage sei unbegründet. Die Kündigung der Zielvereinbarung könne nicht isoliert angefochten werden, da durch diese Kündigung selbst noch kein Recht der Klägerin berührt worden sei und die Kündigung deshalb keinen Verwaltungsakt im Sinne von § 31 SGB X darstelle. Die Rechtmäßigkeit der Kündigung werde inzident im Rahmen der Rechtmäßigkeit der (sich anschließenden) Aufhebungsentscheidung mit geprüft. Hier sei auch die Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 8. August 2016 ab April 2017 und die Verpflichtung zur Erstattung von Leistungen i.H.v. 1.582,37 EUR rechtmäßig. Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 8. August 2016 sei § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X. Nach der erfolgten Anhörung der Eltern der Klägerin gemäß § 24 Abs. 1 SGB X habe der Beklagte den Bewilligungsbescheid aufgrund einer wesentlichen Änderung in den Verhältnissen, die bei Erlass dieses Verwaltungsaktes vorgelegen haben, aufheben können. Es könne offenbleiben, ob eine wesentliche Änderung der Verhältnisse bereits darin liege, dass die Begleitung der Klägerin nach der Erkrankung der Integrationshelferin durch den Vater erfolgt sei. Jedenfalls sei eine wesentliche Änderung hier dadurch eingetreten, dass der B. die Zielvereinbarung vom 8. August 2016 gekündigt habe. Der Beklagte sei sachlich und örtlich für die begehrte Leistung der Eingliederungshilfe zuständig (§ 97 SGB XII und § 3 Abs. 1 Nr. 1 Ausführungsgesetz zum SGB XII Sachsen-Anhalt, § 98 Abs. 1 S. 1 SGB XII). Bei der Eingliederungshilfe handele es sich um eine Rehabilitationsleistung nach § 5 Nr. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - SGB IX) in der bis Dezember 2017 geltenden Fassung. Die Klägerin gehöre zum anspruchsberechtigten Personenkreis für Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII. Sie leide an einer wesentlichen Behinderung, die ihre Teilhabefähigkeit erheblich einschränke. Leistungen der Eingliederungshilfe würden im Rahmen eines Persönlichen Budgets nach § 57 S. 1 SGB XII i.V.m. § 17 SGB IX in der bis Dezember 2017 geltenden Fassung und der Verordnung zur Durchführung des § 17 Abs. 2 bis 4 SGB IX (BudgetVO in der bis Dezember 2017 geltenden Fassung) erbracht. Die Bewilligung einer Leistung der Eingliederungshilfe als Persönliches Budget setze u.a. voraus, dass eine Zielvereinbarung abgeschlossen worden sei. Bei einer Zielvereinbarung handele es sich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag im Sinne der §§ 53 f. SGB X. Der Beklagte sei hier berechtigt gewesen, die Zielvereinbarung zu kündigen. Nach § 4 Abs. 2 S. 1 BudgetVO könne die Zielvereinbarung aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung schriftlich gekündigt werden, wenn die Fortsetzung nicht zumutbar sei. Im Falle der Kündigung werde der Verwaltungsakt aufgehoben (§ 4 Abs. 2 S. 4 BudgetVO). Der Beklagte habe hier einen wichtigen Grund für die Kündigung der Zielvereinbarung gehabt. Die zwischen den Beteiligten abgeschlossene Zielvereinbarung habe vorausgesetzt, dass die Begleitung der Klägerin in der Schule nicht durch Angehörige erfolge. Dies sei allen Beteiligten auch bewusst gewesen, weil es darüber seit Jahren Streit gegeben habe. Mit der Begleitung der Klägerin durch ihren Vater sei die Zielvereinbarung nicht eingehalten worden. Es sei auch nicht willkürlich, die Bewilligung der Leistung als Persönliches Budget davon abhängig zu machen, dass die Schulbegleitung nicht durch Angehörige erfolge. Denn mit der Zielvereinbarung könne nicht nur der Leistungsberechtigte, sondern auch der Leistungsträger Einfluss darauf nehmen, durch wen die Leistung erbracht werde. Maßstab für die Entscheidung sei allein die Sicherung des Eingliederungserfolges. Denn einziges Ziel der Hilfe durch den Beklagten sei es, der Klägerin den Schulbesuch zu ermöglichen. Dabei sei nicht auszuschließen, dass im Einzelfall auch Angehörige die erforderlichen Leistungen erbringen könnten. Hier habe sich herausgestellt, dass die Begleitung der Klägerin durch ihren Vater von der Schule nicht akzeptiert werde. Durch diese Entscheidung der Schule, auf die der Beklagte keinen Einfluss habe, sei die tatsächliche Eingliederung der Klägerin in der Schule gefährdet gewesen. Es sei nicht durch das Sozialgericht zu prüfen, welche Gründe die Schule dazu bewogen hätten, den Vater vom Unterricht auszuschließen. Die hier erfolgte Aufhebung der Zielvereinbarung führe nach § 4 Abs. 2 S. 4 BudgetVO zur Aufhebung des Bewilligungsbescheides. Ermessen habe der Beklagte nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB XII nicht auszuüben. Daraus ergebe sich zwingend auch die Erstattung der bereits ausgezahlten Leistungen nach § 50 Abs. 1 S. 1 SGB X für den Monat April 2017 i.H.v. 1.582,37 Euro. Die Klage habe auch keinen Erfolg, soweit sich die Klägerin gegen die Ablehnung der Bewilligung von Leistungen als Persönliches Budget für den Zeitraum ab April 2017 wende. Mangels neuer Zielvereinbarung habe der Beklagte es ablehnen dürfen, ab April 2017 Leistungen der Eingliederungshilfe als Persönliches Budget zu bewilligen. Der Eingliederungshilfebedarf der Klägerin sei durch die Bewilligung der Sachleistungen gedeckt worden.

Gegen das ihr am 5. Juni 2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 11. Juni 2019 Berufung beim LSG Sachsen-Anhalt eingelegt und ihr Begehren weiterverfolgt. Zunächst hat sie erneut darauf hingewiesen, dass eine Anhörung vor der Entscheidung über die Kündigung der Zielvereinbarung nicht stattgefunden habe. Der Beklagte habe die Zielvereinbarung mit einer fadenscheinigen Begründung gekündigt, gegen die sie nach Auffassung des Gerichts nicht vorgehen könne. Zudem habe sich das Sozialgericht nicht mit der Frage befasst, ob die Zielvereinbarung und deren Zustandekommen rechtskonform gewesen seien. Die Zielvereinbarung sei allein vom Sozialamt aufgesetzt worden. Sie habe klägerseitig so unterschrieben werden müssen, wie sie vom Sozialamt aufgesetzt worden sei. Dies bedeute nichts anderes, als dass das Recht auf Selbstbestimmung faktisch ausgehebelt worden sei. Die Festlegung des Ausschlusses von Angehörigen mache die Zielvereinbarung nichtig. Dass der Beklagte in dieser Hinsicht Rechtsvorschriften nicht eingehalten habe, habe das Gericht vollkommen außen vorgelassen. Weder Schule, Landesschulamt noch Beklagter hätten bisher die gesetzlichen Grundlagen dafür aufgezeigt, wonach Angehörige die Integrationshilfe nicht durchführen dürften. Dem Beklagten sei es vollkommen egal gewesen, dass sie - die Klägerin - zeitweise die Schule gar nicht habe besuchen können. Vom Gericht vollkommen unbehandelt bleibe die Frage, wie denn klägerseitig hätte gehandelt werden sollen, wenn die Integrationshelferin erkrankt sei. Ihr - der Klägerin - und ihrem Vater könne kein Vorwurf gemacht werden. Die gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich der Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Schulpflicht seien immer eingehalten worden, sofern sie - die Klägerin - nicht durch Schule/Landesschulamt in rechtswidriger Weise daran gehindert worden sei. Vom Gericht sei an keiner Stelle im Urteil behandelt worden, dass der Beklagte, die Schule und das Landesschulamt nicht befugt gewesen seien, Daten oder Informationen über sie - die Klägerin - untereinander auszutauschen. Trotz Akteneinsicht sei nicht erkennbar, wer die Hospitation in der Schule veranlasst habe. Die Gewährung der Eingliederungshilfe ausschließlich als Sachleistung entbehre jeglicher Rechtsgrundlage. Schließlich bestünden Verfahrensmängel. Gemäß § 134 Sozialgerichtsgesetz (SGG) solle ein Urteil vor Ablauf eines Monats vom Tag der Verkündung an gerechnet vollständig abgefasst übermittelt werden. Diese Frist sei nicht eingehalten. Darüber hinaus sei das Urteil nicht unterzeichnet. Unter dem Teil der Rechtsmittelbelehrung finde sich die Nennung "Dr. Z.". Die anderen Richter seien nicht genannt worden. Daraus müsse geschlossen werden, dass die anderen Richter, die an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hätten, an der schriftlichen Ausfertigung des Urteils nicht beteiligt gewesen seien.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 24. April 2019 und die Kündigung vom 24. März 2017 sowie den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 21. Juni 2007 und den Bescheid vom 27. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2017 aufzuheben sowie den Bescheid vom 28. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2017 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihr für den Zeitraum April bis Juni 2017 Leistungen der Eingliederungshilfe (3 x 1.582,73 EUR) als Persönliches Budget zu bewilligen und die Leistung an ihre Eltern auszuzahlen sowie den Beklagten zu verurteilen, ihr aufgrund der Verletzung des Datenschutzes und der massiven Verletzung ihrer Rechte ein angemessenes noch festzulegendes Schmerzensgeld zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 26. November 2019 ist die Klägerin darauf hingewiesen worden, dass die Berufung in Bezug auf den Antrag auf Zahlung eines noch festzulegenden Schmerzensgeldes unzulässig sei. Die Klägerin hat an ihrer Rechtsauffassung festgehalten, dass die Abtrennung des geltend gemachten Schadensersatzanspruches und Schmerzensgeldes sowie die nachfolgende Verweisung an das Landgericht Halle rechtswidrig gewesen sei.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 6. Februar 2020 sind die Beteiligten ferner darauf hingewiesen worden, dass beabsichtigt sei, über die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 24. April 2019 durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG zu entscheiden. Die Klägerin hat mitgeteilt, einer Beschlussfassung ohne mündliche Verhandlung nicht zuzustimmen. Der Beklagte hat sich nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsakten des Beklagten sowie der Streitakten in den Verfahren L ... und L ..., die sämtlich Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats gewesen sind, Bezug genommen.

II.

Der Senat durfte den Rechtsstreit durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG entscheiden, da die Berufsrichter des Senats die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halten. Die Beteiligten sind vorher gehört worden. Ein Einverständnis mit der Entscheidung durch Beschluss ist nicht erforderlich. Das Gericht kann auch dann durch Beschluss entscheiden, wenn die Beteiligten ausdrücklich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verlangen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, § 153 RdNr. 14).

Die Berufung ist unzulässig, soweit die Klägerin die Verurteilung des Beklagten zu einem angemessenen noch festzulegenden Schmerzensgeld aufgrund der Verletzung des Datenschutzes und ihrer Rechte verfolgt hat. Dieser Streitgegenstand ist bereits beim Sozialgericht als Schadensersatzanspruch konkretisiert geltend gemacht und dort mit Beschluss vom 14. April 2019 abgetrennt sowie mit dem rechtskräftig gewordenen Beschluss vom 14. Mai 2019 an das Landgericht Halle verwiesen worden.

Im Übrigen ist die Berufung zulässig, jedoch nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist nicht zu beanstanden. Insbesondere ist es rechtzeitig und unter Einhaltung der Formvorschriften abgesetzt und zugestellt worden. Gemäß § 134 Abs. 1 SGG ist die Urschrift des Urteils vom Vorsitzenden zu unterschreiben. Diese Urschrift verbleibt als Original in der Gerichtsakte. Den Beteiligten ist eine beglaubigte Abschrift des Urteils zuzustellen (§ 135 SGG). Hier befindet sich das unterschriebene Urteil mit der vollständigen Unterschrift des Nachnamens der Vorsitzenden in der Gerichtsakte; insoweit wird auf Blatt 127 Rückseite der Gerichtsakte verwiesen. Die ehrenamtlichen Richter haben das Urteil nicht zu unterschreiben (Keller, a.a.O. § 134 RdNr. 2 m.w.N.). Die Frist für die schriftliche Abfassung des Urteils gemäß § 134 Abs. 2 S. 1 SGG ist eine Sollvorschrift, wobei ein Verstoß hiergegen unschädlich ist. Rechtlich bedeutsam wird eine verspätete Urteilsabfassung erst, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf Monaten nach der Verkündung schriftlich niedergelegt unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden sind (Keller, a.a.O. § 134 RdNr. 4 m.w.N.).

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, soweit sich die Klägerin gegen die Kündigung der Zielvereinbarung vom 8. August 2016 unter dem 24. März 2017 und gegen den Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 2017, gegen den Bescheid vom 27. März 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2017 sowie gegen den Bescheid vom 28. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2017 wendet. Der Beklagte war berechtigt, die Zielvereinbarung vom 8. August 2016 zum 1. April 2017 zu kündigen. Er handelte rechtmäßig, soweit er den Bescheid vom 8. August 2016 ab dem 1. April 2017 aufhob und von der Klägerin die Erstattung von 1.582,37 EUR forderte sowie für den Zeitraum vom 1. April bis zum 23. Juni 2017 einen Integrationshelfer als Sachleistung bewilligte. Zur Begründung verweist der Senat auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung, die er sich nach eigener Überprüfung der Sach- und Rechtslage zu eigen macht (§ 153 Abs. 2 SGG).

Das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren gibt keinen Anlass zu einer abweichenden Entscheidung. Denn die Klägerin wiederholt nur mit anderen Worten ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren und im erstinstanzlichen Gerichtsverfahren.

Sofern sie die Auffassung vertritt, dass sämtliche abgeschlossenen Zielvereinbarungen von vornherein nichtig gewesen seien, wären auch die darauf beruhenden Bescheide des Beklagten, mit denen der Klägerin seit dem Schuljahr 2010/2011 Leistungen der Eingliederungshilfe als Hilfe zur angemessenen Schulbildung in Form eines Persönlichen Budgets bewilligt wurden, rechtswidrig und die Klägerin zur Rückzahlung der ihr geleisteten Zahlungen verpflichtet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherte Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.
Rechtskraft
Aus
Saved