S 23 AS 295/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
23
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 23 AS 295/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Gründe:

I. Der im Jahr 1950 geborene, alleinstehende Antragsteller bezieht von der Antragsgegnerin seit dem 01.01.2005 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende -.

Mit Schreiben vom 07.06.2005 wies der Antragsteller darauf hin, dass ihm nach § 21 Abs. 5 SGB II Leistungen für Mehrbedarfe wegen einer kostenaufwändigen Ernährung aus medizinischen Gründen zustünden. Er leide unter anderem an arterieller Hypertonie und nahm Bezug auf ein ärztliches Attest des Internisten O aus E. Der Antragsteller beantragte sowohl rückwirkend als auch für die Zeit ab dem 01.07.2005 eine Krankenkostzulage für natriumdefinierte Kost in Höhe von monatlich 28,00 EUR.

Am 05.07.2005 beantragte der Antragsteller unter Vorlage einer weiteren Bescheinigung O , der nunmehr arterielle Hypertonie, eine Angststörung, Panikattacken, Fettstoffwechselstörungen und Hyperurikämie diagnostizierte und Krankenkost wegen Hyperlipidämie, Hyperurikämie/Gicht und Hypertonie/kardialer/renaler Ödeme als erforderlich ansah, erneut die Anerkennung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II. Er begehrte eine Zulage für natriumarme und definierte Kost in Höhe von monatlich 28,00 EUR und für lipidsenkende Kost in Höhe von monatlich 39,00 EUR.

Mit Bescheid vom 29.07.2005 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller für den Bewilligungsabschnitt 01.06.2005 bis 30.11.2005 eine Diätbeihilfe in Höhe von monatlich 35,79 EUR.

Nach Angaben beider Beteiligter erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 04.08.2005 Widerspruch.

Am 17.08.2005 hat der Antragsteller zusätzlich um einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht.

Der Antragsteller macht geltend, er benötige aus medizinischen Gründen eine kostenaufwände Ernährung. Er müsse lipidsenkende Kost, natriumdefinierte Kost und purinsenkende Kost zu sich nehmen, die Mehrbedarfe in Höhe von 39,00 EUR, 28,00 EUR und 34,00 EUR monatlich verursachten. Der bewilligte Betrag von 35,79 EUR sei nicht nachvollziehar. Er habe sich bereits am 19.07.2005 50,00 EUR leihen und Lebensmittel bringen lassen müssen.

Der Antragsteller hat seinen Vortrag eidesstattlich versichert.

Der Antragsteller beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm ab dem 01.06.2005 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - für eine kostenaufwändige Ernährung aus medizinischen Gründen in Höhe von monatlich 101,00 EUR abzüglich bereits geleisteter Beträge von jeweils 35,79 EUR für die Monate Juni bis August 2005 zu bewilligen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Die Antragsgegnerln Ist der Auffassung, der Antragsteller habe einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Es bestehe keine besondere Eilbedürftigkeit. Der Antragsteller könne Im einstweiligen Rechtsschutz nur 70 % der Regelleistung als das zum Leben Unerlässliche erhalten. Mit den bewilligten Leistungen stünden Ihm ausreichende Mittel zur Verfügung. Darüber hinaus sei auch ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Bei mehreren nebeneinander bestehenden Erkrankungen, die unterschiedlich hohe Mehrkosten bei der Ernährung verursachten, sei lediglich der Mehrbedarf zu gewähren, der der höchsten Krankenkostzulage entspreche. Eine Mehrfachgewährung sei nicht zulässig. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakten und des Verwaltungsvorgangs der Antragsgegnerin Bezug genommen. Dieser hat dem Gericht Vorgelegen.

II. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat keinen Erfolg.

Der Antrag ist zwar zulässig.

Er ist gemäß § 86 b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Danach kann das Gericht in der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Antragsteller hat auch ein Rechtsschutzbedürfnis. Gemäß § 86 b Abs. 3 SGG ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung schon vor Klageerhebung zulässig. Voraussetzung ist jedoch, dass vor Anrufung des Gerichts vergeblich ein Antrag an die Behörde gerichtet wurde; soweit eine Möglichkeit besteht, das Recht außerprozessual durchzusetzen, besteht kein Anlass, die Hilfe des Gerichts zur Verfügung zu stellen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 8. Auflage, Vor § 51, Rdn. 16). Der Antragsteller hat gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 29.07.2005, mit dem diese lediglich einen Mehrbedarf in Höhe von 35,79 EUR anerkannte, nach Angaben der Beteiligten mit Schreiben vom 04.08.2005 Widerspruch erhoben. Dies erfolgte gemäß § 84 Abs. 1 S. 1 SGG fristgerecht. Über den Widerspruch wurde bisher nicht entschieden.

Der Antrag ist aber unbegründet.

Voraussetzung ist das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes. Das Begehren muss begründet erscheinen (Anordnungsanspruch). Ferner bedarf es einer besonderen Eilbedürftigkeit der Durchsetzung des Begehrens bzw. nicht wieder rückgängig zu machender Nachteile (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen gemäß § 86 b Abs. 2 S. 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemacht worden sein. Erforderlich ist der Nachweis der überwiegenden Wahrscheinlichkeit; trotz der Möglichkeit des Gegenteils dürfen Zweifel nicht überwiegen (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Auflage, III. Kapitel, Rdn. 157). Dies ist im Rahmen einer summarischen Prüfung zu ermitteln (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.07.2005, Az.: L 9 B 44/05 AS ER; dass., Beschluss vom 21.04.2005, Az.: L 9 B 6/05 SO ER). Dabei gilt das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache; eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt nur, wenn es zur Vermeidung schlechthin unzumutbarer Folgen für den betreffenden Antragsteller notwendig ist, dass das Gericht die begehrte einstweilige Anordnung erlässt; anderenfalls würde die Entscheidung im Hauptsacheverfahren unzulässigerweise in das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorverlagert (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.04.2005, Az.: L 19 B 2/05 AS ER). Der Antragsteller hat bereits einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Eine besondere Eilbedürftigkeit der Durchsetzung seines Begehrens ist nicht ersichtlich. Der Antragsteller befindet sich nach dem Attest des Internisten O aus E seit März 2004 in dessen Behandlung. Er leidet bereits seit dieser Zeit an arterieller Hypertonie und einer Angststörung. Gleichwohl beantragte der Antragsteller erst mit Schreiben vom 07.06.2005 die Anerkennung eines Mehrbedarfes. Die Anträge auf Leistungen nach dem SGB II vom 11.10.2004, 16.03.2005 und 24.05.2005 enthielten im Feld "Leistungen für besondere Mehrbedarfe" keine Eintragungen. Damit ist zu unterstellen, dass die Anerkennung eines Mehrbedarfs in dem von dem Antragsteller geltend gemachten Umfang zur Verhinderung nicht wieder rückgängig zu machender Nachteile nicht notwendig ist.

Im Übrigen bestehen Zweifel an der Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes. Es ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller nach § 21 Abs. 5 SGB II einen Anspruch auf Anerkennung eines Mehrbedarfs wegen einer kostenaufwändigen Ernährung aus medizinischen Gründen im geltend gemachten Umfang hat. Nach § 21 Abs. 5 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Das Tatbestandsmerkmal "in angemessener Höhe" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der dem Leistungsträger keinen Beurteilungsspielraum einräumt, sondern der uneingeschränkten gerichtlichen Prüfung unterliegt (Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, Teil I, SGB II, Kommentar, Stand: Oktober 2004, § 21, Rdn. 18). Entscheidend ist, ob die Gewährung des Zuschlags erforderlich ist, weil durch die Krankenkost die ärztliche Behandlung mit dem Ziel einer Genesung, Besserung oder

Underung der Krankheitsbeschwerden unterstützt wird (Mergler/Zink, a. a. O.). Eine geeignete sachverständige Entscheidungshilfe bieten die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge (Mergler/Zink, a. a. O., Rdn. 19; Eicher/Spellbrink, SGB II, Kommentar, § 21, Rdn. 64). Danach kommen Mehrbedarfe bei Hyperlipidämie für lipidsenkende Kost in Höhe von 35,79 EUR, bei Hypertonie für natriumdefinierte Kost in Höhe von 25,56 EUR und bei Hyperurikämie für purinreduzierte Kost in Höhe von 30,68 EUR in Betracht. Jedoch kann angezweifelt werden, ob eine Reduktionskost wegen Hyperlipedemie, Hypertonie und Hyperurikämie tatsächlich Mehrkosten gegenüber Normalkost verursachen (Mergler / Zink, a. a. O., Rdn. 23). Darüber hinaus dürfte die Auffassung der Antragsgegnerin zutreffend sein, dass nebeneinander bestehende Mehrbedarfe nicht addiert werden dürften. Es ist zu unterstellen, dass sich die Behandlung von Erkrankungen, an denen der Antragsteller leidet, in ihrer Wirkung überschneidet. Darüber hinaus ist die Herkunft der von dem Antragsteller geltend gemachten Mehrbedarfsbeträge nicht ersichtlich.

Aufgrund des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache wären dem Antragsteller lediglich 70 % der in einem Hauptsacheverfahren zuzusprechenden Leistungen zu gewähren. Eine Bewilligung von 100 % des Regelsatzes (so LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.08.2005, Az: L 19 B 33/05 AS ER) kommt nach Auffassung der Kammer nicht in Betracht. Denn aus § 31 Abs. 1 SGB II ergibt sich, dass es sich bei diesem Betrag um das zum Leben Unerlässliche handelt. Darüber hinaus erhalten Bezieher von Leistungen nach dem SGB II mit dem Regelsatz nach § 20 SGB II zugleich ein Ansparpotential. Denn gegenüber den Regelsätzen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) ist als Kompensation für den Wegfall einmaliger Beihilfen der Regelsatz um knapp 50,00 Euro erhöht worden. Die Kammer ist der Ansicht, dass der vorübergehende Verzicht auf diesen Betrag keine schlechthin unzumutbaren Folgen verursacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung der §§ 183, 193 Abs. 1 S. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved