S 9 KR 260/99

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 9 KR 260/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 B 79/99 KR
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Es wird abgelehnt, den Sofortvollzug des Bescheides der Antragsgegnerin vom 10.11.1999 auszusetzen.

Gründe:

Die Beteiligten streiten um den Risikostrukturausgleich. Schon im Februar 1999 hatte die Antragsgegnerin einen Ausgleichsbetrag in Höhe von nahezu 30 Millionen Deutsche Mark für das Jahr 1997 und über 32 Millionen DM rückwirkend für die Jahre 1994 bis 1996 verlangt. Mit Bescheid vom 10.11.1999 verlangt die Antragsgegnerin einen weiteren Ausgleichsbetrag in Höhe von nahezu 99 Millionen DM. Der Gesamtbetrag setzt sich zusammen aus der laufenden Restverpflichtung 1998 in Höhe von 39.823.437,57 DM und aus der zweiten Rate der Zahlungsverpflichtung wegen der Korrekturverfahren 1994 bis 1996 in Höhe von 27.449.454,60 DM, deren erste Rate in gleicher Höhe mit dem im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Köln - S 9 KR 33/99 - angegriffenen Bescheid vom 11.02.1999 festgesetzt wurde, und aus der Zahlungsverpflichtung bezüglich der nochmaligen Korrekturverfahren 1994 bis 1997 in Höhe von 31.648.396,94 DM.

Dagegen richtet sich der Eilantrag vom 18.11.1999.

Die Antragstellerin trägt vor, daß der - auch mit Klage - angefochtene Bescheid offensichtlich rechtswidrig sei und sieht in der Forderung eine unzumutbare Härte: Die Festsetzung des Risiko-strukturausgleiches beruhe auf fehlerhaften Daten, insbesondere sei die Erfassung der Familienversicherten sowohl bei der Grundbereinigung als auch bei der Bestandsbereinigung weiterhin mangelhaft, die Stichprobenrealisierung und das Hochrechnungs-verfahren fehlerhaft und die rückwirkende Änderung der Verhältniswerte für die Jahre 1994, 1995 und 1996 unzulässig; schließlich sei der Anspruch auf rechtliches Gehör in Form der Akteneinsicht zur sachgerechten Rechtsverteidigung verletzt; es könne dahin gestellt bleiben, ob Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO oder im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu gewähren sei, da in jedem Fall einstweiliger Rechtsschutz in sozialgerichtlichen Verfahren - und speziell in Risikostrukturausgleichsverfahren - zu gewähren sei, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig sei und dem Antragsteller schwerwiegende, anders nicht abwendbare Nachteile drohen würden, die das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache (auch im weiteren Instanzenzug) unzumutbar machen würden; schon zum 01.01.1999 sei der Beitragssatz von 12,8 % auf 13,2 % angehoben`, ab September des Jahres sogar auf 13,8 v. H; bleibe es bei der Forderung, müßte zum 01.01.2000 der Beitrag ein weiteres Mal angehoben werden und zwar auf 14,3 v. H. schon jetzt aber hätte die Kasse ca. 16.000 Mitglieder verloren.

Die Antragstellerin beantragt,

die sofortige Vollziehung des Bescheids der Antragsgegnerin vom 10.11.1999 Aktenzeichen V2-5582-IK1040.014.41, zugestellt am 11.11.1999, auszusetzen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag der Antragstellerin auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegen den Bescheid vom 10. November 1999 zurückzuweisen.

Sie trägt vor, nach den eigenen Angaben der Antragstellerin sei nur ein Betrag in Höhe von 15. Mio. DM für sie nicht planbar gewesen, der allenfalls eine Beitragserhöhung von 0,1 Prozentpunkten erzwungen hätte; sie trage deshalb selbst die wesentliche Verantwortung für die von ihr skizzierte Notwendigkeit einer Erhöhung des Beitragssatzes auf 14,3 %; in den Engpaß würde sie nicht gekommen sein, wenn sie sich rechtzeitig - auch durch Beitragserhöhung vor September 1999 - auf die absehbaren Ausgleichszahlungen eingestellt hätte; außerdem erhalte die Antragstellerin 0,6 % mehr an Beitragsbedarf im RSA angerechnet, als sie tatsächlich an berücksichtigungsfähigen Ausgaben habe; im übrigen aber sei die Ausgleichsforderung keinesfalls "offensichtlich" rechtswidrig sondern rechtmäßig.

Der zulässige Antrag ist nicht begründet.

Richtig ist zunächst der Ausgangspunkt der Antragstellerin, daß im Hinblick auf die verfassungsmäßige Garantie effektiven Rechtsschutzes (Artikel 19 Abs. 4 des Grundgesetzes - GG -) geboten ist, im sozialgerichtlichen Verfahren auch über die in § 97 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) geregelten Fälle hinaus einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren. Nach Auffassung der Kammer ist je¬doch § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) anzuwenden. Zwar ist § 80 VwG() auf die Anfechtung von Verwaltungsakten zugeschnitten; auch entspricht die Rechtsfolge dieser Vorschrift dem, was die Antragstellerin erreichen will, wenn sie sich gegen den Risikostrukturausgleich wehrt. Bei der Frage aber, auf welche Anspruchsgrundlage sich das Anordnungsbegehren stützen kann, kommt es nicht auf die Rechtsfolgen, sondern auf die Voraussetzungen an. Sie hat das Bundesverfassungsgericht dahin modifiziert, daß Artikel 19 Abs. 4 GG bereits dann die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes verlangt, wenn dem Antragsteller widrigenfalls eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Grundrechten droht, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (BVerfG, Beschluss vom 25.10.1998 - 2 BvR 745/88 - in: BVerfGE 79, 75). Diese Grundsätze gelten auch und gerade für das sozialgerichtliche Verfahren (BVerFG, Beschluss vom 24.10.1990 - 1 BvR 1028/90 - in: NJW 1991, 415 f.). Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht die Voraussetzung "schwere und unzumutbare Nachteile" nicht nur für Vornahmesachen aufgestellt, sondern ausdrücklich "in Fortführung der bei den Anfechtungssachen der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit entwickelten Rechtsprechung" (BVerfG, Beschluss vom 10.10.1997 - 2 BvR 42/76 - in: BVerfGE 46, 178).

Der Anspruch auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist begründet, wenn der Antragstellerin bei summarischer Prüfung neben dem Anordnungsanspruch insbesondere auch ein Anordnungsgrund zusteht. Ein solcher besteht, wenn der Antragsteller genügend darlegen kann, welche konkreten, in massiv beeinträchtigenden Auswirkungen die angegriffene Entscheidung hat. Dabei braucht er sich nicht ausschließlich darauf verweisen zu lassen, daß er bei bestands-kräftiger Aufhebung des Verwaltungsaktes der Betroffene schadlos gestellt werden könne (vgl. dazu BVerfGE, Beschluss vom 19.06.1973 - 1 BvL 39/69 - in: BVerfGE 35, 263, 274). Im vorliegenden Fall wäre es nach Auffassung der Kammer auch zu streng, einen Anordnungsgrund nur dann anzunehmen, wenn die Antragstellerin es wirtschaftlich nicht überleben könnte, falls sie das Ergebnis des Risikostrukturausgleiches einstweilen hinnehmen müßte. Es reichen schwerwiegende Veränderungen in der Beitragsstruktur aus, die ein Abwandern der Versicherten nahelegen, die auch bei Obsiegen in der Hauptsache nicht mehr zurückgewonnen werden können, ohne daß zuvor der Bestand der Kasse gefährdet wäre.

Allerdings muß nach Auffassung der Kammer auch berücksichtigt werden, inwieweit ein Mitgliederverlust für die Antragstellerin unzumutbar wäre, wobei wiederum das eigene Verhalten der Kasse zu berücksichtigen ist. Zum einen ist das Vorbringen der Antragsgegner schlüssig, daß die Beitragserhöhung, die nach Angaben der Antragstellerin zum Jahreswechsel ansteht, auf ihr eigenes Verhalten zurückzuführen ist. Zum einen konnte allenfalls ein geringer Teil der jetzigen Forderung für die Antragstellerin nicht vorhersehbar sein. Zum anderen ist nach Auffassung der Kammer naheliegend, daß der Liquiditätsengpaß auf strukturelle Mängel bei der Antragstellerin zurückzuführen ist. Denn wenn die tatsächlichen berücksichtigungsfähigen Leistungsausgaben unter dem errechneten Beitragsbedarf liegen, durch den der Selbstbehalt der Krankenkasse bestimmt wird, läßt dies nach Auffassung der Kammer lediglich den Schluß zu, daß entweder die Antragstellerin unwirtschaftlich gearbeitet hat oder aber sich nicht hinreichend auf den Risiko-strukturausgleich eingestellt hat. Dies wiederum berührt die Frage, ob und inwieweit der Antragstellerin zuzumuten ist, einen Mitgliederschwund hinzunehmen. Mit der Einführung des Risikostrukturausgleiches ging es dem Gesetzgeber gerade darum, die Krankenkassen in einen Wettbewerb untereinander zu entlassen. Wesentlich für diesen Wettbewerb ist aber nicht nur der Beitragssatz, sondern insbesondere der wirtschaftliche Umgang mit den Beitragsmitteln, die die Versicherten den gesetzlichen Krankenkassen zur Verfügung stellen. Selbst wenn die Verhaltensweise einer Krankenkasse sie in ihrer Existenz gefährdet, ist die Antragsgegnerin nicht verpflichtet, zu Lasten anderer - wirtschaftlich arbeitender - Krankenkassen den Notleidenden stützen. Im vorliegenden Falle hat deshalb die Kammer den vermuteten Mitgliederverlust berücksichtigt. Wenn dies bisher etwa 3,5 vom Hundert der Mitglieder waren und ein ähnlicher Verlust von der Antragstellerin für die Zukunft nach einer weiteren Beitragserhöhung erwartet wird, sich mithin ein Gesamtmitgliederschwund von etwa 7 vom Hundert ergibt, kann die Existenz der Antragstellerin nicht gefährdet sein. Angesichts Ihrer Finanzkraft ist sie gerade der Grund für die hohe Ausgleichszahlung - ist ihr ein solcher Mitgliederverlust noch zuzumuten. Dabei ist von der Kammer auch berücksichtigt worden, daß in früheren Zeiten Innungskrankenkassen dem Argument des Mitgliederverlustes recht gleichgültig gegenüber standen, wenn die Ortskrankenkassen - zu deren Lasten Innungskrankenkassen gegründet wurden –auf die immer mehr abnehmende Beitragsbasis verwiesen.

Schließlich verweist nach Auffassung der Kammer die Antragsgegnerin zutreffend darauf hin, daß andere Versicherungsträger nur im Falle einer besonderen Ausnahme belastet werden dürfen, wenn eine Krankenkasse durch den Ausgleich der für sie günstigen Struktur einer solidarischen Zahlung herangezogen wird.

Soweit die Antragstellerin ihre Antragsbegründung auf Rechtmäßigkeitserwägungen stützt, ist schließlich zu berücksichtigen, daß die Erfolgsaussichten in der Hauptsache ohnehin nur summarisch überprüft werden können. Die Auseinandersetzung mit den Argumenten der Antragstellerin muß insoweit dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Rechtskraft
Aus
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