L 37 SF 150/19 EK AL

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
37
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 37 SF 150/19 EK AL
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Geht es im streitgegenständlichen Ausgangsverfahren – sei es im Zusammenhang mit einer Aufhebungs- oder Rücknahmeentscheidung, sei es im Rahmen einer endgültigen Leistungsfestsetzung – im Wesentlichen um Erstattungsansprüche kann die Bedeutung des Verfahrens nicht pauschal als unterdurchschnittlich betrachtet werden. Neben dem Suspensiveffekt der Klage sind jedenfalls auch die Höhe der geforderten Erstattung sowie die Frage zu berücksichtigen, ob es Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Klage im Wesentlichen erhoben wurde, um die Rückzahlung der Forderung hinauszuzögern. Letzteres dürfte in der Regel als widerlegt anzusehen sein, wenn ein Kläger im Ausgangsverfahren zumindest einen nicht unerheblichen Teilerfolg erzielt und/oder selbst keine Verfahrensverzögerungen verursacht hat.

In welchem Umfang dem Gericht eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit zusteht, richtet sich nach dem Einzelfall. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Vorbereitungs- und Bedenkzeit regelmäßig über zwölf Monate hinaus zu verlängern ist, wenn es im Wesentlichen um Erstattungsstreitigkeiten geht.

Ob in den Fällen, in denen es im streitgegenständlichen Ausgangsverfahren maßgeblich um Erstattungsansprüche geht, eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG im Wege der Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer ausreicht, hängt vom Einzelfall ab. Es ist insoweit zu berücksichtigen, von welcher Bedeutung das Verfahren für einen Kläger war und ob er zu dessen Verlängerung beigetragen hat.
Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht P unter dem Aktenzeichen S 18 AL 90/15 geführten Ver-fahrens eine Entschädigung in Höhe von 1.701,71 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 28. August 2019 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens haben der Beklagte zu 9/10, die Klägerin zu 1/10 zu tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem So-zialgericht P unter dem Aktenzeichen S 18 AL 90/15 geführten Verfahrens. Dem ab-geschlossenen Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin erhob am 07. April 2015 vertreten durch ihre jetzigen Prozessbevoll-mächtigten Klage vor dem Sozialgericht P gegen die Bundesagentur für Arbeit, nachdem letztere mit Bescheid vom 17. November 2014 in der Gestalt des Beschei-des vom 09. März 2015 sowie des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2015 die Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 04. September 2013 bis zum 03. Mai 2014 aufgehoben und eine Erstattungsforderung in Höhe von 9.433,50 EUR zzgl. 3.290,42 EUR Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung geltend gemacht hat-te. Zugleich beantragte sie die Gewährung von Akteneinsicht vor Klagebegründung sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

In dem unter dem Aktenzeichen S 18 AL 90/15 registrierten Verfahren bestätigte das Sozialgericht am 03. Juni 2015 den Klageeingang, bat um Klagebegründung inner-halb von vier Wochen nach Akteneinsicht sowie Übersendung der Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Klägerin und forderte die damali-ge Beklagte auf, ihre Akten unmittelbar an die Bevollmächtigten zu übersenden. Am 30. Juni 2015 trafen - übersandt durch die Bevollmächtigten - die Verwaltungsakten bei Gericht ein. Am 10. Juli 2015 ging die Erklärung zu den persönlichen und wirt-schaftlichen Verhältnissen ein, am 28. Juli 2015 die Klagebegründung, die der dama-ligen Beklagten auf richterliche Verfügung vom 29. Juli 2015 am 04. September 2015 zur Erwiderung übersandt wurde. Deren Stellungnahme traf am 23. September 2015 bei Gericht ein und wurde ihrerseits den Bevollmächtigten am 13. Oktober 2015 zur freigestellten Stellungnahme zugeleitet. Unter dem 04. November 2015 bat das Ge-richt schließlich im Hinblick auf die beantragte Prozesskostenhilfe um Ergänzung der Unterlagen. Diese trafen am 24. November 2015 bei Gericht ein, nachdem bereits am 03. November 2015 die Stellungnahme der Bevollmächtigten eingegangen war. Die hierzu von der damaligen Beklagten angeforderte Erwiderung ging am 26. November 2015 ein und wurde den Bevollmächtigten Anfang Dezember 2015 zur Kenntnisnahme übersandt.

Am 12. Mai 2017 erhoben die Bevollmächtigten Verzögerungsrüge, woraufhin das Gericht eine Zwischennachricht abgab.

Mit am 26. November 2017 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz trugen die Be-vollmächtigten ergänzend zur Sache vor. Zwei Tage später wurde die damalige Be-klagte um Stellungnahme hierzu gebeten. Diese traf am 08. Dezember 2017 bei Ge-richt ein und wurde auf richterliche Verfügung vom 11. Dezember 2017 am 05. Februar 2018 an die Bevollmächtigten verbunden mit der Bitte, genau benannte Unterlagen einzureichen sowie die ladungsfähige Anschrift eines potentiellen Zeugen zu benennen, übersandt. Ferner hatte das Gericht mit Beschluss vom 11. Dezember 2017 Prozesskostenhilfe bewilligt. Am 27. Februar 2018 ging die Reaktion der Be-vollmächtigten ein, die die ladungsfähige Anschrift nicht benennen konnten. Der Schriftsatz wurde auf richterliche Verfügung vom 02. März 2018 am 09. Mai 2018 an die damalige Beklagte weitergeleitet, bei der zugleich ebenfalls bzgl. der benötigten Anschrift angefragt wurde. Deren am 24. Mai 2018 eingehende Erwiderung wurde den Bevollmächtigten am 20. Juni 2018 zur Stellungnahme zugeleitet. Intern setzte sich das Gericht eine Frist von sechs Wochen. Nach deren Ablauf richtete das Ge-richt Anfang August 2018 eine ergänzende Anfrage bzgl. des potentiellen Zeugen an die Bevollmächtigten und erklärte die zuvor angeforderte Stellungnahme für nicht mehr erforderlich. Die Bevollmächtigten reagierten mit am 15. August 2018 einge-hendem Schriftsatz, der auf richterliche Verfügung vom 16. August am 18. September 2018 an die damalige Beklagte zur freigestellten Stellungnahme wei-tergeleitet wurde. Im Dezember 2018 wurde der Rechtsstreit schließlich zur mündli-chen Verhandlung auf den 10. Januar 2019 geladen. In diesem Termin wurde das Verfahren vergleichsweise beendet (Halbierung der Forderung).

Am 10. Juli 2019 hat die Klägerin beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Kla-ge auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 1.700,00 EUR zzgl. 201,71 EUR außerge-richtliche Rechtsanwaltskosten wegen überlanger Dauer des Verfahrens, jeweils zzgl. Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz erhoben, nachdem der Beklagte die vorab außergerichtlich geltend gemachte Gewährung einer Entschädigung abgelehnt hatte. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass das Verfahren unmittelbar nach Klageeingang um einen Monat verzögert worden sei. Sodann sei das Verfahren von Anfang Dezember 2015 bis Oktober 2017 über 22 Monate hinweg nicht gefördert worden. Nochmals sei es zu einer einmonatigen Verzögerung zwischen Dezember 2017 und Februar 2018 gekommen. Eine weitere Verzögerung sei anzunehmen, soweit das Gericht im Juni 2018 eine Stellungnahme zum Schriftsatz der damaligen Beklagten vom 24. Mai 2018 angefordert und diese im Nachgang selbst als nicht nötig erachtet habe. Die dadurch verursachte Verzögerung von einem Monat hätte vermieden werden können. Weitere vier Monate der Inaktivität seien schließlich anzunehmen, soweit das Sozialgericht erst im Dezember 2018 einen Termin zur mündlichen Verhandlung für Januar 2019 anberaumt habe. Die Zeiten der Verzögerung summierten sich auf 29 Kalendermonate, sodass abzüglich der dem Gericht zuzugestehenden Vorbereitungs- und Bedenkzeit von einer entschädigungspflichtigen Verzögerung um 17 Kalendermonate auszugehen sei. Es sei damit eine Entschädigung in Höhe von 1.700,00 EUR zu gewähren. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise sei hingegen nicht ausreichend. Soweit der Beklagte hiervon ausgehe, sei dem nicht zu folgen. Die Bundesagentur für Arbeit habe die Rückzahlung vermeintlich zu viel gezahlter Leistungen verlangt. Der gegen sie - die Klägerin - geltend gemachte Anspruch habe die ganze Zeit über ihr geschwebt. Dass eine Begleichung der Forderung während des Verfahrens nicht zu erfolgen hatte, konnte keine Beruhigung darstellen. Ob sie ggf. sofort oder erst in vier Jahren zahlen muss, sei für sie egal gewesen. Die typischerweise mit einem laufenden Verfahren einhergehende psychische Belastung sei vielmehr der Ungewissheit entsprungen, ob sie die Forderung würde begleichen müssen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass eine Forderung in Höhe von 12.000,00 EUR für sie angesichts ihrer damaligen Einkommens- und Vermögenssi-tuation existenzvernichtend gewesen wäre. Sie habe die ganze Zeit erwogen, Privat-insolvenz anzumelden, habe dies jedoch nicht gekonnt, da ungewiss gewesen sei, ob die gegen sie geltend gemachte Forderung Bestand haben würde. Nur deshalb habe sie auch dem Abschluss eines Vergleichs zugestimmt. Dass sie dies im Aus-gangsverfahren nicht geltend gemacht habe, könne ihr jetzt nicht entgegen gehalten werden. Dem Sozialgericht seien ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse aus dem Prozesskostenhilfeverfahren bekannt gewesen. Es sei daher nicht ersicht-lich, welche objektiven Umstände, aus denen sich die Notwendigkeit zu einer beson-ders zügigen Betreibung des Verfahrens ergäben, hätten vorgetragen werden kön-nen. Auf die subjektiven Umstände habe ebenso wenig hingewiesen werden müssen. Dass ein schwebendes Verfahren, in dem sich ein Kläger gegen die finanzielle Inanspruchnahme wehre, eine psychische Belastung darstelle, sei die gesetzgeberi-sche Grundannahme, die dem Rechtsschutz vor überlanger Verfahrensdauer zu-grunde liege. Anderes könne auch nicht daraus abgeleitet werden, dass ihrerseits keine Sachstandsanfragen erfolgt seien und nicht auf eine zügige Terminierung hin-gewirkt worden sei. Es sei nicht ersichtlich, woraus sich die Erheblichkeit dieser Um-stände ergeben solle. Eine Sachstandsanfrage hätte lediglich zu einer zusätzlichen Arbeitsbelastung sowie zu Zeit- und Papierverschwendung geführt. Die Kammer des Sozialgerichts habe daher bereits im Jahre 2016 aufgefordert, von Sachstandsanfra-gen Abstand zu nehmen. Aus anderen Verfahren sei bekannt gewesen, dass ent-sprechende Anfragen mit Textbausteinen und unter Hinweis auf das Vorliegen älterer und dringenderer Verfahren beantwortet würden.

Schließlich habe die Entschädigung auch die Kosten der außergerichtlichen Gel-tendmachung zu umfassen, die sich ausgehend von einem Streitwert von 1.500,00 EUR bei einer 1,3-Geschäftsgebühr zzgl. Post- und Telekommunikationspauschale sowie Umsatzsteuer auf 201,71 EUR beliefen.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, ihr wegen überlanger Dauer des vor dem Sozial-gericht P unter dem Aktenzeichen S 18 AL 90/15 geführten Verfahrens eine Entschädigung in Höhe von 1.700,00 EUR zzgl. 201,71 EUR außergerichtliche Rechtsanwaltskosten, jeweils zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er meint, dass nicht von 29, sondern von 25 Monaten der gerichtlichen Inaktivität (Januar 2016 bis September 2017, Januar 2018 sowie September bis November 2018) auszugehen sei. Allerdings komme die Zahlung einer Entschädigung mangels ausreichender Bedeutung des Verfahrens für die Klägerin nicht in Betracht. Es wäre vielmehr die Feststellung, dass die Verfahrensdauer unangemessen gewesen sei, ausreichend. Die Bedeutung des Verfahrens sei allenfalls unterdurchschnittlich ge-wesen. Denn stehe im Mittelpunkt eines Verfahrens die Abwehr von Erstattungsfor-derungen eines Leistungsträgers, könne in der Regel davon ausgegangen werden, dass der Betroffene kein Interesse an einer raschen gerichtlichen Entscheidung ha-be, wenn seine Klage - wie hier - aufschiebende Wirkung habe. Vor dem Hintergrund des Suspensiveffekts und des damit vorläufigen Erreichens des Klageziels allein durch die Klageerhebung sei kein Interesse an einer raschen Entscheidung durch das Gericht erkennbar. Im Gegenteil profitiere ein Kläger in dieser Situation von einer verzögerten Verfahrensführung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Akten des Ausgangsverfahrens verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der nach § 201 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) sowie § 202 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), jeweils in der Fassung des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsver-fahren (GRüGV) vom 24. November 2011 (BGBl. I, S. 2302) und des Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bun-desdisziplinargesetzes vom 06. Dezember 2011 (BGBl. I, S. 2554) für die Entschei-dung über die Entschädigungsklage zuständige Senat konnte über diese nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. §§ 202 Satz 2, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhand-lung entscheiden, nachdem die Beteiligten hierzu am 11. September 2019 bzw. 04. Mai 2020 ihr Einverständnis erteilt hatten.

A. Die als allgemeine Leistungsklage statthafte, auf Gewährung einer Entschädi-gung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht P unter dem Aktenzeichen S 18 AL 90/15 geführten Verfahrens gerichtete Klage ist zulässig. Insbesondere be-stehen weder an der Wahrung der gemäß § 90 SGG für die Klage vorgeschriebenen Schriftform noch an der Einhaltung der nach § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG zu wahrenden Klagefrist von sechs Monaten nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens Zweifel. Denn nachdem das streitgegenständliche Ausgangsverfahren im Termin zur mündlichen Verhandlung am 10. Januar 2019 vergleichsweise geendet hatte, hat die Klägerin am 10. Juli 2019 beim Landessozialgericht Entschädigungsklage erhoben.

B. Die sich unter Berücksichtigung des § 200 Satz 1 GVG zu Recht gegen das hier passivlegitimierte Land Brandenburg richtende Entschädigungsklage ist in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang auch begründet.

I. Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung sowohl wegen des erlittenen immateriellen Nachteils als auch im Hinblick auf den ihr entstandenen Vermögensschaden.

Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unange-messener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Für einen Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergut-machung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist (§ 198 Abs. 2 S. 2 GVG). Eine Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur dann, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (§ 198 Abs. 3 Satz 1 GVG).

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Klägerin hat am 12. Mai 2017 nach da-mals gut zweijähriger Verfahrensdauer Verzögerungsrüge erhoben. Auch weist das sich ab Klageerhebung am 07. April 2015 bis zur Erledigung durch Vergleich am 10. Januar 2019 über drei Jahre und neun Monate hinziehende Verfahren eine un-angemessene Dauer auf.

Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG kommt es für die Beurteilung der Verfahrensdauer auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere das Verhalten der Verfahrensbetei-ligten und Dritten sowie die Schwierigkeit, Komplexität und Bedeutung des Verfah-rens an, wobei nicht nur die Bedeutung für den auf Entschädigung klagenden Verfah-rensbeteiligten aus der Sicht eines verständigen Betroffenen von Belang ist, sondern auch die Bedeutung für die Allgemeinheit.

1. Das Ausgangsverfahren, in dem sich die Klägerin gegen die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld und die Geltendmachung einer Erstattungsforde-rung in Höhe von insgesamt 12.723,92 EUR wandte, war von durchschnittlicher Schwie-rigkeit und Komplexität. Ebenso ist zur Überzeugung des Senats die Bedeutung des Verfahrens als durchschnittlich einzustufen.

Die Bedeutung des Verfahrens ergibt sich zum einen aus der allgemeinen Tragweite der Entscheidung für die materiellen und ideellen Interessen der Beteiligten. Zum anderen trägt zur Bedeutung der Sache im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG im Kontext des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz maßgeblich das Interesse des Betroffenen gerade an einer raschen Entscheidung bei. Entscheidend ist deshalb auch, ob und wie sich der Zeitablauf nachteilig auf die Verfahrensposition eines Klä-gers und das geltend gemachte materielle Recht sowie möglicherweise auf die weite-ren geschützten Interessen auswirkt (BSG, Urteile vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 -, Rn. 29, - B 10 ÜG 9/13 R -, Rn. 31, - B 10 ÜG 12/13 R -, Rn. 35, - B 10 ÜG 2/14 R -, Rn. 38, vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 7/14 R -, Rn. 30 sowie vom 07.09.2017 – B 10 ÜG 1/16 R -, Rn. 34, jeweils zitiert nach juris).

Soweit der Beklagte meint, die Bedeutung des Verfahrens sei allenfalls unterdurch-schnittlich gewesen, da im Mittelpunkt die Abwehr einer Erstattungsforderung eines Leistungsträgers gestanden habe und daher davon auszugehen sei, dass die Kläge-rin kein Interesse an einer raschen gerichtlichen Entscheidung gehabt, sie vielmehr angesichts des Suspensiveffekts ihrer Klage mit deren Erhebung ihr Ziel bereits vor-läufig erreicht gehabt habe, folgt der Senat ihm nicht.

Zwar trifft es zu, dass in Verfahren, die streitige Aufhebungs- und Erstattungsbe-scheide zum Gegenstand haben, Kläger oftmals durchaus Interesse an einer länge-ren Verfahrensdauer haben, weil sie dies (zunächst) von der anstehenden oder zu-mindest drohenden Rückzahlung bereits erhaltener Leistungen befreit (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 07.09.2017 – B 10 ÜG 3/16 R –, Rn. 26, LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.04.2018 - L 37 SF 38/17 EK AS -, Rn. 46, zitiert jeweils nach juris). Dies rechtfertigt es zur Überzeugung des Senats jedoch nicht, Klagen, die – sei es im Zusammenhang mit Aufhebungs- oder Rücknahmeentscheidungen, sei es im Rahmen endgültiger Leistungsfestsetzungen – im Wesentlichen Erstattungsforderungen zum Gegenstand haben, pauschal als unterdurchschnittlich bedeutsam einzustufen. Denn auch der Suspensiveffekt einer Klage vermag an der Ungewissheit, ob die Forderung berechtigterweise durch die Behörde geltend gemacht worden ist, nichts zu ändern; das Damoklesschwert der möglicherweise gebotenen Rückzahlung eines erheblichen Betrages schwebt damit auch während eines anhängigen Klageverfahrens über einem Kläger. Bei vernünftig Handelnden dürfte dies mit dem Bestreben einhergehen, Rücklagen für die Erfüllung der Zahlungsverpflichtung zu bilden, und damit andere Ausgaben zu vermeiden, was auf die Lebensgestaltung durchaus Einfluss hat. Zur Überzeugung des Senats sind daher ergänzend jedenfalls auch die Forderungshöhe sowie die Frage zu berücksichtigen, ob im Verfahren eine realistische Aussicht zumindest auf einen Teilerfolg bestand oder dieses ersichtlich im Wesentlichen eingeleitet wurde, um die Rückzahlung der – eigentlich von Anfang an als berechtigt erkannten - Forderung hinauszuzögern.

Gemessen daran verbietet sich vorliegend die Annahme, das Verfahren sei von nur unterdurchschnittlicher Bedeutung gewesen. Abgesehen davon, dass eine Erstat-tungsforderung in durchaus substantieller Höhe von knapp 13.000,00 EUR im Raume stand, lassen sich dem Verhalten der Klägerin im Prozess keinerlei Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass es ihr bei der Klageerhebung im Wesentlichen um ein Hin-auszögern der Rückzahlung ging. Dagegen spricht schließlich schon, dass sie letzt-lich mit der vergleichsweisen Halbierung der Erstattungsforderung einen erheblichen Teilerfolg verbuchen konnte.

2. Für die Entscheidung, ob eine überlange Verfahrensdauer vorliegt, sind aktive und inaktive Zeiten der Bearbeitung gegenüberzustellen. Dabei sind dem Ausgangs-gericht gewisse Vorbereitungs- und Bedenkzeiten, die regelmäßig je Instanz zwölf Monate betragen, als angemessen zuzugestehen, selbst wenn sie nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte als begründet und gerechtfertigt angesehen werden können. Angemessen bleibt die Gesamtverfahrensdauer in Hauptsachever-fahren regelmäßig zudem dann, wenn sie den genannten Zeitraum überschreitet, aber insoweit auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts beruht oder durch Verhalten des Klägers oder Dritter verursacht wird, die das Gericht nicht zu vertreten hat (BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R – juris, Rn. 33, 54 f.). Bedeutsam ist dabei zudem, dass dann keine inaktive Zeit der Verfahrensführung vorliegt, wenn ein Kläger während Phasen (vermeintlicher) Inaktivität des Gerichts selbst durch das Einreichen von Schriftsätzen eine Bearbeitung des Vorganges durch das Gericht bewirkt. Denn eingereichte Schriftsätze, die einen gewissen Um-fang haben und sich inhaltlich mit Fragen des Verfahrens befassen, bewirken gene-rell eine Überlegungs- und Bearbeitungszeit beim Gericht, die mit einem Monat zu Buche schlägt (BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, juris, Rn. 57). Weiter ist zu beachten, dass die Übersendung eines Schriftsatzes, z.B. eines Gutachtens, einer gutachtlichen Stellungnahme oder auch der Berufungserwiderung an die Betei-ligten zur Kenntnis stets die Möglichkeit zur Stellungnahme beinhaltet sowie die Ent-scheidung des Gerichts, im Hinblick auf eine mögliche Stellungnahme zunächst nicht weitere Maßnahmen zur Verfahrensförderung zu ergreifen, grundsätzlich noch seiner Entscheidungsprärogative unterliegt und - mit Ausnahme unvertretbarer oder schlechthin unverständlicher Wartezeiten - durch das Entschädigungsgericht nicht als Verfahrensverzögerung zu bewerten ist (BSG, Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 1/16 R - juris, Rn. 43). Schließlich ist kleinste relevante Zeiteinheit im Geltungsbe-reich des GRüGV stets der Kalendermonat (BSG, Urteil vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 11/13 R – 2. Leitsatz und Rn. 34, vgl. auch Urteile vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R –, Rn. 29, - B 10 ÜG 9/13 R – Rn. 25, - B 10 ÜG 2/13 – Rn. 24, jeweils zitiert nach juris).

Übereinstimmend und insoweit zu Recht gehen die Beteiligten davon aus, dass es - von Januar 2016 bis September 2017 (Monat nach Übersendung eines letz- ten, Anfang Dezember 2015 zur Kenntnisnahme übersandten Schriftsatzes und Wiedereinsetzen der Verfahrensförderung im November 2017) sowie - im Januar 2018 (Monat zwischen Verfügung und deren Ausführung) und damit in 22 Kalendermonaten zu Phasen der gerichtlichen Inaktivität gekommen ist.

Darüber hinaus sind zur Überzeugung des Senats – und insoweit entgegen der An-sicht des Beklagten - auch die Monate Mai 2015 (Monat zwischen Klageeingang und Eingangsbestätigung), August 2015 (Monat zwischen Verfügung der Weiterleitung der Klagebegründung zur Erwiderung und Ausführung der Verfügung), Oktober 2017 (zur Verfahrensförderung kam es nach längerem Stillstand erst wieder im November 2017) sowie April 2018 (Monat zwischen Verfügung und deren Ausführung) als Ver-zögerungsmonate zu bewerten, auch wenn sie im Wesentlichen nicht auf richterliche Inaktivität, sondern offenbar auf eine schlechte Ausstattung der Geschäftsstelle zu-rückzuführen sind.

Soweit hingegen die Klägerin meint, darüber hinaus sei es zum einen im Mai/Juni 2018 in einem Monat und zum anderen Ende 2018 zu mehreren Monaten der ge-richtlichen Inaktivität gekommen, folgt der Senat ihr nicht. Vielmehr vermag er eine Verzögerung insoweit lediglich für einen Kalendermonat, und zwar den November 2018, zu erkennen. Denn im August 2018 hat das Gericht einen Schriftsatz an die Bevollmächtigten gerichtet, worauf diese mit am 15. August 2018 eingegangenem Schriftsatz reagiert haben. Im September ist dieser Schriftsatz sodann der damaligen Beklagten zur freigestellten Stellungnahme übersandt worden. Der Senat folgt auch insoweit seinem - bereits obigen Ausführungen zu entnehmenden - Ansatz, dass es für die gerichtliche Aktivität maßgeblich nicht auf den Zeitpunkt der richterlichen Verfügung, sondern den der Ausführung dieser Verfügung ankommt. Etwaige hypothetische Überlegungen dazu, wie sich der Verfahrensverlauf möglicherweise gestaltet hätte, wenn zu einem bestimmten Zeitpunkt anders verfahren worden wäre, sieht er hingegen regelmäßig als irrelevant an. Angesichts der Weiterleitung des Schriftsatzes im September 2018 zur freigestellten Stellungnahme durfte das Gericht sodann im Oktober 2018 abwarten, ob noch eine Reaktion der damaligen Beklagten erfolgte. Nicht hingegen kann dies mehr für den November 2018 gelten.

Soweit das Gericht schließlich zuvor im Mai 2018 einen Schriftsatz der Bevollmäch-tigten an die damalige Beklagte weitergeleitet und deren daraufhin eingehenden Schriftsatz im Juni 2018 an die Bevollmächtigten zur Stellungnahme weitergeleitet hatte, um sodann im August 2018 im Rahmen eines weiteren gerichtlichen Schrei-bens die Stellungnahme für nicht mehr erforderlich zu erklären, rechtfertigt dies nicht die Annahme, es habe gerichtliche Inaktivität vorgelegen. Das Entschädigungsver-fahren eröffnet keine weitere Instanz, um das Handeln des Ausgangsgerichts einer rechtlichen Vollkontrolle zu unterziehen. Bei der Beurteilung der Prozessleitung des Ausgangsgerichts hat das Entschädigungsgericht vielmehr die materiell-rechtlichen Annahmen, die das Ausgangsgericht seiner Verfahrensleitung und –gestaltung zu-grunde legt, nicht infrage zu stellen, soweit sie nicht geradezu willkürlich erscheinen. Zudem räumt die Prozessordnung dem Ausgangsgericht ein weites Ermessen bei seiner Entscheidung darüber ein, wie es das Verfahren gestaltet und leitet. Die richti-ge Ausübung dieses Ermessens ist vom Entschädigungsgericht allein unter dem Ge-sichtspunkt zu prüfen, ob das Ausgangsgericht bei seiner Prozessleitung Bedeutung und Tragweite des Menschenrechts aus Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechts-konvention (EMRK) bzw. des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) in der konkreten prozessualen Situation hinreichend beachtet und fehlerfrei gegen das Ziel einer möglichst richtigen Entscheidung abgewogen hat (BSG, Urteile vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R -, Rn. 36, - B 10 ÜG 9/13 R -, Rn. 39, 03.09.2014 - B 10 ÜG 12/13 R -, Rn. 43, – B 10 ÜG 2/14 R –, Rn. 42, vgl. auch Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 1/16 R -, Rn. 39, alle zitiert nach juris).

Insgesamt ist es damit in 27 Kalendermonaten zu gerichtlicher Inaktivität gekommen.

3. Dies bedeutet indes nicht, dass der Klägerin eine Entschädigung für 27 Monate zustehen würde. Denn erst die wertende Gesamtbetrachtung und Abwä-gung aller Einzelfallumstände ergibt, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat (BSG, Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 1/16 R - juris, Rn. 33). Dabei sind - wie bereits ausgeführt - dem Ausgangsgericht Vorberei-tungs- und Bedenkzeiten von in der Regel zwölf Monaten je Instanz als angemessen zuzugestehen, falls sich nicht aus dem Vortrag eines Klägers oder aus den Akten besondere Umstände ergeben, die vor allem mit Blick auf die Kriterien des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG im Einzelfall zu einer anderen Bewertung führen (BSG, Urteile vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/13 R – Rn. 48, – B 10 ÜG 2/14 R – Rn. 49 und - B 10 ÜG 12/13 R - Rn. 56, jeweils zitiert nach juris). Im Rahmen der Gesamtabwägung ist schließlich im Hinblick auf die Regelung des § 198 Abs. 3 Satz 4 GVG weiter zu prü-fen, ob und inwieweit eine mögliche Verletzung der Hinweispflicht eines Klägers nach § 198 Abs. 3 Satz 3 GVG zu einer Verkürzung der entschädigungsrelevanten Über-länge beitragen kann (BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris, Rn. 34).

Anlass, von der Vorbereitungs- und Bedenkzeit von zwölf Monaten für das Klagever-fahren abzuweichen, besteht zur Überzeugung des Senats weder nach Aktenlage noch nach dem Vortrag der Beteiligten.

Insbesondere sieht er es nicht als gerechtfertigt an, von einer Verlängerung der Vor-bereitungs- und Bedenkzeit auszugehen, weil das streitgegenständliche Ausgangs-verfahren einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid zum Gegenstand hatte. Ab-gesehen davon, dass der Streitgegenstand – wie oben ausgeführt - hier nicht dazu führen kann, dem Rechtsstreit eine nur sehr geringe Bedeutung zuzusprechen, ist zu beachten, dass es bei der Frage der angemessenen Verfahrensdauer letztlich um den Justizgewährleistungsanspruch geht und im Ausgangsverfahren Verfahrensbe-teiligter nicht nur ein - jetzt eine Entschädigung begehrender - Kläger ist, sondern auch die beklagte Behörde, um deren Aufhebungs- und Erstattungsbescheid es geht. Auch diese Behörde, die ihre Leistungen aus Mitteln der Beitrags-/Steuerzahler finanziert, hat ein Interesse an einer zügigen Entscheidung und ggf. der Rückerstat-tung überzahlter Leistungen. Die Gebietskörperschaften sind daher gehalten, für eine Personalausstattung der Gerichte zu sorgen, die es nicht nötig macht, Verfahren, in denen es im Wesentlichen – sei es im Zusammenhang mit Aufhebungs- oder Rücknahmebescheiden, sei es im Rahmen einer endgültigen Leistungsfestsetzung - um Erstattungsforderungen geht, länger als zwölf Monate zurückzustellen.

Umgekehrt sieht der Senat vorliegend jedoch auch keinen Anlass, zugunsten der Klägerin von einer Verkürzung der üblichen Vorbereitungs- und Bedenkzeit von zwölf Monaten auszugehen. Insbesondere kann dies nicht aus den erstmals im Entschädi-gungsverfahren durch die Klägerin vorgebrachten Problemen im Hinblick auf einen möglicherweise zu stellenden Insolvenzantrag folgen (vgl. zur Obliegenheit, eine be-vorstehende Insolvenz mitzuteilen: BT-Drs. 17/3802, S. 21). Dabei kann dahinstehen, ob eine möglicherweise anzumeldende Privatinsolvenz überhaupt dazu geeignet ist, die den Gerichten zustehende Vorbereitungs- und Bedenkzeit zu verkürzen. Ebenso wenig bedarf es vorliegend einer Klärung, ob die Klägerin sich im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens tatsächlich in einer Situation befand, die einen Insolvenzantrag zumindest erwägenswert erscheinen ließ. Denn hier scheitert eine Berücksichtigung dieses Aspekts bereits daran, dass die Klägerin das Sozialgericht zu keinem Zeitpunkt und insbesondere nicht mit ihrer Verzögerungsrüge auf ihre Situation hingewiesen hat. Kommt es aber für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die (Verzögerungs)Rüge hierauf hinweisen. Andernfalls werden sie vom Entschädigungsgericht bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt (§ 198 Abs. 3 Satz 3 und 4 GVG). Soweit die Klägerin meint, dem Sozialgericht seien ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse aus dem Prozesskostenhilfeverfahren bekannt gewesen, rechtfertigt dies keine andere Entscheidung. Weder ist es Aufgabe des Sozialgerichts zu prüfen, ob ein Kläger möglicherweise Privatinsolvenz anmelden sollte, noch ist es dazu anhand der Prozesskostenhilfeunterlagen auch nur in der Lage.

Das streitgegenständliche Ausgangsverfahren weist nach alledem eine Überlänge von 15 Kalendermonaten auf.

4. Durch diese überlange Verfahrensdauer hat die Klägerin einen Nachteil nicht vermögenswerter Art erlitten. Dies folgt bereits aus § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG, wo-nach ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet wird, wenn ein Gerichts-verfahren unangemessen lange gedauert hat. Umstände, die diese gesetzliche Ver-mutung zu widerlegen geeignet erscheinen lassen, sind nicht erkennbar und auch von dem Beklagten nicht vorgebracht worden.

5. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist vorliegend zur Überzeugung des Se-nats eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Absatz 4 GVG, insbe-sondere durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrens-dauer unangemessen war, nicht ausreichend (§ 198 Abs. 2 Satz 2 GVG). Eine derartige Kompensation kommt unter Würdigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 und Art. 41 EMRK nur ausnahmsweise in Betracht (vgl. BSG, Urteile vom 21.02.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - Rn. 45, vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/13 R – Rn. 52 und – B 10 ÜG 12/13 R – Rn. 59 sowie vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - Rn. 36 und – B 10 ÜG 7/14 R – Rn. 43, alle zitiert nach juris). Namentlich kann dies dann der Fall sein, wenn das Verfahren für den Entschädigungskläger aus der Sicht eines verständigen Dritten in der Lage des Klägers keine besondere Bedeutung hatte oder dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verlängerung des Verfahrens beigetragen hat. Beides ist hier jedoch nicht der Fall. Wie bereits oben ausgeführt, ist mit Blick auf das streitgegenständliche Ausgangsverfahren weder von geringer Bedeutung auszugehen noch der Klägerin vorzuwerfen, sie hätte zu dessen Verlängerung beigetragen.

6. Ausgehend von der entschädigungspflichtigen Überlänge von 15 Kalendermo-naten und dem in § 198 Abs. 2 S. 3 GVG vorgegebenen Richtwert von 1.200,00 EUR für jedes Jahr der Verzögerung beläuft sich damit die der Klägerin zustehende ange-messene Entschädigung auf 1.500,00 EUR. Soweit § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG für atypi-sche Sonderfälle (vgl. BSG, Urteil vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 11/13 R - Rn. 37 ff., vgl. auch Urteile vom 07.09.2017 – B 10 ÜG 1/16 R - Rn. 50, 52 und – B 10 ÜG 3/16 R - Rn. 33, jeweils zitiert nach juris) die Möglichkeit eröffnet, von der Entschädi-gungspauschale abzuweichen, wenn sich nämlich das zu beurteilende Verfahren durch eine oder mehrere entschädigungsrelevante Besonderheiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht von vergleichbaren Fällen abhebt (BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - Rn. 39, vgl. auch Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 1/16 R - Rn. 51 f., jeweils zitiert nach juris), besteht dafür vorliegend kein Raum. We-der hatte das Ausgangsverfahren eine außergewöhnlich geringe Bedeutung für die Klägerin noch wies das Verfahren eine nur kurzzeitige Verzögerung auf (vgl. zu die-sen Varianten: BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris, Rn. 39).

7. Darüber hinaus steht der Klägerin eine Entschädigung für den erlittenen Ver-mögensschaden in Form der für die vorprozessuale Geltendmachung des Anspruchs angefallenen Rechtsanwaltskosten (vgl. insoweit BVerwG, Urteil vom 27.02.2014 - 5 C 1/13 D -, juris, Rn. 40, unter Bezugnahme auf BT-Drs. 17/3802, S. 19; siehe auch Röhl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 198 GVG, Rn. 108) zu. Diese Kosten belaufen sich bei einem Wert von 1.500,00 EUR auf insgesamt 201,71 EUR [= 115,00 EUR (Geschäftsgebühr § 13 Nr. 2300 VV RVG) x 1,3 (Erhöhungsgebühr für außergerichtliche Vertretung, Nr. 2300 VV RVG) + 20,00 EUR (Pauschale für Post und Telekommunikation Nr. 7002 VV RVG) zzgl. 32,21 EUR (19 % Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG)].

II. Da derEntschädigungsanspruch nach § 198 GVG außerhalb des Systems der sozialrechtlichen Ansprüche steht, für die Prozesszinsen nach Maßgabe des § 44 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches grundsätzlich nicht beansprucht werden kann (vgl. BSG, Urteile vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 9/13 R - Rn. 52, - B 10 ÜG 12/13 R - Rn. 61 und - B 10 ÜG 2/14 R - Rn. 54, alle zitiert nach juris), war der Be-klagte weiter in analoger Anwendung der §§ 288 Abs. 1, 291 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches zur Zahlung von Prozesszinsen in Höhe von 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz zu verurteilen. Diese sind ab Rechtshängigkeit, d.h. nach § 94 Satz 2 SGG ab Zustellung der Klage, hier ab dem 28. August 2019 zu zahlen. III. Soweit in § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG schließlich die Möglichkeit vorgesehen ist, in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung auszusprechen, dass die Ver-fahrensdauer unangemessen war, sieht der Senat hierfür keinen Grund. Er vermag bereits nicht zu erkennen, dass vorliegend ein schwerwiegender Fall gegeben wäre.

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung.

V. Anlass, die Revision nach §§ 160 Abs. 2 Nr. 1, 202 Satz 2 SGG, 201 Abs. 2 Satz 3 GVG zuzulassen, bestand nicht.
Rechtskraft
Aus
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