S 33 KA 117/18 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
33
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 33 KA 117/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
: Die aufschiebende Wirkung der unter dem Aktenzeichen S 33 KA 89/18 anhängigen Klage der Antragstellerin gegen den Honoraraufhebungs- und Rückforderungsbescheid der Antragsgegnerin vom 07.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.04.2018 wird angeordnet. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Gründe:

1. Die 77-jährige Antragstellerin ist Diplom-Psychologin und in L als Psychologische Psychotherapeutin zugelassen. Nach dem die Antragsgegnerin einen Hinweis darauf erhalten hatte, die Antragstellerin habe Gutachten zur Beantragung einer Psychotherapie bei einem "Fremdgutachter" in Auftrag gegeben, veranlasste die Antragsgegnerin die Durchführung einer Plausibilitätsprüfung. Als deren Ergebnis stellte die Antragsgegnerin fest, dass die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Dokumentation durchgehend nicht erfüllt seien. Daraufhin strich sie nachgehend sämtliche Ansätze der Leistungen nach den Nrn. 35200, 35201, 35401, 35402 und 35405 EBM, hob die Honorarbescheide für die Quartale IV/2013 bis III/2017 mit Bescheid vom 07.02.2018 dementsprechend teilweise auf und forderte Honorare in Höhe von EUR 186.680,55 zurück. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Widerspruchsstelle der Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 18.04.2018 zurück. Hiergegen hat die Antragstellerin die unter dem Aktenzeichen S 33 KA 89/18 anhängige Klage erhoben.

Zur Begründung des Antrags, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, macht die Antragstellerin geltend, die schon seit Erlass des Rückforderungsbetrages ausbleibenden Zahlungen der Antragsgegnerin würden ihre Praxis in eine wirtschaftlich nicht tragbare Situation bringen. Nach der Berechnung ihres Steuerberaters seien die liquiden monatlichen Mittel ohne das vertragspsychotherapeutische Honorar mit lediglich ca. EUR 420,- zu bemessen. Für die Annahme der Antragsgegnerin, dass keine ordnungsgemäßen Dokumentationen erfolgt seien und im Rahmen der Antragsverfahren gegen das Gebot der persönlichen Leistungserbringung verstoßen worden sei, bestehe keinerlei Anhalt.

Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, der streitige Bescheid stelle sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig dar, und besondere zu einer unbilligen Härte führende Gründe, die gegebenenfalls die Anordnung der aufschiebenden Wirkung rechtfertigen könnten, seien weder ersichtlich, noch von der Antragstellerin dargetan.

2. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Honoraraufhebungs- und Rückforderungsbescheid der Antragsgegnerin anzuordnen, ist zulässig und auch begründet.

Gemäß § 86 a Abs. 1 Satz 1 SGG in der Fassung des 6. SGG-ÄndG vom 17.08.2001 (BGBl. I 2001, 2144) haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Nach Abs. 2 der Vorschrift entfällt die aufschiebende Wirkung jedoch in den – hier nicht in Betracht kommenden – Fällen der Nrn. 1 bis 3 und 5 sowie nach Nr. 4 in durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen. Eine derartige bundesgesetzliche Regelung ergibt sich hier aus § 85 Abs. 4 Satz 6 SGB V. Danach haben Widerspruch und Klage gegen die Honorarfestsetzung sowie ihre Änderung oder Aufhebung keine aufschiebende Wirkung. Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 07.02.2018 stellt eine teilweise Aufhebung der Honorarfestsetzung für die betroffenen Quartale im Sinne der Vorschrift des § 85 Abs. 4 Satz 6 SGB V dar. Dies umfasst in gleicher Weise die aufgrund der Aufhebung oder Änderung geltend gemachte Honorarrückforderung. Honorarbescheide ergehen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts grundsätzlich unter dem Vorbehalt einer späteren Überprüfung ihrer Rechtmäßigkeit, was nicht nur ihre nachgehende Aufhebung bzw. Änderung, sondern auch sich daraus ergebende Rückforderungen bereits gezahlter Honorare einschließt (vgl. BSG, Urteile vom 31.10.2001 – B 6 KA 16/00 R – und vom 12.12.2001 – B 6 KA 3/01 R -).

Nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann jedoch das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Hiermit sollen Rechtsbeeinträchtigungen abgewehrt werden können, die durch den Vollzug eines noch nicht bestandskräftigen Verwaltungsaktes drohen. Unter welchen Voraussetzungen die aufschiebende Wirkung anzuordnen ist, ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt, nach gängiger Meinung hat bei den Entscheidungen nach § 86 b Abs. 1 SGG jedoch eine Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen stattzufinden (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.07.2012, Az.: L 11 KA 39/12 B ER; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 10. Auflage, § 86 b, Rdn. 12). Dabei steht eine Prüfung der Erfolgsaussichten zunächst im Vordergrund. Auch wenn das Gesetz keine materiellen Kriterien für die Entscheidung nennt, kann als Richtschnur für die Entscheidung davon ausgegangen werden, dass das Gericht dann die aufschiebende Wirkung wiederherstellt, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig ist und der Betroffene durch ihn in subjektiven Rechten verletzt wird, denn am Vollzug eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes besteht kein öffentliches Interesse (LSG Nordrhein-Westfalen a.a.O.; Keller a.a.O., Rdn. 12f). Andererseits liegt ein überwiegendes öffentliches Interesse am Ausschluss der aufschiebenden Wirkung dann vor, wenn der angefochtene Verwaltungsakt ersichtlich rechtmäßig ist. Sind die Erfolgsaussichten dagegen nicht offensichtlich, müssen die für und gegen eine sofortige Vollziehung sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen werden (LSG Nordrhein-Westfalen a.a.O.).

Nach diesen Maßstäben besteht vorliegend Anlass, die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Honorarrückforderungsbescheid anzuordnen. Denn es bestehen erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. nur Urteil vom 08.03.2000 – B 6 KA 16/99 R -) handelt es sich bei der Plausibilitätsprüfung nicht um ein eigenständiges Verfahren der Honorarkürzung. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind nicht schon wegen fehlender Plausibilität, sondern nur dann zur sachlich-rechnerischen Berichtigung von Abrechnungen berechtigt, wenn diese unrichtig sind, weil Leistungen nicht so erbracht worden sind, wie der Arzt sie abgerechnet hat oder der Arzt die Leistungslegenden der einzelnen Positionen in der Gebührenordnung falsch angewandt hat. Allein aus dem Umstand, dass eine fehlerhafte Anwendung der Gebührenordnung wahrscheinlicher erscheint als eine unwirtschaftliche Leistungserbringung, ergibt sich keine Berechtigung der Kassenärztlichen Vereinigung zur Honorarberichtigung. Die Plausibilitätsprüfung kann lediglich Hinweise darauf geben, dass die Gebührenordnung falsch angewandt worden ist oder Unwirtschaftlichkeiten vorliegen. Sie darf aber nicht im Wege einer Beweislastumkehr dazu führen, dass aus bestimmten Auffälligkeiten allein auf eine fehlerhafte Abrechnung geschlossen und dem Arzt auferlegt wird, die Richtigkeit seiner Abrechnung zu beweisen.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund erscheint die von der Antragsgegnerin vorgenommene Berichtigung nicht gerechtfertigt. Dabei kann dahingestellt bleiben, inwieweit der Antragstellerin zu Recht ein Fehlverhalten im Rahmen des Antragsverfahrens vorgehalten wird. Denn die Antragsgegnerin hat die Berichtigung ausschließlich auf die nach ihrem Dafürhalten unzureichende Dokumentation gestützt. Auch insoweit erscheint jedoch nicht entscheidungserheblich, ob es tatsächlich an einer den Anforderungen des § 9 der Berufsordnung der Kammer für Psychologische Psychotherapeuten sowie der bundesmantelvertraglichen und der Bestimmungen der Psychotherapie-Richtlinie entsprechenden Dokumentation fehlt. Fehlende oder unzureichende Dokumentationen bedeuten zwar zweifellos Verstöße gegen berufsrechtliche und vertragsärztliche bzw. vertragspsychotherapeutische Pflichten, die Anlass zu anderen, etwa disziplinarischen Maßnahmen geben und gegebenenfalls auch ein Hinterfragen der Geeignetheit des Leistungserbringers rechtfertigen können. Eine fehlende oder unzureichende Dokumentation rechtfertigt die Streichung einer abgerechneten Leistung wegen einer nicht vollständigen Erbringung jedoch nur dann, wenn die Dokumentation zum ausdrücklichen Leistungsinhalt der Gebührenordnungsposition gehört. Denn die Abrechnung einer unter Verletzung berufsrechtlicher und vertragsärztlicher Pflichten erbrachten Leistung kann der Abrechnung einer nicht erbrachten Leistung nicht gleichgestellt werden (Urteil der Kammer vom 21.04.2004 – S 33 (17) KA 316/01 -, bestätigt durch Urteil des LSG NW vom 22.06.2005 – L 11 KA 83/04 -).

Angesichts der danach bestehenden Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des streitigen Bescheides und der der Antragstellerin ersichtlich drohenden wirtschaftlichen Nachteile erscheint es im Rahmen der gebotenen Abwägung angezeigt, die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Rückforderungsbescheid anzuordnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach trägt der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
Saved