L 7 AS 149/20

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 60 AS 3025/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 149/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 10.01.2020 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich mit seiner Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts, mit dem die Fortsetzungsfeststellungsklage des Klägers gegen einen erledigten Eingliederungsbescheid als unzulässig verworfen wurde.

Der Kläger bezog in der Vergangenheit fortlaufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Mit einem Eingliederungsbescheid vom 22.06.2016 legte der Beklagte dem Kläger u.a. die Obliegenheit auf, sich zeitnah auf Vermittlungsvorschläge des Beklagten zu bewerben und diese Bewerbungsbemühungen nachzuweisen. Der Eingliederungsbescheid mit Geltungsdauer vom 22.06.2016 bis 21.12.2016 sei notwendig, da eine Eingliederungsvereinbarung zwischen dem Kläger und dem Beklagten nicht zustande gekommen sei. Gegen diesen Eingliederungsbescheid hat der Kläger Widerspruch eingelegt und - noch ehe über den Widerspruch entschieden wurde - am 24.06.2016 Klage bei dem Sozialgericht Dortmund erhoben.

Am 01.07.2016 hat der Beklagte einen nahezu unveränderten Eingliederungsbescheid für den Zeitraum 01.07.2016 bis 31.12.2016 erlassen. Verändert wurde neben dem Geltungszeitraum lediglich die Rechtsfolgenbelehrung.

Unter dem 06.07.2016 hat der Beklagte dem Widerspruch des Klägers abgeholfen und die Eingliederungsbescheide vom 22.06.2016 und 01.07.2016 aufgehoben.

Mit Schriftsatz vom 11.10.2016 hat der Beklagte zugesichert, dass auf Grundlage des Eingliederungsbescheides vom 22.06.2016 weder ein Sanktionsbescheid ergangen noch eine entsprechende Sanktionierung beabsichtigt sei, da es Pflichtverletzungen des Klägers nicht gegeben habe.

Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,

1. den Bescheid vom 22.06.2016 aufzuheben und
2. festzustellen, wie eine BSG-taugliche Eingliederungsvereinbarung auszusehen hat.

Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse sei nicht gegeben.

Das Sozialgericht hat - nach Anhörung der Beteiligten - die Klage durch Gerichtsbescheid vom 10.01.2020 abgewiesen. Der Klageantrag zu 1) sei unzulässig, da das obligatorische Widerspruchsverfahren bei Klageerhebung noch nicht abgeschlossen worden sei. Nach Aufhebung des Eingliederungsbescheides sei ein Rechtsschutzinteresse auch nicht mehr erkennbar. Für den Klageantrag zu 2) fehle dem Kläger ein Feststellungsinteresse. Die Klärung einer abstrakten Rechtsfrage könne nicht Gegenstand einer Feststellungsklage sein. Die Voraussetzungen nach § 55 Abs. 1 SGG lägen nicht vor.

Gegen den ihm am 24.01.2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 28.01.2020 Berufung eingelegt. Ohne Feststellungsurteil könne niemals geklärt werden, wie eine ordnungsgemäße Eingliederungsvereinbarung auszusehen hat. Er habe ein vitales Rechtsschutzinteresse, da der Beklagte bereits am 01.07.2016 einen weiteren Verwaltungsakt zu dem Eingliederungsbescheid vom 22.06.2016 erlassen habe.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid vom 10.01.2020 zu ändern und festzustellen, dass der Eingliederungsbescheid vom 22.06.2016 rechtswidrig war.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts.

Mit Beschluss vom 20.04.2020 hat der Senat nach Anhörung der Beteiligten die Sache gemäß § 153 Abs. 5 SGG dem Berichterstatter zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung wurde gemäß § 153 Abs. 5 SGG dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheiden konnte.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die schon erstinstanzlich interessengerecht (§ 123 SGG) als Feststellungsklage auszulegende Klage abgewiesen.

Richtige Klageart ist aufgrund der Aufhebung des angefochtenen Bescheides nach § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG die Fortsetzungsfeststellungsklage. Nach dieser Vorschrift kann mit der Klage die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines zurückgenommenen oder auf andere Weise erledigten Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat (Urteil des Senats vom 29.01.2015 - L 7 AS 1305/14). Der angefochtene Bescheid hat sich durch Aufhebung erledigt (vgl. § 39 Abs. 2 SGB X - Keller, in: Meyer-Ladewig, SGG, 12. Aufl., § 131 Rn. 7a). Der Kläger kann nach der Erledigung statt der bisher erhobenen Klage die Feststellung beantragen, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist. Aus der erhobenen Anfechtungsklage wird dann, ohne dass eine Klägeänderung vorliegt (§ 99 Abs. 3 Nr. 3 SGG), eine Feststellungsklage (Keller, in: Meyer-Ladewig, SGG, 12. Aufl., § 131 Rn. 7b). Grundvoraussetzung hierfür ist aber, dass die Prozessvoraussetzungen einer Anfechtungsklage (insbesondere Klagefrist, Vorverfahren) vor dem erledigenden Ereignis vorgelegen haben (Keller, in: Meyer-Ladewig, SGG, 12. Aufl., § 131 Rn. 7b). Dies ist hier nicht der Fall, denn der Kläger hat - noch ehe über sein Widerspruch entschieden wurde - bereits am 24.06.2016 Klage erhoben. Eine Heilung durch nachträgliche Entscheidung durch ablehnenden Widerspruchsbescheid ist nicht eingetreten, da der gegenständliche Eingliederungsbescheid vom 22.06.2016 vielmehr bereits am 22.06.2016 aufgehoben wurde. Nach überwiegender Auffassung (vgl. mwN: Keller, in: Meyer-Ladewig, SGG, 12. Aufl., § 131 Rn. 7d) ist eine Fortsetzungsfeststellungsklage auch ohne Widerspruchsverfahren zulässig, wenn sich der Verwaltungsakt innerhalb der Widerspruchsfrist vor Klageerhebung erledigt, jedoch betrifft dies die Fälle in denen sich der Verwaltungsakt vor Ablauf der Widerspruchsfrist erledigt und deswegen noch keine Klage eingereicht werden konnte (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig, SGG, 12. Aufl., § 131 Rn. 7d). Wie der vorliegende Fall zu beurteilen ist, in denen die Klage vor Entscheidung über den Widerspruch erhoben und der angegriffene Bescheid zugleich innerhalb der Widerspruchsfrist aufgehoben wurde, muss nicht entschieden werden, denn der Kläger hat für die Durchführung einer Fortsetzungsfeststellungsklage ohnehin kein berechtigtes Feststellungsinteresse.

Zwar hat der Senat entschieden, dass ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse im Hinblick auf einen erledigten Eingliederungsbescheid unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr bestehen kann (Urteil des Senats vom 29.01.2015 - L 7 AS 1305/14). Eine Wiederholungsgefahr ist jedoch nur anzunehmen, wenn die hinreichend bestimmte (konkrete) Gefahr besteht, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleichartige Entscheidung ergeht (BSG Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 195/11 R). Dies ist hier nicht der Fall. Der Beklagte hat nach Aufhebung der Eingliederungsbescheide vom 22.06.2016 und 01.07.2016 keine weiteren Bescheide nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II erlassen. Seit dem Jahr 2017 befand sich der Kläger auch nicht mehr im SGB II-Leistungsbezug, sodass schon von daher keine Wiederholungsgefahr für den Erlass weiterer Eingliederungsbescheide bestand. Selbst wenn der Kläger in Zukunft - ggf. nach dem Bezug von Arbeitslosengeld - leistungsberechtigt nach dem SGB II werden sollte, läge eine derart veränderte Sachlage vor, dass nicht von "im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen" ausgegangen werden könnte.

Auch aus dem Gesichtspunkt der Präjudizialität für andere Rechtsverhältnisse bestand kein Feststellungsinteresse (vgl. hierzu: Keller, in: Meyer-Ladewig, SGG, 12. Aufl., § 131 Rn. 10a). Schon angesichts der nur kurzzeitigen Bestandsdauer des Eingliederungsbescheides vom 22.06.2016 von knapp zwei Wochen sind keine Anhaltspunkte für durchsetzbare Schadensersatzansprüche aufgrund des Eingliederungsbescheides ersichtlich. Dies hat der Kläger auch nicht geltend gemacht. Nicht ausreichend ist, dass der Kläger ein Interesse an einer erschöpfenden Klärung der Sach- und Rechtslage beruhenden Kostenentscheidung hat (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig, SGG, 12. Aufl., § 131 Rn. 10a), zumal der Kläger erst- und zweitinstanzlich nicht anwaltlich vertreten war und Gerichtskosten nicht angefallen sind (§ 183 SGG). Da der Beklagte schriftlich iSv § 34 SGB X zugesichert hat, dass keine Sanktionsbescheide auf dem Eingliederungsbescheid vom 22.06.2016 gestützt werden, ist auch vor diesem Hintergrund ein Präjudizialitätsinteresse, etwa zur Abwehr drohender Sanktionsbescheide nicht gegeben. Hiergegen spricht auch die kurze gerichtliche Verfahrensdauer bis zum Abhilfebescheid vom 06.07.2016. Durch die Fortsetzungsfeststellungsklage soll vermieden werden, dass der Kläger um die Früchte des bisherigen Rechtsstreits gebracht wird (Keller, in: Meyer-Ladewig, SGG, 12. Auflage, § 131 Rn. 7). Da am 04.07.2016 erst die Klageingangsverfügung des Sozialgerichts ergangen ist, sind vergebliche Bemühungen in diesem Sinn gar nicht ersichtlich.

Nicht ausreicheichend für ein Feststellungsinteresse ist, dass der Kläger seine in der Klageschrift dokumentierte Rechtsauffassung bestätigt sehen möchte (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig, SGG, 12. Auflage, § 131 Rn. 10a). Auch ist es nicht Aufgabe der staatlichen Gerichte abstrakte Rechtsgutachten über eine "BSG-taugliche" Eingliederungsvereinbarung zu verfassen (vgl. BSG Urteil vom 16.05.2013 - B 3 P 5/12 R; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 11.05.2010 - L 5 AS 1576/09).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG lagen keine vor.
Rechtskraft
Aus
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