L 11 KR 956/19 NZB

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 9 KR 1619/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KR 956/19 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Köln vom 11. September 2019 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten haben in dem der Beschwerde zugrunde liegenden Klageverfahren über die Frage gestritten, ob die Beklagte Kosten für Fahrten zu ambulanten Behandlungen an die Klägerin zu erstatten hat.

Das Sozialgericht (SG) hat hierzu folgende - mit Verfahrensrügen (§ 144 Abs. 2 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) nicht angegriffene - Feststellungen getroffen: Die Klägerin, geboren 1944, leidet unter den Folgen eines Hirninfarktes. Sie beantragte bei der Beklagten unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung des behandelnden Hausarztes Dr. Q vom 17. Juli 2017 die Kosten für Fahrten (Hin-und Rückfahrt) zur ambulanten Behandlung in Form von Physiotherapie in T und Logopädie in W sowie Ergotherapie in I in dem Zeitraum vom 1. August 2017 bis 31. Oktober 2017 an insgesamt 6 Tagen pro Woche mit dem Taxi (in Höhe von 150,20 EUR) zu übernehmen.

Nach Einholung zweier sozialmedizinischen Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Nordrhein (MDK) lehnte die Beklagte den Antrag ab, da die Voraussetzungen einer Kostenübernahme nicht gegeben seien (Bescheid vom 15. August 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheid vom 20. September 2018).

Das Sozialgericht (SG) Köln hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 11. September 2019). Es hat zur Begründung ausgeführt: Gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) i.V.m. den Krankentransport-Richtlinie sei eine Erstattung von Fahrkosten zu ambulanten Behandlungen nur im Ausnahmefall vorgesehen, dessen Voraussetzungen vorliegend nicht gegeben seien. Ergänzend zu der in Bezug genommenen Begründung des Widerspruchsbescheides sei darauf hinzuweisen, dass nach § 8 Abs. 1 der Krankentransport-Richtlinie Fahrten zur ambulanten Behandlung nur bei zwingender medizinischer Notwendigkeit von der Krankenkasse getragen und vom Vertragsarzt verordnet werden können. Gemäß § 8 Abs. 2 der Krankentransport-Richtlinien seien Voraussetzungen für eine Verordnung und eine Genehmigung, dass der Patient mit einem durch die Grunderkrankung vorgegebenen Therapieschema behandelt werde, das eine hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum aufweise und dass diese Behandlung oder der zu dieser Behandlung führende Krankheitsverlauf den Patienten in einer Weise beeinträchtige, dass eine Beförderung zur Vermeidung von Schaden an Leib und Leben unerlässlich sei. Dabei sei von einer hohen Behandlungsfrequenz zur Behandlung der Grunderkrankung über einen längeren Zeitraum im Sinne des § 8 Abs. 2 der Krankentransport-Richtlinien auszugehen, wenn eine mindestens zweimal wöchentliche Behandlung über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten oder eine mindestens einmal wöchentliche Behandlung über einen nicht absehbaren, aber länger als sechs Monate andauernde Behandlungszeitraum oder eine wöchentliche Behandlung mit einer höheren als zweimal wöchentlichen Behandlungsfrequenz für einen kürzeren Zeitraum als sechs Monate vorliege. Daneben könne die Fahrt zur ambulanten Behandlung nach § 8 Abs. 3 der Krankentransport-Richtlinie für Versicherte verordnet und genehmigt werden, die einen Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung), "Bl" (blind), oder "H" (hilflos) oder einen Einstufungsbescheid gemäß Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) in die Pflegegrade 3, 4 oder 5 bei der Verordnung vorlegen. Fahrkosten für Versicherte mit einer vergleichbaren Beeinträchtigung der Mobilität würden nur zur ambulanten Behandlung über einen längeren Zeitraum getragen. In diesem Fall sei von einem längeren Zeitraum auszugehen, wenn die Behandlungsdauer von mindestens sechs Monaten vorliege.

Diese Voraussetzungen für die Übernahme von Fahrkosten zur den ambulanten Behandlungen lägen bei der Klägerin jedoch nicht vor. Es handele sich zwar um Fahrten zu Behandlungen ihrer Grunderkrankung mit einer hohen Behandlungsfrequenz. Allerdings sei der Zeitraum ein kürzerer als die erforderlichen sechs Monate. Es komme hinzu, dass die Behandlung oder der zu der Behandlung führende Krankheitsverlauf die Klägerin nicht so sehr beeinträchtige, dass eine Beförderung zur Vermeidung von Schäden an Leib und Leben unerlässlich sei. Der in den Krankentransport-Richtlinien verlangte vergleichbare Ausnahmefall ähnlich einer Dialyse oder einer onkologischen Chemo- oder Strahlentherapie sei vorliegend nicht gegeben, da es sich um ambulante Behandlungen in Form von Physiotherapie, Logopädie und Ergotherapie handele. Zudem sei die Klägerin weder schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50; außerdem seien die erforderlichen Merkzeichen ("aG", "Bl" oder "H") nicht zuerkannt. Sie sei darüber hinaus nicht pflegebedürftig entsprechend der Pflegegrade 3, 4 oder 5. Soweit von der Klägerin vorgetragen werde, dass die ländliche Infrastruktur es unmöglich mache, die Behandlungsorte mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder eigengesteuertem PKW zu erreichen, stelle dies keinen Grund zur Kostenübernahme von Fahrkosten dar.

Gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem ihr am 26. November 2019 zugestellten Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer am 16. Dezember 2019 bei dem Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen eingelegten Beschwerde. Sie trägt vor: Soweit das SG davon ausgehe, dass die betroffene Behandlung nicht die erforderlichen sechs Monate gedauert habe, sei dies nicht zutreffend. Die Verweigerung rechtlichen Gehörs werde gerügt. Mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2018 habe sie vorgetragen, dass die Behandlungen viel länger gedauert hätte, nämlich ab August 2017 fortlaufend. Die Entscheidung habe auch grundsätzliche Bedeutung, da mit ihr für sämtliche physiotherapeutisch-logopädischen und ergotherapeutischen Behandlungen von Transportkosten abgelehnt würde. Bei zutreffender Würdigung hätte das SG die Fahrtkosten zusprechen müssen. Tragender Grund der Vorschrift der Krankentransport-Richtlinie sei die finanzielle Entlastung des Versicherten. § 8 Halbsatz 2 Krankentransport-Richtlinie i.V.m. Anlage II enthalte - nicht abschließend geregelte - Ausnahmefälle. Soweit das SG Behandlungen in Form der Physiotherapie, Logopädie und Ergotherapie nicht mit den dort genannten Behandlungen der Dialyse, Strahlen- und Chemotherapie für vergleichbar erachte, gehe es von einem nicht zutreffenden Vergleichsmaßstab aus. Sinnvoller Vergleichsmaßstab sei nur die Schwere der Grunderkrankung.

Die Beklagte tritt der Beschwerde entgegen. Eine grundsätzliche Bedeutung sei nicht zu erkennen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des SG Köln vom 11. September 2019 ist nicht begründet.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung im Urteil des SG oder auf Beschwerde durch Beschluss des LSG, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt nicht 750,00 EUR. Die Berufung betrifft auch keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr. Streitig war eine Kostenübernahme i.H.v. 150,20 EUR.

Die Berufung ist gemäß § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des LSG, des Bundessozialgerichts (BSG), des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3).

Keiner dieser enumerativen Zulassungsgründe liegt vor.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Diese liegt nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG vor, wenn das Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Rechtsprechung und Fortentwicklung des Rechts berührt ist bzw. wenn zu erwarten ist, dass die Entscheidung dazu führen kann, die Rechtseinheit in ihrem Bestand zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Das kann der Fall sein, wenn die Klärung einer Zweifelsfrage mit Rücksicht auf eine Wiederholung ähnlicher Fälle erwünscht ist bzw. wenn von einer derzeitigen Unsicherheit eine nicht unbeträchtliche Personenzahl betroffen ist. Die Weiterentwicklung des Rechts wird dabei gefördert, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesvorschriften aufzustellen oder Lücken zu füllen oder wenn die Entscheidung Orientierungshilfe für die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Sachverhalte geben kann (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage, 2017, § 144 Rdnr. 28 und § 160 Rn. 6 ff.). Dies setzt jedoch zumindest voraus, dass es sich bei der aufgeworfenen Rechtsfrage um eine Zweifelsfrage handelt und mithin Rechtsunsicherheit besteht. Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und klärungsfähig sein (Leitherer, a.a.O., § 144 Rdnr. 28, § 160 Rdnr. 8 ff.).

Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben. Im vorliegenden Fall ist allein entscheidend, ob die Klägerin die Kostenübernahme für Fahrten (Hin- und Rückfahrt) zur ambulanten Behandlungen in Form von Physiotherapie, Logopädie und Ergotherapie verlangen kann. Unter welchen Voraussetzungen dies - ausnahmsweise - der Fall ist, ist in § 8 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Krankenfahrten, Krankentransportleistungen und Rettungsfahrten nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V (Krankentransport-Richtlinie) geregelt. Das SG hat diese Vorschrift auf den Einzelfall der Klägerin angewandt. Es hat ausgeführt, dass die in Anlage 2 der Richtlinie genannten Ausnahmefälle, bei denen die Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 Satz 1 als in der Regel erfüllt angesehen werden könnten, bei der Klägerin nicht vorlägen und sodann die Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 einzelfallbezogen geprüft. Dabei hat es als nicht bewiesen angesehen, dass die Beförderung zur Vermeidung von Schaden an Leib und Leben unerlässlich ist (§ 8 Abs. 2 Satz 1 Spiegelstrich 2 Krankentransport-Richtlinie). Einen Rechtssatz dahingehend, dass eine Fahrtkostenübernahme für die ambulante Behandlung gesetzlich Krankenversicherter mit Physiotherapie, Logopädie oder Ergopädie generell ausgeschlossen sei, hat es nicht aufgestellt.

Das Urteil des SG Köln vom 11. September 2019 weicht auch nicht von einer Entscheidung des LSG, des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG ab (§ 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG.).

Eine Divergenz in Sinne dieser Vorschrift setzt voraus, dass ein Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des LSG, des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG aufgestellt hat. Ein tragender Rechtssatz liegt nur vor bei fallübergreifender, nicht lediglich auf Würdigung des Einzelfalls bezogener rechtlicher Aussage (vgl. Leitherer, a.a.O., § 160 Rdnr. 13 m.w.N). Für die Annahme einer Divergenz genügt es daher nicht, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entspricht, die das LSG, das BSG oder das BVerfG aufgestellt haben, oder dass das SG die Rechtsprechung der genannten Gerichte nicht gekannt, übersehen oder verkannt hat (vgl. Leitherer a.a.O., § 160 Rdnr. 14; Frehse in Jansen, SGG, 4. Auflage, 2012, § 144 Rdnr. 18, jeweils m. w. N.). Die Begründung des Gerichts muss erkennen lassen, dass es den in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichten widersprochen und von deren rechtlichen Aussagen abweichende, d.h. mit diesen unvereinbare rechtliche Maßstäbe aufgestellt hat (BSG, Beschluss vom 23. Juni 2015, B 14 AS 345/14 B).

Nach diesen Maßstäben liegt keine Divergenz vor. Das SG hat keinen abstrakten Rechtssatz aufgestellt, der von einem der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte aufgestellten Rechtssatz abweicht. Soweit die Klägerin vorträgt, das SG habe den falschen Vergleichsmaßstab gewählt, bezeichnet sie hiermit keinen abweichenden Rechtssatz, sondern rügt im Ergebnis die fehlerhafte Rechtsanwendung. Darauf kommt es für die Frage der Divergenz im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde aber nicht an (vgl. Leitherer a.a.O., § 160 Rdnr. 14 m.w.N).

Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG liegt ebenfalls nicht vor. Soweit der Vortrag der Klägerin auf eine Unrichtigkeit der Entscheidung abzielt, rechtfertigt dieser Gesichtspunkt nicht die Annahme eines Verfahrensmangels. Eine (angebliche) inhaltliche Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung durch fehlerhafte Rechtsanwendung betrifft nicht das Verfahren und ist nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (BSG, Beschluss vom 9. Februar 2011, B 11 AL 71/10 B) bzw. stellt keinen Verfahrensmangel dar (vgl. Leitherer a.a.O., § 144 Rdnr. 4a). Rechtliches Gehör wurde gleichfalls nicht verletzt. Das SG hat seine Entscheidung tragend u.a. auf das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 Satz 1 Spiegelstrich 2 Krankentransport-Richtlinie gestützt. Auf die Dauer der Behandlung kam es danach entscheidend nicht an, abgesehen davon, dass im vorliegenden Fall nur der zu Beginn des Behandlungszeitraums liegende Abschnitt vom 1. August 2017 bis 31. Oktober 2017 streitbefangen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG). Mit diesem Beschluss wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (vgl. § 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).
Rechtskraft
Aus
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