S 11 AY 5/20 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
11
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 11 AY 5/20 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 AY 7/20 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes wird der Antragsgegner verpflichtet, der Antragstellerin ab 3.3.2020 vorläufig bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren 1. Instanz, längstens bis zur Ausreise/Abschiebung Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz unter Anrechnung bereits erbrachter Leistungen zu gewähren.

Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu tragen

Gründe:

I.

Streitig im Rahmen von einstweiligem Rechtsschutz ist die vorläufige Gewährung von höheren Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).

Die 1983 in C-Stadt/Somalia geborene Antragstellerin reiste im April 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Hier stellte sie am 29.4.2017 einen Asylantrag. Zuvor hatte die Antragstellerin bereits in Malta einen Asylantrag gestellt. Dort wurde ihr im Rahmen des Asylverfahrens internationaler Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 Asylgesetz (AsylG) gewährt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Asylantrag der Antragstellerin mit Bescheid vom 20.7.2017 ab unter Hinweis auf die in Malta bereits erfolgte Schutzgewährung. Zudem wurde die Antragstellerin zur Ausreise aufgefordert. Eine Ausreisefrist wurde nicht gesetzt. Gleichzeitig wurde die Abschiebung nach Malta angekündigt. Eine Abschiebung nach Somalia wurde untersagt. Gegen die Entscheidung des Bundesamtes erhob die Antragstellerin im August 2017 Klage beim Verwaltungsgericht Kassel. Hierüber hat das Verwaltungsgericht Kassel bislang nicht entschieden.

Nach Zuweisung der Antragstellerin in den Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners bewilligte dieser erstmals mit Bescheid vom 13.5.2014 ab Mai 2014 Leistungen nach dem AsylbLG. Diese wurden zunächst auf Grundlage von § 3 AsylbLG erbracht. Ab 1.8.2015 erhielt die Antragstellerin Leistungen nach § 2 AsylbLG (Bescheid vom 12.1.2016), die ab Oktober 2018 wegen des Zusammenlebens der Antragstellerin mit einem Lebenspartner nur noch auf Grundlage von Regelbedarfsstufe 2 ausgezahlt worden sind. Die Antragstellerin verfügt derzeit über eine Aufenthaltsgestattung bis 30.4.2020.

Zuletzt mit Bescheid vom 12.3.2019 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin ab 1.4.2019 Leistungen nach § 2 AsylbLG i. H. v. 350,49 EUR monatlich. Darin heißt es, dass aufgrund der Vorlage der verlängerten Aufenthaltsgestattung, gültig bis 31.8.2019, die Leistungen bis zum 31.8.2019 befristet würden. Die Leistungen über den 31.8.2019 hinaus würden nur gewährt, wenn rechtzeitig der verlängerte Ausweis vorgelegt werde.

Sodann erließ der Antragsgegner unter den 26.3.2019 einen Bescheid, mit dem er Leistungen ab 1.4.2019 befristet bis 30.9.2019 nunmehr gekürzt nach § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG i. V. m. § 1a Abs. 2 Satz 2 - 4 AsylbLG nur noch i. H. v. 157,84 EUR monatlich mit der Begründung bewilligte, dass der Asylantrag der Antragstellerin vom BAMF mit Bescheid vom 20.7.2017 als unzulässig abgelehnt worden und die Antragstellerin aufgefordert worden sei, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen zu verlassen, andernfalls sie nach Malta abgeschoben werde. Die Antragstellerin habe bereits in Malta einen Asylantrag gestellt und ihr sei von dort internationaler Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt worden. Auch hätten die maltesischen Behörden auf Anfrage des BAMF vom März 2019 gemeldet, dass der der Antragstellerin am 7.9.2013 gewährte subsidiäre Schutz weiterhin bestehen würde. Die Antragstellerin sei mit Schreiben vom 4.12.2018 zur beabsichtigten Leistungskürzung angehört worden.

Über den hiergegen von der Bevollmächtigten der Antragstellerin unter Hinweis auf das anhängige Verfahren beim Verwaltungsgericht Kassel eingelegten Widerspruch vom 15.4.2019 hat die zuständige Widerspruchsbehörde, das Regierungspräsidium Kassel, bislang nicht entschieden.

Mit Schreiben vom 20.9.2019 hörte der Antragsgegner die Antragstellerin zur (weiteren) Leistungskürzung nach § 1 a AsylbLG für die Zeit ab 1.10.2019 an.

Mit Bescheid vom 8.10.2019 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin für die Zeit vom 1.10.2019 befristet bis 31.3.2020 auf Grundlage von § 1 Abs. 4 Satz 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 - 4 AsylbLG monatliche Leistungen i. H. v. 164 EUR.

Unter dem 23.1.2020 stellte die Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin bei der Antragsgegnerin bezüglich der Bewilligungsentscheidung vom 8.10.2019 einen Überprüfungsantrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) und machte geltend, die Voraussetzungen der Leistungskürzung nach § 1 AsylbLG würden nicht vorliegen. Selbst bei tatbestandlicher Erfüllung wäre die Leistungskürzung verfassungswidrig, weil dadurch das Existenzminimum der Betroffenen weit unterschritten werde. Die Vorschrift setze letztlich ein pflichtwidriges Verhalten des Leistungsempfängers voraus. Ziel der Regelung sei es gewesen, die Sekundärmigration zu verhindern und Migranten davon abzuhalten, nach Deutschland einzureisen, obwohl sie in einem anderen Mitgliedstaat bereits einen Schutzstatus erhalten hätten. Die Einreise der Antragstellerin nach Deutschland müsse also als pflichtwidrig anzusehen sein. Allerdings sei diese Vorschrift erst nach Einreise der Antragstellerin in Kraft getreten. Zum Zeitpunkt der Einreise sei das Verhalten der Antragstellerin gesetzlich noch nicht sanktioniert gewesen. Mit Bescheid vom 30.1.2020 lehnte der Antragsgegner eine Überprüfung des Bescheides vom 8.10.2019 ab. Über den hiergegen gerichteten Widerspruch vom 3.3.2020 ist noch keine Entscheidung durch die Widerspruchsbehörde, RP D-Stadt, getroffen worden.

Schließlich hat der Antragsgegner mit Bescheid vom 12.2.2020 für die Zeit ab 1.1.2020 weiterhin auf Grundlage der Kürzungsvorschrift des § 1 a AsylbLG gekürzte Leistungen in Höhe von jetzt 167 EUR monatlich bewilligt.

Am 3.3.2020 stellt die Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin beim Sozialgericht Kassel einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Begehren, den Antragsgegner zu verpflichten, der Antragstellerin vorläufig Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren. Dazu wird vorgetragen, der Antragstellerin würden aufgrund ihres mehr als 18-monatigen Voraufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland Analogleistungen nach § 2 AsylbLG zustehen. Die Reduzierung der Leistungen nach § 1a AsylbLG sei rechtswidrig, da die Tatbestandsvoraussetzungen nicht vorliegen würden. Die Kürzungsvorschrift sei erst nach Einreise der Antragstellerin nach Deutschland in Kraft getreten. Zum Zeitpunkt der Einreise und der damit möglichen Pflichtverletzung sei das Verhalten der Antragstellerin noch nicht gesetzlich sanktioniert gewesen. Ein die Anspruchseinschränkung rechtfertigendes vorwerfbares Verhalten der Antragstellerin sei nicht feststellbar. Auch habe die Antragstellerin nicht gewusst, dass sie in Deutschland keinen Asylantrag stellen dürfe, wenn sie bereits in einem sicheren Drittstaat/Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt habe. Es liege auch kein Abschiebetermin vor, so dass ihr die Nichtausreise nicht vorzuwerfen sei. Die Anspruchsreduzierung nach § 14 AsylbLG erfordere eine pflichtgemäße Ermessensausübung durch die Behörde. Entsprechend der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5.11.2019 (1 BvL 7/16) müsse zwingend für die Zulässigkeit einer Sanktion ein außergewöhnlicher Härtefall geprüft werden. Eine solche Härtefallprüfung sehe die Regelung nicht vor und es sei vom Antragsgegner auch kein Ermessen ausgeübt worden. Dies führe zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung nach § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG. Nach dem genannten Urteil des Bundesverfassungsgerichts bedürfe es für Leistungseinschränkungen auch einer tragfähigen Prognose über die Wirkungsweise der Sanktion (Anspruchskürzung), also tragfähige Erkenntnisse, um die Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Sanktion zu belegen. Eine derartige Erkenntnislage sei nicht bekannt. Die Höhe der Leistungseinschränkung dürfte auch nicht mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Einklang zu bringen sein. Es sei nur eine Leistungseinschränkung bis max. 30 % des menschenwürdigen Existenzminimums unter sehr engen Voraussetzungen verfassungsrechtlich zulässig. Auf Grundlage der vom Gericht übersandten Beschlüsse lasse sich schließlich das Antragsbegehren der Antragstellerin stützen.

Die Antragstellerin beantragt,

den Antragsgegner zu verpflichten, ihr vorläufig Leistungen nach § 2 AsylbLG abzüglich bereits erbrachter Leistungen für März 2020 zu gewähren, längstens bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurückzuweisen.

Infolge des ablehnenden Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20.7.2017, mit dem der Antrag der Antragstellerin auf Asyl abgelehnt und die Abschiebung nach Malta angeordnet worden sei, da die Antragstellerin dort bereits internationalen Schutz erhalte, sei vom Antragsgegner geprüft worden, ob die Voraussetzungen nach § 1a AsylbLG vorliegen würden. Erstmals mit Bescheid vom 26.3.2019 seien der Antragstellerin gekürzte Leistungen bewilligt worden. Für die Zeit ab 1.10.2019 sei die Antragstellerin zur Leistungskürzung angehört worden. Sie habe in einem Telefonat am 27.9.2019 angegeben, dass sie in Malta einen Asylantrag gestellt und dort auch Leistungen erhalten habe. In Malta habe man alle 2 Monate lediglich 130 EUR bekommen, was zu wenig gewesen sei und daher sei sie nach Deutschland weitergereist. Der Antragstellerin seien vorliegend lediglich befristet bis 31.8.2019 Leistungen gemäß § 2 AsylbLG gewährt worden. Anders, wie dem Beschluss des Gerichts im Verfahren S 11 AY 11/19 ER zugrundeliegenden Fall habe es sich hier um keinen Dauerverwaltungsakt gehandelt und aus dem Bescheid selbst ergebe sich, dass der Leistungsbezug befristet gewesen sei und die Zahlung mit Ablauf des angegebenen Zeitpunktes ende. Mit Schreiben vom 20.9.2019 sei die Antragstellerin zum Zeitraum ab 1.10.2019 angehört worden. Zu diesem Zeitpunkt sei die Geltung des Bewilligungsbescheides vom 12.3.2019 bereits abgelaufen gewesen. Zur Problematik der Leistungen nach § 1a AsylbLG gebe es ganz unterschiedliche Rechtsprechung. Rechtlich gehe es um die Frage, ob im Rahmen der Anwendung des § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG ein pflichtwidriges Verhalten zu fordern sei. Der Gesetzestext enthalte aber einen eindeutigen Wortlaut. Deswegen könne der Antragsgegner hiervon auch nicht abweichen. Auch liege eine aktuelle Entscheidung des SG Osnabrück (Beschluss vom 27.1.2020, S 44 AY 76/19 ER) vor, das sich gegen eine Übertragbarkeit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5.11.2019 (1 BvL 7/16) ausgesprochen habe. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts könne laut SG Osnabrück nicht auf § 1a AsylbLG übertragen werden. Der Wortlaut des § 1a AsylbLG sei eindeutig und einer verfassungskonformen Auslegung nicht zugänglich. Im Übrigen sei die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen durch Gerichte festzustellen und nicht durch die Verwaltung. Der Antragsgegner schließe sich der Auffassung des SG Osnabrück an. (a. a. O., Rd.-Nr. 36, juris).

Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Vorbringen der Beteiligten, wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist stets, dass sowohl ein Anordnungsgrund (d. h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile), als auch ein Anordnungsanspruch (d. h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO). Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Wegen des Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz – GG) ist von diesem Grundsatz eine Abweichung nur dann geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere oder unzumutbare, später nicht wiedergutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfG 79, 69 74 m. w. N.). Soweit dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage in einem solchen Eilverfahren nicht möglich ist, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl. BVerfG, Beschlüsse v. 12.05.2005 – 1 BvR 569/05, Rd.-Nr. 19, 26 und vom 25.02.2009 – 1 BvR 120/09, Rd.-Nr. 11, jeweils zitiert nach juris).

Vor diesem Hintergrund ist der Antrag vom 3.3.2020 auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zulässig und begründet. Vorliegend richtet sich das Begehren der Antragstellerin nach einer ab 1.8.2015 mehrjährig erfolgten Leistungsbewilligung im Rahmen des AsylbLG durch den Antragsgegner auf Grundlage von § 2 AsylbLG gegen die massive Leistungskürzung der noch in 2019 monatlich erbrachten Leistungen nach § 2 AsylbLG i. H. v. 350,49 EUR auf zunächst 157,84 EUR, dann 164 EUR und schließlich ab 1.1.2020 auf 167 EUR. Mit Bescheid vom 12.3.2019 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin letztmalig Leistungen nach § 2 AsylbLG für die Zeit ab April 2019 i. H. v. 350,49 EUR. Wegen Ablaufs der Aufenthaltsgestattung der Antragstellerin zum 31.8.2019 war dieser Bescheid bis zum 31.8.2019 befristet. Noch im Monat März hat der Antragsgegner dann aber am 26.3.2019 für die Zeit ab April 2019 (bis 30.9.2019) die Leistungskürzung bei der Antragstellerin nach Maßgabe von § 1a Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 1a Abs. 2 Satz 2 - 4 AsylbLG unter Hinweis auf den in Malta gewährten subsidiären Schutz (bereits 2013) auf nunmehr 157,84 EUR zurückgefahren. Mangels eines Mindestmaßes an Ausführungen zu den Voraussetzungen einer Aufhebung bzw. Rücknahme des Bescheides vom 12.3.2019 nach Maßgabe der §§ 45, 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist dieser Bescheid für den Bewilligungszeitraum ab 1.4.2019 eindeutig rechtswidrig. Über den am 15.4.2019 eingelegten Widerspruch hat die zuständige Widerspruchsbehörde, RP D-Stadt, bislang allerdings nicht entschieden. Fraglich war vorliegend, ob die Antragstellerin ihr Rechtsschutzziel, nämlich die (vorläufige) Weitergewährung höherer Leistungen in Höhe der jedenfalls mit Bescheid vom 12.3.2019 zumindest bis 31.8.2019 bewilligten Leistungen auch wenigstens für die Zeit ab Stellung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz analog § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG mit der Feststellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid vom 26.3.2019 erreichen kann. Dabei besteht die Problematik durchaus darin, dass der Bewilligungsbescheid vom 12.3.2019 eine Leistungsbewilligung bis 31.8.2019 vorsieht, der Bescheid vom 26.3.2019 nur den Bewilligungszeitraum bis 30.9.2019 umfasst und schließlich die Bewilligungsentscheidung vom 8.10.2019 für die Zeit ab 1.10.2019 bis 31.3.2020 nicht mit Widerspruch, sondern lediglich mit einem Überprüfungsantrag vom 23.1.2020 angegriffen wurde.

Indessen ist zu berücksichtigen, dass die Entscheidung vom 12.3.2019 mit Weiterbewilligung von Leistungen nach § 2 AsylbLG nur deswegen bis 31.8.2019 befristet wurde, weil zu diesem Zeitpunkt die der Antragstellerin gewährte Aufenthaltsgestattung endete, die Weitergewährung andererseits lediglich an die Vorlage einer ab 1.9.2019 ausgestellten Aufenthaltsgestattung geknüpft war. Hieraus ergibt sich für das Gericht, dass auch ab 1.4.2019 grundsätzlich eine Weitergewährung von Leistungen nach Maßgabe des § 2 AsylbLG gewollt war und die Leistungsgewährung über den 31.8.2019 hinaus ausschließlich von der Vorlage einer aktuell ausgestellten Aufenthaltsgestattung der zuständigen Ausländerbehörde abhängig sein sollte. Grundsätzlich hat ein Widerspruch gegen die Feststellung einer Einschränkung des Leistungsanspruchs nach § 1a AsylbLG gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i. V. m. § 11 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG ohnehin selbst keine aufschiebende Wirkung. Mit einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung würde sich indessen die Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung höherer Leistungen nur ergeben, wenn mit dem Bescheid vom 12.3.2019 im Hinblick auf Leistungen nach § 2 AsylbLG an die Antragstellerin unbefristet bewilligt worden wären. Das kann aber auch nur dann gelten, wenn der angefochtene Bescheid vom 26.3.2019 den Bescheid vom 12.3.2019 zumindest eine konkludente Teilaufhebung oder Teilrücknahme der zuvor gewährten höheren Leistungen gemäß den §§ 48, 45 SGB X beinhalten würde.

Im vorliegenden Fall geht die erkennende Kammer auf Grundlage von Entscheidungen des Hessischen Landessozialgerichts und der 12. Kammer des Sozialgerichts Kassel davon aus, dass die die Leistungsgewährung vor der Bescheiderteilung vom 26.3.2019 betreffenden Bewilligungsabschnitte letztlich Dauerleistungen allein in Abhängigkeit von der Vorlage aktueller Aufenthaltsgestattungen beinhaltet haben (vgl. insoweit Hessisches Landessozialgericht, Beschlüsse vom 23.3.2017, L 4SO 36/17 B ER und L 4 SO 37/17 B ER, ebenso LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 21.6.2018, L 9 AY 1/18 B ER, zitiert nach juris und Beschluss der 12. Kammer des Sozialgerichts Kassel vom 13. Juni 2019, S12 AY 10/19 ER). Auch vor Erlass des Bescheides vom 12.3.2019 waren die Leistungsbewilligungen jeweils in Abhängigkeit von der Vorlage einer aktuellen Aufenthaltsgestattung abhängig gemacht worden, ohne dass sich dies in folgenden Zeiträumen erkennbar geändert hätte. Mehrjährig hat die Antragstellerin also diese Leistungen nach § 2 AsylbLG jeweils nach Vorlage aktueller Aufenthaltsgestattungen bewilligt erhalten. Mit dem Bescheid vom 26.3.2019 sind vorherige bestandskräftige, jedenfalls die Bewilligung ab 1.4.2019 betreffende Entscheidungen nicht nach § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG i. V. m. den §§ 44 ff. SGB X für die Zukunft aufgehoben oder zurückgenommen worden.

Zwar begründet der Bescheid vom 26.3.2019 die vom Antragsgegner nunmehr vorgenommene Leistungseinschränkung nach § 1a Abs. 4 Satz 2 i. V. m. § 1a Abs. 2 Satz 2 - 4 AsylbLG. Er verliert aber kein Wort dazu, dass für den gleichen Leistungszeitraum ab April 2019 mit Bescheid vom 12.3.2019 bereits höhere Leistungen nach § 2 AsylbLG gewährt worden sind. Mit dem Bayerischen Landessozialgericht (Beschluss vom 19.3.2019, L 18 AY 12/19 B ER, juris) ist indessen davon auszugehen, dass allein die Feststellung einer Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG nicht die nach § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG i. V. m. den §§ 44 ff. SGB X erforderliche Aufhebung bzw. Rücknahme einer für den gleichen Zeitraum ergangenen Leistungsbewilligung ersetzt. So unterscheidet der Gesetzgeber auch in § 11 Abs. 4 AsylbLG zwischen der Aufhebung einer Leistungsbewilligung (Nr. 1) und der Feststellung einer Einschränkung des Leistungsanspruchs nach § 1a AsylbLG (Nr. 2). Damit kann eine durch den Bescheid vom 26.3.2019 angenommene und nach Auffassung des Antragsgegners rechtmäßig vorgenommene Feststellung einer Anspruchseinschränkung für den gleichen Zeitraum ab April 2019 eben nicht dem Leistungsanspruch der Antragstellerin aus der vorangegangenen Bewilligung vom 12.3.2019 entgegenstehen.

Unabhängig von der Frage der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs ist der von der Antragstellerin begehrte einstweilige Rechtsschutz jedenfalls als Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG begründet. Denn auch als sogenannte Vornahmesache bzw. Regelungsanordnung auf Grundlage von § 86b Abs. 2 SGG ist der Eilantrag begründet. Abzustellen ist hier auf die Aussichten im Hauptsacheverfahren. Soweit eine Klage offensichtlich begründet ist, wird die Anordnung in der Regel erlassen, bei offensichtlicher Unbegründetheit ist sie in der Regel abzulehnen.

Vorliegend ist festzustellen, dass sich der Antragsgegner als Rechtsgrundlage einer von ihm in Bezug genommenen konkludenten Aufhebung nicht auf eine wesentliche Änderung im Sinne von § 48 SGB X stützen kann. Eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen der Antragstellerin ist nämlich seit der mehrjährigen Bewilligung von Leistungen nach Maßgabe von § 2 AsylbLG weder ab 1.4.2019 noch zu einem späteren Zeitpunkt eingetreten.

Soweit der Antragsgegner darauf hinweist, dass die Antragstellerin (bereits in 2014) in das Bundesgebiet eingereist sei, um (auch) hier Asyl zu beantragen, obwohl ihr bereits von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union (Malta) Schutz gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt worden sei, der weiter fortbestehe und damit die Voraussetzungen des § 1a AsylbLG vorliegen würden und die Leistungskürzung auch nicht im Ermessen der Behörde stehen würde, sondern sie zwingend vorzunehmen sei, übersieht der Antragsgegner, dass keine Fallgestaltung nach § 48 SGB X vorliegt, sondern allenfalls eine solche nach § 45 SGB X. Angesichts der mehrjährigen Bewilligung von Leistungen an die Antragstellerin nach § 2 AsylbLG ist für die erkennende Kammer auch unter Berücksichtigung der Bestimmung des § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG nicht ersichtlich, nach welcher Maßgabe der Antragsgegner ab 1.4.2019 die Leistungen kürzt, obwohl ihm der das Asylgesuch der Antragstellerin ablehnende Bescheid des BAMF vom 20.7.2017 ebenso bereits mehrjährig bekannt war wie das dagegen gerichtete Verfahren beim Verwaltungsgericht Kassel, das nach wie vor nicht abgeschlossen ist. Eine die Aufhebung bzw. Rücknahme nach §§ 48, 45 SGB X rechtfertigende Begründung enthält weder der Bescheid vom 26.3.2019 noch die danach ergangenen Kürzungsbescheide. Wie schon in den Beschlüssen der erkennenden Kammer vom 8.7.2019 (Aktenzeichen S 11AY 9/19 ER und S 11 AY 11/19 ER) entschieden, hält es das Gericht für sehr problematisch, die vom Antragsgegner herangezogene Leistungseinschränkung, wie allein der Wortlaut des § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG ergibt, ausschließlich auf die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Personenkreis zu stützen, ohne dass das konkrete Verhalten des Leistungsberechtigten mitberücksichtigt wird. Aus der genannten Rechtsprechung ergibt sich eindeutig, dass im Hinblick auf das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums gemäß Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Artikel 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit allein eine restriktive Auslegung des § 1a AsylbLG geboten ist. Dies folgt schon daraus, dass Leistungen nach §§ 3 ff. AsylbLG im Vergleich zu den Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII ohnehin bereits reduziert sind und dass jede weitere Leistungseinschränkung eine nochmalige Absenkung des Leistungsniveaus zur Folge hat. Die genannten Entscheidungen sehen daher auch die Gefahr einer unzulässigen Unterschreitung des von Verfassungs wegen stets zu gewährleistenden menschenwürdigen Existenzminimums einer Leistungsberechtigten. Die erkennende Kammer geht im Einklang mit den in den Beschlüssen genannten Entscheidungen daher davon aus, dass der Gesetzgeber auch bei § 1a Abs. 4 AsylbLG ein pflichtwidriges Verhalten sanktionieren wollte. Damit muss aber ein konkretes, selbst zu vertretendes (ausländerrechtliches) Fehlverhalten festgestellt werden, wonach die Leistungseinschränkung nach § 1a AsylbLG als Folge eines individuellen Fehlverhaltens einer leistungsberechtigten Person berechtigt ist.

In diesem Zusammenhang muss für die Annahme eines Fehlverhaltens auch die Frage positiv beantwortet werden, ob die Antragstellerin zum Zwecke der Erlangung von Sozialleistungen nach Deutschland eingereist ist, da dies nur dann die Rechtsfolge einer Leistungskürzung nach § 1a AsylbLG zur Folge hat, wenn es sich hierbei um das prägende Motiv der Einreise gehandelt hat und der Erhalt von Sozialleistungen der einzige Grund der Einreise gewesen ist, wodurch eine missbräuchliche Einreiseabsicht verwirklicht wird. Hieraus lassen sich auch aus der Akte zum Zeitpunkt der Einreise der Antragstellerin nach Deutschland des Antragsgegners keine eindeutigen Anhaltspunkte entnehmen. Fehlt es aber an einem eindeutigen rechtsmissbräuchlichen Verhalten, lässt sich auch die gekürzte Leistung nach § 1a AsylbLG nicht ohne Weiteres rechtfertigen. Auf die Frage der Übertragbarkeit der Verfassungsmäßigkeit der sanktionsbedingten Kürzungen im SGB II nach Maßgabe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5.11.2019, wie sie vom SG Osnabrück in dessen Beschluss vom 27.1.2020 (S 44 AY 76/19 B ER) verneint wurde, kommt es aus Sicht des Gerichts gar nicht mehr an. Denn gerade im Wege der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist bei existenzsichernden Leistungen die Anforderung an Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. Im Rahmen der insoweit gebotenen Interessenabwägung fällt vorliegend die Abwägungsentscheidung zu Gunsten der Antragstellerin aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf analoger Anwendung von § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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