L 5 KA 4/17 ZVW

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
5
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 3 KA 159/11
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 5 KA 4/17 ZVW
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts vom 17. Oktober 2014 aufgehoben und die Klage abgewiesen. 2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin in Höhe von 16/17 und die Beklagte in Höhe von 1/17 mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten selbst tragen. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Parteien steht ein Regress in Höhe von noch 3288,88 Euro aufgrund einer Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise für das Jahr 2006 im Streit, die sich auf Kosten für die verordnete Wirkstoffdosis bezieht.

Die Klägerin ist eine Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) von Fachärzten für Innere Medizin, Kardiologie und Angiologie.

Im April 2010 teilte die Gemeinsame Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen der Klägerin mit, dass sie die für das Verordnungsjahr 2006 vertraglich vereinbarten Zielwerte pro definierter Tagesdosis (defines daily dose: DDD) bei den verordneten cardioselektiven Betablockern (Zielwert 0,3999 Euro) um 28,25 % und bei Kombinationen von Tilidin und Naloxon (Zielwert 1,564 Euro) um 15,18 % überschritten habe. Im Oktober 2010 setzte die Gemeinsame Prüfungsstelle wegen der genannten Zielwertüberschreitungen einen Regress in Höhe von netto 3493,30 Euro gegenüber der Klägerin fest. Da das vereinbarte Ausgabenvolumen für die insgesamt von den Hamburger Vertragsärzten veranlassten Leistungen für das Verordnungsjahr 2006 überschritten worden sei, habe Veranlassung zur Durchführung von Zielfeldprüfungen bestanden. Die Zielwerte seien von den Landesverbänden der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KVH) anhand der DDD so festgelegt worden, dass Spielraum für individuelle Therapieentscheidungen bestehe. Die Ausgaben für die verordneten cardioselektiven Betablocker hätten insgesamt 19.018,25 Euro und für das verordnete Tilidin 981,40 Euro betragen. Daraus errechneten sich bei einer Überschreitung der Zielwerte um 28,25 % (cardioselektiven Betablocker) bzw. um 15,18 % (Tilidinkombinationen) Mehrausgaben in Höhe von 4319,02 Euro brutto und 3493,30 Euro netto.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch, den die Klägerin nicht begründete, wies der Beklagte mit Beschluss vom 10. August 2011 zurück. Zur Begründung bezog er sich auf die indikationsbezogenen Zielvereinbarungen für das Jahr 2006 betreffend die Zielgruppen cardioselektive Betablocker und Tilidinkombinationen. Die Erweiterung des Zielfeldes auf Tilidinkombinationen mit der Arznei- und Heilmittelvereinbarung 2006 betreffe allein den Zeitraum vom 1. Juli 2006 bis zum 31. Dezember 2006. Die zu 6. beigeladene KVH habe in ihren Publikationen und Informationsveranstaltungen auf die Dokumentationspflichten der Vertragsärzte zur Rechtfertigung von Zielwertüberschreitungen und auf Entlastungsmöglichkeiten aufgrund von im einzelnen Patienten liegenden Gründen hingewiesen. Es sei nicht ersichtlich, warum bei den Tilidinkombinationen das teure Originalpräparat Valoron N gewählt worden sei. Das Verhältnis Kleinpackung zu Großpackung in der Zielgruppe cardioselektive Betablocker betrage 41 zu 676. Die Klägerin habe sich weder zur Einleitung der Zielfeldprüfung noch zum Widerspruch geäußert. Entlastende Gesichtspunkte seien auch nicht feststellbar gewesen.

Das Sozialgericht (SG) hat der Klage der Klägerin mit Urteil vom 17. Oktober 2014 stattgegeben und den streitgegenständlichen Beschluss des Beklagten aufgehoben. Der Beschluss sei bereits mangels Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig. § 84 Abs. 4a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V - könne als Ermächtigungsgrundlage erst ab dem Jahr 2007 herangezogen werden. § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V sowie § 84 Abs. 3 SGB V stellten keine ausreichende Rechtsgrundlage für die Sanktionierung der hier beanstandeten Zielverfehlungen dar. Die Kammer habe zudem Zweifel, ob die Nichteinhaltung der Zielwerte eine geeignete Prüfmethode zur Feststellung eines individuellen Verstoßes gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot darstellten. Der Arznei- und Heilmittelvereinbarung 2006 sei nicht zu entnehmen, wie die vereinbarten Zielwerte gebildet worden seien. Dies könne jedoch offenbleiben. Jedenfalls sei die in § 2 Abs. 1 Satz 3 der Anlage F getroffene Beweislastregelung unverhältnismäßig und damit rechtswidrig, weil sich aus den der Klägerin zur Verfügung gestellten Daten ein eindeutiger Patientenbezug nicht ableiten lasse. Sie könne aus den vorliegenden Daten nicht ableiten, aufgrund welcher Verordnungen es zu Zielfeldüberschreitungen gekommen sei. Unter diesen Umständen könne die Klägerin den geforderten Entlastungsbeweis nicht führen.

Die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 25. November 2015 zurückgewiesen. Es fehle unter Zugrundelegung des hier maßgebenden, im Prüfzeitraum geltenden maßgeblichen Rechts an einer hinreichenden formell-gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für einen Zielfeldregress. Die aufgrund der Grundrechtsrelevanz des Regresses erforderliche gesetzliche Grundlage für Zielfeldregresse ergebe sich nicht aus der in § 106 Abs. 2 Nr. 2 Satz 4 SGB V enthaltenen Ermächtigung, Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten oder andere arztbezogene Prüfungen zu vereinbaren und auch nicht aus der in § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, Abs. 3 SGB V geregelten Ermächtigung der Gesamtvertragspartner zur Vereinbarung von Versorgungs- und Wirtschaftlichkeitszielen und konkrete, auf die Umsetzung dieser Ziele ausgerichtete Maßnahmen (Zielvereinbarungen), insbesondere zur Information und Beratung.

Auf die Revision des Beklagten hat das Bundessozialgericht (BSG) das Urteil des LSG aufgehoben und den Rechtsstreit mit Urteil vom 28. September 2016 zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen. Die Vereinbarungen zum Zielfeldregress seien auf der Grundlage des § 84 Abs. 1 SGB V und § 106 SGB V ergangen und mit diesen Vorschriften vereinbar. Die Methodik des Vergleichs der Kosten der verordneten Arzneimittel anhand von DDD sei grundsätzlich nicht zu beanstanden. Methodisch bedingte Ungenauigkeiten könnten zum einen durch Einräumung von Spielräumen, zum anderen durch den vom Arzt zu erbringenden Nachweis der Wirtschaftlichkeit im Einzelfall begegnet werden. Allerdings seien die vereinbarten Zielwerte nur dann rechtmäßig, wenn deren Überschreitung geeignet sei, den Anscheinsbeweis bzw. die Vermutung der Unwirtschaftlichkeit zu begründen. Es bedürfe bei der Richtgrößenprüfung keines einzelfallbezogenen Nachweises der Unwirtschaftlichkeit. Hier komme der Überschreitung eines normativ festgelegten Schwellenwertes zumindest die Wirkung eines Anscheinsbeweises (bzw. einer gesetzlichen Vermutung) der Unwirtschaftlichkeit zu. Eine damit vergleichbare normative Festlegung liege auch dem hier zu beurteilenden sogenannten Zielfeldregress zugrunde. Aus der Festlegung der Zielwerte in Normsetzungsverträgen folge, dass den Vertragspartnern ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Gestaltungsspielraum einzuräumen sei. Die Vertragspartner hätten bei den cardioselektiven Betablockern und den Tilidinkombinationen mit 7 % bzw. 8 % Zielwerte unterhalb des bisherigen Durchschnitts festgesetzt. Eine solche Festsetzung von Zielwerten unterhalb des bisherigen Durchschnitts sei keineswegs ausgeschlossen, weil in einen Durchschnittswert auch unwirtschaftliches Verordnungsverhalten einfließen könne. Voraussetzung sei aber, dass die Zielwerte so festgesetzt würden, dass ihre Überschreitung geeignet sei, die Vermutung der Unwirtschaftlichkeit zu begründen. Die hier getroffenen Regelungen sähen einen Regress auch nicht erst bei Überschreitung des Zielwerts um einen bestimmten Prozentsatz vor, sondern ohne einen Toleranzspielraum in Höhe des vollen Überschreitungsbetrags. Weder der Beklagte noch die Beigeladenen hätten aber bisher die Festlegung des Zielwertes nachvollziehbar erläutert. Nähere Feststellungen zur Eignung des Zielwertes für den Beweis der Unwirtschaftlichkeit seien daher notwendig.

Im Anschluss an die Zurückverweisung sind dem Beklagten und den Beigeladenen die folgenden Fragen in Umsetzung des BSG-Urteils gestellt worden:

1. Bitte um nachvollziehbare Erläuterung der in der Arznei- und Heilmittelvereinbarung 2005 getroffenen Festlegungen zum Zielwert 2. Wie wurde sichergestellt, dass die Zielwerte nicht so festgesetzt werden, dass sie nur bei genereller Verordnung des Arzneimittels mit dem niedrigsten DDD-Wert erreicht werden konnten? 3. Wie wurde ein "Spielraum für individuelle Therapieentscheidungen" sichergestellt? 4. Wie wurde Rechnung getragen: • im Einzelfall bestehenden Unverträglichkeiten • individuellen Schwierigkeiten von Patienten im Umgang mit der jeweiligen Darreichungsform • Schwierigkeiten, einen aus dem Krankenhaus oder von einem anderen Arzt überwiesenen Patienten zeitnah auf eine andere Medikation einzustellen 5. Wie hoch war die Quote der Ärzte der Fachgruppe, die ebenfalls den Zielwert überschritten haben? Wie viele Ärzte der Fachgruppe wurden auf Einhaltung der Zielfelder geprüft (absolute und relative Werte)? 6. Bitte um Stellungnahme, ob der auf Verordnungen aus dem 2. Halbjahr 2006 bezogene Regress mit dem in der Prüfvereinbarung für den Regelfall vorgesehenen Jährlichkeitsprinzip im Einklang steht.

Der Beklagte und die Beigeladene zu 1. führen hierzu aus, ausgehend von einem Schiedsverfahren hätten die Vertragspartner den Kollektivregress in der Form der Kürzung der Gesamtvergütung auf die Ärzte umstellen wollen, die letztlich für die Überschreitung des Arzneimittelbudgets verantwortlich gewesen seien. Daher hätte man zunächst diejenigen Zielfelder ermittelt, in denen man gemeinsam Einsparpotenzial gesehen habe und die konkrete Berechnung der Überschreitungen auf die DDD des jeweiligen Wirkstoffes bezogen. Dies habe man durch die Erhöhung des Anteils kostengünstiger Alternativen in Zielwerte präzisiert. Man habe nicht alle Verordnungen durch günstigere Wirkstoffe ersetzen, sondern nur den Anteil der kostengünstigen Verordnungen maßvoll erhöhen wollen. Man habe realistische Veränderungen mit erheblichem therapeutischem Spielraum berechnet und das Ergebnis als geeinten Wert in den Zielfeldwerten umgesetzt. Dabei habe man an einem bestimmten Stichtag den Arzneimittelmarkt analysiert und die Kosten je DDD für die vorhandenen Produkte ermittelt. Der Zielwert habe vorausgesetzt, dass zu den festgelegten Kosten je DDD sowohl mehrere Handelspräparate als auch mehrere Wirkstoffe verfügbar gewesen sein. Die Beigeladene zu 1. reichte hierfür eine Auflistung der Aggregate bzw. Wirkstoffe zu den jeweiligen Kosten im fraglichen Zeitraum zur Akte. Für den Wirkstoff Metropolol ergaben sich hieraus 25 Aggregate bis zum 30. Juni 2006 und 24 in der Zeit danach, die unterhalb und 11 bzw. 12 die oberhalb des Zielfeldwertes lagen. Für Atenol ergaben sich 20 Aggregate, die unterhalb des Zielfeldwertes lägen und eines oberhalb. Für den Wirkstoff Acebutolol lag eines oberhalb und eines unterhalb des Zielfeldwertes, für Bisoprolol 26 unterhalb und eines oberhalb des Zielfeldwertes. Nur für Nebivolol gab es nur ein Aggregat und dies befand sich oberhalb des Zielfeldwertes. Hier handele es sich nach Auskunft des Beklagten um einen Wirkstoff der vasodilatierende Eigenschaften hat, für den der Kläger patientenindividuelle Begründungen habe abgeben können, dies aber nicht getan habe.

Bei Tilidin lagen 14 Werte unterhalb des Zielfeldwertes, drei knapp darüber und zwei deutlich darüber.

Ausgehend von einer Datenlage aus dem ersten Halbjahr 2005 hätten die durchschnittlichen Kosten je DDD der oralen cardioselektiven Betablocker 0,44 EUR und für Tilidin/Naloxon 1,70 EUR betragen. Der für das zweite Halbjahr 2005 ermittelte Senkungswert von 6 % (=0,4136 EUR) habe bis zum 30. Juni 2006 fortgelten und ab 1. Juli 2006 um 7 % auf 0,3999 EUR gesenkt werden sollen. Die Absenkung für Tilidin/Naloxon habe erst im und nur für das 2. Halbjahr 2006 um 8 % auf 1,5464 EUR erfolgen sollen. Unter Zugrundelegung des niedrigeren Zielwertes für das 1. Halbjahr 2006 betrüge die Überschreitung bei den Betablockern 26,13 % und habe damit zu einer Reduzierung des Regresses um 204,42 EUR geführt. In dieser Höhe hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 9. April 2019 ihre Forderung reduziert und den Gesamtregress damit auf 3288,88 EUR beschränkt. Bei Tilidin habe die Klägerin einen Durchschnittswert je DDD i.H.v. 1,8003 EUR erreicht und den Zielwert von 1,564 EUR damit um 15,1 % überschritten. Dieses Bild belege auch, dass genügend Spielraum für die Therapiehoheit des Arztes verblieben sei, um auf die individuelle Situation des Patienten einzugehen und bei der Wahl der Generika patientenspezifische Bedürfnisse zu berücksichtigen.

Die besondere Form der Zielfeldprüfung auf Basis der DDD stelle auf die Arzneimittel-Therapietage im Verhältnis zu den Kosten in einem Zielfeld ab, so dass die Verordnungsmenge in den Zielen nicht beschränkt, sondern nur die Preise pro Therapietag begrenzt würden. Diese besondere Technik der Kostenüberschreitung der DDD führe auch dazu, dass es keine Einschränkungen für den Gesamtumfang einer Therapie mit den Wirkstoffen in einem Zielfeld gebe; deshalb wirke es sich auch nicht aus, wenn ein Arzt eine größere Anzahl an Patienten mit Erkrankungen habe, die zu Behandlungen mit Arzneimitteln eines bestimmten Zielfeldes führten. Es solle nur innerhalb der Therapietage durch den Zielwert für die Tagestherapiekosten ein ausreichender Anteil an therapeutisch gleichwertigen, aber kostengünstigeren Arzneimitteln erreicht werden. Grundlage der Berechnungen sei der Ist-Zustand in Hamburg im Jahre 2005 gewesen, der alle Einzelfälle im regionalen statistischen Mittel enthalte. Auch sei der regionale Produktmix an Darreichungsformen in den berechneten Zielpreis eingeflossen, da nicht von der Darreichungsform mit den geringsten Kosten pro Behandlungstag ausgegangen worden sei. Auch Generika gebe es in den unterschiedlichen Darreichungsformen. Deshalb könnten weder individuelle Schwierigkeiten bei Unverträglichkeiten im Umgang mit der jeweiligen Darreichungsform oder bei der Umstellung auf eine andere Medikation eine Überschreitung begründen. All diese Fälle seien bereits Gegenstand des zur Grundlage gemachten Ist- Zustandes in 2005. Von 368 internistischen Praxen hätten 72 - und somit 20 % - im Bereich der Betablocker den Zielwert überschritten. Bei Tilidin seien es 53 und damit 14 % gewesen, was verdeutliche, dass die streitbefangenen Kostensenkungen für die meisten Arztpraxen einzuhalten gewesen seien. Beklagte und Beigeladene wiesen auch noch darauf hin, dass eine Überschreitung nicht automatisch zu einem Regress habe führen müssen, da die betroffene Praxis sich entsprechend habe entlasten können. Die Beweislast habe jedoch gemäß § 2 Abs. 1 S. 3 der Anlage F zum Gesamtvertrag beim Vertragsarzt gelegen. Vorliegend habe die Klägerin sich jedoch weder im Prüfungsverfahren noch vor dem Widerspruchsausschuss geäußert, was auch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in dem zugrundeliegenden Urteil vom 28. September 2016 dazu führe, dass sie mit weiteren Begründungen im Gerichtsverfahren ausgeschlossen sei.

Die Vertragspartner hätten im allgemeinen Teil der Arznei- und Heilmittelvereinbarung für das Jahr 2006 als auch in Anl. 2 unter 4. Einsparpotenziale aufgezeigt. Im Allgemeinen Teil heiße es "Allgemeine Ziele der Vereinbarung sind: (1) Generika. Ziel: Erhöhung des Verordnungsanteils der Generika am Gesamtmarkt. Gleichzeitig sollen nach Möglichkeit Generika aus dem unteren Preissegment des jeweiligen Wirkstoffmarktes genutzt werden." In Anl. 2 des Besonderen Teils heiße es: "Durch Auswahl eines preisgünstigen Wirkstoffes und Verordnen von Generika kann ein relevantes Einsparpotenzial realisiert werden." In der Anl. 2a werde zu Tilidin ausgeführt: "Bei den Kombinationen von Tilidin und Naloxon können durch Verordnung preisgünstiger Generika ebenfalls Kosten eingespart werden". Schließlich würden Unverträglichkeiten zwar theoretisch möglich sein, aber in der Praxis kaum eine Rolle spielen, zudem seien sie in das gebildete regionale statistische Mittel bereits eingepreist. Die Darreichungsform spiele bei den Betablockern keine Rolle; das gelte auch für die Tilidin/Naloxon Verordnungen, die als Tropfen, Kapseln oder Retard-Tabletten verabreicht würden.

Die Klägerin weist darauf hin, dass auch aus diesen Äußerungen nicht erkennbar sei, worauf die Annahme beruhe, dass es bei den fraglichen Wirkstoffen Einsparpotenziale gebe. Hierfür bedürfe es Anhaltspunkte, dass der Ist-Zustand, welcher den Durchschnittswert ergeben habe, unwirtschaftlich gewesen sei. Auch sei die individuelle Therapieentscheidung des Arztes beschränkt gewesen, da dieser nicht mehr frei in seiner Entscheidung für einen Wirkstoff oder einen Handelspartner gewesen sei. Eben gleiches gelte für die Quote der Ärzte, die die Zielwerte nicht überschritten hätten. Bei der Zielfeldprüfung sei zwischen den einzelnen Arztgruppen nicht unterschieden worden. Bei der Praxis der Klägerin handele es sich um eine Zuweiserpraxis, sodass die Patienten teilweise bereits auf bestimmte Medikamente eingestellt gewesen seien. Ein Wechsel des Medikaments oder Wirkstoffes sei bei Patienten mit Herzerkrankungen oft riskant und medizinisch nicht indiziert. Gleiches gelte für Patienten, die zuvor stationär behandelt worden seien. Auch verordne die Klägerin bei Anbehandlung zunächst eine kleine Packungsgröße, um die Verträglichkeit und Wirksamkeit festzustellen. Erst im Anschluss würden größere Packungen auch mit höheren Dosierungen verordnet; dies jedoch oftmals dann wieder vom Hausarzt. Das erkläre das Verhältnis der Kleinpackungen zu den Großpackungen. Grundsätzlich größere Packungen zu verordnen führe aber zu einer anderen Form der Unwirtschaftlichkeit, da dann gelegentlich Medikamente verordnet würden, die im Nachhinein nicht mehr benötigt würden. Die Beklagte habe daher die entsprechenden Fachgruppen unterscheiden müssen. Auch sei das Fehlen einer Bagatellgrenze beim Überschreiten des Zielfeldwertes nicht nachvollziehbar, weil damit jede Überschreitung eine Unwirtschaftlichkeit unterstelle, was aber nicht nachvollziehbar sei. Schließlich seien die Regelungen in der Arznei, und Heilmittelvereinbarung für das Jahr 2006 nicht ausreichend, um die Halbjahresprüfung in Bezug auf Tilidin durchzuführen. Dort fände sich nur die Formulierung, dass eine Zielerreichungsprüfung nach gesamtvertraglichen Regelungen als Halbjahresprüfung für das zweite Halbjahr 2006 stattfinde. Welche Ziele damit gemeint sein, ergäbe sich jedoch nicht. Das verstoße gegen das Bestimmtheitsgebot und sei daher rechtswidrig. Auch sei die Halbjahresprüfung in der Zeit danach nicht mehr vorgesehen. Auch dies belege, dass die Partner der Verträge in Bezug auf die Zielfeldprüfung von der Jahresprüfung nicht hätten abweichen wollen.

Die Beklagte weist noch einmal darauf hin, dass die Klägerin mit individuellen Begründungen für ihr Verordnungsverhalten zwischenzeitlich ausgeschlossen sei und dass die zum Gegenstand der Zielfeldprüfung gemachte Facharztgruppe ausschließlich aus Internisten bestanden habe. Schließlich ergebe sich die Halbjahresprüfung von Tilidin aus § 4a Abs. 1 S. 2 und 5 der Arznei- und Heilmittelvereinbarung in hinreichend deutlicher Form.

Die mündliche Verhandlung des Senats vom 24. April 2019 ist vertagt worden, nachdem die Beigeladene zu 1. und der Beklagte beantragt hatten, von ihnen in der Sitzung benannte Zeugen zur Frage des Zustandekommens der Zielfeldwerte für 2006 zu vernehmen. In weiteren Stellungnahmen hat der Beklagte im Wesentlichen die bisherigen Argumente wiederholt. Die Beigeladene zu 1. hat ergänzend vorgetragen, dass grundsätzlich der Markt auf Basis der Ist-Daten ermittelt worden sei, indem festgehalten worden sei, zu welchen DDD-Kosten welche Präparate am Markt erhältlich seien. Dabei sollten möglichst für die festgelegten Kosten je DDD sowohl mehrere Handelspräparate als auch mehrere Wirkstoffe verfügbar sein. Es sei dann ermittelt worden, wie sich eine theoretische Absenkung der durchschnittlichen Kosten je DDD um 10 % pauschal auf die Versorgungsrealität auswirken würde. Sei eine Versorgung nicht mehr möglich gewesen unter der Prämisse verschiedener Handelspräparate, verschiedener Wirkstoffe und verschiedener Darreichungsformen, so sei ein niedrigerer Absenkungswert ermittelt worden. Auf diesen ermittelten Prozentsatz sei abschließend noch ein Sicherheitsabschlag aufgeschlagen worden, der bei 1% bis 2 % gelegen habe, je nach Bewertung der Vertragsparteien. Eine durchschnittliche Patientenstruktur habe eine adäquate Versorgung der Patienten erlaubt. Ärzte, die nur wenige Patienten versorgt hätten, von denen einzelne aus medizinischen Gründen nicht mit dem kostengünstigsten Wirkstoff versorgt hätten werden können, hätten kaum Möglichkeiten gehabt, die höheren Kosten für den einzelnen Patienten durch niedrigere Kosten bei anderen Patienten auszugleichen. Dem sei man mit der Bildung von Aufgreifgrenzen in § 19 Abs. 6 der Prüfungsvereinbarung vom 21. April 2005 in der Fassung des 3. Nachtrages vom 13. April 2007 zwischen der Beklagten und den Beigeladenen entgegengetreten. Die Vorschrift lautet: "Die Prüfung gesamtvertraglicher Ansprüche findet in den Fällen statt, in denen beide nachfolgend beschriebenen Grenzwerte je Zielfeld überschritten werden. Dazu werden je Zielfeld variable Grenzwerte für die Summen der verordneten DDD und die durchschnittlichen DDD je Packung gebildet. Es werden die verordneten DDD und die durchschnittlichen DDD je Packung arzt- und zielfeldbezogen ermittelt (Grundgröße ist in beiden Fällen die Summe der Verordnungen aller Vertragsärzte im jeweiligen Zielfeld; unabhängig vom Zielerreichungsgrad). Diese Werte werden je Zielfeld jeweils um die Arztdaten mit 5% der höchsten und 5% der niedrigsten Werte statistisch bereinigt. Aus den sich jeweils ergebenden Werten für verordnete DDD und DDD je Packung werden Mittelwerte gebildet. Diese Mittelwerte werden um 10% abgesenkt und bilden dann die Grenzwerte für die zu prüfenden Fälle." Nach dieser Regelung sei man auch für die Zielfelder in Jahren 2005 und 2006 vorgegangen. Nach den Controllingdaten der Zielerreichungsanalyse für das Jahr 2006 sei für die cardioselektiven Betablocker erkennbar, dass das Ziel über alle Ärzte erreicht worden sei (alle Ärzte 0,354, Zielwert 0,3999). Aus dem Arzneiverordnungsreport 2006 von Professor S. (Seite 128 unten) ergebe sich, dass durch die Substitution teurer Analogpräparate mit Bisoprolol als Leitsubstanz sich ein Sparvolumen von 128,8 Millionen EUR ergäbe, welches zumeist aus der Substitution von Metoprololpräparaten und Nebivolol resultiere.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 17. Oktober 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie führt aus, dass es dabeibleibe, dass unklar sei, wie die Zielwerte für 2006 berechnet worden sein. Die Beklagte und die Beigeladenen zu 1. und zu 6. machten lediglich abstrakte Angaben. Wie man auf die konkreten Absenkungsbeträge um bestimmte Prozentsätze mit Nachkommastelle gekommen sei, sei nicht dargelegt worden. Um eine Unwirtschaftlichkeit zu begründen, habe die Beklagte jedoch darzulegen, wie die Zielwerte konkret berechnet worden sein.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Die Beigeladene zu 1. hat sich den Ausführungen des Beklagten angeschlossen und ergänzend ausgeführt, bereits 2006 sei der Ist-Wert erreicht worden, was für die fachliche Richtigkeit und Rechtmäßigkeit der Zielwertfestlegung spreche. Hintergrund der indikationsbezogenen Zielvereinbarung sei ein vorangegangenes Schiedsstellenverfahren um einen "Kollektivregress" (=Abzug vom Gesamthonorar), in welchem auf der Basis eines Gutachtens von Prof. G. festgestellt worden sei, dass in weiten Bereichen der Verordnung von Arzneimitteln die Hamburger Vertragsärzte unwirtschaftlich verordneten, da die Möglichkeit zur wirtschaftlichen Verordnung durch Verordnung kostengünstiger Generika nicht ausreichend genutzt worden sei. Eine Zielfeldprüfung habe auch nur stattgefunden, wenn nach der Prüfungsvereinbarung das Arzneimittel-Ausgabenvolumen für den Bereich der Beigeladenen zu 6. im Prüfzeitraum überschritten worden sei. Hierfür seien die offiziellen Meldungen zu den zwei Mittelausgaben, die ca. neun Monate nach Beendigung eines Kalenderjahres zur Verfügung stünden, Grundlage gewesen. Auch die Beigeladene zu 6. verweist auf § 19 Abs. 6 Prüfungsvereinbarung nachdem weitere Voraussetzungen für die Prüfung bei Zielwert-verfehlungen gegolten hätten und zwar bereits für Zielfeldprüfungen ab dem Jahr 2005. Es seien daher nur Praxen in eine Zielfeldprüfung geraten, die sowohl den jeweiligen Zielwert als auch beide Grenzwerte je Zielfeld überschritten hätten. Damit habe man dem Umstand Rechnung tragen wollen, dass die Kosten je DDD für ein identisches Arzneimittel unterschiedlicher Packungsgröße oder Wirkstärke teilweise sehr unterschiedlich gewesen sein, sodass Praxen die überwiegend kleinere Packungsgrößen mit weniger DDD pro Zielfeld (z.B. bei Therapiebeginn oder bei Kindern) verschrieben hätten in der Erreichung der Zielwerte benachteiligt gewesen sein, da Arzneimittel in kleineren Packungsgrößen und geringerer Wirkstärke überdurchschnittlich kostenintensiver sein. Schließlich habe man eine Protokollnotiz zur Arznei- und Heilmittelvereinbarung 2006 vereinbart, wonach bestimmte Besonderheiten, die eine Zielerreichung erschwerten, im Rahmen der Prüfung berücksichtigt werden sollten.

Auch der Berücksichtigung von Besonderheiten sei Rechnung getragen worden. Besonderheiten wie im Einzelfall bestehende Unverträglichkeiten, individuelle Schwierigkeiten von Patienten im Umgang mit der jeweiligen Darreichungsform oder Schwierigkeiten, einen aus dem Krankenhaus oder von einem anderen Arzt überwiesenen Patienten zeitnah auf eine andere Medikation einzustellen, seien bereits im Rahmen der durchschnittlichen Häufigkeit statistisch berücksichtigt, da als Basis für die Zielwertbildung der jeweilige Ist-Wert gedient habe. Allerdings habe auch nicht jedes verordnete Arzneimittel den Zielwert "schaffen" müssen, sondern es sei auch auf Praxisebene mit Durchschnittswerten gearbeitet worden. Ein Ausgleich zwischen den einzelnen Kosten je DDD Werten der Präparate sei möglich gewesen. Auch habe eine Überschreitung des Zielwertes nicht automatisch zu einer Ausgleichszahlung geführt, sondern die Praxis habe sich entsprechend entlasten können, sei jedoch in der Beweispflicht gewesen. Die Gründe, warum die im Prinzip gleichwertigen kostengünstigeren generischen Alternativen in bestimmten Fällen nicht hätten eingesetzt werden können, seien plausibel darzulegen gewesen.

Die übrigen Beigeladenen haben sich den Ausführungen der Beklagten bzw. der Beigeladenen zu 1. und zu 6. angeschlossen.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 21. November 2011 Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen E1. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 21. November 2019 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten und Unterlagen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegt worden. Sie ist auch begründet.

Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 6. Oktober 2009 in der Gestalt des Beschlusses vom 16. März 2011 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 106 Abs. 2 Nr. 2 Satz 4 SGB V in der hier maßgebenden im Prüfzeitraum (2006) geltenden Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz - GMG) vom 14.11.2003 (BGBl I 2190) i.V.m. den im Bezirk der Beigeladenen zu 6. geltenden Regelungen der Arznei- und Heilmittelvereinbarung für das Jahr 2006 vom 16.2.2006 sowie Anlage F zum Gesamtvertrag vom 18.4.1996 i.d.F. des 12. Nachtrages vom 21.4.2005, die ihre gesetzliche Grundlage in § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB V i.d.F. von Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Ablösung des Arznei- und Heilmittelbudgets (Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz - ABAG) vom 19.12.2001 (BGBl I 3773) hat (BSG, Urteil vom 28. September 2016 – B 6 KA 44/15 R – Rn. 13 ff., juris, mit weiteren Nachweisen und ausführlicher Begründung).

Die Methodik des Vergleichs anhand von DDD ist im vorliegenden Zusammenhang nicht zu beanstanden (BSG, Urteil vom 28. September 2016 – B 6 KA 43 und 44/15 R –, Rn. 25 ff., juris, mit ausführlicher Begründung).

Allerdings sind die von den Vertragspartnern der Arznei- und Heilmittelvereinbarung vereinbarten Zielwerte nur dann rechtmäßig und damit wirksam, wenn deren Überschreitung geeignet ist, den Anscheinsbeweis bzw. die Vermutung der Unwirtschaftlichkeit zu begründen. Denn dem Regress nach Durchschnittswerten liegt die Annahme zugrunde, dass die Vergleichsgruppe im Durchschnitt insgesamt wirtschaftlich handelt. Wenn das Behandlungs- oder Verordnungsverhalten eines Arztes in offensichtlichem Missverhältnis zum durchschnittlichen Aufwand der Vergleichsgruppe steht und diesen in einem Ausmaß überschreitet, das sich im Regelfall nicht mehr durch Unterschiede in der Praxisstruktur und in Behandlungsnotwendigkeiten erklären lässt, so hat dies nach der ständigen Rechtsprechung des BSG die Wirkung eines Anscheinsbeweises der Unwirtschaftlichkeit. Ähnlich wie bei der Prüfung nach Durchschnittswerten bedarf es bei der Richtgrößenprüfung keines einzelfallbezogenen Nachweises der Unwirtschaftlichkeit. Hier kommt der Überschreitung eines normativ festgelegten Schwellenwertes zumindest die Wirkung eines Anscheinsbeweises (bzw. einer gesetzlichen Vermutung) der Unwirtschaftlichkeit zu. Eine damit vergleichbare normative Festlegung liegt auch dem sogenannten Zielfeldregress zugrunde, bei welchem den Vertragspartnern ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Gestaltungsspielraum einzuräumen ist. Wenn andererseits allerdings nicht festgestellt werden kann, dass der – hier für die Verordnung von cardioselektiven Betablockern und Tilidinkombinationen - festgesetzte Zielwert unter Berücksichtigung des dargelegten Bewertungsspielraums der Vertragspartner geeignet ist, die Vermutung der Unwirtschaftlich-keit des Verordnungsverhaltens des Arztes zu begründen, so wirkt sich dies zum Nachteil des Beklagten aus (BSG, Urteil vom 28. September 2016 – B 6 KA 43/15 R –, Rn. 31, 34, juris, mit weiteren Nachweisen).

Der Senat ist indes insbesondere nach den in Vorbereitung für den zweiten Termin zur mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsätzen der Beklagten und der Beigeladenen zu 1. und zu 6. sowie der im Termin zur mündlichen Verhandlung erfolgten Beweisaufnahme davon überzeugt, dass vorliegend die Zielfelder so festgesetzt worden sind, dass aus deren Überschreitung für den Regelfall auf eine unwirtschaftliche Verordnungsweise geschlossen werden kann und zwar unter Wahrung hinreichender Therapiefreiheit der Ärzte, Berücksichtigung von Umstellungszeiträumen und der Notwendigkeit teurerer Präparate in begründeten Einzelfällen. Dies folgt vorliegend aus dem Folgenden:

Der Beklagte und die Beigeladenen haben auf den nach Zurückverweisung vom Bundessozialgericht an den Beklagten und die Beigeladenen ergangenen Fragenkatalog des Senats zum Prozess der Auswahl gerade derjenigen Wirkstoffe, die Gegenstand einer Kostenabsenkung werden sollten, zunächst dazu ausgeführt, dass die Zielfeldprüfung auf Basis von DDD-Durchschnittswerten historisch begründet sei. So hätten sich die Hamburger Krankenkassenverbände und die KVH bei der Festsetzung eines Kollektivregresses in Form der Kürzung der Gesamtvergütung bereits nicht einigen können, was zu einem Schiedsverfahren mit einem Beschluss des Landesschiedsamtes (vom 31. März 2004) geführt habe, welcher allgemeine Ziele, die zur Verringerung der Arzneimittelkosten in Form individueller Regressforderungen gegen einzelne kostenintensiv verordnende Ärzte habe führen sollen, formuliert habe. Zur Erreichung dieser Ziele sei eine Veränderung des Verordnungsverhaltens der Ärzte notwendig gewesen. Deshalb habe die Beigeladene zu 6. ihre Mitglieder auch darauf hingewiesen, möglichst nur noch die preisgünstigsten Generika zu verordnen, um das Ziel, die Verordnungskosten je Generikum auf den Bundesdurchschnitt zu senken, auch nur annähernd zu erreichen (KVH-Informationen 3/2005 für die Praxis). Dabei sei eine behutsame Umstellung erforderlich gewesen, um die Mitglieder an das neue Verordnungsverhalten zu gewöhnen – indikationsbezogene Zielvereinbarungen seien daher auch erst zum 1. Juli 2005 in Kraft getreten. Auch in der Folgezeit habe die Beigeladene zu 6. ihre Mitglieder wiederholend informiert (Übersendung der Arznei- und Heilmittelvereinbarung, Höhe der DDD-Kosten der unterschiedlichen Wirkstoffe, der Ermittlung der KVH-Basiswerte und der praxisindividuellen Werte, Information über die DDD-Kosten eines bestimmten Fertigarzneimittels, Vermeidungswege einer Zielwertüberschreitung und Konsequenzen der Überschreitung eines Zielwerts). Da sich der Abschluss der Arznei- und Heilmittelvereinbarung für das Jahr 2006 verzögert habe (man habe sich mit den Krankenkassen auf das Ausgabenvolumen nicht einigen können), sei den Vertragsärzten empfohlen worden, die Rahmengrößen der bisher geltenden Vereinbarung auch in 2006 zur Richtschnur von Verordnungen zu nehmen. Die fragliche Vereinbarung für 2006 sei am 16. Februar 2006 schließlich geschlossen worden, wonach die für das vergangene Jahr erarbeiteten indikationsbezogenen Zielvereinbarungen zunächst fortgegolten hätten. Die Zielvereinbarungen seien teilweise neu berechnet worden, weil sich die zugrundeliegenden Daten verändert hätten.

Die Beigeladene zu 1. führte aus, dass zur Ermittlung des Einsparpotenzials zu einem bestimmten Stichtag der Arzneimittelmarkt analysiert und Kosten je DDD für die vorhandenen Produkte ermittelt worden seien. Bei der Festlegung des Zielwertes sei Bedingung gewesen, dass zu den festgelegten Kosten je DDD sowohl mehrere Handelspräparate als auch mehrere Wirkstoffe verfügbar sein.

Diese Angaben haben die Zeugen übereinstimmend und überzeugend bestätigt und überdies dargetan, dass bei der Festlegung der Absenkungssätze die am Markt vorhandenen Arzneimittel bezogen auf den Wirkstoff je DDD betrachtet und die Spreizung zwischen den günstigsten und den teuersten DDD analysiert worden sei. Dabei seien teilweise sehr große Kostenunterschiede aufgefallen, insbesondere, weil die Originalpräparate deutlich teurer gewesen seien als die am Markt vorhandenen Generika. Diese Kostenspreizung in Verbindung mit der empfohlenen Leitsubstanz sei Grundlage der Absenkungssätze gewesen. Die Leitsubstanzen habe man bei der Festlegung der Absenkungssätze stärker gewichtet. Dabei sei darauf geachtet worden, dass die Leitsubstanzen und die anderen eingeschlossenen Wirkstoffe eine vergleichbare Wirksamkeit aufgewiesen hätten. Grundlage für die Einschätzung einer vergleichbaren Wirksamkeit seien z.B. Leitlinien und insbesondere Veröffentlichungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft gewesen, wobei es wichtig gewesen sei, diese Einschätzung möglichst unabhängig von den Interessen der Pharmaindustrie zu treffen. Es habe ein etwas veraltetes Gutachten von Professor G. gegeben, das aber noch Indizien geliefert habe, sowie den aktuellen Arzneiverordnungsreport von Professor S ... Es seien dann die Leitlinien, die Verordnungsdaten, die Me-Too-Präparate und schließlich auch die Lauer-Taxen für die Berechnungen verwandt worden. Ziel sei dann gewesen, den Zielwert so zu berechnen, dass der günstigste Wirkstoff, bei welchem davon auszugehen gewesen sei, dass die meisten Patienten damit zu versorgen seien, stark in den Wert eingeflossen sei. Daneben habe es aber trotzdem noch möglich sein sollen, teurere Wirkstoffe zu verordnen, wo es im Einzelfall nötig gewesen sei.

Eine konkrete Rechenformel sei bei der Festlegung des Zielwertes nicht angewendet worden, das sei auch nicht möglich. Die zu berücksichtigenden Faktoren seien nämlich von Wirkstoffgruppe zu Wirkstoffgruppe sehr inhomogen, der Markt sei auch sehr volatil gewesen, ebenso wie die Versorgungsnotwendigkeiten unterschiedlich gewesen seien. Bei der Festlegung des Absenkungswertes haben man sich daran orientiert, dass möglichst unterschiedliche Wirkstoffe erreichbar geblieben seien oder der Zielwert so weit über dem günstigsten Wirkstoff gelegen habe, dass daraus auch teurere Wirkstoffe im Einzelfall hätten bezahlt werden können. Es sei nicht so gewesen, dass man die Verordnung von teuren Wirkstoffen komplett habe ausschließen wollen, sie hätten nur in der Menge deutlich reduziert werden sollen, auch mit Blick auf den Bundesdurchschnitt.

Danach ist der Senat unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des BSG zu der Überzeugung gelangt, dass nicht nur mehrere Arzneimittel, sondern auch eine Vielzahl von Wirkstoffen, noch innerhalb der Zielwerte zur Verfügung standen. Im Einzelnen gilt für die cardioselektiven Betablocker: Für Arzneimittel mit dem Wirkstoff Metropolol ergeben sich 25 Aggregate, die für den Zeitraum bis zum 30. Juni 2006 unterhalb und 11 die oberhalb des Zielfeldwertes von 0,4136 EUR und für den Zeitraum ab dem 1. Juli 2006 24 Aggregate, die unterhalb und 10 die oberhalb des Zielfeldwertes von 0,3999 EUR liegen. Für den Wirkstoff Atenol ergeben sich 20 Aggregate, die unterhalb und eines oberhalb des Zielfeldwertes liegen. Für den Wirkstoff Acebutolol liegt eines oberhalb und eines unterhalb des Zielfeldwertes, Betaxolol führt ebenso wie Talinolol nur ein Aggregat auf und dieses liegt jeweils unterhalb des Zielfeldwertes, beim Wirkstoff Bisoprolol liegen 26 Aggregate unterhalb und eines oberhalb des Zielfeldwertes. Für Nebivolol gibt es nur ein Aggregat, welches sich oberhalb des Zielfeldwertes befindet, welches aber durch das unter den Zielfeldwerten liegende Verordnungsverhalten bei den übrigen Betablockern regressvermeidend aufgefangen werden konnte. Bei Tilidin lagen 14 Werte unterhalb des nur für das 2. Halbjahr 2006 um 8% abgesenkten Zielfeldwertes von 1,5464 EUR und 5 darüber.

Unverträglichkeiten und Umstellungsschwierigkeiten konnte dadurch begegnet werden, dass innerhalb einer Mischkalkulation aus der Vielzahl der weiteren Wirkstoffe unterhalb des Zielfeldwertes noch ausgewählt und verordnet werden konnte, ohne dass ein Regress zu befürchten war. Der Senat ist nach Anhörung der sachverständigen Zeugen auch zu der Überzeugung gelangt, dass Umstellversuche im allgemeinen dem Patienten zumutbar und durchführbar waren. Aus diesen Gründen ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass in den meisten Fällen eine ausreichende Versorgung der Patienten mit den für sie notwendigen Wirkstoffen gewährleistet war und soweit eine Versorgung mit hochpreisigeren Wirkstoffen wegen eines leichten Nebenwirkungsvorteils angezeigt war, für die bei Verordnung eines auf dem Markt vorhandenen, den Zielwert nur geringfügig und selten auch stärker überschreitenden Präparats im Wege der Mischkalkulation ein ausreichender Spielraum bestand und dass schließlich bei fehlender Umstellungstoleranz in wenigen Einzelfällen eine – begründete – Einzelfallentscheidung herbeigeführt werden konnte. Bei einem wirtschaftlichen Verordnungsverhalten war daher für den Arzt ein Regress nicht zu befürchten; die Überschreitung der Zielvorgabe war danach geeignet, die Vermutung unwirtschaftlichen Verordnungsverhaltens zu begründen. Die Quote der Ärzte der Fachgruppe des Klägers, die den Zielwert gleichfalls überschritten haben, steht dem nicht entgegen. Die Quote von 20% bei den cardioselektiven Betablockern ist zwar nicht so niedrig, dass der Senat sie als weiteres Indiz für ein unwirtschaftliches Verhalten des Klägers heranziehen hätte können, aber auch nicht so hoch, dass sie ein Indiz für das Gegenteil wäre. Bei Tilidin lag die Quote bei nur noch 14%, so dass hieraus auch bereits ein Indiz für unwirtschaftliches Verhalten abgeleitet werden kann.

Da der notwendige Anscheinsbeweis für die Vermutung der Unwirtschaftlichkeit in den im vorliegenden Fall behandelten Wirkstoffgruppen somit gelungen ist, stehen die vertraglich vereinbarten Zielfeldregress-Regelungen (vgl. § 2 Abs. 1 der Anlage F zum Gesamtvertrag zwischen der KVH und der AOK Hamburg vom 18. April 1996 in der Fassung des 12. Nachtrages vom 21. April 2005, der seine gesetzliche Grundlage in § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB V i.d.F. von Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Ablösung des Arznei- und Heilmittelbudgets (Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz - ABAG) vom 19.12.2001 (BGBl I 3773) hat) mit § 106 SGB V im Einklang, wonach ein Regress von einem unwirtschaftlichen Behandlungs- oder Verordnungsverhalten des Arztes abhängig gemacht wird.

Die von der Klägerin vorgebrachten Argumente praxisindividueller bzw. patientenindividueller Art führen nicht weiter. Die Beweislast für das Vorliegen medizinischer Gründe, die der Verordnung eines preisgünstigeren Arzneimittels mit gleichem oder ähnlichem Wirkstoff entgegengestanden haben, hat der Arzt zu tragen (§ 2 Abs. 1 S. 3 Anlage F zum Gesamtvertrag). Die Klägerin hat im Verwaltungsverfahren keinerlei Gründe für die Überschreitung genannt und ist daher im Gerichtsverfahren mit diesen Argumenten ausgeschlossen. Das BSG hat hierzu unter Rn. 33 der zurückverweisenden Entscheidung vom 28. September 2016 und unter Verweis auf dessen ständige Rechtsprechung eindeutig formuliert, dass die erforderlichen Darlegungen des Arztes grundsätzlich gegenüber den Prüfgremien und nicht erst im nachfolgenden Gerichtsverfahren zu erfolgen haben.

Die weiteren vom BSG in seiner zurückverweisenden Entscheidung aufgeworfenen Rechtsfragen führen ebenfalls nicht zu einer Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die fragliche Rückwirkung der Arznei- und Heilmittelvereinbarung für das Jahr 2006, die entgegen § 84 Abs. 1 S. 1 SGB V nicht zum 30. November des Vorjahres, sondern erst am 16. Februar bzw. 4. Mai 2006 zustande gekommen war, wirkt sich vorliegend nicht mehr aus. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 9. April 2019 in Vorbereitung der mündlichen Verhandlung den Regress bezüglich der cardioselektiven Betablocker für den Zeitraum des ersten Halbjahres 2006 auf den Zielfeldwert für das Jahre 2005 in Höhe von 0,4136 EUR/DDD abgesenkt und den Regress um den Differenzbetrag zu dem Wert für 2006 in Höhe von 0,3999 EUR/DDD auf 3.167,38 EUR und damit um 204,42 EUR ermäßigt. Für Tilidin wirkte sich dieses Problem nicht aus, da die Zielfeldprüfung hier nur für das 2. Halbjahr 2006 durchgeführt worden ist.

Ebenso wenig kann die Klägerin das Jährlichkeitsprinzip von § 19 Abs. 1 S. 2 Hamburger Prüfungsvereinbarung 2005 für sich erfolgreich ins Feld führen. Die Vorgabe, dass die Feststellung der Ansprüche dem Grunde und der Höhe nach in der Regel im Wege der Jahresprüfung zu erfolgen hat, erfährt in § 19 Abs. 1 S. 2 Hamburger Prüfungsvereinbarung 2005 eine Ausnahme dann, wenn für einzelne Verordnungsziele im Rahmen der Arznei- und Heilmittelvereinbarung andere Geltungszeiträume festgelegt werden. Das Bundessozialgericht hat in der zugrundliegenden Entscheidung vom 28. September 2016 (Rn. 36) für die Frage der Rechtmäßigkeit des halbjährigen Prüfungszeitraums auf die Existenz einer solchen Festlegung auf Landesebene abgestellt. Die Arznei- und Heilmittelvereinbarung für das Jahr 2006 in der Fassung des 1. Nachtrages vom 4. Mai 2006 regelt in § 4a Abs. 1 S. 5 für indikationsbezogene Zielvereinbarungen vom 1. Juli bis 31. Dezember 2006 wie folgt: "Für die Ziele nach Nr. 1c, 2b, 3b, 5b, 7b und 11 findet eine Zielerreichung nach gesamtvertraglichen Regelungen als Halbjahresprüfung für den Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2006 statt." Gemeint sind hier die in der Anlage 2a zur fraglichen Vereinbarung aufgeführten Ziele. Anlage 2a führt in die nachfolgend dargestellten Wirkstoffgruppen mit folgendem Text ein: "Indikationsbezogene Zielvereinbarungen im Rahmen der Arzneivereinbarung 2006 für die Zeit vom 1.7.2006 bis 31.12.2006." Unter Nr. 1c) ist Tilidin aufgeführt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Soweit die Beklagte den angefochtenen Beschluss zu einem geringen Teil aufgehoben und den Klaganspruch teilweise anerkannt hat, hat sie die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen,

weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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