S 28 SO 117/15 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
28
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 28 SO 117/15 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 SO 227/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig Eingliederungshilfe in Form der Kostenübernahme für eine Schulassistenzkraft i.H.v. maximal 22,50 EUR pro Tätigkeitsstunde (ggf. zzgl. Fahrtkosten) für die Zeit des Pflichtunterrichts zu erbringen.

2. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

3. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten im notwendigen Umfang zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Höhe von Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch – Zwölftes Buch – (SGB XII) für eine Teilhabeassistenz beim Schulbesuch.

Die Antragstellerin wurde 2008 mit einer Spina bifida auf Lumbalniveau geboren. Trotz mehrerer Operationen verblieben erhebliche neurologische Funktionsbeeinträchtigungen, insb. der unteren Extremitäten sowie von Darm und Blase. Für die Antragstellerin sind vom Hessischen Amt für Versorgung und Soziales ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen "G", "B", "aG" und "H" festgestellt worden. Sie ist derzeit in die Pflegestufe II eingestuft.

Die Antragstellerin benötigt aktuell insbesondere mehrmals täglich Hilfe bei der Blasenentleerung über Katheterisierung mittels Einmalkatheter und muss mehrfach täglich gewindelt werden. Auch trägt sie Orthesen sowie neuerdings auch ein Korsett, welche in verschiedenen Situationen – u.a. bei der Katheterisierung – an- und ausgezogen werden müssen, was sie nicht allein bewältigen kann. Im Übrigen ist sie bei der Fortbewegung und bei diversen praktischen Handgriffen auf die Unterstützung Dritter angewiesen.

Ab August 2011 besuchte sie eine Kindertagesstätte. Der Antragsgegner gewährte begleitend im Rahmen der Eingliederungshilfe zusätzliche Leistungen für einen Integrationskindergartenplatz. Hierdurch wurde eine verstärkte Betreuung durch die dort tätigen Erzieherinnen ermöglicht. Eine Katheterisierung wurde dort bis zuletzt nicht durchgeführt. Die Mutter der Antragstellerin nahm diese vor und nach dem Kindergartenbesuch selbst vor. Die Erzieherinnen windelten die Antragstellerin jedoch bei Bedarf.

Bereits im Laufe des Jahres 2014 traten die Eltern der Antragstellerin und der zuständige Fachbereich des Antragsgegners in Verhandlungen, wie sich die Betreuung nach der zum Schuljahr 2015/2016 anstehenden Einschulung gestalten solle. Im März 2015 reichten die Eltern die ausgefüllten Antragsformulare ein, in der sie den ihrer Ansicht nach bestehenden Hilfebedarf umfassend darstellen (Bl. 5 – 6 der Leistungsakte). Die Antragstellerin soll in die F-Grundschule in ihrem Wohnort A-Stadt eingeschult werden. Die Eltern forderten hierbei zunächst die Übernahme der Kosten eines bestimmten, privat organisierten Integrationshelfers.

Der Antragsgegner beauftragte sein Gesundheitsamt mit einer Feststellung des Hilfebedarfs der Antragstellerin. Die dort zuständige Ärztin vom kinder- und jugendärztlichen Dienst kam bei der Begutachtung am 08.05.2015 zu dem Ergebnis, die Antragstellerin benötige zum einen während des gesamten Schulalltages Hilfestellung (z.B. beim Klassenraumwechsel, Organisieren des Unterrichtsmaterials, An- und Ausziehen). Dies könne im Prinzip durch eine Freiwilliges-Soziales-Jahr-Kraft (FSJ-Kraft) erledigt werden. Daneben müsse sie jedoch während der Schulzeit mehrfach katheterisiert und gewindelt werden. Diese sehr intime Behandlung separat durch ständige wechselnde Kräfte eines Pflegedienstes durchführen zu lassen, sei ihr nicht zumutbar. Sie spreche sich daher dafür aus, dass beide Bereiche durch dieselbe, weibliche Person abgedeckt würden, die natürlich über ausreichende Fachkräfte für die Katheterisierung verfügen oder diese in der Zwischenzeit erwerben müsse.

Am 11.05.2015 fand eine Sitzung des Förderausschusses bei der F-Schule statt. Im Rahmen der Sitzung wurde den Eltern mitgeteilt, dass aus Sicht des Antragsgegners im Rahmen der Eingliederungshilfe nur ein Bedarf für eine FSJ-Kraft dargetan sei. Die Beschäftigung des von den Eltern ausgesuchten Integrationshelfers sei nicht möglich. Die Katheterisierung falle zudem als Behandlungspflege in die Leistungszuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung.

In der Folge sprachen sich die Eltern mit E-Mail vom 13.05.2015 dafür aus, dass die gesamte Betreuung (Katheterisierung und sonstige Hilfen) durch eine entsprechend qualifizierte Kraft übernommen werde. Mit Schreiben vom 18.05.2015 entgegnete der Antragsgegner, aus seiner Sicht sei der Bedarf der Antragstellerin an Eingliederungshilfe durch Gewährung einer FSJ-Kraft des DRK Kreisverband Odenwaldkreis e.V. gedeckt. Im Falle der Beschäftigung einer Betreuungskraft durch die Eltern könne daher von seiner Seite aus auch lediglich der hierfür anfallende Betrag i.H.v. 825 EUR monatlich ausgezahlt werden. Wegen der Katheterisierung solle sich die Antragstellerin an die zuständige Krankenkasse wenden.

Nachdem die Eltern weiterhin auf Betreuung durch eine einzige Person bestanden und ein dies befürwortendes Attest des Kinderarztes Dr. G. vom 21.05.2015 vorlegten, stellte der Antragsgegner weitere Recherchen hinsichtlich der durch die Krankenkasse übernahmefähigen Kosten an. Eine Nachfrage bei der zuständigen Heimat Krankenkasse in Verbindung mit einem Kostenvoranschlag eines ortsansässigen Pflegedienstes ergab monatlich erstattungsfähige Kosten i.H.v. 574,54 EUR für zwei Katheterisierungen täglich an Schultagen nebst Wegepauschale.

Durch Bescheid vom 23.06.2015 übernahm der Antragsgegner schließlich die Kosten einer Teilhabeassistenz in Form einer FSJ-Kraft für den Schulbesuch (Unterricht und Nachmittagsbetreuung). Die Hilfen für den lebenspraktischen Bereich könnten durch eine solche Kraft hinreichend erbracht werden. Eine Unterstützung durch eine Fachkraft, die auch die Katheterisierung durchführen könne, führe zu unverhältnismäßigen Mehrkosten. Die Eltern sollten sich wegen der Durchführung der Maßnahme an den DRK Kreisverband Odenwaldkreis e.V. wenden.

Hiergegen legte die Antragstellerin am 13.07.2015 Widerspruch ein. Eingereicht wurde insbesondere ein Vertrag der Eltern mit der H. Rhein-Main GmbH in H-Stadt vom 06.07.2015. Diese haben das Unternehmen mit der Betreuung der Antragstellerin in der Schulzeit durch eine angelernte Mitarbeiterin für 31,36 EUR pro Stunde beauftragt.

Die Antragstellerin hat am 15.07.2015 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Darmstadt gestellt.

Sie trägt vor, ihr sei eine Betreuung durch verschiedene Kräfte, insbesondere durch ständig wechselnde Kräfte eines Pflegedienstes, nicht zumutbar. Dies ergebe sich zum einen aus der höchst intimen Natur des Katheterisierungsvorgangs. Weiter trete der Katheterisierungsbedarf zu wechselnden Zeiten auf, so dass er durch einen Pflegedienst praktisch nicht zu decken sei. Auch habe der Antragsgegner nicht berücksichtigt, dass sie regelmäßig gewindelt werden müsse. Hierzu sei eine FSJ-Kraft ebenso wenig im Stande wie zum korrekten Anziehen des stützenden Korsetts. Schließlich dürfe es nicht zu ihren Lasten gehen, dass der Antragsgegner keine ordnungsgemäßen Vereinbarungen mit möglichen Leistungserbringern abgeschlossen habe. In anderen Landkreisen würden von dort zuständigen Trägern auch für FSJ-Kräfte viel höhere Kosten übernommen.

Die Eltern der Antragstellerin haben einen Bericht des Kinderurologen Dr. J. vom 31.07.2015 vorgelegt. Dieser äußert die Befürchtung, dass ständig wechselnde Fachkräfte eines Pflegedienstes ein erhöhtes Risiko von Harnwegsinfekten bedeuten würden. Desweiteren ist ein weiterer Bericht des Kinderarztes Dr. G. vom 06.08.2015 eingereicht worden, der insbesondere betont, die Antragstellerin habe auch einen pädagogischen und emotionalen Unterstützungsbedarf, der nur durch eine langjährig tätige Kraft zu decken sei. Auch sei eine FSJ-Kraft zum Anlegen des Korsetts nicht qualifiziert.

Die Antragstellerseite hat weiter zwei Kostenvoranschläge von möglichen Leistungserbringern vorgelegt. Die K-Stadter Diakonie benennt einen Betrag von 46,07 EUR pro Stunde für eine Fachkraft und 27,95 EUR für eine Hilfekraft, die L. einen Betrag i.H.v. 41 EUR für eine Fachkraft und i.H.v. 22,50 EUR für eine angelernte Hilfskraft. Von der Stadt Darmstadt haben die Eltern schließlich die Auskunft erhalten, die Entgelte für Fachkräfte betrügen 28 bis 42 EUR, die für angelernte Kräfte 15 bis 25 EUR.

Die Antragstellerin beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr eine Teilhabeassistenz in der F-Schule (Regelschule) in A-Stadt ab dem 07.09.2015, täglich von 08.00 Uhr bis 15.00 Uhr sowie in der schulischen Ferienbetreuung, nach dem SGB XII in der Art und Weise zu gewähren, dass diese durch eine einzelne qualifizierte weibliche Fachkraft der Einrichtung H. mit Erfahrung in der Blasenkatheterisierung von Kindern vorgenommen wird.

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Im Falle der Antragstellerin sei der Eingliederungshilfebedarf ausschließlich an der körperlichen Behinderung festzumachen und durch eine FSJ-Kraft hinreichend gedeckt. Die Katheterisierung sei durch die Krankenkasse zu übernehmen. Es handele sich diesbezüglich um einen planbaren Vorgang, der gezielt in den großen Pausen stattfinden könne. Unplanmäßigem Windelwechseln könne durch vorbeugende Maßnahmen außerhalb der Schulzeit begegnet werden. Das Fehlen einer ordnungsgemäßen Leistungsvereinbarung zwischen dem Antragsgegner und dem vorgesehenen Leistungserbringer DRK Kreisverband Odenwaldkreis e.V. sei unerheblich. Eine Schulbegleitung durch eine Pflegefachkraft sei schließlich mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden.

Durch E-Mail vom 13.08.2015 hat der DRK Kreisverband Odenwaldkreis e.V. dem Antragsgegner mitgeteilt, dass von dort keine FSJ-Kraft für die Antragstellerin mehr zur Verfügung gestellt werden könne. Dies habe man zum Schutz der zukünftigen Freiwilligen entschieden, die der Anspruchshaltung der Eltern nicht entsprechen könne. Aufgrund persönlicher Gespräche mit den Eltern habe man den Eindruck gewonnen, dass diese alle Möglichkeiten nutzen würden, um eine Schulbegleitung im Rahmen des Freiwilligendienstes zu torpedieren.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Leistungsvorgänge des Antragsgegners ergänzend verwiesen.

II.

Der zulässige Antrag ist teilweise begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Insoweit gilt § 920 der Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist damit die Glaubhaftmachung von Tatsachen, die einen Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch begründen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO). Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander. Zwischen beiden besteht vielmehr eine Wechselbeziehung derart, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit oder Schwere des drohenden Nachteils zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System. Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenwertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine abschließende Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden.

Das Vorliegen eines Anordnungsanspruches kann durch das Gericht vorliegend aufgrund der Gegebenheiten im Eilverfahren nicht abschließend geklärt werden. Es ist derzeit offen, ob die Antragstellerin einen höheren Anspruch auf Eingliederungshilfe hat, als durch den Antragsgegner festgestellt.

Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, erhalten Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann, § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII.

Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es nach § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen (S. 2).

Leistungen der Eingliederungshilfe sind neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 des Neunten Buches insbesondere auch Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung (§ 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII). Die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung in diesem Sinne umfasst auch heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern, § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfe-VO.

Unzweifelhaft zählt die Antragstellerin zum Personenkreis nach § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII und benötigt Hilfe zur angemessenen Schulbildung für den bevorstehenden Besuch der Grundschule. Streitig ist lediglich, ob die Betreuung durch eine einzige Kraft, die neben der praktischen Unterstützung auch die Katheterisierung leistet, erforderlich ist, um den Schulbesuch zu ermöglichen oder zu erleichtern.

Dies kann nach Auffassung des Gerichts nur durch Einholung eines unabhängigen medizinischen Sachverständigengutachtens im Hauptsacheverfahren abschließend geklärt werden. Der Vortrag der Antragstellerseite, die vorgelegten medizinischen Stellungnahmen der behandelnden Ärzte und auch die Einschätzung der Ärztin des amtsärztlichen Dienstes Frau M. sind nicht ausreichend, um dies glaubhaft zu machen. Das Gericht sieht sich nicht in der Lage, die psychischen Auswirkungen der Katheterisierung durch einen Pflegedienst im Falle der Antragstellerin einzuschätzen. Zwar hat Frau M. im Erörterungstermin glaubhaft ausgeführt, die Antragstellerin habe sich bei der Untersuchung im Gesundheitsamt anfangs sehr sensibel gegenüber ihren Untersuchungsmaßnahmen gezeigt. Dieses Verhalten muss jedoch aus Sicht des Gerichts nicht bedeuten, dass eine Gewöhnung an eine abgegrenzte Zahl von Pflegekräften, die die Katheterisierung durchführen, von vornherein ausgeschlossen ist. Auch die Stellungnahme des Kinderarztes Dr. G. vom 06.08.2015 erschöpft sich insofern in allgemeinen Ausführungen zur Verletzlichkeit von Kindern in der sicherlich schwierigen Situation der Antragstellerin, ohne jedoch einen hinreichenden Bezug zu ihrer Persönlichkeit herzustellen und dies etwa mit konkreten Beispielen aus der Behandlung zu belegen. Zu beachten ist an dieser Stelle insbesondere auch, dass die Antragstellerin bedauerlicherweise aufgrund ihrer Krankengeschichte regelmäßige Untersuchungen gewöhnt sein müsste und bereits im Kindergarten regelmäßig durch verschiedene Erzieherinnen gewindelt wurde.

Es erscheint entgegen den Annahmen der Eltern auch nicht als lebensfern, dass ein Pflegedienst gefunden werden kann, der die besonders empfindliche Psyche eine behinderten Mädchens, das intime Behandlungspflege über sich ergehen lassen muss, berücksichtigen will und entsprechend sorgsam die eingesetzten Pflegekräfte auswählt. Nach Auskunft der Eltern sind Bemühungen, solch einen Pflegedienst zu finden, bislang unterblieben.

Nicht klar ist dem Gericht weiter, wie oft eine Katheterisierung im Falle der Antragstellerin tatsächlich unplanmäßig auftritt. Im Rahmen des Gespräches beim Förderausschuss hatten die Eltern laut dem einschlägigen Vermerk noch vorgetragen, dass eine Katheterisierung in den großen Pausen ausreiche. Auch im Kindergarten musste bislang offenbar nur selten eine Katheterisierung erfolgen.

Das Gericht kann schließlich die Befürchtung des Kinderurologen Dr. J. hinsichtlich einer erhöhten Gefahr von Harnwegsinfekten beim Einsatz eines Pflegedienstes derzeit nicht nachvollziehen. Es erscheint nicht ohne Weiteres einsichtig, weshalb eine Versorgung durch eine lediglich angelernte Kraft diesbezüglich sicherer sein sollte als die durch eine Pflegefachkraft. Zu bedenken ist außerdem, dass die Katheterisierung bislang offenbar komplikationslos durch die Mutter durchgeführt wird, die ebenfalls keine Pflegefachkraft ist.

Der Umstand, dass der Antragsgegner keine ordnungsgemäße Leistungsvereinbarung mit einem geeigneten Maßnahmeerbringer abgeschlossen hat, kann die Erforderlichkeit der Betreuung "aus einer Hand" nicht begründen und ist daher hier unerheblich.

Bei diesen offenen Erfolgsaussichten der Hauptsache führt die Folgenabwägung hier zu dem Ergebnis, dass der Antragstellerin Leistungen im tenorierten Umfang vorläufig zu erbringen sind. Zu berücksichtigen ist hier einerseits die Eilbedürftigkeit einer hinreichenden Versorgung im Hinblick auf den bevorstehenden Schulbeginn. Andererseits würden durch die Tätigkeit einer Pflegefachkraft oder sonstigen qualifizierten Kraft im beantragten Umfang erhebliche Mehrkosten anfallen.

Zu berücksichtigen ist weiter, dass der von der Antragsgegnerseite bislang bevorzugte Weg einer Betreuung durch eine FSJ-Kraft des DRK Kreisverbandes Odenwaldkreis e.V. zumindest derzeit aufgrund dessen Weigerung nicht gangbar ist. Die Kosten fallen also ohnehin erheblich höher aus, als ursprünglich durch den Antragsgegner geplant. Denn laut vom Antragsgegner eingeholter Auskunft der N. wird dort eine FSJ-Kraft stündlich mit 20 EUR, laut von der Antragstellerseite eingeholter Auskunft wird eine angelernte Kraft bei der L. mit 22,50 EUR berechnet. Auch die Auskünfte der Stadt Darmstadt betreffend ungelernte und angelernte Kräfte bestätigen Kosten in diesem Bereich.

Vor dem dargestellten Hintergrund erscheint dem Gericht als Übergangslösung eine Kostenübernahme von maximal 22,50 EUR pro Tätigkeitsstunde der Assistenzkraft durch den Antragsgegner für angemessen. Den Eltern der Antragstellerin steht es selbstverständlich frei, diesen Betrag auf eigene Kosten aufzustocken, beispielsweise auf die von H. geforderten 31,36 EUR pro Stunde.

Klarstellend sei allerdings auf Folgendes hingewiesen: Sollte die Behandlungspflege – wie durch die Antragstellerseite bislang beabsichtigt – durch dieselbe Kraft durchgeführt werden wie die sonstige Assistenz, steht es dem Antragsgegner frei, einen entsprechenden Erstattungsanspruch bei der zuständigen Krankenkasse geltend zu machen.

Hinsichtlich des zeitlichen Umfangs der vorläufigen Leistungserbringung erscheint allerdings eine zusätzliche Beschränkung geboten. Eine sofortige Teilnahme der Antragstellerin an der Nachmittagsbetreuung der Schule ist nicht zwingend nötig. Soweit die Eltern sich darauf berufen, die Antragstellerin müsse sogleich voll in den Schulbetrieb integriert werden, ist dem entgegenzuhalten, dass erfahrungsgemäß auch nicht sämtliche anderen Kinder an der Ganztagsbetreuung teilnehmen. Zumindest in der Einschulungsphase dürfte daher vorübergehend eine Nichtteilnahme zumutbar sein. Die Mutter der Antragstellerin hat zudem die Möglichkeit, diese ab der Mittagszeit zuhause zu betreuen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Das zulässige Rechtsmittel der Beschwerde folgt aus § 172 Abs. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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