L 27 R 728/19 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
27
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 14 R 2238/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 27 R 728/19 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 2. Oktober 2019 geändert und der Antrag insgesamt zurückgewiesen. Eine Kostenerstattung findet für das gesamte Verfahren nicht statt.

Gründe:

I.

Mit ihrer Beschwerde wehrt sich die Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 2. Oktober 2019, mit dem das Gericht sie im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet hat, dem Antragsteller vorläufig für die Zeit vom 20. September 2019 bis zum 8. November 2019 Anschlussübergangsgeld in Höhe von 28,40 Euro kalendertäglich zu zahlen. Dem lag zugrunde, dass die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Bescheid vom 14. Juli 2017 für die Weiterbildung zum Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bewilligt hatte und nach dem Bewilligungsbescheid die Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben am Tag der Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses endete. Am 9. August 2019 absolvierte der Antragsteller den mündlichen Teil der Abschlussprüfung. Mit Bescheid vom 16. August 2019 teilte die Industrie- und Handelskammer dem Antragsteller mit, dass er die Abschlussprüfung nicht bestanden habe. Am 29. Juli 2019 hatte das Ausbildungsverhältnis des Antragstellers beim Maßnahmeträger geendet, am 30. Juli 2019 meldete er sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos. Mehrere Nachfragen des Antragstellers bei der Antragsgegnerin nach Auszahlung des von ihm beantragten Anschlussübergangsgeldes blieben erfolglos, so dass der Antragssteller am 20. September 2019 den Antrag auf Erlass der streitgegenständlichen einstweiligen Anordnung gestellt hat.

Mit Beschluss vom 2. Oktober 2019 hat das Sozialgericht unter Ablehnung des weitergehenden Antrages die Antragsgegnerin verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Anschlussübergangsgeld für die Zeit vom 20. September bis zum 8. November 2019 zu zahlen und zur Begründung ausgeführt, der Anspruch ergebe sich aus § 71 Abs. 4 Sozialgesetzbuch/Neuntes Buch (SGB IX). Diese Vorschrift regele die Gewährung von Übergangsgeld im Anschluss an eine abgeschlossene Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben bei Arbeitslosigkeit im Anschluss. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin und auch des Bundessozialgerichts aus dessen Entscheidung vom 23. Februar 2000 (B 5 RJ 38/98 R, juris) sei eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben auch dann im Sinne der Vorschrift abgeschlossen, wenn die vorgesehene Prüfung nicht bestanden sei. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss Bezug genommen, der der Antragsgegnerin am 2. Oktober 2019 zugestellt worden ist.

Mit der am 16. Oktober 2019 erhobenen Beschwerde ist die Antragsgegnerin dem stattgebenden Teil des Beschlusses unter Bezugnahme auf die durch das Sozialgericht zitierte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entgegengetreten.

II.

Die zulässige Beschwerde gem. § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist auch begründet, denn der Antragsteller hat bei der im einstweiligen Verfahren allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung die tatsächlichen Voraussetzungen weder eines sog. Anordnungsgrundes noch des sog. Anordnungsanspruches mit der die vollständige Vorwegnahme der Hauptsache im Wege einstweiliger Entscheidung nach § 86b Abs. 2 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) rechtfertigenden Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht.

Beim Anordnungsgrund handelt es sich um jene Umstände, die es dem Antragsteller unmöglich, bzw. im Lichte von Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) unzumutbar machen, die Entscheidung im Verfahren der Hauptsache abzuwarten, weil bei einem Abwarten entweder ein Verlust des streitgegenständlichen Rechts zu besorgen ist oder ein sonstiger wesentlicher Nachteil im Sinne von § 86b Abs. 2 SGG konkret einzutreten droht. Ist streitgegenständlich ein Anspruch auf eine Geldleistung, die nach Ihrer gesetzlichen Zweckrichtung zur Deckung des Lebensunterhaltes bestimmt ist, kann zwar vielfach von einer solchen Situation ausgegangen werden, anders liegt es aber, wenn Umstände des Einzelfalles es als ebenso gut möglich erscheinen lassen, dass bei einem Zuwarten auf die Entscheidung in der Hauptsache die Deckung des Lebensunterhaltes nicht konkret gefährdet wäre. Solche Umstände können sich aus der persönlichen und wirtschaftlichen Situation des Betroffenen aber auch aus der Höhe der streitgegenständlichen Zahlung ergeben. So liegt es hier, denn der Antragsteller lebt in Partnerschaft mit einer Lebensgefährtin, mit der eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne von § 7 Abs. 3 Sozialgesetzbuch / zweites Buch (SGB II) bildet. Zu deren wirtschaftlicher Situation hat er indes lediglich die völlig unsubstanziierte Angabe gemacht, das Einkommen reiche nicht aus. Auch fehlt jegliche Angabe zu etwaigen Vermögensverhältnissen des Antragstellers. Darüber hinaus hat der Antragsteller vorgetragen, er habe an der ihm angebotenen Wiederholungsprüfung nicht teilgenommen, da er sich mangels Bewilligung von Leistungen zur Deckung seines Lebensunterhaltes auf diese nicht habe vorbereiten können. Dies rechtfertigt die Annahme, der Antragsteller habe für die Prüfungsvorbereitung keine Zeit gehabt, weil er einer Tätigkeit nachgegangen sei, mit der er seinen Lebensunterhalt habe decken wollen. Dazu, ab wann dies der Fall war, welche Einkünfte der Antragsteller erzielt und ob er sich ggf. um einen Vorschuss bemüht hat, fehlt es ebenfalls an Vortrag.

Es fehlt darüber hinaus auch an einem Anordnungsanspruch. Der Antragsteller hat voraussichtlich keinen Anspruch auf Gewährung des Anschlussübergangsgeldes auf der Grundlage von § 71 Abs. 4 SGB IX. Nach dieser Vorschrift ist eine Voraussetzung für die Zuerkennung des so genannten Anschlussübergangsgeldes, dass eine abgeschlossene Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben gegeben ist. Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts ist unter einer abgeschlossenen Leistung im Sinne der Vorschrift trotz des insoweit offenen Wortlautes nicht lediglich eine beendete Leistung zu verstehen, sondern der Abschluss der Leistung im Sinne der Vorschrift ist nur dann gegeben, wenn die Maßnahme erfolgreich abgeschlossen worden ist. Sieht die Maßnahme das Bestehen einer Abschlussprüfung vor und ist diese nicht bestanden worden, so ist die Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht im Sinne von § 71 Abs. 4 SGB IX abgeschlossen. Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur wortgleichen Vorschrift § 25 Sozialgesetzbuch/Sechstes Buch (SGB VI) in der Fassung vom 26. Mai 1994 (BSG, Urteil vom 23. Februar 2000, B 5 RJ 38/98 R, juris) wie auch der Rechtsprechung des LSG Baden-Württemberg vom 1. Juli 2011 zur wortlautgleichen Vorgängervorschrift § 51 Abs. 4 SGB IX (Beschluss vom 1. Juli 2011, L 3 AL 5887/10, juris, bestätigt durch BSG, Beschluss vom 12. Dezember 2011, B 7 AL 29/11 BH, juris) an. Die insoweit gefestigte Auslegung, die der Wortlaut in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gefunden hat, hat den Gesetzgeber auch bei Neufassung des Sozialgesetzbuches/Neuntes Buch nicht zu einer abweichenden Formulierung veranlasst. Bei dieser Sachlage hält der Senat die in der Rechtsprechung des Sozialgerichts zum Ausdruck gekommene und durch die vom Sozialgericht zitierten Literaturmeinungen gestützte Frage für eine rechtspolitische, nicht aber eine rechtlich gebotene Auslegungsmaxime für den Wortlaut des § 71 Abs. 4 SGB IX.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde anfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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