L 7 AS 1298/18

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 6 AS 2233/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 1298/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 09.07.2018 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 01.01.2015 bis zum 30.06.2015 und wendet sich gegen eine Verpflichtung zur Erstattung von für diesen Zeitraum vorläufig bewilligten Leistungen. Der 1967 geborene Kläger bezieht seit 2006 vom Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Der Kläger war seit 2011 Vertretungsberechtigter der Fa. I N Award UG. Gegenstand des Unternehmens waren die Planung, Organisation und Koordination des "I N Award". Im Rahmen dieser Veranstaltung wurden einmal jährlich Auszeichnungen für Erzeugnisse und Dienstleistungen der Gesundheitsbranche verliehen. Die Bewerber entrichteten eine Teilnahmegebühr, aus der die Veranstaltung finanziert wurde und hatten die Möglichkeit, ihre Produkte im Rahmen einer sogenannten "Award Night" zu präsentieren. Mit Beschluss vom 21.08.2013 eröffnete das Amtsgericht C wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung das Insolvenzverfahren über die I N Award UG. Bereits am 23.05.2013 hatte der Kläger die I N Award Ltd. im "Registrar of Companies for England and Wales" eintragen lassen. 2014 wurde die Gesellschaft auch in C im Handelsregister eingetragen. Der Kläger war "Director" der Gesellschaft im Sinne der "Bestimmungen zur Gesellschaftsgründung vom 23.05.2013." Der Jahresabschluss der Gesellschaft für 2013 weist einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag iHv 5857,91 EUR aus. Der Kläger gab die Gründung beim Beklagten an und dieser unterstützte die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit mit einem Darlehen gemäß § 16 c SGB II. U.a. im Wintersemester 2014 und im Sommersemester 2015 war der Kläger jeweils mit dem Abschlussziel "Bachelor of Arts" in den Fächern English Studies sowie Germanistik/Literaturwissenschaften als Student an der Universität C eingeschrieben. Der Kläger beantragte am 25.11.2014 mit einem Formular "Hauptantrag" beim Beklagten Leistungen. Die vorformulierte Angabe "Ich bin Studentin bzw. Student" beantwortete er mit "Ja". Am 09.12.2014 reichte er eine "Anlage EKS" für die Zeit vom 01.01.2015 bis zum 30.06.2015 ein. Er gab Betriebseinnahmen iHv insgesamt 50754 EUR und Betriebsausgaben iHv insgesamt 47220 EUR an. Für Bewirtungskosten setzte der Kläger einen Betrag von insgesamt 1700 EUR an. Der Gewinn belief sich gemäß der Anlage EKS auf 3534 EUR.

Mit Bescheid vom 29.12.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 01.01.2015 bis 30.06.2015 vorläufig Leistungen in Form der Bedarfe für Unterkunft und Heizung iHv 379 EUR monatlich. Am 12.01.2015 erhob der Kläger Widerspruch gegen diesen Bescheid. Er trug u.a. vor, die Kürzung der Bewirtungskosten um 50 Prozent sei nicht zulässig. Die Haupttätigkeit bestehe in der Akquise von Sponsoren und das Unternehmen unterhalte keine eigenen Geschäftsräume. Selbst bei einer Beschränkung der Kosten in Anlehnung an das EStG seien nur 30 Prozent nicht anzuerkennen. Bei vollständiger Berücksichtigung der Bewirtungskosten verbleibe ein Gewinn iHv 120 EUR. Da für Januar 2015 bis März 2015 gar kein Gewinn zu erwarten sei, verbiete sich die Verteilung des Gewinns gemäß § 3 Abs. 4 Alg II-V.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21.05.2015 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die Bewirtungskosten iHv 1700 EUR könnten nur zu 50 Prozent in Ansatz gebracht werden, weil sie nicht angemessen seien. Die Bewirtung von Personen aus geschäftlichem Anlass entspreche nicht den Lebensumständen eines Leistungsbeziehers. Es sei bereits an den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Anerkennungsfähigkeit der Ausgaben zu zweifeln, denn die Nachweise entsprächen nicht den steuerrechtlichen Vorgaben. Warum für Januar 2015 bis März 2015 kein Gewinn anfalle, sei nicht verständlich. § 3 Abs. 4 Satz 1 Alg-II-V finde Anwendung. Der Widerspruchsbescheid ging dem damaligen Klägerbevollmächtigten am 26.05.2015 zu.

Am 26.06.2015 hat der Kläger beim Sozialgericht Köln Klage gegen den Bescheid vom 29.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2015 erhoben und beantragt, den Beklagten zur Zahlung weiterer 3120 EUR für die Zeit vom 01.01.2015 bis zum 30.06.2015 zu verurteilen. Er hat Berechnungen sowie Unterlagen für das erste Quartal 2015 vorgelegt, wonach er ein Minus von 2648,52 EUR erwirtschaftet habe. Im April 2016 hat der Kläger die betriebswirtschaftliche Auswertung sowie Belege für Januar 2015 bis März 2015 vorgelegt.

Mit Bescheid vom 27.12.2016 hat der Beklagte den Antrag des Klägers für die Zeit vom 01.01.2015 bis zum 30.06.2015 endgültig abgelehnt. Der Kläger sei nicht hilfebedürftig gewesen. Bewirtungskosten seien mit Ausnahme der unmittelbaren Kosten im Rahmen der Veranstaltung nicht zu berücksichtigen. Für Januar 2015 bis Juni 2015 ergebe sich ein Gesamtergebnis iHv 9974,45 EUR und ein monatliches Durchschnittsergebnis iHv 1662,41 EUR. Da im zweiten Halbjahr voraussichtlich geringere Einnahmen erreicht würden und Liquidität in der Gesellschaft verbleiben müsse, sei ein Betrag von 1200 EUR anzurechnen, weshalb nicht mehr von Hilfebedürftigkeit auszugehen sei. Mit separatem Erstattungsbescheid ebenfalls vom 27.12.2016 hat der Beklagte die dem Kläger für Januar 2015 bis Juni 2015 gezahlten Leistungen iHv insgesamt 2274 EUR (6 x 379 EUR) zurückgefordert.

Der Kläger hat am 04.01.2017 Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 27.12.2016 und den Erstattungsbescheid vom 27.12.2016 erhoben. Der Beklagte hat den Widerspruch mit einheitlichem Widerspruchsbescheid vom 20.02.2017 zurückgewiesen.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 27.12.2016 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 01.01.2015 bis zum 30.06.2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Am 06.03.2017 hat der Kläger beim Sozialgericht eine eigenständige Klage gegen den Ablehnungsbescheid vom 27.12.2016 und den Erstattungsbescheid vom 27.12.2016, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2017, erhoben (S 6 AS 898/17).

Der Kläger hat auf Nachfrage durch das Sozialgericht hinsichtlich seiner Immatrikulation mitgeteilt, er habe lediglich ein Zweitstudium zur Verbesserung seiner Englischkenntnisse durchgeführt. Auf Anfrage des Sozialgerichts hat die Universität C mit Schreiben vom 27.03.2017 mitgeteilt, der Kläger sei in seinem Fachhochschulstudium 13 Semester und anschließend bei der Universität 16 Semester eingeschrieben gewesen und die Immatrikulation des Klägers im Wintersemester 2014 und im Sommersemester 2015 mit dem Abschlussziel "Bachelor of Arts" in den Fächern English Studies sowie Germanistik/Literaturwissenschaften bestätigt.

Mit Urteil vom 09.07.2018 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Gegenstand der Klage sei nur noch der Ablehnungsbescheid vom 27.12.2016, denn dieser habe den Bescheid vom 29.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2015 gemäß § 39 Abs. 2 SGB X auf sonstige Weise erledigt und sei gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Dem Kläger stünden für den streitgegenständlichen Zeitraum keine Leistungen zu, denn er sei vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 5 SGB II erfasst. Bei dem Studiengang "Bachelor of Arts" handele es sich um ein nach dem BAföG förderungsfähiges Studium. Dass das Studium sowohl als Zweitstudium als auch wegen der Überschreitung der Altersgrenze durch den Kläger nicht konkret förderungsfähig gewesen sei, sei unerheblich. Ermächtigungsgrundlage für die endgültige Festsetzung sei § 41 a Abs. 3 Satz 1 SGB II. Die Rechtsfolgen der zum 01.08.2016 eingeführten Vorschrift des § 41 a Abs. 5 SGB II, wonach ohne abschließende Entscheidung innerhalb eines Jahres nach Ablauf des Bewilligungszeitraums vorläufig bewilligte Entscheidungen als endgültig festgesetzt gelten, seien zum Zeitpunkt des Erlasses der endgültigen Festsetzung vom 27.12.2016 noch nicht eingetreten. Da der hier streitgegenständliche Leistungszeitraum vor dem 01.08.2016 beendet gewesen sei, habe aufgrund der Übergangsvorschrift des § 80 Abs. 2 Nr. 1 SGB II die Jahresfrist des § 41 a Abs. 5 Satz 1 SGB II erst zu diesem Zeitpunkt zu laufen begonnen. Auf Vertrauensschutz könne der Kläger sich nicht berufen. Der separat ergangene Erstattungsbescheid vom 27.12.2016 sei nicht Gegenstand des Verfahrens geworden, weil er die vorläufige Bewilligung nicht abändere oder ersetze. Dies sei nur der Fall, wenn endgültige Festsetzung und Erstattung in einem Bescheid geregelt seien.

Der Kläger hat am 30.07.2018 Berufung eingelegt. § 41 a SGB II habe keine Geltung für vor dem 01.08.2016 abgeschlossene Bewilligungszeiträume. Hierfür bleibe § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II iVm § 328 Abs. 1 Satz 1 SGB III einschlägig. Dem Bescheid vom 29.12.2014 sei zu entnehmen, dass ihm die Leistungen dem Grunde nach zustünden. Die Vorläufigkeit beziehe sich nur auf die Höhe. Die Ablehnung der Leistung aufgrund des Studiums sei an § 45 SGB X zu messen. Sein Vertrauen sei schutzwürdig iSd § 45 Abs. 2 SGB X, denn er habe das Studium wahrheitsgemäß angegeben und die bewilligten Leistungen verbraucht. Er sei im streitgegenständlichen Zeitraum hilfebedürftig gewesen. Die immer noch vorläufige Gewinn- und Verlustrechnung für 2015 weise einen Gewinn von 5668,77 EUR, umgerechnet auf den Monat 472,39 EUR, aus. Der endgültige Abschluss für 2015 liege immer noch nicht vor. Das von ihm beauftragte Steuerbüro habe nach dem Abschluss des Geschäftsbesorgungsvertrages die Herausgabe der betriebswirtschaftlichen Auswertung verweigert. Nach Verurteilung des Büros zur Herausgabe lägen die Unterlagen seit November 2018 abholbereit beim Gerichtsvollzieher. Er verfüge nach der Aufgabe der Geschäftstätigkeit zum 31.12.2016 nicht über Mittel, den Jahresabschluss erstellen zu lassen. Die Bewirtungskosten seien erforderlich gewesen, weil er kein Büro habe. Auch die Berücksichtigung der Telefon- und Handykosten nur zur Hälfte sei nicht sachgerecht, weil nahezu alle Telefonate dienstlich veranlasst gewesen seien.

Mit Gerichtsbescheid vom 16.11.2018 hat das Sozialgericht die Klage S 6 AS 898/17 abgewiesen. Es hat die Klage nur als Klage gegen den Erstattungsbescheid vom 27.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2016, nicht jedoch gegen den zuvor ergangenen Ablehnungsbescheid aufgefasst. Die Klage sei zulässig, weil der Erstattungsbescheid nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand der Berufung gegen das Urteil vom 09.07.2018 geworden sei. Inhaltlich bestünden an dem Erstattungsbescheid jedoch keine Bedenken. Der Kläger hat gegen diesen Gerichtsbescheid am 19.12.2018 Berufung eingelegt (L 7 AS 2122/18), die er am 14.11.2019 zurückgenommen hat.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 09.07.2018 zu ändern und den Beklagten unter Änderung des Ablehnungsbescheides vom 27.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2017 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 01.01.2015 bis zum 30.06.2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu bewilligen sowie den Erstattungsbescheid vom 27.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2017 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte nimmt Bezug auf sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Gegenstand des Verfahrens sind der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 27.12.2016, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2017, der die ursprüngliche vorläufige Bewilligung iSd § 39 Abs. 2 SGB X auf sonstige Weise erledigt hat, und ein Anspruch des Klägers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.01.2015 bis zum 30.06.2015. Weiterer Gegenstand des Verfahrens ist der Erstattungsbescheid vom 27.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2017. Beide Bescheide sind gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des ursprünglich gegen die vorläufige Bewilligung gerichteten Klageverfahrens geworden. Dies gilt anders als vom Sozialgericht angenommen auch für den Erstattungsbescheid (zur Anwendung von § 96 SGG auf Erstattungsbescheide BSG Urteil vom 28.08.2018 - B 8 SO 31/16 R). Obwohl der Beklagte die Ablehnung und die Erstattung am 27.12.2016 in zwei getrennten Bescheiden geregelt hat, stellen diese aufgrund des engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhangs eine rechtliche Einheit dar.

Mit seiner Klage gegen den Ablehnungsbescheid vom 27.12.2016 begehrt der Kläger die Verurteilung des Beklagten zur Bewilligung von Leistungen für die Zeit vom 01.01.2015 bis zum 30.06.2015, die gemäß seinem Antrag in der erstinstanzlichen Klageschrift die ihm vorläufig bewilligten und ausgezahlten Leistungen um insgesamt 3120 EUR übersteigen sollen. Statthafte Klageart ist, soweit der Kläger Leistungen bis zur Höhe der vorläufig bewilligten Leistungen begehrt, die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage iSd § 54 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGG, darüberhinausgehend die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage iSd § 54 Abs. 4 SGG (vgl. hierzu BSG Urteil vom 12.09.2018 - B 4 AS 39/17 R). Hinsichtlich der vom Kläger begehrten Aufhebung der Erstattungsentscheidung ist eine Anfechtungsklage iSd § 54 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. SGG statthaft.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Ablehnung des Leistungsantrags des Klägers für die Zeit vom 01.01.2015 bis zum 30.06.2015 durch den Bescheid vom 27.12.2016 ist rechtmäßig.

Ermächtigungsgrundlage für die endgültige Festsetzung nach der vorläufigen Bewilligung vom 29.12.2014 sind §§ 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II, 328 Abs. 2 SGB III. Die zum 01.08.2016 in Kraft getretene Neuregelung des § 41 a Abs. 3 Satz 1 SGB II ist nicht anwendbar. Die Übergangsvorschrift des § 80 Abs. 2 Nr. 2 SGB II ordnet die uneingeschränkte Anwendbarkeit von § 41 a SGB II nur für Bewilligungszeiträume an, die vor dem 01.08.2016 noch nicht beendet waren. Für vor dem 01.08.2016 beendete Bewilligungszeiträume beschränkt § 80 Abs. 2 Nr. 1 SGB II die Anwendbarkeit der Neuregelung auf § 41 a Abs. 5 Satz 1 SGB II (Fiktion einer endgültigen Festsetzung nach Jahresfrist mit der Maßgabe, dass die Jahresfrist mit dem 01.08.2016 beginnt; vgl. hierzu auch BSG Urteil vom 12.09.2018 - B 4 AS 39/17 R).

Die Vertrauensschutz einräumende Bestimmung der §§ 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II, 45 SGB X ist nicht anwendbar (BSG Urteil vom 11.07.2019 - B 14 AS 44/18 R; zu § 42 SGB I BSG Urteile vom 01.07.2020 - B 11 AL 19/09 R und vom 26.06.2007 - B 2 U 5/06 R; Urteile des Senats vom 04.06.2020 - L 7 AS 59/18 und vom 24.09.2015 - L 7 AS 1880/12).

Nach dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung der §§ 328 SGB III, 41a SGB II ist es bei einer vorläufigen Bewilligung der Behörde nicht verwehrt, die endgültige Leistung aus einem Grund niedriger festzusetzen oder abzulehnen, der mit der Vorläufigkeit nichts zu tun hat. Die vorläufige Leistungsbewilligung soll ausschließlich im Interesse des Betroffenen eine schnelle Sicherung der Lebensgrundlage ermöglichen und entfaltet damit keinerlei Bindungswirkung über die vorläufige Bewilligung hinaus. Vorläufige Bewilligungen zielen (in erster Linie im Interesse des Betroffenen) ausschließlich auf eine Zwischenlösung und sind demgemäß auf die Ersetzung durch eine endgültige Entscheidung nach Wegfall der Vorläufigkeitsvoraussetzungen angelegt. Vorläufig bewilligte Leistungen sind als aliud gegenüber endgültigen Leistungen anzusehen (BSG Urteil vom 29.04.2015 - B 14 AS 31/14 R und vom 15.08.2002 - B 7 AL 24/01 R; LSG Sachsen Urteil vom 18.02.2010 - L 3 AL 28/09; Kemper in Eicher/Luik, SGB II, § 41a Rn. 4). Die Regelung des § 328 Abs. 1 Satz 2 SGB III bzw. des § 41a Abs. 2 Satz 1 SGB II, wonach Umfang und Grund der Vorläufigkeit anzugeben sind, ändert hieran nichts (LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 19.03.2014 - L 13 AS 325/11). Eine Bindungswirkung ist allenfalls möglich, wenn einzelne für die Endentscheidung maßgebliche Feststellungen bereits im Rahmen der vorläufigen Entscheidung abschließend getroffen worden sind. Die Ersetzungsbefugnis nach § 41a SGB II besteht dann nur im Rahmen des Vorläufigkeitsvorbehalts (Urteile des Senats vom 04.06.2020 - L 7 AS 59/18 und vom 24.09.2015 - L 7 AS 1880/12).

Der Bescheid vom 29.12.2014 ist insgesamt vorläufig und auch nicht im Hinblick auf einzelne Elemente - insbesondere eine Berechtigung des Klägers zum Leistungsbezug dem Grunde nach - endgültig und entfaltet insoweit keine partielle Bindungswirkung. Der Bescheid enthält keinen über die vorläufige Leistungserbringung hinausgehenden Verfügungssatz. Die vom Kläger angenommene Beschränkung der Vorläufigkeit auf die Höhe des Anspruchs bei endgültiger Entscheidung über den Anspruch dem Grunde liegt nicht vor. Eine isolierte Anerkennung einzelner Anspruchsvoraussetzungen für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts oder eine isolierte Entscheidung über das Nichtbestehen von Leistungsausschlussgründen, die im SGB II nicht vorgesehen ist, ist auch dem hier maßgeblichen vorläufigen Bewilligungsbescheid nicht zu entnehmen. Der vorläufige Bescheid enthält keine endgültige Aussage über einen Leistungsanspruch des Klägers dem Grunde nach. Denn bei der ebenfalls als Grund für die Vorläufigkeit angegebenen unklaren Hilfebedürftigkeit des Klägers iSd §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II handelt es sich um eine Anspruchsvoraussetzung, die nicht nur die Höhe, sondern auch den Grund des Anspruchs betrifft. Ob dem Kläger nach endgültiger Berechnung überhaupt Leistungen verbleiben würden, war in Anbetracht des nicht unerheblichen Umfangs des Gewerbes des Klägers aus Sicht beider Beteiligter offen. Der Bescheid weist ausdrücklich auf die Erforderlichkeit einer Neuberechnung und auf die Möglichkeit einer Rückerstattung der bewilligten Leistungen (ggf. auch insgesamt) hin. Dem Bescheid ist auch keine abschließende Aussage zu entnehmen, der Kläger erfülle die weiteren Leistungsvoraussetzungen des § 7 SGB II oder sei nicht von einem Leistungsausschluss erfasst. Zwar hat der Kläger in seinem Antrag für den streitgegenständlichen Zeitraum die Frage, ob er Student sei, bejaht. Es spricht jedoch nichts dafür, dass der Leistungsausschluss zwischen den Beteiligten dergestalt diskutiert wurde, dass der Bescheid vom 29.12.2014 aus Sicht des Klägers eine Reaktion auf diese Angabe war.

Die Ablehnung der Leistungen ist materiell rechtmäßig. Der Kläger hatte in der Zeit vom 01.01.2015 bis zum 30.06.2015 keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, denn er war gemäß § 7 Abs. 5 SGB II in der vom 01.04.2012 bis zum 31.07.2016 gültigen Fassung vom 20.12.2011 vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Hiernach hatten Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG oder der §§ 51, 57 und 58 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig war, über die Leistungen nach § 27 SGB II hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Bei den vom Kläger im Wintersemester 2014 und Sommersemester 2015 belegten Studiengängen Germanistik/Literaturwissenschaft und English Studies mit dem Abschlussziel "Bachelor of Arts" handelte es sich um nach dem BAföG förderungsfähige Studiengänge (vgl. zur Förderungsfähigkeit von Studiengängen mit dem Abschluss "Bachelor of Arts" LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 29.08.2017 - L 14 AL 35/16). Leistungen nach § 27 SGB II in der vom 01.04.2012 bis zum 31.07.2016 gültigen Fassung vom 20.12.2011 - hier in Gestalt eines allein in Betracht kommenden Zuschusses zu den angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung - scheiden aus, denn der Kläger erhielt keine Leistungen nach dem BAföG und war von diesen nicht nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen oder Vermögen ausgeschlossen. Unerheblich ist, ob es sich bei einem Studium um ein Zweitstudium handelt (BSG Urteil vom 01.07.2009 - B 4 AS 67/08 R).

Die Erstattungsentscheidung ist auf der Grundlage der §§ 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II, 328 Abs. 3 SGB III rechtmäßig. Danach sind aufgrund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen auf die zustehende Leistung anzurechnen. Soweit mit der abschließenden Entscheidung ein Leistungsanspruch nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt wird, sind auf Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen zu erstatten.

Der Kläger hat die Möglichkeit, etwaigen Unbilligkeiten der Rückforderung, die sich aus der bei Anwendung der §§ 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II, 328 SGB III unterbleibenden Prüfung von Vertrauensschutz ergeben können, mit einem Erlassantrag beim Beklagten iSd § 44 SGB II zu begegnen (vgl. hierzu BSG Urteile vom 25.04.2018 - B 4 AS 29/17 R und B 4 AS 15/17 R, Senatsurteile vom 04.06.2020 - L 7 AS 59/18 und vom 09.01.2020 - L 7 AS 498/19).

Die Kostenentscheidung folgt aus 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision iSd § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved