S 39 R 2431/11

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
39
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 39 R 2431/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 14 R 929/15
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin zu Recht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit ab dem 01.01.2005 bis zum 30. April 2012 bewilligt hat.

Die im Februar 1966 geborene Klägerin absolvierte nach dem Fachabitur eine Ausbildung zur grafisch/technischen Assistentin. In diesem Beruf war sie bei verschiedenen Arbeitgebern versicherungspflichtig beschäftigt. Seit dem Jahre 2001 war sie selbständig tätig als Grafikerin und Programmiererin für Internetanwendungen bis zur Insolvenz ihres Unternehmens im Jahre 2005.

In der Folgezeit bezog die Klägerin zunächst Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, 12. Buch (SGB XII) sowie Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, 2. Buch (SGB II). Der zunächst erfolgten Leistungsgewährung nach dem SGB XII lag zugrunde eine ärztliche Stellungnahme der Psychiaterin und Psychotherapeutin E-H vom 20.11.2004. Diese stellte fest, dass die Klägerin für berufliche Tätigkeiten versuchsweise im Rahmen des dargestellten Leistungsbildes leistungsfähig sei. Auf Veranlassung der Arbeitsvermittlung wurde die Klägerin zur Feststellung ihrer Erwerbsfähigkeit ferner im September 2009 ärztlich und psychologisch untersucht. In dem ärztlichen Gutachten nach Aktenlage vom 24.10.2009 stellte O fest, dass die Klägerin voll leistungsunfähig für voraussichtlich länger als sechs Monate sei. Als Gesundheitsstörung benannte sie eine paranoide Persönlichkeitsstörung. Ferner verwies sie auf das psychiatrische Gutachten von T, Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie in M. Diese sei in ihrem Gutachten zu der Auffassung gelangt, dass die Klägerin aufgrund eines krankhaft ausgeprägten Verhaltens nicht erwerbsfähig sei. Es handele sich um eine schwere psychische Störung, die unter den jetzigen Bedingungen eher eine schlechte Prognose habe. Mit einer Besserung sei nicht vor Ablauf von zwei Jahren zu rechnen.

Mit Bescheid vom 17.11.2009 forderte das Jobcenter M die Klägerin auf, einen Rentenantrag zu stellen. Sie führte aus, ein Anspruch auf Leistung nach dem SGB II bestehe nur, sofern nicht Ansprüche anderer Sozialleistungsträger gegeben seien. Nach den vorliegenden Unterlagen könne die Klägerin Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung haben. Am 01.12.2009 stellte die Klägerin einen Antrag bei der Beklagten. Ferner existiert bei der Beklagten ein Rentenantrag vom 15.12.2004,welchen die Beklagte nach § 44 SGB X wieder aufgriff.

Im Rentenverfahren zog die Beklagte die medizinischen Unterlagen über die Behandlung der Klägerin seit März 2003 bei. Ferner veranlasste sie eine Begutachtung durch den Arzt für innere Medizin X am 01.03.2010. Dieser diagnostizierte in seinem Gutachten aufgrund der Untersuchung am 22.02.2010 einen ausgeprägten Nikotinabusus sowie einen Zustand nach paranoider Psychose und schwerer Depression. Zum Leistungsvermögen führte er aus, die körperliche Akut- und Dauerbelastung sei als gut zu bewerten. Die Klägerin sei in körperlicher Hinsicht in der Lage, leichte bis mittelschwere Arbeiten vollschichtig zu verrichten. In psychischer Hinsicht sei die Klägerin auffällig. Es bestehe eine eingeschränkt geistig-psychische Belastbarkeit hinsichtlich Konzentrations- und Reaktionsvermögen, Publikumsverkehr sowie komplexer Arbeitsvorgänge. Bei entsprechender Schulung und richtiger Auswahl des Arbeitsplatzes sei ihr Leistungsvermögen gut verwertbar. Dieses Gutachten wurde von dem beratenden Arzt der Beklagten A, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Sozialmedizin in seiner Stellungnahme vom 07.10.2010 ausgewertet. Er gelangte unter Auswertung der beigezogenen medizinischen Unterlagen insbesondere der Rheinischen Kliniken M über teilstationärer Aufenthalte der Klägerin zu dem Ergebnis, dass die Klägerin seit dem 17.05.2004 (Aufnahme in die teilstationäre Behandlung) erwerbsunfähig sei. Es bestehe seit Jahren ein paranoides Syndrom, verbunden mit der gesamten Palette von kognitiven Einschränkungen, formalen und inhaltlichen Denkstörungen sowie affektiv-emotionalen Störungsbildern. Unter Berücksichtigung dieser Gesundheitsstörung sei mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem Leistungsvermögen von unter drei Stunden seit dem 17.05.2004 auszugehen. Im Hinblick auf die zur Verfügung stehenden Medikamente sei das Leistungsvermögen der Klägerin in zwei bis drei Jahren zu überprüfen; wegen der Einzelheiten wird auf die genannte Stellungnahme des A Bezug genommen.

Daraufhin bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 26. Oktober 2010 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit ab dem 01.01.2005 bis zum 30.04.2012. Der Leistungsfall wurde für den 17.05.2004 festgestellt. In der Begründung des Bescheides unter der Anlage 10 führte die Beklagte aus, der Antrag auf verminderter Erwerbsfähigkeit vom 01.12.2009 werde als Überprüfungsantrag der Bescheide vom 31.03.2005 und 27.07.2005 gewertet; wegen der Einzelheiten wird auf den genannten Bescheid Bezug genommen.

Hiergegen legte die Klägerin am 10. November 2010 Widerspruch ein. Zur Begründung machte sie geltend, dass Erwerbsfähigkeit für eine vollschichtige Tätigkeit bestehe und verwies auf das Gutachten des X. Hierzu äußerte sich die Beklagte mit Schreiben vom 10.02.2011 und wies sodann den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 2011 zurück. Dem Widerspruchsbegehren, die Feststellung zu treffen, dass bei der Klägerin volle Erwerbsfähigkeit auf Dauer bestehe, könne nicht entsprochen werden. Nach dem Vorbringen des sozialmedizinischen Dienstes sei eine Erwerbsminderung auf Zeit bis zum 30.04.2012 gegeben.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Klage vom 1. Juli 2011, welche beim Sozialgericht Köln einging und mit Beschluss vom 16. August 2011 an das Sozialgericht Düsseldorf verwiesen wurde.

Die Klägerin begründet ihre Klage weiterhin dahingehend, dass sie unter Berücksichtigung der erstellten Gutachten arbeitsfähig sei. Es werde darauf hingewiesen, dass die Klägerin von der Arbeitsgemeinschaft M, jetziges Jobcenter M unter dem 05.11.2010 einen Aufhebungsbescheid erhalten habe. Dieser Aufhebungsbescheid habe sich auf Leistungen zur Grundsicherung bezogen. Gegen die Feststellung, dass die Klägerin nicht mehr drei Stunden arbeiten könne, habe sie Widerspruch erhoben. Gegen diese Feststellung spreche auf das Gutachten der O. Diese habe ein vollschichtiges Leistungsvermögen festgestellt. Erst nachdem das Jobcenter M sich mit der Beklagten in Verbindung gesetzt habe, sei aufgrund von Gutachten eine Erwerbsminderung festgestellt worden. Hiermit sei die Klägerin nicht einverstanden; wegen der Einzelheiten wird auf die Klagebegründung vom 02.08.2011 Bezug genommen.

Im Verlaufe des Klageverfahrens bewilligte die Beklagte der Klägerin aufgrund des Weitergewährungsantrages vom 19.04.2012 mit Bescheid vom 06.09.2012 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer, d. h. bis zum Beginn der Regelaltersrente am 10.02.2033; wegen der Einzelheiten wird auf den genannten Bescheid Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26.10.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2011 zu verurteilen, festzustellen, dass in der Zeit vom Januar 2005 bis April 2012 keine Erwerbsminderung vorlag.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie sieht sich in ihrer Leistungsbeurteilung eines aufgehobenen Leistungsvermögens auf Zeit durch die weiteren Ermittlungen bestätigt. Der aktuelle Befundbericht des behandelnden Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie P vom 26.01.2012 bestätige das aufgehobene Leistungsvermögen. Dieser habe angegeben, dass aufgrund der psychiatrischen Erkrankungen keine reguläre Tätigkeit auf dem 1. Arbeitsmarkt möglich sei. Mithin sei die Feststellung eines aufgehobenen Leistungsvermögens aufgrund des psychiatrischen Krankheitsbildes zu Recht erfolgt; wegen der Einzelheiten wird auf die ärztliche Stellungnahme der Beklagten vom 07.03.2012 Bezug genommen.

Das Gericht hat zur Aufklärung des Gesundheitszustandes und der Leistungsfähigkeit der Klägerin zunächst Befundberichte von dem behandelnden Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie P (26.01.2012) und dem Arzt für Allgemeinmedizin I (30.01.2012) eingeholt; wegen der Einzelheiten wird auf die genannten Berichte Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen, die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten, sowie die ebenfalls beigezogene Gerichtsakte des Verfahrens S 44 AS 1006/10, des Verfahrens S 49 R 1176/13 und des Verfahrens S 22 R 410/05 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Die Klägerin wird durch den angefochtenen Bescheid vom 26.10.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2011 nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beschwert, da dieser Bescheid nicht rechtswidrig ist.

Die Beklagte hat zu Recht festgestellt, dass der Klägerin in der Zeit vom 01.01.2005 bis zum 30.04.2012 ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit zusteht. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Aufhebung dieses Bescheides und der dortigen Feststellungen.

Nach § 43 SGB VI erhält Rente wegen Erwerbsminderung, wer voll oder teilweise erwerbsgemindert ist und in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und die allgemeine Wartezeit nach § 50 SGB VI (nämlich eine Versicherungszeit von fünf Jahren) erfüllt hat.

Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbarer Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbarer Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Dass die Klägerin im Sinne dieser Bestimmungen voll erwerbsgemindert in der Zeit ab dem 17.05.2004 bis zum 30.04.2012 auf Zeit war, ergibt sich aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen sowohl der Beklagten wie auch der ARGE M. Danach leidet die Klägerin unter einem paranoiden Syndrom, verbunden mit kognitiven Einschränkungen. Aufgrund dieses Krankheitsbildes ist das Leistungsvermögen der Klägerin auf unter drei Stunden täglich herabgesunken. Dieses Leistungsbild besteht seit Beginn der teilstationären Behandlung am 17.05.2004. Mit dieser Leistungsbeurteilung folgt die Kammer der nervenärztlichen Stellungnahme der Beklagten vom 07.10.2010 durch A. In dieser Stellungnahme hat A die psychiatrischen Befunde zu dem Krankheitsbild der Klägerin ausführlich und nachvollziehbar ausgewertet. Seine Beurteilung wird bestätigt durch die von der ARGE M bzw. Jobcenter M veranlassten Gutachten durch O und T. Auch im Gutachten der T vom 15.10.2009 ist eine schwere psychische Störung beschrieben mit der Folge eines aufgehobenen Leistungsvermögens für zunächst mindestens 2 Jahre.

Eine andere Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Klägerin ergibt sich nicht aus dem von der Beklagten eingeholten Gutachten des Arztes für innere Medizin X vom 01.03.2010. Der genannte Arzt hat die Klägerin zwar als erwerbsfähig angesehen sowohl in körperlicher Hinsicht als auch in geistig-psychischer Hinsicht. Er hat trotz der qualitativen Einschränkungen auf geistig-psychischem Gebiet noch eine Erwerbsfähigkeit angenommen. Dieser Leistungsbeurteilung ist hinsichtlich des psychischen Befundes jedoch nicht zu folgen. Dies liegt darin begründet, dass der Internist das psychiatrische Krankheitsbild der Klägerin nicht in seinem vollen Ausmaß zu erfassen vermochte. Zur Beurteilung der psychischen Störung bedurfte es entsprechender Fachgutachten bzw. einer fachärztlichen Stellungnahme. Diese ist durch A im Anschluss an die Begutachtung durch X am 02.07.2010 und abschließend am 07.10.2010 erfolgt. Aufgrund seiner psychiatrischen Kenntnisse gelangte er zu der Beurteilung eines aufgehobenen Leistungsvermögens unter Auswertung der vorliegenden fachspezifischen Befunde. Die Kammer ist daher der Auffassung, dass dieser Leistungsbeurteilung zu folgen ist.

Für die Richtigkeit dieser Leistungsbeurteilung sprechen zudem die im gerichtlichen Verfahren eingeholten Befundberichte der behandelnden Ärzte. So hat der behandelnde Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie P im Befundbericht vom 26.01.2012 mitgeteilt, dass er die Klägerin langjährig behandele, mit Pausen seit August 2005. Aufgrund der bestehenden psychischen Störungen sei die Klägerin nicht in der Lage, einer regulären Tätigkeit auf dem 1. Arbeitsmarkt nachzugehen. Aus seiner Sicht habe sich der Zustand seit Januar 2010 nicht verändert. Ferner gab der behandelnde Allgemeinmediziner I in seinem Befundbericht vom 30.01.2012 an, dass er die Klägerin vom Jahre 2001 bis zum Januar 2012 behandelt habe. Sie leide unter einem Bandscheibenvorfall, Phobien sowie Essstörung und einer Psychose. Sie sei psychisch nicht belastbar. Mithin wird auch durch die eingeholten Befundberichte sowohl des Facharztes für Psychiatriewie auch des Allgemeinmediziners das aufgehobene Leistungsvermögen der Klägerin im streitigen Zeitraum bis April 2012 bestätigt.

Nach alledem war die Klage hinsichtlich des streitigen Bescheides vom 26.10.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2011 abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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