L 9 KR 33/19

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 36 KR 1970/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 33/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 34/20 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
NZB seitens der Klägerin zurückgenommen
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 28. Januar 2019 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Zahlung von Krankengeld für den Zeitraum 1. Dezember 2016 bis 21. März 2017.

Die im Jahre 1963 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Bis zum 30. April 2016 stand sie in einem Beschäftigungsverhältnis, das eine Pflichtversicherung begründete.

Vom 1. Mai 2016 bis zum 14. November 2016 bezog die Klägerin Arbeitslosengeld.

Für die Zeiträume vom 4. Oktober 2016 bis zum 19. Oktober 2016, vom 20. Oktober 2016 bis zum 16. November 2016 und vom 17. November 2016 bis zum 30. November 2016 stellte der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. H Arbeitsunfähigkeit fest, jeweils aufgrund der Diagnosen F41.9 (Angststörung, nicht näher bezeichnet) sowie F 32.9 (Depressive Episode, nicht näher bezeichnet).

Vom 15. November 2016 bis zum 30. November 2016 bezog die Klägerin auf dieser Grundlage von der Beklagten Krankengeld.

Mit Schreiben vom 27. Oktober 2016 übersandte die Beklagte der Klägerin ein Merkblatt, in dem sie u.a. darüber belehrt wurde, dass die Aufrechterhaltung des Krankengeldanspruchs eine lückenlose und zeitnahe Bescheinigung bzw. Meldung der Arbeitsunfähigkeit erfordere.

Eine nächste Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, wiederum aufgrund der Diagnosen F41.9 und F 32.9, erstellte der Arzt Dr. H am 2. Dezember 2016 (Freitag), mit Geltung bis voraussichtlich 19. Dezember 2016; die Zeit vom 2. Dezember 2016 bis zum 21. März 2017 ist durchgehend mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen belegt. Seit dem 20. Dezember 2016 erfolgte die Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen durch die Fachärztin Psychiatrie Dr. KB, jeweils unter Angabe der Diagnose F32.2 (schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome).

Mit Bescheid vom 5. Dezember 2016, gegen den die Klägerin keinen Widerspruch einlegte, teilte die Beklagte ihr mit, dass der Krankengeldbezug am 30. November 2016 ende, weil es am 1. Dezember 2016 (Donnerstag) zu einer Lücke in der Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit gekommen sei.

Für den Zeitraum 1. Dezember 2016 bis 21. März 2017 führt die Beklagte die Klägerin als freiwillig Krankenversicherte ohne Anspruch auf Krankengeld.

Seit dem 22. März 2017 bezog die Klägerin wieder Arbeitslosengeld.

Am 23. März 2017 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Bescheides vom 5. Dezember 2016 bzw. ihres Anspruchs auf Krankengeld für die Zeit ab 1. Dezember 2016. Sie habe Ende November 2016 unter einer schweren depressiven Episode (F32.2) gelitten, derentwegen sie von der Psychiaterin B krankgeschrieben sei. Im Falle einer schweren Depression sei man typischer Weise nicht mehr in der Lage, alltägliche Pflichten durchgehend zu erfüllen. Insbesondere Ende November 2016 sei sie vollkommen erschöpft gewesen und habe keiner Tätigkeit nachgehen können. Erst am 1. Dezember 2016 habe sie die Praxis von Dr. H aufgesucht. Zum damaligen Zeitpunkt sei sie falsch behandelt worden und hätte psychiatrischer Versorgung bedurft. Als sie am 1. Dezember 2016 in der Praxis angekommen sei, habe man ihr dort gesagt, es sei zu voll, sie solle am nächsten Tag wiederkommen, Probleme werde es dadurch nicht geben. Aufgrund ihrer depressiven Erkrankung habe sie dagegen keinen Widerstand geleistet. Die Krankschreibung sei dann erst am nächsten Tag, 2. Dezember 2016, erfolgt.

Mit Bescheid vom 14. Juli 2017, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 30. August 2017, lehnte die Beklagte die Aufhebung ihres Bescheides vom 5. Dezember 2016 ab. Weder sei das Recht sei nicht unrichtig angewandt, noch sei ein unzutreffender Sachverhalt zugrunde gelegt worden.

Zur Begründung ihrer hiergegen erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Vorbringen aus dem Überprüfungsantrag vertieft. Sie sei im streitigen Zeitraum arbeitsunfähig gewesen. Die verzögerte Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung liege im Verantwortungsbereich des Arztes Dr. Hund damit der Beklagten. Aufgrund ihrer schweren Depression sei sie generell antriebslos und müde gewesen. Ihre schwere Erschöpfung im Sinne einer Tumor-assoziierten Fatigue sei auf Tumoroperationen im Jahre 2015 zurückzuführen, hinzu getreten seien der Tod ihres Vaters und die Insolvenz ihres Arbeitgebers. Letztlich sei sie handlungsunfähig gewesen. Zum Beleg hat die Klägerin einen Arztbrief des Fatigue-Centrums der C vom 12. März 2018 (Untersuchung vom selben Tage) zu den Akten gereicht.

Die Beklagte ist dem entgegen getreten und hat darauf hingewiesen, dass eine Lücke in der Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit bei lediglich nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V aufrecht erhaltener Mitgliedschaft zu einem Wechsel des Versichertenstatus und Verlust der Anspruchs auf Krankengeld führe. Eine am 1. Dezember 2016 bestehende Handlungs- oder Geschäftsunfähigkeit sei nicht belegt.

Das Sozialgericht Berlin hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28. Januar 2019 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Am 2. Dezember 2016 sei die Klägerin nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen. Vom Erfordernis fortlaufender ärztlich bescheinigter Arbeitsunfähigkeit könne nicht abgewichen werden. Denn die Klägerin habe nicht alles in ihrer Macht stehende unternommen, um eine rechtzeitige Feststellung ihrer Arbeitsunfähigkeit herbeizuführen. Aufgrund des nicht lange zurückliegenden Schreibens der Beklagten von Ende Oktober 2016 habe ihr klar sein müssen, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung spätestens vom 1. Dezember 2016 Voraussetzung für die Weiterbewilligung von Krankengeld sei. Es sei nichts dafür ersichtlich, dass sie etwa mental oder psychisch außer Stande gewesen sei, am 1. Dezember 2016 auf eine Vorstellung beim Arzt zu warten. Auch eine allgemeine Handlungsunfähigkeit sei nicht erkennbar, zumal es ihr am 1. und am 2. Dezember 2016 möglich gewesen sei, die Arztpraxis aufzusuchen.

Gegen den ihr am 29. Januar 2019 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 7. Februar 2019 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Zu Unrecht sei das Sozialgericht nicht vom Vorliegen einer schweren Depression ausgegangen. Eine solche führe zu schwersten Schwierigkeiten in der Lebensbewältigung. Eine Leistungsfähigkeit der Klägerin hätte nicht ohne weitere Ermittlungen zum Sachverhalt vermutet werden dürfen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 28. Januar 2019 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 5. Dezember 2016 aufzuheben und der Klägerin Krankengeld für die Zeit vom 1. Dezember 2016 bis 21. März 2017 zu gewähren,

hilfsweise,

Beweis zu erheben durch ein fachpsychiatrisches Sachverständigengutachten zu der Beweisfrage, ob bei einer unstreitig diagnostizierten schweren Depression nach ICD F32.2 eine Einschränkung der Handlungsfreiheit des Er-krankten vorliegt, die eine taggenaue Krankschreibung generell ausschließt bzw. jedenfalls dann ausschließt, wenn der Erkrankte auf einen späteren Arzttermin an einem Folgetag verwiesen wird.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Zudem sei der Höchstanspruch für den Bezug von Krankengeld wegen der psychischen Erkrankung der Klägerin ausgeschöpft, denn sie sei ab dem 10. November 2017 wegen psychiatrischer Diagnosen erneut arbeitsunfähig gewesen und habe innerhalb der maßgeblichen Blockfrist nach § 48 SGB V Krankengeld bis zur Aussteuerung am 9. Mai 2019 erhalten (Bescheid vom 11. Februar 2019).

Mit Beschluss vom 28. April 2020 hat der Senat den Rechtsstreit dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat über die Berufung gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der Besetzung durch den Berichterstatter und die ehrenamtlichen Richter entschieden, weil das Sozialgericht über die Klage durch Gerichtsbescheid entschieden und der Senat durch Beschluss vom 28. April 2020 die Berufung dem Berichterstatter zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen hat.

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat Bezug auf die zutreffende Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 153 Abs. 2 SGG).

Zu ergänzen und zu betonen bleibt: Für den 1. Dezember 2016 besteht mangels einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kein Anspruch auf Zahlung von Krankengeld (vgl. § 46 Satz 1 Nr. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB V]). Durch die so entstandene Lücke ist auch für die Zukunft der Anspruch auf Krankengeld entfallen, denn das Versicherungsverhältnis mit Krankengeldanspruch besteht nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V nur so lange fort, wie Arbeitsunfähigkeit nahtlos bescheinigt wurde. Ein Ausnahmefall besteht im Falle der Klägerin nicht, denn sie war am 1. Dezember 2016 nicht handlungs- oder geschäftsunfähig (vgl. zu diesem Erfordernis Bundessozialgericht, Urteil vom 11. Mai 2017, B 3 KR 22/15 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 22). Die Klägerin war in der Lage (und damit "handlungsfähig"), die Praxis des Allgemeinmediziners Dr. H am 1. und auch am 2. Dezember 2016 aufzusuchen. Zugleich war ihr wenige Wochen vorher von der Beklagten ausdrücklich schriftlich mitgeteilt worden, dass eine lückenlose Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit unentbehrlich sei für die Aufrechterhaltung des Krankengeldanspruchs. Damit fällt ihr die Entstehung der "Lücke" zur Last; die insoweit strenge Betrachtung ist geboten, weil der Fall sich hier im Bereich einer Ausnahmekonstellation bewegt, die sich einer extensiven Handhabung verschließt. Nicht vergleichbar ist der Sachverhalt in-soweit mit demjenigen, der der zitierten BSG-Entscheidung zugrunde lag. Denn dort kam es zu einem Arzt-Patienten-Kontakt und die Krankschreibung unterblieb aufgrund der medizinischen Fehleinschätzung des Behandlers. Der Klägerin war klar, dass es der Erstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am 1. Dezember 2016 bedurft hätte; es oblag ihr, sich darum auch mit Erfolg zu kümmern.

Anlass zur Beweiserhebung hat der Senat nicht gesehen, denn es würde sich um Ermittlungen ins Blaue hinein handeln. Zum einen hat der Aussteller der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bis zum 19. Dezember 2016 ausdrücklich (nur) die Diagnosen F41.9 (Angststörung, nicht näher bezeichnet) sowie F 32.9 (Depressive Episode, nicht näher bezeichnet) angeführt. Es kann nicht unterstellt werden, dass ein Allgemeinmediziner nicht in der Lage wäre, psychiatrische Diagnosen korrekt zu handhaben. Vom Vorliegen dieser Diagnosen darf der Senat daher nach Art eines gesicherten Sachverhalts bis einschließlich 19. Dezember 2019 ausgehen. Eine Behandlung bei der Psychiaterin Dr. B ist erst für die Zeit ab 20. Dezember 2016 ersichtlich. Die Frage, wie sie die psychische Erkrankung der Klägerin drei Wochen vorher beurteilt hätte, geht daher fehl und ist zur Sachaufklärung nicht geeignet. Dem ausdrücklich gestellten Beweisantrag der Klägerin musste der Senat ebenso wenig folgen. Denn er zielt nicht auf für das Ergebnis erhebliche konkrete Sachaufklärung, sondern auf die Erstellung eines abstrakten medizinisch-juristischen Gutachtens bzw. eines Glaubenssatzes zu der Frage, wie weit eine schwere Depression grundsätzlich die Handlungsfreiheit eines Betroffenen einschränkt. Damit wäre schon deswegen nicht geholfen, weil aus den oben genannten Gründen nicht hinreichend sicher feststeht, dass die Klägerin am 1. Dezember 2016 unter einer schweren Depression litt. Zudem verbietet sich abstrakte Betrachtung in Fällen wie dem vorliegenden, in denen es auf die konkreten Abläufe ankommt. Diese bestehen darin, dass die Klägerin am 1. Dezember 2016 handlungsfähig war, was der wiederholte Arztbesuch unter Beweis stellte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits. Die Revision ist nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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