L 1 JVEG 122/20

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 JVEG 122/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
§ 191 SGG, § 5 Abs. 2 Nr. 1 JVEG, § 20 JVEG

Sozialgerichtliches Verfahren - Entschädigung eines Beteiligten/Zeugen - Notwendigkeit einer getrennten Anreise - Zumutbarkeit einer gemeinsamen Hin- und Rückreise - Fahrtkostenersatz - Familienangehörige - Entschädigung für Zeitversäumnis

1. Unter Berücksichtigung der Verpflichtung zur Kostenminimierung ist bei einer einfachen Fahrtstrecke von 60 km bei zeitgleich erfolgter Anreise zu einem gerichtlichen Termin eine getrennte Anreise in zwei PKW durch im gleichen Haushalt lebende Familienangehörige mangels Vorliegen eines stichhaltigen Grundes für eine getrennte Anreise nicht erstattungsfähig.
2. Eine Entschädigung für Zeitversäumnis ist nur dann zu gewähren, wenn durch die Teilnahme an dem Gerichtstermin ein Nachteil entstanden ist. Das ist bei Beziehern von Sozialleistungen und Schülern regelmäßig nicht der Fall. Eventuelle Einschränkungen in der Freizeitgestaltung infolge der Wahrnehmung eines Gerichtstermins können nicht als entschädigungspflichtiger Nachteil angesehen werden.
Die Entschädigung der Erinnerungsgegnerinnen zu 1) und 2) für die Teilnahme am Er-örterungstermin mit Beweisaufnahme am 16. Dezember 2019 wird auf jeweils 15,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Erinnerungsgegnerin zu 1) war Antragstellerin und Beschwerdeführerin im Verfahren L 9 AS 1170/19 B ER. Mit Ladung vom 26. November 2019 wurde sie durch den Berichterstatter des Verfahrens unter Anordnung des persönlichen Erscheinens zu einem Erörterungstermin mit Beweisaufnahme am 16. Dezember 2019 um 14.00 Uhr geladen. Die Erinnerungsgegnerin zu 2), Mutter der Erinnerungsgegnerin zu 1), wurde mit Ladung vom gleichen Tage als Zeugin zu dem Termin geladen. Der Erörterungstermin mit Beweisaufnahme dauerte ausweislich der Niederschrift von 14:07 Uhr bis 15:37 Uhr.

Mit beim Landessozialgericht am 9. Januar 2020 eingegangenen Entschädigungsantrag beantragten die Erinnerungsgegnerinnen jeweils die Festsetzung einer Entschädigung von 30,00 EUR. Geltend gemacht wurden jeweils Fahrtkosten ausgehend von einer Anreise mit dem Pkw unter Zugrundelegung einer Strecke von 120 Kilometer (120 x 0,25 EUR = 30,00 EUR). Auf Nachfrage der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle teilte die Erinnerungsgegnerin zu 1) mit, dass die Anreise mit zwei verschiedenen Pkw erfolgt sei. Die PKW - Kennzeichen wurden mitgeteilt.

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle legte die Angelegenheit der Bezirksrevisorin vor, welche mit Antrag vom 7. Februar 2020 beantragte, die Entschädigung für die Erinnerungs-gegnerinnen für die Teilnahme am Erörterungstermin am 16. Dezember 2019 auf jeweils 15,00 EUR festzusetzen.

Es sei realitätsfern, dass die Antragstellerin und Beschwerdeführerin und die Zeugin mit getrennten Fahrzeugen zur Verhandlung am Thüringer Landessozialgericht angereist seien. Die bloße Angabe von unterschiedlichen Autokennzeichen reiche nicht aus. Auf Nachfrage des Berichterstatters, glaubhaft zu machen, dass eine getrennte Anreise erfolgt sei, teilte die Erinnerungsgegnerin zu 1) mit, dass sie in der Schule gewesen und von dort aus losgefahren sei.

Die Erinnerungsführerin hält diese Ausführungen nicht für überzeugend. Es seien keine Ausführungen zum Reiseverlauf und zur Notwendigkeit einer getrennten Anreise gemacht worden.

II.

Auf den Antrag der Erinnerungsführerin war die Entschädigung für die Teilnahme am Erörterungstermin am 16. Dezember 2019 für die Erinnerungsgegnerin zu 1) und 2) auf jeweils 15,00 EUR festzusetzen.

Nach § 4 Abs. 1 JVEG erfolgt die Festsetzung der Vergütung, der Entschädigung oder des Vorschusses durch gerichtlichen Beschluss, wenn der Berechtigte oder die Staatskasse die gerichtliche Feststellung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält (Satz 1). Eine vorherige Festsetzung der Entschädigung durch die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ist nicht Zulässigkeitsvoraussetzung für den Antrag durch die Staatskasse.

Nach § 191 Halbs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) werden einem Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen angeordnet worden ist, auf Antrag bare Auslagen und Zeitverlust wie einem Zeugen vergütet. Zeugen erhalten nach § 19 Abs. 1 S. 1 JVEG als Entschädigung Fahrtkostenersatz (§ 5 JVEG), Entschädigung für Aufwand (§ 6 JVEG), Entschädigung für sonstige Aufwendungen (§ 8 JVEG), Entschädigung für Zeitversäumnis (§ 20 JVEG), Entschädigung für Nachteile bei der Haushaltsführung (§ 21 JVEG) sowie Entschädigung für Verdienstausfall (§ 22 JVEG). Soweit die Entschädigung nach Stunden zu bemessen ist, wird sie nach § 19 Abs. 2 JVEG für die gesamte Zeit der Heranziehung einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten, jedoch nicht mehr als zehn Stunden je Tag gewährt (Satz 1); die letzte bereits begonnene Stunde wird voll gerechnet (Satz 2).

Bei der Entscheidung sind alle für die Bemessung der Vergütung maßgeblichen Umstände zu überprüfen, unabhängig davon, ob sie angegriffen worden sind. Bei der Festsetzung ist das Gericht weder an die Höhe der Einzelansätze noch an den Stundenansatz oder an die Gesamthöhe der Vergütung in der Festsetzung durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder den Antrag der Beteiligten gebunden; es kann nur nicht mehr festsetzen, als beantragt ist (vgl. Senatsbeschluss vom 28. Februar 2018 – L 1 JVEG 867/15, zitiert nach Juris).

Die Entschädigung errechnet sich danach wie folgt:

Der Fahrtkostenersatz beträgt gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 JVEG für jeden mit dem Pkw gefahrenen Kilometer 0,25 EUR. Dies ergibt bei der zu Grunde liegenden Entfernung von R. nach E. hin und zurück von 120 km einen Betrag von 30,00 EUR. Da die Erinnerungsgegnerinnen nur beanspruchen können, dass ihnen die Kosten für eine gemeinsame Fahrt erstattet werden, war der genannte Betrag zwischen den Erinnerungsgegnerinnen aufzuteilen. Der Senat konnte nicht die erforderliche Überzeugung gewinnen, dass unter Beachtung des Kostenminimierungsgebotes eine getrennte Anreise als erforderlich anzusehen gewesen wäre. Zu berücksichtigen ist dabei der haushaltsrechtliche Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, der im Bereich des gesamten Kostenrechts, also auch für die Entschädigung von Zeugen, Sachverständigen, Dritten, ehrenamtlichen Richtern und Beteiligten, gilt, und das daraus resultierende Gebot der Kostendämpfung und Kostenminimierung (vgl. Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 11. Januar 2016 – L 6 JVEG 1340/15 –, Juris). Die Erinnerungsgegnerinnen haben beide in ihrem Entschädigungsantrag angegeben, dass sie die Reise zum Termin am 16. Dezember 2019 um 12:30 Uhr angetreten und am gleichen Tag um 17:30 Uhr beendet haben. Beide sind in der W. Straße in R. wohnhaft. Die Ausführungen im Schriftsatz vom 20. Febru-ar 2020, beim Senat am 4. März 2020 eingegangen, dass die Erinnerungsgegnerin zu 1) in der Schule war und von dort aus losgefahren sei, überzeugen bereits vom Tatsächlichen her nicht. Es widerspricht der Lebenserfahrung, dass bei einer einfachen Entfernung von R. nach E. von 60 Kilometern eine getrennte Anreise nur wegen des Besuchs der Fachoberschule für Wirtschaft und Verwaltung am gleichen Ort durch die Erinnerungsgegnerin zu 1) erfolgte. Die Erinnerungsgegnerinnen wären unter Kostenminimierungsgesichtspunkten gehalten gewesen, gemeinsam zum Termin anzureisen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass dies aus Zeitgründen nicht möglich gewesen wäre.

Eine Entschädigung für Verdienstausfall nach § 22 JVEG scheidet für beide Erinnerungsgegnerinnen aus. Die Erinnerungsgegnerin zu 1) war zum Zeitpunkt des Termins am 16. Dezember 2019 Schülerin einer Fachoberschule für Wirtschaft und Verwaltung und die Erinnerungsgegnerin zu 2) bezog Erwerbsminderungsrente. Eine Entschädigung für Zeitversäumnis nach § 20 JVEG scheidet ebenfalls aus. Der Erinnerungsgegnerin zu 1) war Schülerin und die Erin-nerungsgegnerin zu 2) bezog - wie dargelegt- Erwerbsminderungsrente. Insofern haben sie keinen Anspruch auf eine Entschädigung für Zeitversäumnis nach § 20 JVEG. Danach beträgt die Entschädigung 3,50 EUR je Stunde, soweit weder für einen Verdienstausfall noch für Nachteile bei der Haushaltsführung eine Entschädigung zu gewähren ist, es sei denn, es ist dem Zeugen (bzw. Beteiligten) durch seine Heranziehung ersichtlich kein Nachteil entstanden. Fehlt es – wie hier - an entsprechenden Angaben, kann bei einem Rentner bzw. Schüler davon ausgegangen werden (vgl. Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 13. April 2005 – L 6 SF 2/05 –; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29. April 2009 – L 6 SB 161/08 –; SG Karlsruhe, Beschluss vom 26. Oktober 2017 – S 1 KO 3624/17 –, jeweils zitiert nach Juris). Als Rentnerin bzw. Schülerin nach Unterrichtsende können die Erinnerungsgegnerinnen frei über ihre Zeit verfügen. Eventuelle Einschränkungen in der Freizeitgestaltung infolge der Durchführung der mündlichen Verhandlung können nicht als entschädigungspflichtiger Nachteil angesehen werden.

Verpflegungskosten sind ebenfalls nicht zu erstatten. Zehr- oder Verpflegungskosten sind als allgemeiner Aufwand im Sinne von § 6 Abs. 1 JVEG erstattungsfähig, wenn sie in Folge des gerichtlich angesetzten Termins objektiv notwendig sind. Aus dem Verweis in § 6 Abs. 1 letz-ter Halbsatz JVEG auf das Tagegeld im Sinne von § 9 Abs. 4a Satz 3 Nr. 3 Einkommenssteu-ergesetz (EStG) wird deutlich, wann und in welcher Höhe Verpflegungskosten in Form einer Zehrkostenpauschale als notwendiger allgemeiner Aufwand zu erstatten sind. Nach der Regelung des § 9 Abs. 4a Satz 3 Nr. 3 EStG kann erst bei einer Abwesenheit von mindestens acht Stunden ein Tagegeld bewilligt werden. Diese Zeitgrenze wurde vorliegend nicht überschritten.

Eine Entschädigung nach § 21 JVEG für Nachteile bei der Haushaltsführung können die Erinnerungsgegnerinnen ebenfalls nicht beanspruchen.

Die Erinnerungsgegnerin zu 2) kann als Bezieherin einer Erwerbsminderungsrente nach § 21 Satz 2 JVEG keine Entschädigung für Nachteile bei der Haushaltsführung beanspruchen. Danach stehen Zeugen, die ein Erwerbsersatzeinkommen beziehen, erwerbstätigen Zeugen gleich. Die Erinnerungsgegnerin zu 1) kann eine Entschädigung für Nachteile bei der Haushaltsführung bereits deshalb nicht beanspruchen, weil sie ausweislich des Beschlusses des 9. Senats vom 15. Januar 2020 mit der Erinnerungsgegnerin zu 2) und ihrem Bruder eine Bedarfsgemeinschaft bildet und als Schülerin ersichtlich keinen eigenen Haushalt für mehrere Personen führt.

Die Entschädigung der Erinnerungsgegnerinnen für die Teilnahme am Termin am 16. Dezember 2019 ist daher auf 30,00 EUR in Höhe der anzuerkennenden Fahrtkosten festzusetzen. Da nicht bekannt ist, welcher der beiden Erinnerungsgegnerinnen diese Kosten tatsächlich entstanden sind, ist eine Aufteilung vorzunehmen.

Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).

Die Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).
Rechtskraft
Aus
Saved