L 11 KR 4345/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 16 KR 2019/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 4345/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein "immer wieder" auftretender Behandlungsbedarf begründet noch keinen Anspruch auf Genehmigung einer langfristigen Heilmittelbehandlung in Form von manueller Therapie.
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 19.11.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Genehmigung einer langfristigen Heilmittelbehandlung in Form von manueller Therapie (MT).

Die 1967 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Bei ihr besteht ein Zn viermaliger Bandscheibenoperation mit Spondylodese L3-S1 (2002-2005) mit Schraubenbruch L3 und Zn Hüft-TEP 2010. Die Klägerin beantragte am 18.07.2017 die langfristige Genehmigung von Heilmittelverordnungen nach § 32 Abs 1a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) iVm der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Heilmittel-Richtlinie (HeilM-RL)). Zusätzlich legte sie eine Verordnung für 6x manuelle Therapie außerhalb des Regelfalls der Fachärztin für physikalische und rehabilitative Medizin Dr. T. vom 12.07.2017 vor. Angegeben war in der Verordnung der Indikationsschlüssel WS2a und die ICD-10-Codes M51.1 (lumbale und sonstige Bandscheibenschäden mit Radikulopathie) und G55.1 (Kompression von Nervenwurzeln und Nervenplexus bei Bandscheibenschäden).

Die Beklagte holte daraufhin eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ein, der unter dem 24.07.2017 zu dem Ergebnis kam, dass die Erkrankungen der Klägerin hinsichtlich Schwere und Dauerhaftigkeit nicht vergleichbar seien mit den in der Anlage 2 genannten und am ehesten passenden Krankheitsbildern wie zB M05.0 (iS einer seropositiven chronischen Polyarthritis) unter der gleichen Diagnosegruppe WS2. Zunächst spreche eine offenbar fehlende weiterführende Diagnostik eher gegen das Vorliegen des angegebenen Therapiebedarfs. Des Weiteren finde sich die Kombination von M51.2 und G55.1 für einen Zeitraum von längstens sechs Monaten nach dem Akutereignis in den Rahmenvereinbarungen (Anhang 1 zur Anlage 2) iS eines besonderen Versorgungsbedarfs gelistet.

Mit Bescheid vom 26.07.2017 lehnte die Beklagte den Antrag auf langfristige Heilmittelverordnung ab. Langfristige Genehmigungen könnten nach § 8a HeilM-RL nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen erfolgen. Hierfür sei eine eingeschränkte Auswahl von sehr schweren Erkrankungen bestimmt. Nur wenn nicht in der Anlage 2 der HeilM-RL genannte Erkrankungen nach Art, Schwere und Dauer mit gelisteten Erkrankungen vergleichbar seien, könne eine Langfristgenehmigung erfolgen. Das sei hier aber nicht der Fall. Es könne aber weiter eine reguläre Verordnung der Heilmittel erfolgen.

Hiergegen legte die Klägerin am 01.08.2017 Widerspruch ein. Dass eine weiterführende Diagnostik fehle, könne nicht nachvollzogen werden. Sie befinde sich seit der Implantation der dynamischen Stabilisierung der Wirbelkörper L3-S1 fast durchgängig ein bis zweimal pro Woche in der Physiotherapie. Wenn sie keine manuelle Therapie erhalte, merke sie dies leider sofort. Ihre Schmerzen würden größer, wodurch ihre Fehlhaltungen verstärkt würden, was wiederum in eine sich steigernde Schmerzsymptomatik münde. Lediglich durch die regelmäßige Physiotherapie erhalte sie Entlastung, um aus dieser Schmerzspirale herauszukommen. In Zeiten, wo Physiotherapie nicht möglich sei, sei sie leider gezwungen, ihre Schmerzmitteldosierung (Ibuprofen bzw Tilidin) zu steigern, um ihren Alltag einigermaßen gestalten zu können. Zudem habe sie einen unbefristeten Schwerbehindertenausweis mit einem GdB von 50 sowie der Feststellung des Merkzeichens "G". Ergänzend legte sie eine Stellungnahme von Dr. T. vom 28.08.2017 vor. Darin wurde ausgeführt, dass ein komplexes chronisches Schmerzsyndrom und ein postoperatives Nukleotomiesyndrom bestehe. Ziel der Therapie sei eine Schmerzreduktion und Funktionsverbesserung. Eine weiterführende Diagnostik sei hier nicht sinnvoll. Auch sei ein Vergleich medizinischer Diagnosen nicht möglich, ohne die Schwere und Ausprägung der Erkrankung durch eine Untersuchung zu berücksichtigen. Die Empfehlung, im Intervall lediglich Krankengymnastik verschreiben, halte sie für medizinisch nicht ausreichend.

Die Beklagte veranlasste daraufhin eine erneute Begutachtung der Klägerin durch den MDK. In dem nach persönlicher Untersuchung erstellten Gutachten vom 20.11.2017 gelangte der MDK zu dem Ergebnis, dass die hier vorliegenden funktionellen bzw strukturellen Schädigungen wie Koordinationsstörungen und Schmerzen sich hinsichtlich der Schwere und Dauerhaftigkeit nicht mit den zu erwartenden Schädigungen der in der Anlage 2 genannten und aus medizinischer Sicht am ehesten passenden Krankheitsbildern wie zB progressive systemische Sklerose oder Spondylitis ankylosans vergleichen ließen. Heilmittelbedarf auch außerhalb des Regelfalles sei jedoch medizinisch nachvollziehbar und könne vom behandelnden Arzt weiterhin verordnet werden. Zusätzlich könne die Teilnahme am Rehabilitationssport oder Funktionstraining erwogen werden.

Der Orthopäde Dr. O. verordnete der Klägerin am 20.02.2018 zweimal wöchentlich Funktionstraining für die Dauer von zwölf Monaten mit dem Ziel der Schmerzreduktion und Stabilisierung von Lenden- und Halswirbelsäule. Dieser Antrag wurde von der Beklagten genehmigt (Bescheid vom 07.03.2018; zuvor Bewilligung von Funktionstraining für zwölf Monate mit Bescheid vom 20.02.2017).

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.04.2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 30.04.2018 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Zwar liege bei ihr keine gelistete Erkrankung vor. In der akuten Gesundheitsbeeinträchtigung beziehungsweise Behinderung sei die Erkrankung jedoch absolut vergleichbar. Es bestehe nicht die Möglichkeit, alleine durch eigene erlernte Übungen die Erkrankung zu verbessern.

Das SG hat die behandelnde Ärztin Dr. T. als sachverständige Zeugin schriftlich vernommen und sodann ein gerichtliches Sachverständigengutachten bei Dr. H. eingeholt. In dem Gutachten vom 29.10.2018 stellt dieser folgende Gesundheitsstörungen fest: &61485;&61472;Cervicalsyndrom bei Fehlhaltung bzw ungünstiger Bewegung des Kopfes &61485;&61472;Rezidivierendes Lumbalsyndrom bei Bandscheibenprotrusion /-prolaps L3-S1 (OP 12/02, 6/04, 6/05) mit postoperativer Neurofistel und Verschlussoperation 9/05 &61485;&61472;Hüftgelenkstotalendoprothese 10/10 &61485;&61472;Innenmeniskusläsion rechts &61485;&61472;Senkspreizfuß beidseits &61485;&61472;Hallux valgus beidseits &61485;&61472;Chronisches Schmerzsyndrom. Diese Gesundheitsstörungen bedingten einen Bedarf an manueller Therapie insofern, als diese besser und nebenwirkungsfreier geeignet sei, die immer wieder auftretenden Schmerzzustände und Verspannungen sowie segmentalen Bewegungseinschränkungen der Wirbelsäule zu bessern bzw zu lindern. Es sei anzunehmen, dass immer wieder Behandlungsbedarf bestehen werde. Unter dem 05.02.2019 hat Dr. H. eine ergänzende Stellungnahme abgegeben.

Die Beklagte ist dem Gutachten entgegengetreten unter Vorlage eines weiteren MDK-Gutachtens vom 13.12.2018. Darin wird ausgeführt, vergleichbar sei die hier vorliegende Schädigung mit einer Spondylitis ankylosans im Anfangsstadium. Selbst wenn dies ausreichen sollte, seien die Kriterien für den Therapiebedarf und dessen Dauer nicht erfüllt. Manuelle Therapie diene als Einzeltherapie zur Behandlung reversibler Funktionseinschränkungen der Gelenke und ihrer muskulären, reflektorischen Fixierung. Schon vom Konzept her sei die MT nicht auf Dauer angelegt. Ein kontinuierlicher, fortlaufender Behandlungsbedarf sei auch nach dem Sachverständigengutachten nicht ersichtlich. Ergänzend hat die Beklagte mitgeteilt, dass die Klägerin seit 2017 Funktionstraining erhalte und im Zeitraum 20.07.2017 bis 05.11.2018 insgesamt 15mal jeweils 6 Einheiten MT in Anspruch genommen habe (meist außerhalb des Regelfalls).

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 19.11.2019 mit der Begründung abgewiesen, ein langfristiger Heilmittelbedarf sei nicht nachgewiesen. Die bei der Klägerin bestehenden erheblichen Erkrankungen der Wirbelsäule seien unstreitig nicht in Anlage 2 der HeilM-RL genannt. Damit sei entscheidend, ob die mit den Erkrankungen verbundenen funktionellen/strukturellen Schädigungen mit denen der Anlage 2 vergleichbar seien (§ 8a Abs 3 HeilM-RL). Die mit den Erkrankungen der Klägerin verbundenen funktionellen/strukturellen Schädigungen führten hier nicht zur Überzeugung des Gerichts zu einem langfristigen Bedarf an manueller Therapie von mindestens einem Jahr. Es könne dahingestellt bleiben, ob MT bereits konzeptionell keine langfristige Therapie sein könne und welche der für den Indikationsschlüssel ausdrücklich genannten Diagnosen zur Vergleichbarkeit herangezogen werden könnten. Denn auch nach dem Gutachten von Dr. H. bestehe der Therapiebedarf - bei angenommener Vergleichbarkeit - nur "immer wieder". Die Erkrankung der Klägerin sei durch phasenhafte Verbesserungen und Verschlechterungen gekennzeichnet, welche zeitweise keiner Behandlung bedürften. Dies habe der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme für das Gericht ausdrücklich klargestellt. Der Sachverständige gehe von anderen rechtlichen Vorgaben aus, da er auch einen in diesem Sinne "immer wieder" auftretenden Therapiebedarf für ausreichend halte. Auch ein mehr als gelegentlicher, aber eben nicht prognostisch für mindestens ein Jahr fortlaufend bestehender Bedarf an MT könne den Anspruch nicht begründen. Es sei jedoch klargestellt, dass hier nicht ein Bedarf an MT bezweifelt werde, wie er nachträglich in den einzelnen Verordnungen dokumentiert werde. Die Voraussetzungen für eine langfristige Genehmigung dieser Therapie für mindestens ein Jahr seien jedoch nicht erfüllt.

Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 21.11.2019 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 23.12.2019 (Montag) Berufung eingelegt. Das SG erkenne in einem immer wieder auftretenden Therapiebedarf keinen prognostisch für mindestens ein Jahr fortlaufend bestehenden Bedarf. Dr. H. habe in der ergänzenden Stellungnahme vom 05.02.2019 noch ausgeführt, dass er mit der Formulierung ,,immer wieder Behandlungsbedarf" meine, dass die bei der Klägerin vorliegenden Funktionseinschränkungen phasenweise Verbesserungen aufzeigten, aber grundsätzlich rezidivierend aufträten und nicht dauerhaft beseitigt werden könnten. Damit sei aber auch bestätigt worden, dass prognostisch für mindestens ein Jahr fortlaufend ein Bedarf an manueller Therapie bestehe. Warum das SG sich auch nicht der Auffassung der behandelnden Ärztin Dr. T. habe anschließen können, sei nicht mehr begründet worden.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 19.11.2019 und den Bescheid der Beklagten vom 26.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.04.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine Genehmigung für eine langfristige Heilmittelbehandlung mit manueller Therapie zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf ihr Vorbringen in erster Instanz und die Entscheidungsgründe des Gerichtsbescheids.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat keinen Erfolg.

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs 1 SGG) eingelegte und statthafte (§§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG) Berufung ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Die Klage gegen den Bescheid vom 26.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.04.2018 ist als Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs 4 SGG statthaft. Bei dieser Klageart kommt es für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz an (BSG 12.04.2000, B 9 SG 3/99 R, SozR 3-3870 § 3 Nr 9 = juris Rn 10). Maßgebend ist, ob die Ablehnung der beantragten Leistung zur Zeit der gerichtlichen Entscheidung noch rechtmäßig ist. Daher sind Gesetzesänderungen, die während der Rechtshängigkeit der Leistungsklage eintreten, grundsätzlich vom Gericht zu beachten. Voraussetzung ist dabei, dass das neue Gesetz nach seinem zeitlichen Geltungswillen das streitige Rechtsverhältnis erfassen will (BSG 27.10.1976, 2 RU 127/74, SozR 2200 § 690 Rn 4 = BSGE 43, 1-9 = juris Rn 29). Entsprechendes muss für die auf der Grundlage des § 92 SGB V erlassenen Richtlinien gelten, die normativen Charakter haben und für die Beteiligten verbindlich sind (vgl BSG 22.04.2015, B 3 KR 16/14 R, NZS 2015, 617 = juris Rn 25; 13.05.2015, B 6 KA 14/14 R, BSGE 119, 57 = juris Rn 28). Daher ist der Entscheidung die HeilM-RL in der Fassung vom 19.05.2011, zuletzt geändert am 27.03.2020 und in Kraft getreten am 09.03.2020 (BAnz AT 07.04.2020 B3), zugrunde zu legen.

Ausgehend hiervon hat die Klägerin keinen Anspruch auf Genehmigung einer langfristigen Heilmittelbehandlung mit MT. Die Voraussetzungen der §§ 27 Abs 1, 32 Abs 1a SGB V iVm § 8a HeilM-RL sind nicht erfüllt.

Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V fallen auch Heilmittel hierunter, zu denen gemäß § 19 Abs 3 Nr 7 HeilM-RL die manuelle Therapie gehört. Nach § 32 Abs 1a SGB V regelt der Gemeinsame Bundesausschuss in seiner Richtlinie nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V das Nähere zur Heilmittelversorgung von Versicherten mit langfristigem Behandlungsbedarf. Er hat insbesondere zu bestimmen, wann ein langfristiger Heilmittelbedarf vorliegt, und festzulegen, ob und inwieweit ein Genehmigungsverfahren durchzuführen ist (§ 32 Abs 1a Satz 2 SGB V).

Grundsätzlich sieht § 7 HeilM-RL eine Heilmittelverordnung im Regelfall vor. Nach § 7 Abs 1 Satz 1 liegt der Heilmittelverordnung nach der Richtlinie in den jeweiligen Abschnitten des Heilmittelkatalogs ein definierter Regelfall zugrunde, der von der Vorstellung ausgeht, dass mit dem der Indikation zugeordneten Heilmittel im Rahmen der Gesamtverordnungsmenge des Regelfalls das angestrebte Therapieziel erreicht werden kann (Satz 2). Die Gesamtverordnungsmenge und die Anzahl der Behandlungen (Einheiten) je Verordnung im Regelfall ergeben sich aus dem Heilmittelkatalog.

Nach § 8 Abs 1 HeilM-RL sind weitere Verordnungen möglich, wenn sich die Behandlung mit der nach Maßgabe des Heilmittelkatalogs bestimmten Gesamtverordnungsmenge nicht abschließen lässt (Verordnung außerhalb des Regelfalls, insbesondere längerfristige Verordnungen). Solche Verordnungen bedürfen einer besonderen Begründung mit prognostischer Einschätzung. Dabei sind die Grundsätze der Verordnung im Regelfall mit Ausnahme des § 7 Abs 10 HeilM-RL über die maximale Verordnungsmenge bei Erst- und Folgeverordnungen nicht anzuwenden (§ 8a Abs 1 Sätze 2, 3 HeilM-RL). Begründungspflichtige Verordnungen sind der zuständigen Krankenkasse vor Fortsetzung der Therapie zur Genehmigung vorzulegen. Nach Vorlage der Verordnung durch die oder den Versicherten übernimmt die Krankenkasse die Kosten des Heilmittels unabhängig vom Ergebnis der Entscheidung über den Genehmigungsantrag, längstens jedoch bis zum Zugang einer Entscheidung über die Ablehnung der Genehmigung. Verzichtet die Krankenkasse auf ein Genehmigungsverfahren, hat dies die gleiche Rechtswirkung wie eine erteilte Genehmigung (§ 8 Abs 4 HeilM-RL).

Darüber hinaus eröffnet § 8a HeilM-RL die Möglichkeit der Versorgung von Versicherten mit langfristigem Heilmittelbedarf für einen längeren Zeitraum.

Langfristiger Heilmittelbedarf im Sinne von § 32 Abs 1a SGB V liegt vor, wenn sich aus der ärztlichen Begründung die Schwere und Langfristigkeit der funktionellen/strukturellen Schädigungen, der Beeinträchtigungen der Aktivitäten und der nachvollziehbare Therapiebedarf des Versicherten ergeben (§ 8a Abs 1 HeilM-RL). Vom Vorliegen eines langfristigen Heilmittelbedarfs ist nach § 8a Abs 2 Satz 1 HeilM-RL auszugehen, wenn eine in der Anlage 2 der HeilM-RL gelistete Diagnose in Verbindung mit der jeweils aufgeführten Diagnosegruppe des Heilmittelkatalogs vorliegt. In diesem Fall findet ein Antrags- und Genehmigungsverfahren nicht statt.

Wenn keine der Diagnosen erfüllt ist, jedoch eine Vergleichbarkeit der vorliegenden schweren dauerhaften funktionellen/strukturellen Schädigungen mit denen besteht, die bei den in der Anlage 2 genannten Diagnosen zu erwarten sind, trifft die Krankenkasse auf Antrag die Feststellung darüber, ob ein langfristiger Heilmittelbedarf iSv § 32 Abs 1a SGB V vorliegt und die notwendigen Heilmittel langfristig genehmigt werden können (§ 8a Abs 3 HeilM-RL). Hierfür ist eine Genehmigung erforderlich, die jedoch nach § 8a Abs 7 HeilM-RL länger als ein Jahr oder sogar unbefristet erfolgen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Diagnoseliste in Anlage 2 der HeilM-RL Diagnosegruppen und Indikationsschlüssel benennt und die Art des grundsätzlich in Betracht kommenden Heilmittels regelt. Die von § 8a Abs 3 HeilM-RL geforderte Vergleichbarkeit der Schädigungen mit denen der Anlage 2 muss sowohl hinsichtlich der Diagnose als auch der Diagnosegruppe bzw des Indikationsschlüssels gegeben sein. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

Für die hier begehrte Behandlung der Klägerin sind insbesondere die Erkrankungen im Bereich der Wirbelsäule maßgeblich. Es bestehen ein Cervicalsyndrom und rezidivierendes Lumbalsyndrom bei Bandscheibenprotrusion/-prolaps L3-S1 (OP 12/02, 6/04, 6/05) mit postoperativer Neurofistel und Verschlussoperation 9/05 sowie zusätzlich ein Zn Hüftgelenkstotalendoprothese 10/10, Innenmeniskusläsion rechts und ein chronisches Schmerzsyndrom. Die Senkspreizfüße und Valgusabweichungen der Großzehen sind aktuell ohne Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit der unteren Extremitäten. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Dr. H. und den Ausführungen der behandelnden Ärztin Dr. T ...

Diese Erkrankungen der Klägerin sind nicht in der Anlage 2 der HeilM-RL aufgeführt, so dass die Genehmigung nicht entbehrlich ist.

Es bestehen aber auch keine vergleichbaren schweren dauerhaften funktionellen oder strukturellen Schädigungen, die eine langfristige Heilmittelbehandlung erfordern. Eine vergleichbare schwere dauerhafte funktionelle/strukturelle Schädigung liegt dann vor, wenn die bei dem Versicherten bestehenden funktionellen/strukturellen Schädigungen vergleichbar mit der Schwere und Dauerhaftigkeit der Schädigungen sind, wie sie bei Diagnosen aus der Anlage 2 zu erwarten sind (§ 8a Abs 5 Satz 2 HeilM-RL). Eine Schwere und Langfristigkeit im Sinne von § 8a Abs 3 HeilM-RL kann sich auch aus der Summe mehrerer einzelner funktioneller/struktureller Schädigungen und Beeinträchtigungen der individuellen Aktivitäten ergeben, die für sich allein die Kriterien nicht erfüllen, sich aus deren Gesamtbetrachtung jedoch ein Therapiebedarf ergibt, der hinsichtlich Dauer und Umfang auch bei Diagnosen der Anlage 2 zu erwarten ist (§ 8a Abs 5 Satz 3 HeilM-RL). Nach § 8a Abs 5 Satz 4 HeilM-RL ist bei Entscheidungen nach den Sätzen 2 und 3 von einer Dauerhaftigkeit oder Langfristigkeit auszugehen, wenn ein Therapiebedarf mit Heilmitteln von mindestens einem Jahr medizinisch notwendig ist.

Eine vergleichbare Schwere und Langfristigkeit lässt sich im konkreten Fall zur Überzeugung des Senats nicht feststellen, denn es besteht nach den insoweit schlüssigen Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. H. kein Therapiebedarf mit Heilmitteln von mindestens einem Jahr. Die von Dr. H. gleichwohl bejahte Gleichstellung beruht darauf, dass er einen über ein Jahr hinausreichenden, immer wieder auftretenden Behandlungsbedarf für ausreichend erachtet, auch wenn zwischendurch phasenhafte Verbesserungen auftreten, in denen zeitweise keine Behandlung erforderlich ist. Diese Klarstellung hat er in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 05.02.2019 ausdrücklich vorgenommen. Damit steht aber fest, dass es um die Behandlung rezidivierend auftretender Funktionseinschränkungen geht, auch wenn die bestehenden grundlegenden Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule nicht dauerhaft beseitigt werden können. Diesem "immer wieder" auftretenden Behandlungsbedarf kann jedoch auch ohne langfristige Genehmigung mit regulären Verordnungen, auch außerhalb des Regelfalls, begegnet werden.

Dabei übersieht der Senat keinesfalls, dass bei der Klägerin erhebliche Schädigungen im Bereich der Wirbelsäule vorliegen mit gravierenden Folgen (ua GdB 50 mit Merkzeichen "G"). Welche der in der Anlage 2 gelisteten Erkrankungen noch am ehesten vergleichbar ist, kann dabei dahinstehen. Der MDK (Dr. Q., Dr. O.) stellte insoweit auf eine Spondylitis ankylosans oder CREST-Syndrom ab, Dr. H. auf eine chronische Polyneuritis oder Spondylitis ankylosans. Allein die Schwere und Dauerhaftigkeit der Schädigung rechtfertigt jedoch ohne entsprechenden dauerhaften Behandlungsbedarf keine langfristige Genehmigung von Heilmitteln. Insbesondere zielt die MT darauf ab, reversible Funktionseinschränkungen zu behandeln (§ 19 Abs 3 Nr 7 HeilM-RL). Eine akute behandlungsbedürftige Funktionsstörung kann bei der Klägerin im Rahmen der Wirbelsäulenversteifung mit vermehrter Belastung oder Überlastung angrenzender Regionen auftreten. Derartige akute Funktionsstörungen können durch die MT mit bestimmten Mobilisations- und Weichteiltechniken auch zielführend behandelt werden. Ein derartiger Bedarf an manueller Therapie kann jedoch nicht im Voraus für mehr als ein Jahr prognostiziert werden unabhängig vom jeweils aktuellen Befund. Der Senat stützt sich insoweit auf das Gutachten von Dr. H. und die Ausführungen des MDK vom 13.12.2018 (Dr. O.).

Auch unter Berücksichtigung der Ausführungen von Dr. T. lässt sich zur Überzeugung des Senats ein langfristiger Behandlungsbedarf mit MT nicht nachweisen. Im Rahmen ihrer Vernehmung als sachverständige Zeugin vor dem SG hat sie bezüglich dieser Frage auf ihre Schreiben vom 19.10.2017 und 28.08.2017 Bezug genommen. Aus dem Verlaufsbericht vom 19.10.2017 lässt sich für die Frage des langfristigen Behandlungsbedarfs mit MT nichts herleiten. Genannt werden lediglich die orthopädischen Diagnosen und ein Befund vom 24.10.2014. Die ausführliche Stellungnahme vom 28.08.2017 macht zwar deutlich, dass Dr. T. eine Langzeitverordnung von MT für erforderlich hält. Sie verweist auf die Therapieziele Schmerzreduktion und Funktionsverbesserung und postuliert einen regelmäßigen Therapiebedarf zweimal wöchentlich. Eine nachvollziehbare Begründung für die Notwendigkeit einer derartigen regelhaften Dauerbehandlung liefert sie jedoch nicht. Insbesondere im Hinblick auf die oben dargelegte Zielrichtung der MT zur Behandlung akuter Funktionsstörungen kann dies nicht überzeugen.

Sofern bei der Klägerin weiterhin ein Heilmittelbedarf erforderlich ist, ist sie auf eine Heilmittelverordnung außerhalb des Regelfalls nach § 8 HeilM-RL zu verweisen.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten und Unterlagen bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Diese haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO), weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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