L 3 AS 1200/16

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 35 AS 1290/12
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 1200/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Eine Reaktion auf veränderte Umstände nach dem Erlass einer endgültigen Leistungsbewilligung, hier dem zu erwartenden, aber in Bezug auf Zeitpunkt und Höhe noch nicht gewissen Einkommenszufluss, kann über die vorläufige Zahlungseinstellung erfolgen, nicht aber über den Erlass einer neuen vorläufigen Entscheidung.
2. Eine vorläufige Bewilligung nach § 328 SGB III kann nicht in eine vorläufige Zahlungseinstellung nach § 331 SGB III umgedeutet werden.
I. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 2. November 2016 abgeändert. Der Bescheid des Beklagten vom 10. Februar 2012 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Der Beklagte hat die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger in beiden Instanzen zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger begehren höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) für die Zeit vom 1. Oktober 2011 bis zum 31. März 2012.

Die 1978 geborene erwerbsfähige Klägerin zu 1, der 1965 geborene erwerbsfähige Kläger zu 2 bildeten zusammen mit ihren 1995, 1997, 2003, 1999 und 2005 geborenen Kindern, den Klägern zu 3 bis 7, im streitbefangenen Zeitraum eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des SGB II. Die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft bezogen von der ARGE Stadt P ... erstmals im Jahr 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.

Der Nachfolger der ARGE Stadt P ..., das beklagte Jobcenter, bewilligte den Klägern zu 1 und 2 sowie 4 bis 7 mit Bescheid vom 28. September 2011 vorläufig Leistungen für die vom 1. Oktober 2011 bis zum 31. März 2012 in Höhe von zusammen monatlich 1.368,33 EUR. Auf der Bedarfsseite berücksichtigte der Beklagte zum einen die den Klägern jeweils zustehenden Regelsätze sowie Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 696,93 EUR. Dem stellte er das bereinigte Erwerbseinkommen der Klägerin zu 3 sowie das Kindergeld für die Kläger zu 3 bis 7 gegenüber.

Für November 2011 bis März 2012 erließ der Beklagte zunächst die Änderungsbescheide vom 6. Oktober 2011 und 21. Oktober 2011 mit vorläufigen Bewilligungen.

Für Oktober 2011 erließ der Beklagte unter dem 21. Oktober 2011 einen Änderungsbescheid mit einer endgültigen Leistungsbewilligung. Die bewilligten Leistungen beliefen sich auf 1.452,82 EUR. Der Klägerin zu 3 wurde weiterhin kein Leistungsanspruch zuerkannt.

Mit zwei Schriftsätzen vom 1. November 2011 ließen die jetzt anwaltlich vertretenen Kläger gegen den Bescheid vom 28. September 2011 und gegen den Bescheid vom 6. Oktober 2011 Widerspruch einlegen. Ein weiterer Widerspruch wurde mit Schriftsatz vom 21. November 2011 gegen den Bescheid vom 21. Oktober 2011 eingelegt. Sie machten geltend, dass die Regelsätze nicht verfassungsgemäß seien. Die Kosten der Unterkunft und Heizung seien rechtswidrig gekappt worden. Die Versicherungspauschale für die minderjährigen Kläger sei nicht von deren Einkommen in Abzug gebracht worden. Der Klägerin zu 3 stehe als Auszubildender ein Zuschuss zu den Kosten der Unterkunft und Heizung zu.

Für November 2011 setzte der Beklagte die Leistungen mit Änderungsbescheid vom 4. November 2011 in Höhe von insgesamt 1.477,82 EUR und für Januar bis März 2012 mit Änderungsbescheid vom 22. November 2011 in Höhe von insgesamt monatlich 1.691,93 EUR endgültig fest. Für den letztgenannten Zeitraum wurden nunmehr wegen der entfallenen Ausbildungsvergütung auch der Klägerin zu 3 Leistungen zuerkannt.

Für Januar bis März 2012 setzte der Beklagte die Leistungsbewilligungen – einschließlich eines Anspruches der Klägerin zu 3 – mit Änderungsbescheid vom 8. Dezember 2011 auf insgesamt monatlich 1.658,73 EUR herab.

Mit Änderungsbescheid vom 10. Januar 2012 bewilligte der Beklagte für Februar 2012 höhere Leistungen, da den Klägern zu 4 bis 7 Schulgeld für das 2. Halbjahr gewährt wurde.

Mit Änderungsbescheid vom 1. Februar 2012 bewilligte der Beklagte den Klägern zu 1, 2 und 4 bis 7 Leistungen für November 2011 in Höhe von insgesamt 1.482,82 EUR und allen sieben Klägern für Dezember 2011 in Höhe von insgesamt 1.691,93 EUR

Der Kläger zu 2 nahm zum 6. Februar 2012 eine befristete Beschäftigung auf mit einer monatlichen Bruttovergütung in Höhe von 1.500,00 EUR. Daraufhin erließ der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 10. Februar 2012 eine vorläufige Leistungsbewilligung für März 2012, bei der er ein Erwerbseinkommen von brutto 1.500,00 EUR und netto 1.200,00 EUR anrechnete. Die Leistungsbewilligung belief sich auf Grund dessen auf insgesamt 788,73 EUR.

Der Beklagte erließ unter dem 16. Februar 2012 drei Widerspruchsbescheide. Mit dem einen (Az. W 4907/11) wies er den Widerspruch gegen den Bescheid vom 28. September 2011 zurück. Mit den beiden anderen verwarf er die Widersprüche gegen die Bescheide vom 6. Oktober 2011 (Az. W 4908/11) und 21. Oktober 2011 (Az. W 5395/11) als unzulässig, weil diese Bescheide gemäß § 86 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des Widerspruchverfahrens gegen den Bescheid vom 28. September 2011 geworden seien. Zu den nicht zugestellten Widerspruchsbescheiden gibt es in der Verwaltungsakte keine Postaufgabevermerke.

Wegen der Beschäftigungsaufnahme des Klägers zu 2 hob der Beklagte noch die Leistungsbewilligungen für Februar 2012 mit zwei Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden vom 28. März 2012 auf, einerseits gegenüber der Klägerin zu 1 sowie den Klägern zu 3 bis 7 in Höhe von insgesamt 305,05 EUR sowie andererseits gegenüber dem Kläger zu 2 in Höhe von 108,96 EUR, und forderte der Erstattung dieser Beträge.

Gegen beide Aufhebungs- und Erstattungsbescheide ließen die Kläger am 30. April 2012 jeweils Widerspruch einlegen. Die Bescheide würden an erheblichen Begründungsmängeln leiden. Zudem seien bereits die zugrundeliegenden Bewilligungsbescheide fehlerhaft.

Die beiden Widersprüche wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 16. Juli 2012 und 17. Juli 2012 zurück.

Bereits am 19. März 2012 haben die Kläger gegen konkret bezeichnete Bescheide in der Gestalt des den Widerspruch gegen den Bescheid vom 28. September 2011 betreffenden Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2012 (Az. W 4907/11) Klage erhoben und die Bewilligung höherer Leistungen für die Monate Oktober 2011 bis März 2012 begehrt. In der Klageschrift haben sie geltend gemacht, dass die Kosten der Unterkunft und Heizung untersetzt seien. Bei den minderjährigen Kindern sei die Versicherungspauschale vom Einkommen nicht abgezogen worden. Zudem sei das Einkommen nicht fehlerfrei angerechnet worden. Ferner seien die Regelleistungen verfassungswidrig. Nachweise zu ihren Rügen haben die Kläger trotz eines richterlichen Aufforderungsschreibens nach § 106a SGG nicht vorgelegt.

In der mündlichen Verhandlung am 17. Oktober 2016 haben die Kläger geltend gemacht, dass bei der Bereinigung des Einkommens der Klägerin zu 3 seien die Kosten für deren Fahrten von ihrem Wohnort P ... zum Ort der Ausbildungsstätte in G ... in den Monaten Oktober bis Dezember 2011 nicht berücksichtigt worden seien. Die angekündigte weitere Erklärung zu den Fahrkosten ist innerhalb der vorgegebenen Frist nicht erfolgt.

Mit Einverständnis der Beteiligten hat das Sozialgericht ohne mündliche Verhandlung die Klagen mit Urteil vom 2. November 2016 abgewiesen. Gegenstand des Verfahrens seien auf Grund von § 86 SGG die Bescheide über die endgültige Festsetzung von Leistungen für den streitbefangenen Zeitraum sowie die diese abändernden Bescheide, da diese die Bescheide über die vorläufige Bewilligung ersetzt hätten. Aus demselben Grund seien auch die Bescheide vom 28. März 2012 Gegenstand des Verfahrens geworden, soweit hierin die Leistungen teilweise aufgehoben worden sein. Soweit darin von den Klägern die Erstattung von Leistungen gefordert werde, seien die Bescheide hingegen nicht Gegenstand des Verfahrens geworden, da sie in diesem Umfang die ursprünglich angegriffenen Bescheide nicht ersetzt hätten. Eine Erstattung sei nicht Gegenstand der zunächst erfolgten vorläufigen Bewilligung gewesen. Die angegriffenen Bescheide verletzten die Kläger nicht in deren Rechten. Die Leistungen seien in zutreffender Höhe bewilligt wurden. Diesbezüglich werde auf den Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2012 verwiesen. Belege für die geltend gemachten Fahrkosten lägen nicht vor. Hinsichtlich der Aufhebungsbescheide vom 28. März 2012, die auf § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II, § 330 Abs. 3 Satz 1 des Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III), § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) gestützt seien, lägen keine formellen oder materiellen Fehler vor. Hinsichtlich der Höhe der Teilaufhebung aufgrund des erzielten Einkommens seien Fehler weder vorgetragen noch ersichtlich. Entgegen der Auffassung der Kläger habe es weitergehend keines Änderungsbescheides, der Grundlage für die Erstattungsforderung sei, bedurft.

Die Kläger haben am 21. November 2016 Berufung eingelegt, ohne diese in der Folge zu begründen. Ihr Prozesskostenhilfeantrag ist mit Beschluss vom 11. August 2017 abgelehnt worden.

Der Kläger beantragt – angelehnt an den Wortlaut des Antrages in der Klageschrift – sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichtes Chemnitz vom 2. November 2016 aufzuheben sowie den Beklagten unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 28. September 2011 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 6. Oktober 2011, 21. Oktober 2011, 4. November 2011, 22. November 2011, 8. Dezember 2011, 10. Januar 2012, 1. Februar 2012 und 10. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2012 in der Fassung der Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 28. März 2012 zu verpflichten, monatliche Leistungen im Zeitraum vom 1. Oktober 2011 bis zum 31. Oktober 2011 in Höhe von mehr als 1.452,82 EUR, im Zeitraum vom 1. November 2011 bis zum 30. November 2011 in Höhe von mehr als 1.482,82 EUR, im Zeitraum vom 1. Dezember 2011 bis zum 31. Dezember 2011 in Höhe von mehr als 1.691,93 EUR, im Zeitraum vom 1. Januar 2012 bis zum 31. Januar 2012 in Höhe von mehr als 1.658,73 EUR, im Zeitraum vom 1. Februar 2012 bis zum 29. Februar 2012 in Höhe von mehr als 1.778,73 EUR sowie im Zeitraum vom 1. März 2012 bis zum 31. März 2012 in Höhe von mehr als 788,73 EUR zu bewilligen.

Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt und keine Stellungnahme abgegeben.

Die Beteiligten sind mit richterlichem Schreiben darauf hingewiesen worden, dass Bedenken in Bezug auf die Rechtsmäßigkeit des Bescheides vom 10. Februar 2012 mit der vorläufigen Leistungsbewilligung für März 2012 bestünden, weil zuvor eine endgültige Leistungsbewilligung ergangen sei. Soweit ungewiss gewesen sei, wann und in welcher Höhe der Kläger zu 2 Einkommen aus seiner am 6. Februar 2012 aufgenommenen Beschäftigung erzielen werde, wäre nicht eine erneute vorläufige Leistungsbewilligung nach § 328 SGB III, sondern wohl die vorläufige (teilweise) Zahlungseinstellung nach § 331 SGB III (in Bezug auf die bewilligten Leistungen für März 2012) das richtige Instrument gewesen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten aus beiden Verfahrenszügen sowie die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten (3 Bände und 12 Heftungen) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Gegenstand des Berufungsverfahrens sind neben dem Urteil des Sozialgerichtes Chemnitz vom 2. November 2016 nur noch, soweit sich die Kläger gegen die Leistungsbewilligungen wenden, die Bescheide des Beklagten, durch die den Klägern Leistungen endgültig zuerkannt worden sind. Denn die vorangegangenen Bescheide mit vorläufigen Leistungsbewilligungen haben sich in Folge der endgültigen Leistungsentscheidungen gemäß § 39 Abs. 2 SGB X erledigt (vgl. BSG, Urteil vom 8. Februar 2017 – B 14 AS 22/16 RNJW 2017, 2493 ff. = juris Rdnr. 9, m. w. N.). Dies bedeutet: - Für Oktober 2011 ist der Änderungsbescheid vom 21. Oktober 2011, - für November 2011 der Änderungsbescheid vom 4. November 2011 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 1. Februar 2012, - für Dezember 2011 der Änderungsbescheid vom 1. Februar 2012, - für Januar 2012 der Änderungsbescheid vom 22. November 2011 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 8. Dezember 2011, - für Februar 2012 der Änderungsbescheid vom 22. November 2011 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 8. Dezember 2011 und des 10. Januar 2012 sowie - für März 2012 der Bescheid vom 22. November 2011 in der Fassung des Bescheides vom 8. Dezember 2011, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2012 (Az. W 4907/11), maßgebend. Die den erstgenannten Bescheiden nachfolgenden Bescheide sind gemäß § 86 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Bewilligungsbescheid vom 28. September 2011 geworden.

Die beiden weiteren Widerspruchsbescheide vom 28. September 2011, mit denen die Widersprüche gegen die Bescheide vom 6. Oktober 2011 als unzulässig verworfen worden sind (Az. W 4908/11 und W 5395/11), sind nicht Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens. Denn der Klägerbevollmächtigte hat im Klageantrag nur einen Widerspruchsbescheid erwähnt ("in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.02.2012") und nur den Widerspruchsbescheides mit dem Az. W 4907/11 in Kopie der Klageschrift beigefügt.

Da die Kläger höhere als die ihnen mit diesen Bescheiden endgültig zuerkannten Leistungen begehren, sind neben den genannten Bescheiden mit den endgültigen Leistungsbewilligungen außerdem der Änderungsbescheid vom 10. Februar 2012 mit der vorläufigen – geringeren als der vorherigen endgültigen – Leistungsbewilligung für März 2012 und die beiden Bescheide vom 28. März 2012 betreffend die Rückforderungen für März 2012 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16. Juli 2012 und 17. Juli 2012 Gegenstand des Verfahrens. Der Bescheid vom 10. Februar 2012 ist gemäß § 86 SGG Gegenstand des damals noch laufenden Widerspruchsverfahrens geworden. Die Bescheide vom 28. März 2012 sind gemäß § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden, allerdings nur – wie das Sozialgericht zutreffend entschieden hat – hinsichtlich der darin enthaltenen Aufhebungsentscheidungen, nicht aber hinsichtlich der Erstattungsforderungen. Denn eine Erstattungsforderung ändert weder eine frühere Leistungsbewilligung ab noch ersetzt sie eine Bewilligung, was aber nach § 96 Abs. 1 SGG ("den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt") erforderlich ist. Eine analoge Anwendung von § 96 Abs. 1 SGG ist seit der Novellierung zum 1. April 2008 nicht mehr möglich (vgl. hierzu die Rechtsprechungsnachweise bei Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG [12. Aufl., 2017], § 96 Rdnr. 4). Der Antrag in der Klageschrift kann auch nicht dahingehend ausgelegt werden, dass er eine Anfechtung der Erstattungsentscheidungen mitumfassen sollte. Denn die Bescheide vom 28. März 2012 sind erst nach Klageerhebung erlassen worden.

Schließlich ist nicht ein Bescheid vom 26. September 2011 Gegenstand des Verfahrens. Denn nach Aktenlage gibt es einen solchen vom Klägerbevollmächtigten im Klageantrag erwähnten Bescheid nicht. Der Klägerbevollmächtigte hat einen solchen Bescheid auch nicht nach richterlicher Aufforderung vorgelegt.

II. Soweit der Klägerbevollmächtigte im Klageantrag einen kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsantrag (vgl. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) formuliert hat, ist das Klagebegehren sachdienlich (vgl. § 123 SGG) als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (vgl. § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) auszulegen. Denn einer Verpflichtungsklage bedarf es nur dann, wenn eine Rechtsposition des Einzelnen begründet werden soll. Wenn hingegen bereits kraft Gesetzes ein Rechtsanspruch auf eine (Sozial-)Leistung besteht, ist kein rechtseinräumender Verwaltungsakt zur Begründung eines subjektiven Rechts des Einzelnen erforderlich (vgl. Böttiger, in: Breitkreuz/Fichte, SGG [2. Aufl., 2014], § 54 Rdnr. 76; vgl. auch Keller, in. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG [12. Aufl., 2017], § 54 Rdnr. 20a und 38c). In letzterem Fall fehlt es für eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis, weil es mit der kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage einen leichteren und schnelleren Weg gibt, das Rechtsschutzziel zu erlangen (vgl. hierzu Sächs. LSG, Beschluss vom 24. Januar 2019 – L 3 AS 476/17 – juris Rdnr. 33, m. w. N.; Keller, a. a. O., Vor § 51 Rdnr. 16a, m. w. N.).

Vorliegend haben die Kläger kraft Gesetzes einen Anspruch auf Zahlung höherer Leistungen, wenn die von ihnen hierfür vorgetragenen Einwände tragen. Dem Beklagten steht bei der Entscheidung, ob die Kläger diesen Anspruch haben, kein Ermessen zu.

III. Die solchermaßen beschriebene Berufung ist statthaft. Dies ergibt sich bereits aus dem Bescheid vom 10. Februar 2012.

Mit dem Bescheid vom 10. Februar 2012 wurde für März 2012 die Leistungsbewilligung auf 788,73 EUR festgesetzt. Im Vergleich zur vorangegangenen Bewilligung im Änderungsbescheid vom 8. Dezember 2011 in Höhe von 1.658,73 EUR ergibt dies einen streitigen Differenzbetrag in Höhe von 870,00 EUR. Da die Kläger im Gerichtsverfahren als Minimum die Wiederherstellung des ursprünglichen Bewilligungszustandes erstreben und im Falle einer subjektiven Klagehäufung die Einzelansprüche zusammengerechnet werden (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG [12. Aufl., 2017], § 96 Rdnr. 4, m. w. N.), wird allein mit der Anfechtung des Bescheides vom 10. Februar 2012 der Grenzwert aus § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG für die Statthaftigkeit der Berufung überschritten. Auf den Wert der übrigen Klagebegehren kommt es deshalb nicht an.

IV. Die Berufung ist begründet, soweit die Aufhebung des Bescheides vom 10. Februar 2012 begehrt wird. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.

1. Die Klage vom 19. März 2012 gegen die angefochtenen Bescheide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2012 ist zulässig, insbesondere nicht verfristet.

Nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben. Nach § 64 Abs. 1 SGG beginnt der Lauf einer Frist, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit dem Tag nach der Zustellung oder, wenn diese nicht vorgeschrieben ist, mit dem Tag nach der Eröffnung oder Verkündung. Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Nach § 37 Abs. 2 Satz 3 SGB X gilt dies nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.

Der Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2012 wurde weder zugestellt noch ist in der Verwaltungsakte der Tag der Postaufgabe dokumentiert. Da sich somit bereits der Fristbeginn nicht feststellen lässt, kann zwingend auch nicht das Fristende berechnet werden (vgl. Sächs. LSG, Urteil vom 18. März 2010 – L 3 AS 180/09 – juris Rdnr. 33).

2. In der Sache ist das Urteil des Sozialgerichtes Chemnitz vom 2. November 2016 in den überwiegenden Teilen zutreffend. Da auch im Berufungsverfahren keine Einwände von Klägerseite gegen dieses Urteil vorgetragen worden sind, wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidungsgründe des Urteiles verwiesen und von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen.

Etwas anderes gilt nur in Bezug auf den Bescheid vom 10. Februar 2012. Dieser Bescheid, mit dem für März 2012 nach einer vorherigen endgültigen Leistungsbewilligung wieder eine vorläufige Bewilligung verfügt worden ist, ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (vgl. § 54 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 SGG).

Der Bescheid vom 10. Februar 2012 wurde auf § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i. V. m. § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III gestützt. Danach kann über die Erbringung von Geldleistungen vorläufig entschieden werden, wenn "zur Feststellung der Voraussetzungen des Anspruchs einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers auf Geldleistungen voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist, die Voraussetzungen für den Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen und die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer die Umstände, die einer sofortigen abschließenden Entscheidung entgegenstehen, nicht zu vertreten hat." Vorliegend konnte jedoch die Feststellung der Voraussetzungen für den Leistungsanspruch der Kläger für März 2012 getroffen werden; denn eine endgültige Leistungsbewilligung erfolgte mit Änderungsbescheid vom 22. November 2011.

Eine Reaktion auf die veränderten Umstände nach dem Erlass der endgültigen Leistungsbewilligung, nämlich die Beschäftigungsaufnahme des Klägers zu 2 zum 6. Februar 2012 und dem damit zu erwartenden, aber in Bezug auf Zeitpunkt und Höhe noch nicht gewissen Einkommenszufluss, hätte über die vorläufige Zahlungseinstellung nach § 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II i. V. m. § 331 SGB III erfolgen müssen. Nach § 331 Abs. 1 Satz 1 SGB III kann die Zahlung einer laufenden Leistung ohne Erteilung eines Bescheides vorläufig eingestellt werden, wenn die Behörde "Kenntnis von Tatsachen erhält, die kraft Gesetzes zum Ruhen oder zum Wegfall des Anspruchs führen und wenn der Bescheid, aus dem sich der Anspruch ergibt, deshalb mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben ist." Nach der Gesetzesbegründung musste nach dem damals geltenden Recht, wenn ein Anspruch kraft Gesetzes entfallen oder zum Ruhen gekommen war, die laufende Leistung weitergezahlt werden, bis der Bescheid, aus dem sich der Anspruch ergab, – gegebenenfalls nach Anhörung des Betroffenen – aufgehoben worden war. Damit traten zwangsläufig von den Leistungsempfängern zu erstattende Überzahlungen ein. Um den damit verbundenen Aufwand für Leistungsempfänger und Verwaltung zu vermeiden, sollte das Arbeitsamt die Möglichkeit erhalten, die Zahlung von laufenden Leistungen bereits vor dem Wirksamwerden des Aufhebungsbescheides vorläufig einzustellen, wenn ihm die Tatsachen bekannt wurden, die kraft Gesetzes zum Ruhen oder Wegfall des Anspruchs führten, und wenn deshalb der Bewilligungsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben war. Die vorläufige Zahlungseinstellung sollte dagegen nicht möglich sein, wenn das Ruhen oder der Wegfall des Anspruchs oder der Erstattungsanspruch von einer Ermessensleistung abhängig war (vgl. BT-Drs. 13/4941 S. 213 [zu § 332]).

Die vorläufige Bewilligung nach § 328 SGB III kann nicht in eine vorläufige Zahlungseinstellung nach § 331 SGB III umgedeutet werden. Denn nach § 43 Abs. 1 SGB X ist die Möglichkeit, einen fehlerhaften Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umzudeuten, eröffnet, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Nach der Gesetzesbegründung zu der Parallelregelung im Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) muss der Verwaltungsakt, in den umgedeutet wird, abgesehen von nur unwesentlichen Verschiedenheiten die gleiche materiell-rechtliche Tragweite haben, wie sie dem fehlerhaften Verwaltungsakt zukommen sollte (vgl. BT-Drs. 7/910 S. 67; vgl. hierzu auch Leopold, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X [2. Aufl., 2017], § 43 Rdnr. 31; Littmann, in: Hauck/Noftz, SGB X [Stand: Erg.-Lfg. 10/09], § 43 Rdnr. 18; Schütze, in: von Wulffen/Schütze, SGB X [8. Aufl., 2014], § 43 Rdnr. 7).

Vorliegend steht einer Umdeutung die fehlende Zielgleichheit entgegen. Zum einen wurde mit der vorläufigen Leistungsbewilligung im Bescheid vom 10. Februar 2012 im Vergleich zur vorangegangenen endgültigen Leistungsbewilligung den Klägern eine bestandskräftig zuerkannte Rechtposition teilweise entzogen. Demgegenüber wäre im Falle einer vorläufigen Zahlungseinstellung die Bescheidlage unverändert geblieben; lediglich der Umfang der ausgezahlten Leistungen wäre vorläufig verringert worden. Zum anderen haben beide Handlungsinstrumente im Ablauf eines Sozialveraltungsverfahrens eine unterschiedliche Stellung. Während eine vorläufige Leistungsbewilligung einer endgültigen Bewilligungsentscheidung vorgelagert ist, ist eine vorläufige Zahlungseinstellung ihr nachgelagert.

V. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

VI. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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