L 8 R 3467/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 R 199/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 R 3467/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit ist im Überprüfungsverfahren trotz nachträglichen Nachweises einer bereits vor dem 31.12.2000 eingetretenen Berufsunfähigkeit nicht möglich, wenn kein nach altem Recht rechtzeitiger Rentenantrag im Sinne von § 99 SGB VI feststellbar ist.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 17.07.2017 abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind weder für das Klage- noch für das Berufungsverfahren zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger macht im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 43 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 anzuwendenden Fassung (a.F.) anstelle der ihm bewilligten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI in der ab dem 01.01.2001 anzuwendenden Fassung (n.F.) geltend.

Der 1955 geborene Kläger, der den Beruf des Metzgers erlernt hat, war seit 12.10.2000 durchgehend krankgeschrieben und stellte am 21.03.2001 einen Reha-Antrag. Im Reha-Entlassungsbericht über die daraufhin durchgeführte stationäre Maßnahme in der psychosomatischen Klinik S. W. vom Juli 2001 wurden beim Kläger eine mittelgradige depressive Episode sowie zervikale Bandscheibenverlagerungen diagnostiziert und ein unter 2-stündiges Leistungsvermögen für den zuletzt ausgeübten Beruf des Metzgers angenommen. Die Beklagte deutete daraufhin den Reha-Antrag in einen Rentenantrag um und bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 19.11.2001 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 01.03.2001 in Höhe von monatlich 204,96 EUR. Die Anspruchsvoraussetzungen seien ab dem 12.10.2000 erfüllt. Ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung würde nicht bestehen.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch begründete der Kläger damit, er sei erwerbsunfähig im Sinne von § 44 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 anzuwendenden Fassung (a.F.). Im Übrigen sei ihm eine Berufsunfähigkeitsrente nach § 43 SGB VI a.F. zu gewähren. Mit Widerspruchsbescheid vom 17.06.2002 wies der Beklagte den Widerspruch zurück und führte unter anderem aus, dass gemäß § 300 Abs. 2 SGB VI die Anwendung von § 44 SGB VI a.F. voraussetze, dass sich unter Berücksichtigung des alten Rechts auch noch ein Anspruch vor Inkrafttreten des neuen Rechts ergeben würde, was beim Kläger nicht der Fall sei, da der zum Rentenantrag umgedeutete Reha-Antrag erst am 21.03.2001 gestellt worden sei. Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Freiburg unter dem Aktenzeichen S 6 RJ 1822/02 beantragte der Kläger (nur noch), die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung seit dem 01.03.2001 zu gewähren. In der nichtöffentlichen Sitzung des SG Freiburg vom 07.10.2003 schlossen die Beteiligten zur Erledigung des Rechtsstreits einen Vergleich, wonach dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.10.2001 bis 31.12.2004 gewährt wurde und der Kläger sich verpflichtete, "aus der Klage keine weiteren Ansprüche geltend" zu machen.

Der Kläger bezog in der Folgezeit durchgehend Rente wegen voller Erwerbsminderung, zuletzt unbefristet. Mit Schreiben vom 12.11.2015 (eingegangen bei der Beklagten am 13.11.2015) stellte der Kläger einen Überprüfungsantrag bezüglich des Bescheides vom 19.11.2001. Aus diesem würde sich ergeben, dass die Anspruchsvoraussetzungen für den Rentenbezug bereits zum 12.10.2000 erfüllt gewesen seien. Er bitte daher um Überprüfung, warum Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach neuem Recht gezahlt werde und ob die Rente nicht nach altem Rentenrecht gewährt werden könne. Selbst wenn man der Auffassung sei, dass erst der umgedeutete Reha-Antrag vom 21.03.2001 entscheidend sei, müsse aufgrund der Übergangsvorschrift des § 300 Abs. 2 SGB VI davon ausgegangen werden, dass Ansprüche nach altem Rentenrecht noch bis zum Ablauf von 3 Kalendermonaten nach der Einführung des neuen Rentenrechts geltend gemacht werden konnten. Mit Bescheid vom 15.02.2016 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit der Begründung ab, bei der teilweisen Erwerbsminderungsrente habe man das Recht in der Fassung vom 01.07.1998 bis 31.12.2001 angewendet. Bei der teilweisen Erwerbsminderungsrente ab 01.03.2001 habe sich das Recht bereits vor dem Rentenbeginn, nämlich zum 20.12.2000 geändert, weshalb das SGB VI in der Fassung bis 31.12.2001 anzuwenden sei.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch begründete der Kläger damit, die Beklagte habe ausgeführt, dass auf den zu Grunde liegenden Sachverhalt die frühere Gesetzesfassung des SGB VI in der Fassung vom 01.07.1998 Anwendung finden müsse. Genau das fordere der Kläger auch. In diesem Falle wäre der Bescheid vom 19.11.2001 wie vom Kläger gefordert aufzuheben, da in diesem gerade die Anwendung des früheren Recht abgelehnt worden sei. Eine von der Beklagten daraufhin veranlasste interne Probeberechnung ergab, dass für den Fall der Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 44 SGB VI a.F. aufgrund der dann entfallenden Abschläge, welche mit der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit verbunden seien, sich für den Kläger bei der seit 01.10.2001 gewährten Rente wegen voller Erwerbsminderung eine um 6,36 EUR höhere monatliche Bruttorente ergeben würde. In einer internen Stellungnahme wurde darauf hingewiesen, dass die Arbeitsgruppe des Fachausschusses für Versicherung und Rente beschlossen habe, dem Urteil des BSG vom 08.09.2005 (B 13 RJ 10/04, in juris) über den Einzelfall hinaus nicht zu folgen. Im Übrigen würde das oben genannte Urteil wie auch das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 20.08.2014 (L 2 R 5350/13, in juris) jeweils Zeitrentenfälle betreffen, bei denen der Rentenantrag vor dem 01.01.2001 gestellt worden sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 20.01.2017 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Voraussetzung für die Anwendung des bis 31.12.2000 geltenden Rechts sei, dass unter Geltung dieses aufgehobenen Rechts noch ein Rentenanspruch bestanden habe. Ein solcher habe jedoch nicht bestanden, weil ein Rentenantrag des Klägers erst am 21.03.2001 erfolgt sei. Diese Auffassung werde auch durch die Entscheidung des BSG vom 29.11.2007 (B 13 R 18/07, in juris) gestützt, in welcher das Gericht festgestellt habe, dass nicht alle Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit nach altem Recht erfüllt gewesen seien, da zu diesen Voraussetzungen auch der Antrag gehöre.

Hiergegen hat der Kläger am 26.01.2017 Klage beim SG Reutlingen erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt und zu deren Begründung er auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren verwiesen hat. Mit Urteil vom 17.07.2017 hat das SG Reutlingen die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15.02.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2017 verpflichtet, den Bescheid vom 19.11.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.06.2002 teilweise aufzuheben und dem Kläger ab dem 01.01.2011 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach den bis zum 31.12.2000 geltenden Bestimmungen des SGB VI zu gewähren und hat im Übrigen die Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 19.11.2001 sei teilweise zurückzunehmen, weil bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt worden sei. Der vor dem SG Freiburg abgeschlossene Vergleich stehe dem nicht entgegen, da es sich um ein Klageverfahren, gerichtet auf die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung gehandelt habe. Der Anspruch des Klägers auf Gewährung der unbefristeten Rente wegen Berufsunfähigkeit sei noch unter Geltung alten Rechts entstanden. § 300 Abs. 2 SGB VI stelle nur auf einen bis dahin bestehenden Anspruch ab und fordere nicht, dass es bereits zu einer Leistung gekommen sei. Der Anspruch dem Grunde nach habe aber bereits mit Erfüllung der gesetzlich normierten Voraussetzungen im Jahr 2000 bestanden. Der Rentenbeginn selbst gehöre nicht zu Anspruchsvoraussetzung für die Gewährung der Rente wegen Berufsunfähigkeit. Die Rente wegen Berufsunfähigkeit sei auch innerhalb der Frist des § 300 Abs. 2 SGB VI beantragt worden. Nach Maßgabe des § 44 Abs. 4 SGB X sei die Erbringung der höheren Leistungen der Berufsunfähigkeitsrente auf die Zeit ab dem 01.01.2011 zu begrenzen und die Klage daher teilweise abzuweisen gewesen.

Gegen das der Beklagten am 31.08.2018 zugestellte Urteil hat diese am 26.09.2018 Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, im Rahmen des § 300 Abs. 2 SGB VI sei der Rentenbeginn maßgeblich, der sich aus § 99 Abs. 1 SGB VI ergeben würde, weshalb ab dem Monat der Rentenantragstellung vom 21.03.2001 geleistet werde. Die Rechtsänderung sei vorliegend zum 01.01.2001 erfolgt, also noch vor dem maßgeblichen Beginn der bewilligten Rente und im Übrigen auch vor dem Rentenantrag, welcher zwar innerhalb der Dreimonatsfrist nach Gesetzesänderung gestellt worden sei, aber bezüglich der Anwendung des alten Rechts keine Wirkung mehr entfalten konnte. Das SG Reutlingen habe übersehen, dass zu den Anspruchsvoraussetzungen neben dem Eintritt des Leistungsfalls und Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen auch die Antragstellung gehöre. Allein der Zeitpunkt der Fälligkeit, das heißt der Rentenbeginn und somit die erstmalige Zahlung, entscheide über die Rechtsanwendung.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 17.07.2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt zuletzt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist zur Begründung seines Antrags auf die Darlegungen des SG Reutlingen.

Die am 02.10.2018 eingelegte Berufung hat der Kläger wieder zurückgenommen (Schriftsatz vom 28.02.2019).

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 21.01.2020 und der Kläger mit Schriftsatz vom 14.02.2020 einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG zugestimmt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und zum Vorbringen der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte des Beklagten sowie der Prozessakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerechte Berufung, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet, ist auch im Übrigen zulässig. Sie ist insbesondere gemäß §§ 143, 144 SGG statthaft, nachdem sich die Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit nach altem Recht in einer um 6,36 EUR höheren monatlichen Bruttorente und dies für den Zeitraum ab 01.01.2011 (bis mindestens 01.08.2016 als dem Zeitpunkt, zu dem der Kläger erstmalig eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen mit Abschlägen in Anspruch nehmen konnte) und damit für mehr als einem Jahr auswirkt (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Berufung ist auch begründet, da der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 43 SGB VI a.F. hat.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Aufhebung des Urteils des SG Reutlingen vom 17.07.2017, soweit das SG Reutlingen die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 15.02.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2017 verpflichtet hat, den Bescheid vom 19.11.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.06.2002 teilweise zurückzunehmen und dem Kläger ab dem 01.01.2011 Rente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 43 SGB VI a.F. anstelle der ihm bewilligten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI n.F. zu bewilligen.

Die Beklagte hat im Ergebnis zu Recht die Zurücknahme des Bescheides vom 19.11.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.06.2002 abgelehnt, soweit dort Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI n.F. bewilligt worden ist. Denn diese Bescheide sind rechtmäßig, womit die Voraussetzungen gemäß § 44 SGB X für eine Zurücknahme nicht vorliegen. Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Die Bestimmung ermöglicht eine Abweichung von der Bindungswirkung sozialrechtlicher Verwaltungsakte. Nach § 44 Abs. 4 SGB X werden im Falle der Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum von vier Jahren vor der Rücknahme bzw. Antragstellung erbracht. Der Zeitpunkt der Rücknahme wird dabei von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (§ 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Bei einer Rücknahme auf Antrag tritt bei der Berechnung des Zeitraums, für den die Leistungen rückwirkend zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (§ 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X).

Dem Kläger steht kein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 43 SGB VI a.F. zu.

Zutreffend hat das SG Reutlingen allerdings entschieden, dass der Vergleich vor dem SG Freiburg vom 07.10.2003 einem möglichen Anspruch des Klägers nicht entgegensteht. Vor dem Hintergrund, dass der Kläger mit seiner dortigen Klage ausdrücklich nur das Begehren auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.03.2001 verfolgt hat und mangels sonstiger Anhaltspunkte kann die im gerichtlichen Vergleich geregelte Verpflichtung des Klägers, "aus der Klage keine weiteren Ansprüche geltend" zu machen, in keinem anderen Sinne verstanden werden, als dass der Kläger auf die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche im Übrigen verzichtet hat. Für einen solchen Verzicht war vorliegend auch Raum, nachdem die vergleichsweise geregelte Rentenbewilligung entgegen dem klägerischen Begehren nur auf Zeit und erst ab dem 01.10.2001 erfolgt ist. Für einen weitergehenden Verzicht des Klägers auch auf mögliche Ansprüche im Zusammenhang mit der nicht streitgegenständlichen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit liegen keine Anhaltspunkte vor.

Der Kläger kann aber aus Rechtsgründen keine Rente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 43 Abs. 1 S. 1 SGB VI a.F. beanspruchen. Nach dieser Vorschrift hatten Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit, wenn sie 1. berufsunfähig waren, 2. in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Berufsunfähigkeit 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit hatten und 3. vor Eintritt der Berufsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt hatten (§ 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI a.F.). Unstreitig lagen beim Kläger zum 12.10.2000 (und auch noch zum 31.12.2000) die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 SGB VI a.F. vor. Der Kläger war ab dem 12.10.2000 – auch insoweit zwischen den Beteiligten unstreitig – auch dauerhaft berufsunfähig im Sinne des § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 SGB VI a.F. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Reha-Entlassungsbericht über die stationäre Maßnahme in der psychosomatischen Klinik S. W. vom Juli 2001, in welchem bei unverändertem Ausmaß der psychischen Erkrankung, dokumentiert durch die seit 12.10.2000 ärztlicherseits bestätigte Arbeitsunfähigkeit im Bezugsberuf, schlüssig und nachvollziehbar von einer dauerhaft auf unter 2 Stunden arbeitstäglich gesunkenen Erwerbsfähigkeit ausgegangen worden ist.

Somit ist beim Kläger bereits zum 12.10.2000 der Leistungsfall einer Rente wegen Berufsunfähigkeit eingetreten. Der Kläger hatte im Oktober 2000 danach alle Voraussetzungen für die Rentenleistung erfüllt.

Eine nachträgliche – rückwirkende – Änderung der Rechtslage hat der Gesetzgeber nicht vorgenommen. Unerheblich ist weiterhin – im Gegensatz zur Rechtsauffassung der Beklagten –, dass zum Zeitpunkt des Beginns der Zahlung der Rente (01.03.2001) § 43 SGB VI a.F. bereits außer Kraft getreten war (vgl. Art. 1 Nr. 11 i.V.m. Art. 24 des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000, BGBl. I 1827, 1829, 1845). Denn abweichend von der Grundregel des § 300 Abs. 1 SGB VI in der ab dem 01.01.2001 bis 31.12.2001anzuwendenden Fassung (a.F.) sieht Absatz 2 dieser Norm vor, dass aufgehobene Vorschriften dieses Gesetzbuchs und durch dieses Gesetzbuch ersetzte Vorschriften auch nach dem Zeitpunkt ihrer Aufhebung noch auf den bis dahin bestehenden Anspruch anzuwenden sind, wenn der Anspruch bis zum Ablauf von 3 Kalendermonaten nach der Aufhebung geltend gemacht wird. Der Rentenbeginn selbst gehört aber nicht zu den Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung der Rente wegen Erwerbsminderung (BSG, Urteil vom 08.09.2005 – B 13 RJ 10/04 R –, in juris, auch zum Nachfolgenden), mag dem auch die Beklagte in einem bemerkenswerten Akt der Missachtung höchstrichterlicher Entscheidungen nicht folgen. Gemäß § 38 SGB I besteht nämlich ein Anspruch auf Sozialleistungen, soweit nicht nach den besonderen Teilen dieses Gesetzbuchs die Leistungsträger ermächtigt sind, bei der Entscheidung über die Leistung nach ihrem Ermessen zu handeln. Die Gewährung von Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung steht indes nicht unter Ermessensvorbehalt. Das Entstehen des Anspruchs und seine Fälligkeit sind in §§ 40, 41 SGB I geregelt: Nach § 40 Abs. 1 SGB I entstehen Ansprüche auf Sozialleistungen, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Mit Erfüllung der in § 43 SGB VI a.F. normierten Voraussetzungen hatte der Kläger hiernach dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistung der befristeten Rente.

Allerdings hat der Kläger nicht den für eine Rentengewährung gemäß § 99 SGB VI vorausgesetzten Rentenantrag rechtzeitig gestellt. Die Übergangsvorschrift in § 300 Abs. 2 SGB VI a.F. schützt indes nur den unter Geltung des aufgehobenen Rechts auch entstandenen Anspruch. Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI in der vom 01.01.1992 bis 31.12.2001 gültigen und hier zur Anwendung kommenden Fassung (a.F.) wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des 3. Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei späterer Antragstellung wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt wird (§ 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI a.F.). Der Kläger hat in Form des – gemäß § 116 SGB VI in einen Rentenantrag umgedeuteten – Antrags auf Leistungen zur Rehabilitation erstmalig am 21.03.2001 einen Antrag im Sinne des § 99 Abs. 1 SGB VI a.F. gestellt. Da er somit keinen Rentenantrag bis zum 31.01.2001 als dem Ende des 3. Kalendermonats nach Ablauf des Oktobers 2000 als dem Monat, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erstmalig erfüllt waren, gestellt hatte, stand ihm ein Anspruch auf Leistung der Rente wegen Berufsunfähigkeit erstmalig zum März 2001 zu.

§ 99 Abs. 1 SGB VI a.F. regelt den Zahlungsbeginn im Sinne des Rentenbeginns bei späterer Antragstellung, also die Frage, welcher Einzelanspruch aus dem Stammrecht auf Rente der erste entstandene und auch fällig gewordene ist, den die Beklagte erfüllen muss, falls der Versicherte den Antrag nicht vor oder bei Entstehung des "Rechts auf Rente", sondern nach diesem Zeitpunkt stellt (BSG, Urteil vom 02.08.2000 – B 4 RA 54/99 R –, in juris). Geregelt wird damit ein materiell-rechtlicher, die fälligen Einzelansprüche vernichtender Einwand, der zu einem Leistungsverlust für die davorliegenden Monate führt, wenn der Antrag mehr als 3 Kalendermonaten nach Ablauf des Monats gestellt wird, in dem das Recht auf Rente entstanden ist (BSG, a.a.O.; Urteil vom 29.11.2007 – B 13 R 18/07 R –, in juris). Vorliegend führt dies aufgrund der erst im März 2001 erfolgten Rentenantragstellung zu einem materiell-rechtlich wirkenden, den Rentenanspruch bis einschließlich Februar 2001 vernichtenden, Leistungsausschluss. Dem Kläger stand deshalb erstmalig im März 2001 materiell-rechtlich ein Rentenanspruch zu; bezüglich der vorherigen Monate ist ein Anspruchsverlust eingetreten, der dazu geführt hat, dass bis dahin bestehende Ansprüche untergegangen sind. Ein "bis dahin bestehender Anspruch" im Sinne des § 300 Abs. 2 SGB VI a.F. bestand somit vor dem 01.03.2001 nicht, womit eine Geltendmachung eines vor dem 01.01.2001, also unter der Geltung des alten Rechts, entstandenen und bestehenden Anspruchs nach § 300 Abs. 2 SGB VI a.F. ausscheidet.

Ein solchermaßenes Verständnis der Regelung des § 99 SGB VI a.F. korrespondiert im Übrigen mit § 300 Abs. 2 SGB VI a.F. (BSG, Urteil vom 29.11.2007, a.a.O., auch zum Nachfolgenden). Für den Übergang vom alten zum neuen Erwerbsminderungsrecht hat sich der Gesetzgeber damit an bestehenden Fristen orientiert, die ein Berechtigter zur Vermeidung von Rechtsnachteilen bereits bislang zu beachten hatte. Ziel beider Vorschriften ist es, einen zur Entstehung gelangten Anspruch zu erhalten, soweit die nach § 99 SGB VI für die Bewilligung einer Rente und deren Gewährung notwendige Antragstellung bis zum Ende des 3. Kalendermonats nach Ablauf des Monats, in dem die Anspruchsvoraussetzung erfüllt sind, erfolgt. Nachdem aber unstreitig eine verspätete Antragstellung im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI a.F. vorliegt, die einen Rentenanspruch von dem Kalendermonat an, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzung für die Rente erstmals erfüllt waren (Oktober 2000), ausschließt und nach Satz 2 der Vorschrift ein Rentenanspruch erst ab März 2001 besteht, entspricht es der Zielsetzung des Gleichklangs von § 99 Abs. 1 SGB VI a.F. und § 300 Abs. 2 SGB VI a.F., wenn auch für die Übergangsvorschrift des § 300 Abs. 2 SGB VI a.F. von einer nicht fristgerechten Geltendmachung innerhalb von 3 Kalendermonaten nach Aufhebung der Vorschrift des § 43 SGB VI a.F. ausgegangen wird.

Diese Auslegung führt auch nicht etwa dazu, den Anwendungsbereich des § 300 Abs. 2 SGB VI a.F. im Hinblick auf die Neuregelung des Erwerbsminderungsrechts zum 01.01.2001 leerlaufen zu lassen. So würde beispielsweise eine Antragstellung im März 2001 noch zur Anwendung des bis zum 31.12.2000 geltenden Rentenrechts führen, sofern die Voraussetzungen für die Rentengewährung erstmalig im Dezember 2000 eingetreten wären.

Eine abweichende Beurteilung ist auch nicht etwa aufgrund des Urteils des BSG vom 08.09.2005 (a.a.O.) geboten. Denn der dortige Kläger hatte mit einem im November 2000 auf untervollschichtig herabgesunken Leistungsvermögen und einen bereits im Juni 1998 gestellten Rentenantrag alle Voraussetzungen einschließlich des Antrags für die Gewährung von Rente noch nach altem Recht erfüllt, worauf das BSG sowohl in der Entscheidung vom 08.09.2005 (a.a.O., Rn. 15, 24) wie auch in derjenigen vom 29.11.2007 (a.a.O., Rn. 15) jeweils explizit hingewiesen hat.

Auch den beiden vom SG Reutlingen in Bezug genommenen Entscheidungen des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 20.08.2014 – L 2 R 5350/13 –, in juris) und des Bayerischen LSG (Urteil vom 18.03.2015 – L 19 R 294/13 –, in juris) lässt sich keine andere Beurteilung entnehmen. Im Fall des Bayerischen LSG (a.a.O.) hat der Kläger den Rentenantrag im Mai 2011 und damit weit nach Ablauf des Monats März 2001 gestellt, weshalb sich das Bayerische LSG in seiner Entscheidung zu der hier streitgegenständlichen Frage nicht verhalten musste (und es auch nicht getan hat). Auch bei der dem Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 20.08.2014 zu Grunde liegenden Fallgestaltung ist der Rentenantrag (in Gestalt eines umgedeuteten Reha-Antrags) noch im Juli bzw. November 2000 erfolgt. Dementsprechend hat sich das LSG Baden-Württemberg in seiner Entscheidung vom 20.08.2014 gleichermaßen nicht zu der hier streitgegenständlichen Frage verhalten, sondern hatte nur darüber zu befinden, ob der Rentenbeginn im Sinne der erstmaligen Fälligkeit von Rentenzahlungen zu den Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung der Rente wegen Berufsunfähigkeit im Sinne des § 300 Abs. 2 SGB VI a.F. gehört, was in Übereinstimmung mit der oben dargelegten Rechtsprechung des BSG verneint worden ist. Für die hier streitige Frage, ob § 300 Abs. 2 SGB VI a.F. auch dann Anwendung findet, wenn der Rentenantrag zwar bis 31.03.2001 gestellt worden ist, aber gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI a.F. nicht auf den Zeitpunkt, zu welchem erstmalig die rentenrechtlichen Voraussetzungen vorgelegen haben, zurückwirkt, lässt sich den beiden Entscheidungen entgegen der Auffassung des SG Reutlingen nichts entnehmen.

Der Kläger hat damit keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit nach § 43 SGB VI a.F. Auf die Berufung der Beklagten war daher das Urteil des SG Reutlingens aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Insbesondere liegt kein Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG vor, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat. Betrifft nämlich die Rechtsfrage außer Kraft getretenes oder auslaufendes Recht, ist Klärungsbedürftigkeit regelmäßig zu verneinen, es sei denn, es ist eine erhebliche Zahl von Fällen noch zu entscheiden oder die zu klärende Rechtsfrage stellt sich in gleicher Weise nach geltendem Recht bzw. sie wirkt als Grundlage für andere Vorschriften nach und dies ist von fortwirkender allgemeiner Bedeutung (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 160 Rn. 8d, m.w.N., auch zum Nachfolgenden). In gleicher Weise ist die Klärungsbedürftigkeit regelmäßig bei streitiger Auslegung einer Übergangsvorschrift zu verneinen (BSG, Beschluss vom 25.07.2005 – B 3 P 5/05 B –; Beschluss vom 22.4.10 – B 11 AL 22/09 BH –, beide in juris). Nach diesen Maßstäben ist auch vorliegend eine grundsätzliche Bedeutung zu verneinen. So hat das BSG im Beschluss vom 25.07.2005 (a.a.O.) ausgeführt, nach einem Zeitraum von mehr als 10 Jahren sei nicht anzunehmen, dass vergleichbare Streitfälle noch von den Gerichten zu entscheiden sind. Dies muss vorliegend umso mehr gelten, als hier ausschließlich die Auslegung von Übergangsrecht aus Anlass der Neuregelung des Erwerbsminderungsrentenrechts zum 01.01.2001, also rechtliche Sachverhalte, die letztmalig vor 19 Jahren Relevanz besessen haben können, im Streit steht.
Rechtskraft
Aus
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