L 4 AS 438/19

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 27 AS 2440/17
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 438/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der zu erstattenden Aufwendungen im Widerspruchsverfahren für zwei isoliert geführte Vorverfahren nach § 63 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) streitig.

Die am ... 1956 geborene Klägerin und Berufungsklägerin zu 1) (im Folgenden Klägerin zu 1) und die am ... 1995 geborene Klägerin und Berufungsklägerin zu 2) (im Folgenden Klägerin zu 2) - volljährige Tochter der Klägerin zu 1) - lebten im Jahr 2014 gemeinsam in einem Haushalt und bildeten eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des SGB II.

Mit Bescheid vom 2. April 2014 bewilligte der Beklagte und Berufungsbeklagte (im Folgenden Beklagter) den Klägerinnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) unter anderem für den Leistungszeitraum vom 1. September 2014 bis 31. Oktober 2014 in Höhe von 975,10 Euro monatlich.

Aufgrund der Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung im Lebensmittelhandel (Firma N.) von der Klägerin zu 2) zum 1. Juli 2014 änderte der Beklagte die Leistungsbewilligung mit Änderungsbescheid vom 10. Juli 2014 ab und bewilligte nunmehr für den Leistungszeitraum vom 1. September 2014 bis 31. Oktober 2014 737,10 Euro monatlich. Hierbei rechnete der Beklagte Kindergeld in Höhe von 184,00 Euro beim Einkommen der Klägerin zu 2) an.

Mit Veränderungsmitteilung vom 10. September 2014 zeigte die Klägerin beim Beklagten eine weitere, diesmal 25 Stunden umfassende Arbeitsaufnahme bei der Firma R. zum 1. September 2014 an. Die zu diesem Arbeitsverhältnis erstellten Lohnnachweise reichte die Klägerin zu 2) in der Folgezeit bis Anfang Dezember 2014 beim Beklagten ein.

Mit Bescheid vom 20. Oktober 2014 hob die zuständige Familienkasse die Kindergeldzahlung in Höhe von 184,00 Euro ab September 2014 auf und stellte fest, dass die Klägerin zu 1) den überzahlten Betrag für September und Oktober 2014 zu erstatten habe.

Mit Änderungsbescheid vom 15. Januar 2015 bewilligte der Beklagte den Klägerinnen nunmehr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 771,60 Euro monatlich für den Leistungszeitraum vom 1. September 2014 bis zum 31. Oktober 2014. Eine Änderung hinsichtlich der Anrechnung von Einkommen für die Klägerin zu 2) zum Änderungsbescheid vom 10. Juli 2014 erfolgte nicht.

Die Klägerin zu 2) zog zum 1. Juni 2015 aus der gemeinsamen Wohnung aus.

Mit Anhörung vom 28. August 2015 hörte der Beklagte die Klägerinnen jeweils zu einer Überzahlung in den Monaten September und Oktober 2014 an. Als Grund hierfür nannte der Beklagte die Einarbeitung der Löhne der Klägerin zu 2) aus den Beschäftigungsverhältnissen bei N. und R ... Mit Antwortschreiben vom 5. und 8. September 2015 – beide beim Beklagten eingegangen am 9. September – teilten die Klägerinnen mit, dass das Kindergeld für September und Oktober 2014 an die Familienkasse zurückgezahlt worden sei und fügten einen entsprechenden Kontoauszug in Kopie bei.

Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden vom 30. Juni 2016 forderte der Beklagte Leistungen nach dem SGB II von der Klägerin zu 1) in Höhe von insgesamt 294,39 Euro und von der Klägerin zu 2) in Höhe von insgesamt 301,60 Euro für den Leistungszeitraum 1. September bis 31. Oktober 2014 zurück.

Gegen diese Bescheide legten die Klägerinnen - anwaltlich vertreten - am 28. Juli 2016 jeweils getrennt Widerspruch ein. Hierfür erteilten die Klägerinnen jeweils eigenständig Vollmacht. Zur Vorbereitung der Widerspruchsschreiben fand ein Gespräch nur mit der Klägerin zu 1) statt. Die beiden Widerspruchsschreiben hatten einen identischen Inhalt, allein die personenbezogenen Daten der Widerspruchsführerinnen variierten. Zur Begründung der Widersprüche wird ausgeführt, dass der Beklagte kein Recht zur Aufhebung gehabt habe. Die Lohnnachweise der Klägerin zu 2) seien zeitnah im Jahr 2014 eingereicht und auch durch den Beklagten bei den darauffolgenden Bewilligungen eingearbeitet worden, so dass ein Zugang vorgelegen habe. Die jetzige Geltendmachung sei nunmehr verjährt. Mit dem Anhörungsschreiben sei kein zusätzlicher Erkenntnisgewinn verbunden. Die Anrechnung von Kindergeld sei fehlerhaft gewesen, da dieses kein bereites Mittel darstelle. Es sei schon bei Zufluss mit einer Rückzahlungsverpflichtung belastet gewesen. So sei das Kindergeld in Höhe von 368,00 Euro auch zeitnah am 5. November 2014 zurücküberwiesen worden. Ebenfalls lägen die Voraussetzungen des § 48 SGB X nicht vor.

Mit Abhilfebescheiden vom 9. November 2016 entsprach der Beklagte jeweils vollumfänglich dem Widerspruchsbegehren und hob die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide auf. Der Beklagte verpflichtete sich in beiden Bescheiden zur Tragung der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen. Diese Kostentragung gelte auch für die Gebühren und Auslagen des beauftragten Bevollmächtigten.

Daraufhin stellte der Prozessbevollmächtigte zwei Kostenfestsetzungsanträge in Höhe von jeweils 380,80 Euro für die Widerspruchsverfahren. Es wurde jeweils die Geschäftsgebühr im Rahmen der Schwellengebühr in Höhe von 300,00 Euro (Nr. 2302 VV RVG), die Pauschale für Post- und Telekommunikation in Höhe von 20,00 Euro (Nr. 7002 VV RVG) und die Mehrwertsteuer in Höhe von 60,80 Euro geltend gemacht.

Mit Kostenfestsetzungsbescheid vom 7. März 2017 setzte der Beklagte die Kosten auf insgesamt 487,90 Euro fest. Es sei lediglich eine rechtliche Angelegenheit gemäß § 15 Abs. 2 Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte - Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) gegeben. Aufgrund der gesetzlichen Konstruktion der horizontalen Einkommensverteilung in § 9 Abs. 2 SGB II zwischen den Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft könne die Leistungsberechnung nicht getrennt und unabhängig von einer Mitgliedschaft in einer Bedarfsgemeinschaft erfolgen. Die Bescheide bildeten daher eine Angelegenheit. Aufgrund dessen sei die Geschäftsgebühr lediglich nur einmal entstanden. Hierzu sei eine 30prozentige Erhöhung nach Nr. 1008 VV RVG zu addieren, da zwei Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft das Verfahren geführt hätten. Der darüberhinausgehende Antrag auf zweimalige Abrechnung der Kosten könne keinen Erfolg haben.

Hiergegen erhoben die Klägerinnen - anwaltlich vertreten - am 16. März 2017 Widerspruch. Zur Begründung trug der Prozessbevollmächtigte vor: Es lägen zwei rechtliche Angelegenheiten gemäß § 17 Nr. 1a RVG vor. Diese Norm sei anzuwenden, bevor § 15 Abs. 2 RVG geprüft werde. Dies sei von ihm eingehalten worden. Jedes Widerspruchsverfahren soll nur einmal vergütet werden. Es lägen zwei Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vor, die Widerspruchsverfahren dazu seien unabhängig voneinander geführt worden. Der Beklagte habe zwei Aktenzeichen vergeben und zwei Abhilfebescheide erlassen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2017 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Kostenfestsetzung für die zwei Widerspruchsverfahren sei nicht zu beanstanden. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen sei nur berechtigt, eine rechtliche Angelegenheit abzurechnen.

Gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid haben die Klägerinnen - anwaltlich vertreten – am 3. August 2017 Klage beim Sozialgericht Halle (SG) mit dem Antrag erhoben, ihnen die beantragten Kosten in Höhe von jeweils 380,80 Euro für die geführten Widerspruchsverfahren zu gewähren. Zur Begründung der Klage haben die Klägerinnen ausgeführt: Sie hätten einen Anspruch auf die Vergütung von zwei getrennt geführten Widerspruchsverfahren. Der Beklagte sei im Widerspruchsverfahren auch auf keine vorgetragenen Argumente eingegangen. Es liege nicht nur eine abrechenbare Angelegenheit vor. Der Beklagte verkenne, dass § 15 Abs. 2 RVG erst auf sekundärer Prüfungsebene Anwendung fände. § 17 Nr. 1a RVG sei vorliegend die primäre Norm, welche demzufolge im ersten Schritt vor § 15 Abs. 2 RVG Anwendung fände. Dies besage der Grundsatz der Normenhierarchie. Es lägen nach § 17 Nr. 1a RVG zwei Aufhebungs- und Erstattungsbescheide als zwei rechtliche Angelegenheiten vor. Es seien jeweils selbständige Verwaltungsakte gegeben, welche auch einzeln als Angelegenheiten angegriffen werden müssten. Auch seien die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide mit eigenen Rechtsbehelfsbelehrungen versehen gewesen und damit auch kostenrechtlich individuell zu behandeln. Die Bescheide seien gegen andere Personen gerichtet gewesen, daher seien auch deshalb zwei rechtlich selbständige Angelegenheiten gegeben, welche mit einem eigenen Haftungsrisiko verbunden gewesen seien. Es sei dagegen etwas Anderes, wenn eine Bedarfsgemeinschaft Kläger sei, denn eine Bedarfsgemeinschaft dürfe nicht als Person klagen. Die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide seien jedoch nicht an eine Person wie die Bedarfsgemeinschaft gegangen, sondern an rechtlich selbständige Personen. Ebenfalls werde geltend gemacht, dass die Verbindung unabhängiger Kostenfestsetzungsverfahren mit jeweils eigener Kostengrundentscheidung kostenrechtlich schlechthin unzulässig sei.

Das SG hat die Klage durch Urteil vom 4. Juli 2019 abgewiesen und die Berufung zugelassen. Zur Begründung führt es im Wesentlichen aus, dass im RVG nicht abschließend geregelt sei, wann gebührenrechtlich "dieselbe Angelegenheit" vorliegt. § 17 RVG benenne nur Regelbeispiele. Der Gesetzgeber habe diese Begriffsbestimmung der Rechtsprechung und dem Schrifttum überlassen. Nach der Definition des Bundessozialgerichts (BSG) ist in der Regel von derselben Angelegenheit auszugehen, wenn zwischen den weisungsgemäß erbrachten anwaltlichen Leistungen, also den verschiedenen Gegenständen ein innerer Zusammenhang gegeben ist, somit ein einheitlicher Auftrag und ein einheitlicher Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit vorliegt. Grundsätzlich können daher auch im SGB II mehrere Aufträge verschiedener Auftraggeber "dieselbe Angelegenheit" sein. So liege auch der Fall hier. Die Klägerinnen seien gemeinsam in der anwaltlichen Beauftragung aufgetreten und vorgegangen. Die Widersprüche seien identisch verfasst worden. Auch beruhe die Rechtswidrigkeit der Bescheide auf demselben Grund, der Anrechnung von Einkommen für die Klägerin zu 2). Es könne daher im gebührenrechtlichen Sinne nur eine Angelegenheit mit Erhöhungsgebühr für den zweiten Auftraggeber abgerechnet werden. Auf die weiteren Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Mit der am 1. August 2019 eingelegten Berufung gegen das am 19. Juli 2019 zugestellte Urteil verfolgen die Klägerinnen ihr Begehren weiter und wiederholen und vertiefen zur Begründung der Berufung ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie tragen insbesondere vor: Es sei in § 16 und § 17 RVG exakt normiert, wann verschiedene Angelegenheiten im Sinne des RVG vorliegen, mithin bestehe kein Raum für eine weitere Auslegung. Es lägen zwei Verwaltungsverfahren vor, welche getrennt zu vergüten seien. Die Gerichte und die Literatur seien nicht berechtigt, sich über das Gesetz (RVG) hinwegzusetzen. Die streitige Norm sei keiner Auslegung durch das Gericht zugänglich. Nur der Rechtsanwalt selbst könne im Rahmen des RVG und der Mandatierung entscheiden, ob mehrere Angelegenheiten vorliegen. Dass nur ein Mandantengespräch mit der Klägerin zu 1) stattgefunden habe, liege daran, dass sie die Mutter der Klägerin zu 2) sei. Er habe von beiden Klägerinnen Vollmacht erhalten. Die Erhöhung der Gebühren nach Nr. 1008 RVG finde nur für den Fall der Vertretung einer Bedarfsgemeinschaft, die einen Bescheid an alle Mitglieder erhalte, statt. Dagegen seien zwei Bescheide an zwei unterschiedliche Adressaten grundsätzlich verschiedene gebührenrechtliche Angelegenheiten. Entscheidend sei die Anzahl der Verwaltungsakte. Auch lägen zwei selbständige Kostengrundentscheidungen vor, welche eine gemeinsame Abrechnung verhindern würden.

Die Klägerinnen beantragen schriftsätzlich sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 4. Juli 2019 aufzuheben sowie den Kostenfestsetzungsbescheid des Beklagten vom 7. März 2017 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 18. Juli 2017 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, den Klägerinnen für die erfolgreichen Widersprüche - festgestellt mit Abhilfeentscheidung vom 9. November 2016 - weitere 273,70 Euro zu gewähren.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, bei den durch die Klägerinnen geführten Widerspruchsverfahren handele es sich um eine gebührenrechtliche Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG. Das Bundessozialgericht habe in seiner Rechtsprechung festgestellt, dass im RVG nicht abschließend geregelt ist, wann dieselbe Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne vorliegt, da die anwaltlichen Tätigkeitskataloge des § 16 und § 17 RVG nur Regelbeispiele umfassten. Die durch die Klägerinnen vertretenen Standpunkte zu "derselben Angelegenheit" seien auch bereits durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts geklärt worden. Insbesondere regele § 17 Nr. 1a RVG nur das Verhältnis zwischen dem Verwaltungsverfahren und dem nachfolgenden speziellen Verwaltungsverfahren, dem Widerspruchsverfahren. Es werde gerade nicht das Verhältnis von zwei parallellaufenden Widerspruchsverfahren geregelt. Deshalb dürfe § 17 Nr. 1a RVG nicht herangezogen werden, um zwei Angelegenheiten zu begründen. Dieselbe Angelegenheit könne nur immer in gleichen Verfahrensstadien angenommen werden, nicht in rechtlich aufeinander aufbauenden Verfahren.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten des Beklagten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten zu dieser Entscheidungsform ihr Einverständnis (Schriftsätze vom 25. und 26. Mai 2020) erklärt haben, § 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Das Sozialgericht hat die Berufung zugelassen. An diese ist der Senat gebunden.

Die Berufung ist nicht begründet; das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Die Klägerinnen sind nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG. Der angefochtene Kostenfestsetzungsbescheid ist rechtmäßig. Der Beklagte ist nicht verpflichtet, den Klägerinnen weitere Aufwendungen für das Betreiben der zwei Widerspruchsverfahren nach § 63 Abs. 3 S. 1 SGB X zu erstatten.

1. Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist das Begehren der Klägerinnen auf Erstattung höherer Aufwendungen für zwei eigenständig geführte Vorverfahren in Höhe von jeweils 380,80 Euro nach § 63 Abs. 3 S. 1 SGB X. Rechtsgrundlage des Anspruchs der Klägerinnen auf Erstattung weiterer Kosten dem Grunde nach ist § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X in Verbindung mit dem Abhilfebescheid vom 9. November 2016, mit dem der Beklagte die Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwalts im Sinne von § 63 Abs. 2 SGB X anerkannt hat, sowie dem Kostenfestsetzungsbescheid vom 7. März 2017. Hiernach hat, soweit der Widerspruch erfolgreich ist, der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat - hier also der Beklagte -, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten (§ 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Dazu rechnen auch die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts, wenn seine Zuziehung im Vorverfahren notwendig war (§ 63 Abs. 2 SGB X). Gebühren und Auslagen im Sinne des § 63 Abs. 2 SGB X sind die gesetzlichen Gebühren (BSG, Urteil vom 24. April 1996 – 5 RJ 44/95, juris), also auch die Gebühren und Auslagen, die ein Rechtsanwalt nach den Vorschriften des RVG in Rechnung stellt (BSG, Urteil vom 21. Dezember 2009 - B 14 AS 83/08 R, juris). In diesem Sinne ist mit den Bescheiden vom 9. November 2016 bindend entschieden, dass der Beklagte die im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten einschließlich der Gebühren des Bevollmächtigten der Klägerinnen dem Grunde nach zu erstatten hat.

2. Jedoch kann der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen hier ungeachtet dessen, dass zwei Aufhebungs- und Erstattungsbescheide mit zwei Widersprüchen angefochten worden sind, nur eine Gebühr verlangen. Die vorgenommene doppelte Abrechnung mit zwei Kostenanträgen ist unbillig, § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG.

a) Die nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu erstattenden Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts sind im RVG geregelt (§ 1 Abs. 1 Satz 1 RVG). In sozialrechtlichen Angelegenheiten außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens, für die - wie hier - bei Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden wäre, entstehen Betragsrahmengebühren (§ 3 Abs. 2 RVG), die sich nach dem VV der Anlage 1 zum RVG bemessen (§ 2 Abs. 2 Satz 1 RVG). Sie umfassen nach Nr. 2302 VV zum RVG eine Geschäftsgebühr unter anderem für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information (vgl. Vorbemerkung 2.3 (3) VV RVG). Diese bestimmt sich innerhalb eines Betragsrahmens von 50,00 bis 640,00 Euro, wobei eine Gebühr von mehr als 300,00 Euro (so genannte Schwellengebühr) nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig ist. Innerhalb dieses Gebührenrahmens bestimmt der Rechtsanwalt nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG), und zwar bei Rahmengebühren, die sich - wie hier - nicht nach dem Gegenstandswert richten, unter Berücksichtigung auch des Haftungsrisikos (§ 14 Abs. 1 Satz 3 RVG). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, so ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG). Ein Rechtsanwalt, der in derselben Angelegenheit für mehrere Auftraggeber tätig wird, erhält jedoch die von ihm bestimmte Gebühr nach § 7 Abs. 1 RVG nur einmal. Er kann sie nach § 15 Abs. 2 RVG "in derselben Angelegenheit" nur einmal fordern.

b) Wann "in derselben Angelegenheit" im gebührenrechtlichen Sinne vorliegt, ist im RVG nicht abschließend geregelt. Der Gesetzgeber hat die abschließende Klärung des Begriffs "derselben Angelegenheit" im Sinne des § 7 Abs. 1 RVG sowie des § 15 Abs. 2 S. 1 RVG der Rechtsprechung und dem Schrifttum überlassen (vgl. BSG Urteil vom 17. Oktober 2007 - B 6 KA 4/07 R, RdNr 16, juris). § 16 RVG ("dieselbe Angelegenheit") und § 17 RVG ("verschiedene Angelegenheiten") benennen hierfür nur Regelbeispiele (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 02. April 2014 – B 4 AS 27/13 R, RdNr 15, juris). Die Klägerinnen gehen daher mit ihrer Annahme fehl, der Beklagte habe die Normenhierarchie nicht beachtet. § 17 Nr. 1a RVG regelt gerade nicht, dass zwei parallel geführte Widersprüche verschiedene Angelegenheiten sind. Der § 17 Nr. 1a RVG regelt, dass jeweils das Verwaltungsverfahren, das einem gerichtlichen Verfahren vorausgehende und der Nachprüfung des Verwaltungsakts dienende weitere Verwaltungsverfahren (Vorverfahren, Einspruchsverfahren, Beschwerdeverfahren, Abhilfeverfahren), das Verfahren über die Beschwerde und die weitere Beschwerde nach der Wehrbeschwerdeordnung, das Verwaltungsverfahren auf Aussetzung oder Anordnung der sofortigen Vollziehung sowie über einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der Rechte Dritter und ein gerichtliches Verfahren verschiedene Angelegenheiten sind. Hierbei wird deutlich, dass aufeinander aufbauende Verfahrensstufen nicht dieselbe Angelegenheit darstellen können. Mehrere - wie vorliegend – zeitgleich nebeneinander geführte Widerspruchsverfahren regelt diese Norm hingegen nicht.

aa) Bei dieser Sachlage ist durch Auslegung zu klären, ob der geltend gemachte gebührenrechtliche Sachverhalt "dieselbe Angelegenheit" im gebührenrechtlichen Sinne darstellt. Für die Bestimmung, ob mehrere Gegenstände dieselbe Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG oder mehrere Angelegenheiten darstellen, sind die Umstände des konkreten Einzelfalls und der Inhalt des erteilten Auftrags maßgebend. Das BSG führt im Urteil vom 02. April 2014 – B 4 AS 27/13 R, RdNr 15, juris hierzu aus: "Dieselbe Angelegenheit liegt vor, wenn zwischen den weisungsgemäß erbrachten anwaltlichen Leistungen, also den verschiedenen Gegenständen, ein innerer Zusammenhang gegeben ist, also ein einheitlicher Auftrag und ein einheitlicher Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit vorliegt." Stimmen somit der Inhalt und die Zielsetzung in diesem Sinne weitestgehend überein, ist die Tätigkeit nur einmal abrechenbar (BSG, Urteil vom 09. März 2016 – B 14 AS 5/15 R, RdNr 21, juris). Vor diesem Hintergrund kann es sich auch bei Individualansprüchen nach dem SGB II grundsätzlich um dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 2 RVG handeln, wobei die Konstellation einer Bedarfsgemeinschaft zu einer Erhöhung der Gebühr nach Nr. 1008 VV RVG führt. So kann bei mehreren Auftraggebern einer Bedarfsgemeinschaft "dieselbe Angelegenheit" im gebührenrechtlichen Sinn unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände auch dann vorliegen, wenn die Aufhebung und Erstattung der individuellen Ansprüche in getrennten Bescheiden geregelt wird und mit jeweils gesonderten Vollmachten selbstständige Widersprüche eingelegt werden (BSG, Urteil vom 02. April 2014 – B 4 AS 27/13 R –, Leitsatz, juris). Maßgeblich ist dabei immer, ob ein einheitlicher Lebenssachverhalt vorliegt (Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 17. September 2018 – L 4 AS 414/18 B – RdNr 29, juris).

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies: Unter Anwendung der genannten Kriterien ist in den beiden geführten Widerspruchsverfahren gebührenrechtlich "dieselbe Angelegenheit" zu sehen. Zwar erfolgte die Aufhebung und Erstattung der individuellen SGB II-Ansprüche in getrennten Bescheiden, gegen die selbstständige Widersprüche mit gesonderten Vollmachten eingelegt worden sind. Auch bezogen sich die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide - in gleicher Weise wie die Leistungsbewilligungen - auf die Individualansprüche der Klägerinnen. Die Widerspruchsverfahren beruhten jedoch auf einem vollständig einheitlichen Lebenssachverhalt, nämlich der zeitgleichen Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für sämtliche Mitglieder der einstigen Bedarfsgemeinschaft aus dem "Rechtswidrigkeitsgrund" des Bezugs von Einkommen (Einkommen aus Erwerbstätigkeit und Kindergeld) durch die Klägerin zu 2).

Die Aufhebungsentscheidung durch den Beklagten erfolgte unter fehlerhafter Anwendung von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X, so dass keine umfassende Prüfung von subjektiven Aufhebungsvoraussetzungen vorgenommen wurde. Mithin war dies auch nicht für die anwaltliche Prüftätigkeit erforderlich. Dies wird auch aus den Widerspruchsschreiben des Prozessbevollmächtigten deutlich, welche nur in den Namen und Zahlen variieren, mithin einen einheitlichen Lebenssachverhalt darstellen. Dass unterschiedliche Summen von den Klägerinnen zurückgefordert wurden, ist dem System der individuellen Bedarfsberechnung im SGB II geschuldet, welche auch bei der Aufhebung und Erstattung Berücksichtigung findet.

Auch war die Klägerin zu 2) während des aufgehobenen Zeitraums bereits volljährig gewesen, so dass keine unterschiedlichen Prüfungsmaßstäbe für die anwaltliche Tätigkeit durch eine gesondert vorzunehmende Prüfung der Haftungsbeschränkung für Minderjährige vorlagen.

bb) Dagegen spricht auch nicht, dass zum Zeitpunkt der Aufhebungs- und Erstattungsentscheidungen und der durchgeführten Widerspruchsverfahren die Klägerin zu 1) nicht mehr mit der Klägerin zu 2) in einer Bedarfsgemeinschaft gelebt hat. Denn dieser Umstand wirkte sich nicht auf die anwaltliche Prüftätigkeit aus. Inhaltlich regelten die betroffenen Bescheide identische Zeiträume, in welchen diese Bedarfsgemeinschaft noch bestanden hat. Deshalb führte der Prozessbevollmächtigte auch nur ein Gespräch mit der Klägerin zu 1). Sie ist nicht nur die Mutter der Klägerin zu 2), sondern war auch die gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 SGB II antragstellende Person, für die die Vermutung der Bevollmächtigung für die weiteren Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft galt. Der Umstand des gemeinsamen Leistungsbezuges bildet daher den Rahmen für die beauftragte anwaltliche Tätigkeit.

c) Die Tatsache, dass der Beklagte in den Abhilfeentscheidungen vom 9. November 2016 zwei Kostengrundentscheidungen getroffen hat, ist nicht geeignet, eine andere Beurteilung der Abrechnung des Geschäfts als "dieselbe Angelegenheit" vorzunehmen. Dem liegt zugrunde, dass nur die notwendigen Kosten der Rechtsverfolgung übernommen werden. So generiert der Verzicht auf eine Verbindung der Verfahren keinen höheren Gebührenanspruch. Mithin konnte der Prozessbevollmächtigte zwar formal zwei Kostenfestsetzungsanträge stellen, jedoch daraus keinen höheren Gebührenanspruch herleiten. Es ist daher nicht fehlerhaft, dass der Beklagte nur einen Kostenfestsetzungsbescheid auf die zwei Kostenfestsetzungsanträge hin erlassen hat. In diesen hat der Beklagte hinreichend deutlich gemacht, dass er die beide Abrechnung zu "derselben Angelegenheit" zusammenfasst und mit der Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 VV RVG gemeinsam vergütet, mithin eine weitergehende Vergütung aufgrund von Unbilligkeit der Festsetzung zurecht ablehnt.

4. Hinsichtlich der Höhe der festgesetzten Vergütung mit Kostenfestsetzungsbescheid vom 7. März 2017 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 18. Juli 2017 wird auf die zutreffenden Gründe des erstinstanzlichen Urteils verwiesen. Der Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass die in sozialrechtlichen Angelegenheiten entstehende Geschäftsgebühr in Höhe von 300 Euro hier als nicht unbillig anzunehmen ist (§ 14 Abs. 1 S. 4 RVG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil hierfür Gründe nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen. Es handelt sich um eine Entscheidung im Einzelfall.
Rechtskraft
Aus
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