S 23 U 102/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
23
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 23 U 102/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 151/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Die Klagen werden abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin zu 1), die Ehefrau des verstorbenen Versicherten und seine Kinder, die Kläger zu 2) und 3), begehren die Gewährung von Hinterbliebenen- bzw. Halbwaisenrente.

Der Klägerin zu 1) als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes stand aufgrund des rechtkräftigen Urteils des Sozialgerichts Frankfurt vom 24.06.2008 in dem Klageverfahren S 8 U 2277/04 (Berufungsinstanz Hessisches LSG, Az.: L 3 U 165/08; Beschluss vom 20.09.2012, die klägerseitige Berufung zurückweisend) – nach der Anerkennung der BK 4103 durch die Beklagte – ein Anspruch auf Verletztenrente im Zeitraum vom 29.01.2003 bis 31.01.2004 nach einer MdE von 30 v. H. und vom 01.02.2004 bis 10.04.2004 nach einer MdE von 40 v. H. zu.

Mit Bescheiden vom 11.03.2008 lehnte die Beklagte gegenüber den Klägern die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen (bei den Klägern zu 2) und 3) als Halbwaisenrente) ab. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass der Tod ihres Ehemannes bzw. Vaters nicht Folge des Versicherungsfalls sei. Bei diesem sei eine Berufskrankheit nach Nr. 4103 (durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Lunge bzw. Pleura) anerkannt gewesen. Als Folge dieser Berufskrankheit habe eine Asbestose der Lunge bestanden mit einer MdE von 40 v. H. Nicht Folgen der Berufskrankheit seien gewesen: eine Leberzirrhose sowie Polyarthritis bei Hämochromatose (Eisenspeicherkrankheit), Diabetes mit diabetischer Polyneuropathie und Nephropathie, Zustand nach Kropfoperation 1997, Ösophagusvarizen (Venenschwäche im Bereich der Speiseröhre), Bluthochdruck, Übergewicht und Depressionen. Der Versicherte sei an inneren (gastrointestinale) Blutungen (hämorrhagischer Schock) der Speiseröhre gestorben.

Mit ihren hiergegen gerichteten Widersprüchen machten die Kläger geltend, dass die Asbestoseerkrankung ihres Ehemannes bzw. Vaters zumindest im Sinne einer Mitursächlichkeit kausal für den Tod sei, da bei einer MdE von 40 v. H. Atmung und Kreislauf betroffen seien. Im Übrigen beantragten sie, die todesursächliche Hämochromatose als Komplikation der Asbestose anzuerkennen.

Mit Widerspruchsbescheiden vom 15.05.2008 wies die Beklagte die Widersprüche der Kläger zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass die Ausgangsentscheidungen im Wesentlichen auf den Ermittlungen des Technischen Aufsichtsdienstes, den ärztlichen Berichten und Stellungnahmen, der Stellungnahme des Landesgewerbearztes Hessen sowie dem Gutachten von Dr. E., E-Stadt, beruhe.

Die Todesursache sei auf das Grundleiden der Hämochromatose zurückzuführen.

Hämochromatosen seien immer anlagebedingt und es gebe keine Erkenntnisse, dass diese auf – wie auch immer gelagerte- berufliche Einwirkungen zurückgeführt werden könnten. Unterstrichen werde dies durch die Tatsache, dass das von den Klägern selbst im zugehörigen Klageverfahren beantragte Gutachten eindeutig zu dem Schluss komme, dass die Hämochromatose allein wesentlich für das Ableben des Versicherten gewesen sei und dass es sich dabei um eine berufskrankheitsunabhängige Erkrankung gehandelt habe.

Die Kläger haben am 13.06.2008 durch ihren Prozessbevollmächtigten Klage zum Sozialgericht Frankfurt erhoben.

Der Klägervertreter trägt vor,

die Klägerin zu 1) habe ihm mitgeteilt, dass ihr Mann durch die Asbestose jahrelang unter sehr schlimmem Husten gelitten habe. Die letzten Monate seines Lebens habe er sich bei einem solchen Hustenanfall kaum auf den Beinen halten können, sondern habe sich hinsetzen oder irgendwo festhalten müssen. Außerdem seien die ohnehin angegriffenen Ösophagusvarizen durch diese schlimmen Anfälle zusätzlich geschwächt worden. Die eingetretene Blutung sei somit Folge der Asbestose gewesen. Im Todesfall müsse eine umfassende Prüfung unter jedwedem tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkt erfolgen, ob der Tod einen Versicherungsfall darstellt. Auch sei die Frage zu klären, ob eine Lebzeitenverkürzung um ein Jahr anzunehmen sei.

Ergänzend bezieht sich der Klägervertreter auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren.

Die Kläger beantragen,
unter Abänderung der Bescheide vom 11.03.2008 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 15.05.2008 die Beklagte zu verurteilen, ihnen Hinterbliebenenleistungen aus Anlass der Asbestose des verstorbenen Versicherten zu gewähren, hilfsweise, bei Prof. F. ein Sachverständigengutachten nach § 109 SGG einzuholen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält ihre Entscheidung für rechtmäßig.

Mit Beschluss vom 17.12.2009 war das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden, weil die Entscheidung der Berufungsinstanz zu dem Aktenzeichen L 3 U 165/08 (s. o.) abgewartet werden sollte. Am 22.03.2013 hatte der Klägervertreter das Verfahren wieder aufgerufen. Zu diesem Zeitpunkt waren in der Berufungsinstanz noch die weiteren, dort miteinander verbundenen, Rechtsstreitigkeiten der Klägerin zu 1) auf Anerkennung der Hämochromatose als Folge der BK 4103 und auf Anerkennung der Hämochromatose als Berufskrankheit bzw. wie eine Berufskrankheit rechtshängig (Aktenzeichen der Berufungsinstanz: L 3 U 86/10). Vor diesem Hintergrund (Vorgreiflichkeit der Entscheidung des Hessischen LSG) wurde mit Beschluss vom 25.03.2014 das Verfahren ausgesetzt und am 14.06.2014 von Amts wegen wieder aufgenommen, nachdem das Hessische LSG durch Beschluss vom 23.02.2016 rechtskräftig sowohl die Feststellung der Hämochromatose des verstorbenen Versicherten als Folge der anerkannten BK 4103 als auch als Berufskrankheit und Wie-BK abgelehnt hat.

Das Gericht hat im Rahmen der Sachverhaltsermittlungen die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten der vorangegangenen Klageverfahren (s. o.) zu dem Rechtsstreit beigezogen. Bestandteil der Gerichtsakte sind die vom ehemaligen Kammervorsitzenden angeforderten medizinischen Unterlagen der behandelnden Ärzten und Behörde.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen, der Gegenstand der Entscheidungsfindung war.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden vorher gehört; ihr Einverständnis ist nicht erforderlich. Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil (§ 105 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

Die Klagen sind zulässig, sie sind insbesondere form- und fristgerecht mit statthafter subjektiver Klagehäufung (§ 74 SGG iVm § 59 ZPO) zum zuständigen Sozialgericht Frankfurt erhoben worden.

Die Klagen führen jedoch in der Sache nicht zum Erfolg.

Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB VII.

Der Anspruch nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB VII setzt voraus, dass der Tod infolge eines Versicherungsfalls eingetreten ist (§ 63 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Das ist dann der Fall, wenn der Versicherungsfall eine wesentliche Mitursache des Todes war. Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn der Tod die unmittelbare oder die mittelbare Folge des Versicherungsfalls (der Berufskrankheit) ist (vgl. Riebel in: Hauck/Noftz, SGB, 04/08, § 63 SGB VII, Rn. 18). Der Tod gilt auch dann als rechtlich wesentliche Folge des Versicherungsfalles, wenn die Lebensdauer aufgrund der Berufskrankheitsfolgen um mindestens ein Jahr verkürzt wurde. Die Lebenszeitverkürzung um ein Jahr aufgrund der Folgen des Versicherungsfalles wird als wesentliche versicherte Teilursache für den Tod angesehen (BSGE 13 S. 175 ff., 177; 62 S. 220 ff., 223). Im Falle einer Lebensverkürzung um ein Jahr aufgrund des Versicherungsfalles wird diesem generell der Stellenwert einer wesentlichen Mitursache des Todes eingeräumt. Die Frage der durch den Versicherungsfall bedingten Lebenszeitverkürzung stellt sich aber nur, wenn die feststehende tödliche Folge eines vom Versicherungsfall unabhängigen Leidens bereits absehbar ist (Riebel in: Hauck/Noftz, SGB, 04/08, § 63 SGB VII, Rn. 19).

Bei dem Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen handelt es sich zwar um ein abgeleitetes, aber eigenständiges Recht gegenüber dem Unfallversicherungsträger (BSG, Urteil vom 15.01.2010, B 2 U 5/08 R; zitiert nach Hessisches LSG, Urteil vom 13.06.2014 – L 9 U 207/12, Rz. 29; juris). Deshalb entfalten gegenüber dem verstorbenen Versicherten ergangene Bescheide keine Bindungswirkung gegenüber den Hinterbliebenen (vgl. Riebel in: Hauck/Noftz, SGB, 04/08, § 63 SGB VII, Rn. 14), wohl aber die gegenüber dem Hinterbliebenen selbst ergangene Bescheide bzw. gerichtlichen Entscheidungen (s. u.).

Die Klägerin zu 1) ist als Beteiligte der vorangegangenen Klage- und Berufungsverfahren (s. Tatbestand) an die rechtskräftigen Entscheidungen gebunden (§ 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG) (bezüglich der Bindungswirkung vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 13.06.2014 – L 9 U 207/12, Rz. 29; juris), was konkret bedeutet:

Zum einen beträgt danach rechtskräftig und für die Klägerin zu 1) bindend die MdE für die bei dem verstorbenen Versicherten anerkannte BK 4103 40 v. H. (s. Tatbestand), womit ein Fall des § 63 Abs. 2 Satz 1 SGB VII, wonach eine Rechtsvermutung für die (Mit-) Ursächlichkeit des Versicherungsfalls am Tod des Versicherten bei einer MdE von mindestens 50 v. H. besteht, nicht gegeben ist.

Zum anderen kann aufgrund der rechtskräftigen und für die Klägerin zu 1) bindenden Ablehnung der Feststellung, dass die Hämochromatose Folge der anerkannten BK 4103 oder selbst Berufskrankheit oder Wie-BK ist (s. Tatbestand), die geltend gemachte Kausalität zwischen Versicherungsfall und Tod nicht hinreichend wahrscheinlich gemacht werden. Vielmehr ist es ausgeschlossen, den Tod kausal auf eine berufsbedingte Hämochromatose (als Folge der Berufskrankheit BK 4103 oder als eigenständige BK oder als Wie-BK) zurückzuführen.

Soweit von der Klägerin zu 1) vorgetragen wurde, dass die Kausalität zwischen Tod und Asbestose durch die Schwächung der Ösophagusvarizen durch asbestosebedingte Hustenanfälle (mit der Folge von Blutungen) vermittelt und somit die Blutung Folge der Asbestose sei, existiert für diesen Laienvortrag kein einziges Indiz. Soweit als Beweis für den reklamierten Kausalzusammenhang die Einholung eines Sachverständigengutachtens von Amts wegen angeführt wurde, war die Einholung eines solchen schon nach dem soeben Ausgeführten nicht geboten, verbot sich aber auch aus einem anderen Grund (s. u.).

Die Kläger zu 2) und 3) sind zwar nicht – wie die Klägerin zu 1) – an die rechtskräftigen Entscheidungen (s. o.) gebunden. Für diese aber gilt, dass nach der Aktenlage keinerlei Anhaltspunkte für den reklamierten Kausalzusammenhang bestehen (sei es im Sinne der Ursächlichkeit zwischen einer berufsbedingten Hämochromatose und dem Tod ihres Vaters, sei es im Sinne der Ursächlichkeit zwischen Schwächung der Ösophagusvarizen durch astbestosebedingte Hustenanfälle und dem Tod ihres Vaters). Auch hier waren deshalb keine Ermittlungen von Amts wegen (etwa durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von Amts wegen) angezeigt und sie verboten sich auch aus einem anderen Grund (s. sogleich).

Den Beweisanträgen, inklusive des Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nach § 109 SGG zur umfassenden Prüfung unter jedwedem tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkt, war nicht nachzukommen. Bei der Klägerin zu 1) wären wegen der Bindungswirkung der rechtskräftigen Entscheidungen (s. o.) Beweiserhebungen von vorneherein nur eingeschränkt zulässig. Ungeachtet dessen liegen keine wirksamen Anträge, sondern unzulässige Beweisausforschungs- bzw. Ermittlungsanträge vor. Denn erst die Beweisaufnahme selbst soll die entscheidungs- und damit beweiserheblichen Tatsachen aufdecken bzw. die "Beweisanträge" haben allein den Zweck, dem Beweisführer, der nicht genügend Anhaltspunkte für seine Behauptungen angibt, erst die Grundlage für substantiierte Tatsachenbehauptungen zu verschaffen. Solche "Beweisanträge" sind als Beweisausforschungs- bzw. – Ermittlungsanträge nicht nur im vom Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) geprägten sozialgerichtlichen Verfahren unzulässig (BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 33/11 R - NZS 2012, 230 f mwN; BVerfG vom 18.6.1993 - 2 BvR 1815/92 - DVBl 1993, 1002; zitiert nach BSG, Beschluss vom 02. Oktober 2015 – B 9 V 46/15 B –, Rn. 8, juris), sondern auch unter Anwendung des § 109 SGG.

Nach alledem konnten die Klagen keinen Erfolg haben und waren abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Rechtsmittelbelehrung folgt aus §§ 143, 144 SGG.
Rechtskraft
Aus
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