S 1 U 123/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 1 U 123/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 150/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1) Die Klage wird abgewiesen.

2) Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Autohaus A. GmbH versicherungspflichtig oder versicherungsfrei in der gesetzlichen Unfallversicherung ist.

Mit Schreiben vom 30.06.1951 zeigte Herr C. A. bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Süddeutschen Eisen- und Stahl-Berufsgenossenschaft, an, dass er in D-Stadt eine Fahrzeugreparaturwerkstätte eröffnet habe. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten nahm daraufhin das Unternehmen in ihr Unternehmerverzeichnis auf, seitdem ist die Beklagte der zuständige Unfallversicherungsträger für diese Firma. Im Jahr 1980 wurde die damals noch bestehende Kommanditgesellschaft in eine GmbH, die Autohaus A. GmbH, umgewandelt. Das Stammkapital betrug zunächst 60.000,00 DM und war mit einem Anteil von 30.000,00 DM oder 50% zugunsten des ursprünglichen Firmengründers, C. A., sowie zu je 10.000,00 DM auf den 1945 geborenen E. A., den 1948 geborenen F. A. sowie die 1955 geborene G. G. aufgeteilt. Alle genannten Gesellschafter waren gleichzeitig Geschäftsführer der Firma. Aufgrund dieser Aufteilung der GmbH-Anteile wurde Herr C. A. von der Rechtsvorgängerin der Beklagten nicht als versicherungspflichtig beurteilt und beantragte nach dieser Feststellung eine freiwillige Unternehmerversicherung. Die übrigen drei Gesellschafter wurden versicherungspflichtig beurteilt. Die Feststellungen der Beklagten hierzu sind bestandskräftig.

Am 25.03.1986 wurde der Rechtsvorgängerin der Beklagten mitgeteilt, dass das Stammkapital der GmbH auf 120.000,00 DM aufgestockt worden sei. Die Gesellschaftsanteile waren zu diesem Zeitpunkt zu je einem Viertel auf die ursprünglichen Gesellschafter C. A., E. A., F. A. und G. G. aufgeteilt. Unverändert waren alle vier genannten Personen weiterhin zu Geschäftsführern bestellt. Auf Nachfrage teilte die Gesellschaft mit, dass alle Personen ohne Arbeitsverträge tätig seien. C. A. habe die Geschäftsleitung inne, E. A. sei als Kfz-Meister für den technischen Bereich zuständig, F. A. und G. G. würden zu gleichen Teilen den kaufmännischen Teil verwalten. Mit Bescheid vom 28.11.1988 wurden daraufhin alle Gesellschafter als versicherungspflichtig beurteilt, die freiwillige Unternehmerversicherung des C. A. wurde gleichzeitig aufgehoben.

Im Jahr 1999 führte die Rechtsvorgängerin der Beklagten eine Lohnbuchprüfung durch und stellte fest, dass der am 05.10.1918 geborene C. A. aus dem Unternehmen ausgeschieden war; dieser verstarb am xx.xx.2008. Nach der 2008 beigezogenen Gesellschafterliste wurden seine Gesellschafteranteile in Höhe von 30.000,00 DM von der Erbengemeinschaft der 1917 geborenen H. A., dem E. A., dem F. A. und der G. G. übernommen. Nach ihren Anteilen aus der Erbengemeinschaft hielten damit Frau G. G. und Herr F. A. als Geschäftsführer jeweils 2 Anteile in Höhe von 15.000,00 DM und 30.000,00 DM und damit jeweils rund 38% der Gesellschafteranteile. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 04.08.2010 wurden beide Personen ab dem Zeitpunkt der letzten Änderung (05.08.2008) nicht mehr als versicherungspflichtig beurteilt.

Am 15.04.2016 erlitt der Bruder des Klägers, Herr J. A., der ebenfalls für das Unternehmen tätig ist, während seiner Tätigkeit einen Unfall, der der Leistungsabteilung der Beklagten angezeigt wurde. Hierzu wurde zunächst geprüft, ob Herr J. A. versicherungspflichtiger Arbeitnehmer oder versicherungsfreier Unternehmer ist. Die Leistungsabteilung der Beklagten beauftragte deshalb die Mitgliedschafts- und Beitragsabteilung der Beklagten mit weiteren Ermittlungen. Diese Ermittlungen ergaben, dass weitere Änderungen in den Verhältnissen zwischenzeitlich eingetreten waren. Danach hat der am 09.08.1977 geborene Kläger mit Notarvertrag vom 28.09.2010 bereits einen 15%igen Anteil am Stammkapital übernommen, ist alleinvertretungsberechtigt und als von § 181 BGB befreiter Geschäftsführer bestellt worden. Mit Notarvertrag vom 09.09.2015 wurde der Anteil des Klägers am Stammkapital auf 40% aufgestockt und gleichzeitig Frau G. G. als Geschäftsführerin abberufen. Damit hält zur Zeit der Kläger einen Anteil von 40% am Stammkapital und der bisherige Mitgesellschafter F. A. einen Anteil von insgesamt 60% am Stammkapital. Der Mehrheitsgesellschafter F. A. ist 1948 geboren und Vater des Klägers. Nach weiteren Ermittlungen stellte die Beklagte mit Bescheid vom 02.05.2016 die Versicherungspflicht des Klägers in seiner Tätigkeit für die Autohaus A. GmbH fest. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Über seine Prozessbevollmächtigten ließ er zur Begründung vortragen, seines Erachtens sei er schon seit 28.09.2010 gleichberechtigter Gesellschafter neben seinem Vater. Der Vater, der sich zwischenzeitlich im 69. Lebensjahr befinde, habe schon frühzeitig seine Nachfolge in die Wege geleitet. Seine Unternehmerstellung sei deshalb schon vorgeprägt. Mit Widerspruchsbescheid vom 07.09.2016 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück und bezog sich zur Begründung auf die neuere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur sogenannten "Schönwetter-Selbständigkeit" bei Familiengesellschaften. Da der Kläger nur 40% der Anteile an der GmbH halte, könne er ihm nicht genehme Beschlüsse nicht verhindern. Auch eine Sperrminorität besitze er nicht. Somit sei er weiterhin als abhängig Beschäftigter zu beurteilen.

Gegen diesen Widerspruchsbescheid wendet sich der Kläger mit seiner am 26.09.2016 beim Sozialgericht Gießen eingegangenen Klage. Zur Begründung verweist er zunächst auf seine im Widerspruchsverfahren vorgelegten Schriftsätze. Er ist der Ansicht, er sei zumindest gleichberechtigt gegenüber seinem Vater. Sein Vater sei zwischenzeitlich schwerbehindert und könne die Geschäfte eigentlich nicht mehr wie ein Unternehmer wahrnehmen. Diese Funktion ersetze er. Zur weiteren Begründung legt er den Gesellschaftervertrag und mehrere Geschäftsführerdienstverträge vor.

Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 02.05.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.09.2016 zu verurteilen, festzustellen, dass die Tätigkeit des Klägers seit dem 28.12.2010 eine versicherungsfreie, selbständige Tätigkeit darstellt.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf die im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen. Darüber hinaus führt sie aus, dass selbst aus den im Gerichtsverfahren vorgelegten Gesellschafter- und Geschäftsführerverträgen nicht hervorgehe, dass der Kläger rechtlich die Möglichkeit habe, ihm unangenehme Entscheidungen zu blockieren. Er besitze nach wie vor nur eine Minderheit an Gesellschafteranteilen und habe keine Sperrminoritätsklausel vereinbart.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Klage- und Verwaltungsakte der Beklagten über die Autohaus A. GmbH Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 17.05.2019 gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die form- und insbesondere fristgerecht erhobene Klage ist zulässig.

Sachlich ist die Klage unbegründet, denn der Kläger ist in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Autohaus A. GmbH versicherungspflichtig gemäß § 2 Abs. 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII).

Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII sind in der gesetzlichen Unfallversicherung Beschäftigte kraft Gesetzes versichert. Das Gesetz definiert hierbei den Begriff des "Beschäftigten" als eine Person, die in abhängiger Tätigkeit zumeist aufgrund eines Arbeitsvertrages für ein Unternehmen tätig wird. Die nähere Abgrenzung des Beschäftigten erfolgt hierbei in vergleichender Betrachtung des (nicht versicherungspflichtigen) Unternehmers. Dies macht in der Regel keine Schwierigkeiten, ist aber bei gemischten Tätigkeiten und insbesondere Familienunternehmen einer komplexen Differenzierung zugänglich. Genauso stellt es sich im Fall des Klägers dar. Dieser ist in einer typischen abhängigen Beschäftigung Geschäftsführer der Autohaus A. GmbH. Gleichzeitig ist er aber an der Gesellschaft zu 40% beteiligt. Es hat in diesen Fällen somit immer eine wertende Entscheidung stattzufinden, welcher der beiden Tätigkeitsbereiche (Unternehmer oder beschäftigter Geschäftsführer) im Vordergrund steht. Hierzu hat das Bundessozialgericht (Urteil vom 29.08.2012 B 12 KR 25/10 R SozR 4-2400 § 7 Nr. 17) entschieden, dass maßgeblich für die wertende Zuordnung einer Tätigkeit zum Typus der Beschäftigung das Vertragsverhältnis der Beteiligten ist, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen wird. In dieser Entscheidung hat das Bundessozialgericht somit zwar als Grundlage die vertraglichen Verhältnisse definiert, eine andere Wertung aber zugelassen, wenn diese vertraglichen Verhältnisse tatsächlich so nicht vollzogen werden. Für den Typus der Familienunternehmen hat sich diese Rechtsprechung nicht bewährt und wurde durch die von der Beklagten in ihren angegriffenen Entscheidungen zitierte Rechtsprechung zu der sogenannten "Schönwetter-Selbständigkeit" abgelöst, die insbesondere auf Familienunternehmen angewandt wird. Dabei handelt es sich zwischenzeitlich um ständige Rechtsprechung. Zuletzt hat das Bundessozialgericht (Urteil vom 14.03.2018 - B 12 KR 13/17 R - SozR 4-2400 § 7 Nr. 35) in den Leitsätzen kategorisch ausgeführt, dass

• Gesellschafter-Geschäftsführer aufgrund ihrer Kapitalbeteiligung nur dann selbständig tätig sind, wenn sie mindestens 50 v. H. der Anteile am Stammkapital halten oder ihnen bei geringerer Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag eine "echte"/"qualifizierte" Sperrminorität eingeräumt ist und
• hierbei eine "echte"/"qualifizierte" Sperrminorität voraussetze, dass sie nicht auf bestimmte Angelegenheiten der Gesellschaft begrenzt, sondern uneingeschränkt die gesamte Unternehmenstätigkeit umfasse.

In dieser Entscheidung hat das Bundessozialgericht auch eindeutig ausgeführt, dass außerhalb des Gesellschaftsvertrags (Satzung) zustande gekommene, das Stimmverhalten regelnde Vereinbarungen (Abreden) nicht bei der Bewertung der Rechtsmachtverhältnisse zu berücksichtigen seien.

Diese obergerichtliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hat auch im vorliegenden Verfahren Anwendung zu finden. Dabei fehlt es im Falle des Klägers für eine Unternehmertätigkeit an beiden oben genannten Voraussetzungen. Er hält nämlich nur 40% des Stammkapitals und nicht mindestens 50% und aus den schriftlichen Vereinbarungen ist auch keine Sperrminorität herzuleiten. Ob der weitere Gesellschafter und Vater des Klägers, insbesondere wegen der bei ihm bestehenden Schwerbehinderung, faktisch seine Gesellschaftsmacht auf den Kläger übertragen hat, spielt dabei keine Rolle. Selbst wenn dies faktisch so wäre, könnte der Vater jederzeit "mit einem Federstrich" faktisch wieder allein über die Geschicke der Gesellschaft bestimmen. Solange hier keine vertragliche Veränderung eintritt, ist der Kläger als abhängig Beschäftigter versicherungspflichtig, insbesondere auch in der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hat hierzu in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, ihr seien keine Änderungen bekannt. Aufgrund der vorliegenden Verträge war die Klage deshalb abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183 Satz 3, 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Rechtskraft
Aus
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