S 83 KA 158/19

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
83
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 83 KA 158/19
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Unterschiedlichen Vergütung der neuropsychologischen Leistungen (GOP 30932 EBM) im Vergleich zu den Leistungen nach Kapitel 35.2. EBM
Beklagte wird verurteilt, unter Abänderung des Honorarbescheides für das Quartal III/2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2019 das Honorar der Klägerin für das Quartal III/2017 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu festzusetzen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin und die Beklagte tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Vergütung neuropsychologischer Leistungen in den Quartalen I/2016 und III/2017. Konkret geht es um die Höhe der Bewertung der GOP 30932 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) (neuropsychologische Einzelbehandlung) sowie die Berücksichtigung neuropsychologischer Leistungen beim sog. Strukturzuschlag (für das Quarta I/2016 GOP 35251 EBM, für das Quartal III/2017 GOP 35571 EBM).

Die Klägerin nimmt seit dem 01.10.2013 im Rahmen einer Sonderbedarfszulassung als Psychologische Psychotherapeutin an der vertragspsychotherapeutischen Versorgung teil. Sie ist ausschließlich berechtigt, Leistungen der neuropsychologischen Therapie gemäß Abschnitt 30.11 EBM zu erbringen und abzurechnen.

Mit Beschluss vom 24.11.2011, in Kraft getreten zum 24.02.2012, erkannte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die neuropsychologische Therapie als im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung erstattungsfähige Untersuchungs- und Behandlungsmethode an und nahm sie in Anlage I Nr. 19 der Richtlinie zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung (Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung, im Folgenden: MVV) auf. Mit Beschluss des Erweiterten Bewertungsausschusses (EBewA) in der 291. Sitzung erfolgte die Aufnahme der neuropsychologischen Leistungen in den Leistungskatalog des EBM mit Wirkung zum 01.01.2013 unter dem Abschnitt 30.11. EBM. Die neuropsychologischen Einzeltherapie nach der GOP 30932 EBM wurde – ebenso wie die Einzeltherapie nach dem 35.2. Kapitel EBM – mit 2315 Punkten bewertet. Mit Beschluss des EBewA vom 22.09.2015 erfolgte die Höherbewertung der Leistungen des Kapitels 32.2 EBM rückwirkend ab dem 01.01.2012 (mit 2375 Punkten bis 30.09.2013 und ab 01.10.2013 mit 841 Punkten). Eine Höherbewertung der Leistungen des Abschnitts 30.11 EBM wurde nicht vorgenommen. Es verblieb insoweit bei den zwischenzeitlich festgesetzten 819 Punkten. Darüber hinaus wurde mit dem Beschluss vom 22.09.2015 eine Zuschlagsziffer für die Leistungen nach Kapitel 35.2 EBM (sog. Strukturzuschlag: GOP 35251 EBM) eingeführt.

Mit Beschluss vom 29.03.2017 wurden mit Wirkung zum 01.04.2017 neue Leistungen in den EBM aufgenommen. Dabei handelte es sich um die psychotherapeutische Sprechstunde (GOP 35151 EBM) und die psychotherapeutische Akutbehandlung (GOP 35152 EBM). Die Bewertung dieser Leistungen wurde mit 406 Punkten festgesetzt. Zudem wurden die beiden neuen Leistungen bei der Berechnung des Strukturzuschlages (GOP 35571 EBM) berücksichtigt. Mit Beschluss vom 23.04.2019 erfolgte eine erneute (auch rückwirkende) Erhöhung der Bewertung der Leistungen nach dem Kapitel 35.2 EBM. In Teil C des Beschlusses wurden die neuropsychologischen Leistungen – allerdings erst mit Wirkung zum 01.01.2019 – ebenfalls höher, nun wieder gleich wie die entsprechenden Leistungen aus dem Kapitel 35.2 EBM, bewertet. Zudem wurden die GOP 30932 und 30933 mit Wirkung zum 01.01.2019 bei der Berechnung des Strukturzuschlages berücksichtigt (GOP 35571 und 35572 EBM).

Die Klägerin erhob gegen die Honorarfestsetzungsbescheide für die Quartale I/2016 und III/2017 Widerspruch. Dass die neuropsychologische Einzeltherapie (GOP 30932 EBM) nicht auch höher bewertet worden sei, wie die entsprechende Leistung des Kapitels 35.2 und dass die Abrechnung der GOP 30932 EBM nicht beim Strukturzuschlag zu berücksichtigen sei, verstoße zum einen gegen den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit, den das BSG direkt aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG herleite. Dieser habe im Fall der Erbringung psychotherapeutischer Leistungen seine Ausprägung in § 87b Abs. 2 S. 4 und § 87 Abs. 2c S. 6 SGB V gefunden. Entsprechend seien auch für die neuropsychologischen Leistungen eine angemessene Höhe der Vergütung je Zeiteinheit zu gewährleisten. Dass die der Honorierung zugrunde liegende Bewertung der GOP 30932 EBM nicht angemessen sei, ergeben sich schon aus dem Vergleich der Vergütung der Leistungen nach dem Kapitel 35.2 EBM. Zum anderen habe der BewA bei der Bewertung der EBM-Leistungen auch grundsätzlich, d.h. nicht nur bei der Bewertung der psychotherapeutischen Leistungen, den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten (Verweis auf BSG, Urteil v. 17.02.2016, B 6 KA 47/14 R). Die unterschiedliche Bewertung der Leistungen der Neuropsychiatrie im Vergleich zu den Einzelbehandlungen im Rahmen der Richtlinien-Psychotherapie müsse sich daran messen lassen. Vorliegend seien weder Unterschiede von solcher Art und Gewicht im Hinblick auf die Leistungserbringer noch im Hinblick auf die Leistungen ersichtlich, die eine ungleiche Behandlung (= geringere Vergütung der neuropsychologischen Einzelbehandlung) rechtfertigen könnten. Gemäß § 3 Nr. 19 MVV handele es sich um identische Leistungserbringer. Hinzu komme, dass die Leistungserbringer, die neuropsychologische Einzelbehandlungen durchführten, sogar eine zusätzliche Qualifikation aufweisen müssten. Dabei sei zu beachten, dass der BewA selbst bei der erstmaligen punktzahlmäßigen Bewertung der neuropsychologischen Leistungen diese identisch mit den Leistungen der Richtlinientherapie bewertet habe. Im Übrigen wiesen die Therapieformen strukturelle und inhaltliche Parallelen auf, die schließlich sowohl im Beschluss des G-BA als auch in der Abbildung der Leistungen im EBM ihren Ausdruck fänden. Insbesondere bei der Betrachtung der Begründung des BewA für die Einführung eines Strukturzuschlages sei eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung und die Nichtbeachtung des Gebots einer angemessenen Vergütung psychotherapeutischer – und damit auch neuropsychologischer Leistungen – evident. Aus den entscheidungserheblichen Gründen zu dem Beschluss vom 22.09.2015 gehe deutlich hervor, dass der Strukturzuschlag dazu dienen solle, Personalaufwendungen der psychotherapeutischen Praxis zu decken, die – nach Annahme des BewA – erst ab einer bestimmten Praxisauslastung anfielen. Der Bewertungsausschuss nehme letztlich einen Kostenanteil für Personalaufwendungen von 11.045 Euro jährlich aus der Vergütung der Leistungen des Kapitels 35.2 heraus und wolle diesen Anteil erst bei Erreichen einer bestimmten Mindestauslastung über die GOP 35251 und 35253 EBM vergüten. Dieser Kostenanteil sei aber aufgrund der zunächst identischen Bewertung der GOP 30932 EBM auch in dieser Leistung nach der Beschlussbegründung nicht enthalten. Eine erhöhte Praxisauslastung und die damit nach der Beschlussbegründung einhergehende Kostenerhöhung könnten aber genauso für Praxen, die neuropsychologische Leistungen erbringen, eintreten. Da sie die Mindestauslastungsgrenze von 162.734 Punkten überschreite, sei dies bei ihr der Fall. Ein Grund für die Ungleichbehandlung sei nicht ersichtlich.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.08.2017 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Honorarfestsetzungsbescheid für das Quartal I/2016 zurück. Die von der Klägerin erbrachten und abgerechneten neuropsychologischen Einzelbehandlungen nach der GOP 30932 EBM seien entsprechend den Vorgaben des Honorarvertrages/Honorarverteilungsmaßstabes vergütet worden. Berechnungsfehler seien nicht erkennbar. Der Beklagten sowie den Gerichten sei es verwehrt, eine im EBM vorgenommene Bewertung als rechtswidrig zu beanstanden, weil sie den eigenen, abweichenden Vorstellungen von der Wertigkeit der Leistungen und der Angemessenheit der Vergütung nicht entsprächen. Lediglich in Fällen, in denen sich zweifelsfrei feststellen lasse, dass der BewA seinen Regelungsspielraum überschritten oder seine Bewertungskompetenz missbräuchlich ausgeübt habe, bestehe Anlass zur Korrektur der EBM-Regelungen. Andernfalls seien die Bewertungen der GOP so hinzunehmen (Verweis auf BSG, Urteil v, 20.01.1999, B 6 Ka 46/97 R). Ein Ausnahmefall i.S.d. Rechtsprechung liege jedoch nicht vor.

Die Klägerin legte auch gegen den Honorarfestsetzungsbescheid für das Quartal III/2017 Widerspruch ein und bezog sich dabei auf die Widerspruchsbegründung hinsichtlich des Widerspruchs gegen den Honorarfestsetzungsbescheid für das Quartal I/2016. Mit Widerspruchsbescheid vom 26.02.2019 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Begründung des Widerspruchsbescheides deckt sich mit der des Widerspruchsbescheides vom 15.08.2017.

Am 26.10.2017 hat die Klägerin hinsichtlich der Honorarfestsetzung für das Quartal I/2016 (S 79 KA 318/17) und am 12.08.2019 hinsichtlich der Honorarfestsetzung für das Quartal III/2017 Klage erhoben. Zur Begründung bezieht sie sich insbesondere auf die Ausführungen im Widerspruch. Im Zusammenhang mit den geltend gemachten Verstößen gegen den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit und gegen den Gleichheitsgrundsatz sei ergänzend auf die Bewertungen zu verweisen, die vom BewA anlässlich der zum 01.04.2017 in Kraft getretenen Strukturreform der vertragspsychotherapeutischen Versorgung getroffen worden seien. Wie den entscheidungserheblichen Gründen zum Beschluss vom 29.03.2017 zu entnehmen sei, sei die Bewertung der neu eingeführten Leistungen (Psychotherapeutische Sprechstunde: GOP 35151 EBM und Akutbehandlung: 35152 EBM) – obwohl es sich nicht um genehmigungspflichte Leistungen handele – auf der Basis der Leistungsbewertung der antrags- und genehmigungspflichtigen Einzeltherapie gemäß Abschnitt 35.2 EBM erfolgt. Zudem seien die neuen Leistungen auch für die Berechnung des Strukturzuschlags relevant. Auch diese vorgenommenen Bewertungen sprächen für einen Verstoß gegen die Honorarverteilungsgerechtigkeit. Soweit sich die Beigeladenen auf die Entscheidung des SG Düsseldorf vom 20.06.2018 (S 33 KA 96/14) bezögen, sei u.a. darauf hinzuweisen, dass sich der Regelung in § 87 Abs. 2c S. 6 SGB V eine Beschränkung auf Richtlinienverfahren nicht entnehmen lasse. Diesbezüglich sei auch auf das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie nach § 11 PsychThG vom 31.01.2008 zu verweisen. Dort werde ausdrücklich klargestellt, dass es sich bei der Neuropsychologischen Therapie um eine wissenschaftlich anerkannte Psychotherapiemethode handele. Im Übrigen seien die neuropsychologischen Einzelbehandlungen ein wesentlicher Bestandteil ihrer Vergütung.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagten zu verurteilen, unter Abänderung des Honorarbescheides für das Quartal I/2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.08.2017 und des Honorarbescheides für das Quartal III/2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2019 das Honorar der Klägerin für das Quartal I/2016 und III/2017 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu festzusetzen,

hilfsweise die Beklagte zu verurteilen unter Abänderung des Honorarbescheides für das Quartal I/2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.08.2017 und des Honorarbescheides für das Quartal III/2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2019 das Honorar der Klägerin für das Quartal I/2016 und III/2017 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts nach einer entsprechenden Änderung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabens für ärztliche Leistungen neu festzusetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf das Vorbringen in den Widerspruchsbescheiden. Die Klägerin könne mit ihren geltend gemachten Einwendungen nicht durchdringen. In Übereinstimmung mit den Vorgaben des BSG habe die Angemessenheit der Vergütung psychotherapeutischer Leistungen regelmäßig auf dem Prüfstand gestanden. In seiner 38. Sitzung vom 18.12.2013 habe der EBewA in dem ergangenen Beschluss ausgeführt, dass die Überprüfung der Angemessenheit der Höhe der Vergütung psychotherapeutischer Leistungen durch den BewA zuletzt für die Jahre 2007 und 2008 erfolgt sei. Vor diesem Hintergrund habe der BewA beschlossen, die antragspflichtigen psychotherapeutischen Leistungen des EBM-Abschnitts 35.2 bis zum 30.06.2014 dahin zu überprüfen, ob die seit dem 01.01.2009 gültige Bewertung dieser Leistungen die angemessene Höhe der Vergütung psychotherapeutischer Leistungen sicherstelle. In Umsetzung dieser Prüfung habe der EBewA in seiner 43. Sitzung am 22.09.2015 die von der Klägerin thematisierte Anhebung der Bewertung der GOPen des Abschnitts 35.2 um 2,6909% vorgenommen. Hieraus erwachse jedoch entgegen der Auffassung der Klägerin keine Rechtswidrigkeit im Hinblick auf die Leistungsbewertungen der GOP 30932 EBM. Dies bestätige sich auch vor dem Hintergrund des Beschlusses des BewA in seiner 397. Sitzung am 21.06.2017, in dem mit Wirkung zum 01.06.2017 eine Änderung des ersten Spiegelstriches der GOP 30932 im Abschnitt 30.11 EBM normiert worden sei. Mithin sei auch die vorliegend konkret streitgegenständliche GOP bereits Gegenstand einer Überprüfung durch den Normgeber gewesen. Eine Anpassung der Leistungsbewertung sei in diesem Zusammenhang indes nicht erfolgt. Vor diesem Hintergrund werde davon ausgegangen, dass der BewA die ihm obliegende Beobachtungspflicht wahrgenommen habe, aber schlichtweg keine Notwendigkeit für eine Anpassung der Leistungsbewertung erkannt habe.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Die Beigeladene zu 1) ist der Auffassung, die unterschiedliche Behandlung der neuropsychologischen Leistungen zu denen des Kapitels 35.2 EBM stelle kein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot dar. Die Regelung des § 87 Abs. 2c SGB V gelte nur für psychotherapeutische Leistungen. Es sei weiterhin darauf hinzuweisen, dass Hintergrund des besonderen Schutzes der psychotherapeutischen Leistungen im Hinblick auf deren angemessene Vergütung der Umstand sei, dass die Leistungen des Kapitels 35.2 wesentlicher Bestandteil des Ertrages psychotherapeutischer Praxen seien. Der besondere Schutz der psychotherapeutischen Leistungen im Hinblick auf die Angemessenheit der Vergütung basiere jedoch nicht bloß auf deren Zeitgebundenheit, sondern vor allem auf dem Umstand, dass diese Leistungen wesentliches Einkommenselement der psychotherapeutischen Leistungen seien. Insofern bestehe keineswegs ein Anspruch darauf, alle zeitgebundenen Leistungen innerhalb des EBM gleich zu behandeln, sondern es müsse darauf ankommen, ob die entsprechenden Leistungen auf Grund ihrer Stellung für die Vergütung der entsprechenden Arztgruppe besonders schutzbedürftig seien. Ansonsten sei dem Bewertungsausschuss — wie in allen Fragen der Bewertung von Leistungen — ein weiter Gestaltungsspielraum einzuräumen. Vorliegend bestehe kein Anhaltspunkt dafür, anzunehmen, der BewA hätte seinen Gestaltungsspielraum dadurch verletzt, dass er sich bei seiner Entscheidung zur Bewertung der neuropsychologischen Leistungen von sachfremden Erwägungen habe leiten lassen. Nur höchst vorsorglich sei im Übrigen an die ständige Rechtsprechung des BSG im Bezug auf § 72 Abs. 2 SGB V erinnert. Diese Auffassung sei auch durch das SG Düsseldorf (Urteil vom 20.06.2016, Az. S 93 KA 96/14) bestätigt worden.

Auch der Beigeladene zu 2) bezieht sich auf die Entscheidung des SG Düsseldorf. Die Privilegierung in § 87 Abs. 2c S. 6 SGB V gelte angesichts des eindeutigen Wortlauts allein für psychotherapeutische Leistungen. Neuropsychologische Leistungen würden dagegen nicht privilegiert. Es läge entgegen der Auffassung der Klägerin auch kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor. Ein Sachgrund für die unterschiedliche Bewertung neuropsychologischer und psychotherapeutischer Leistungen bestehe hier namentlich aufgrund ihrer unterschiedlichen Leistungsvoraussetzungen. Während es sich bei den psychotherapeutischen Leistungen gemäß § 33 Abs. 1 der Psychotherapie-Richtlinie des G-BA um eine genehmigungspflichtige Therapie handele, treffe dies auf die neuropsychologische Behandlung nicht zu. Dieser Aspekt der Genehmigungspflichtigkeit sei neben dem Kriterium der Zeitgebundenheit auch vom BSG seiner Rechtsprechung zur psychotherapeutischen Behandlung zugrunde gelegt worden (Verweis auf BSG, Urt. v. 28.05.2008, B 6 KA 49/07 R). Auch das SG Hannover teile die Auffassung der Beklagten und der Beigeladenen (Verweis auf Urteil SG Hannover vom 12.12.2018, Az. S 20 KA 115/17).

Mit Beschluss vom 16.01.2020 hat das Gericht das Verfahren S 83 KA 318/17 (ursprünglich S 79 KA 318/17) zu dem Verfahren S 83 KA 158/19 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung der Kammer ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die dem Gericht vorgelegen hat und Gegenstand der Beratung geworden ist.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.

Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 SGG).

Die zulässige Anfechtungs- und Neubescheidungsklage ist hinsichtlich des Honorars für das Quartal III/2017 begründet. Im Übrigen war die Klage abzuweisen. Die Bewertung der streitgegenständlichen Leistungen in dem Quartal I/2016 war – ebenso wie die Nichteinbeziehung der neuropsychologischen Leistungen in das System der Strukturzuschläge im Quartal I/2016 (GOP 35251 EBM) – nicht zu beanstanden (vgl. hierzu unter I.). Nach Auffassung der Kammer verstößt jedoch die Bewertung der GOP 30932 EBM sowie die Nichteinbeziehung der neuropsychologischen Leistungen in das System der Strukturzuschläge im Quartal III/2017 (GOP 35571 EBM) gegen Art. 3 Abs. 1 GG und ist damit rechtswidrig. Der Honorarbescheid für das Quartal III/2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.02.2019 ist deshalb rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (vgl. hierzu unter II.). Dabei war nach Auffassung der Kammer insoweit schon dem Hauptklageantrag stattzugeben. Denn von der (bloßen) Verpflichtung zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts ist auch der Fall erfasst, bei dem die Beklagte eine Änderung des EBM zunächst abzuwarten hat, um dann auf der Grundlage des geänderten EBM die Vergütung für die Leistung festzusetzen.

I. Die Beklagte war nicht verpflichtet, die von der Klägerin abgerechnete GOP 30932 EBM im Quartal I/2016 höher zu vergüten. Die damalige Bewertung der GOP 30932 EBM mit 819 Punkten war nach Auffassung der Kammer nicht zu beanstanden (vgl. hierzu unter 1.). Auch die Nichteinbeziehung der neuropsychologischen Leistungen in das System der Strukturzuschläge war im Quartal I/2016 nicht zu beanstanden (vgl. hierzu unter 2.).

Die Rechtsgrundlage für die Vergütung der Klägerin im Quartal I/2016 (und im Quartal III/2017) ist § 87b Abs. 1 i.V.m. § 87 Abs. 2 SGB V. Nach § 87b Abs. 1 SGB V (in der ab dem 01.01.2016 gültigen Fassung vom 10.12.2015) verteilt die Kassenärztliche Vereinigung die vereinbarten Gesamtvergütungen an die Ärzte, Psychotherapeuten, medizinischen Versorgungszentren sowie ermächtigten Einrichtungen, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, getrennt für die Bereiche der hausärztlichen und der fachärztlichen Versorgung. Gemäß § 87 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 SGB V bestimmt der EBM den Inhalt der abrechnungsfähigen Leistungen und ihr wertmäßiges, in Punkten ausgedrücktes Verhältnis zueinander; soweit möglich, sind die Leistungen mit Angaben für den zur Leistungserbringung erforderlichen Zeitaufwand des Vertragsarztes zu versehen.

Vorliegend geht es um die Vergütung der neuropsychologischen Einzelbehandlung nach der GOP 30932 EBM (Neuropsychologische Therapie (Einzelbehandlung)), die sowohl im Quartal I/2016 als auch im Quartal II/2017 mit 819 Punkten bewertet wurde. Die GOP 30392 EBM wird – wie alle Leistungen des Kapitels 30.11. EBM (Neuropsychologische Therapie gemäß der Nr. 19 der Anlage 1 "Anerkannte Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden" der Richtlinie "Methoden vertragsärztliche Versorgung" des Gemeinsamen Bundesausschusses) – außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) zum vollen EBM-Preis vergütet. Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die Beklagte die Vergütung der streitgegenständlichen GOP 30932 EBM entsprechend der Vorgaben ihres Honorarversteilungsmaßstabes und der Bewertungen des EBM vorgenommen hat.

Entgegen der Auffassung der Klägerin stehen die streitgegenständlichen Regelungen des EBM, bei denen es sich um untergesetzliche Rechtsnormen in der Form der Normsetzungsverträge handelt (stRspr des BSG, vgl. u.a. BSG, Urteil vom 09. Dezember 2004 – B 6 KA 44/03 R), hinsichtlich des Quartals I/2016 mit höherrangigem Recht im Einklang. Der auf der Grundlage des § 87 SGB V vom BewA vereinbarte EBM ist wegen seiner spezifischen Struktur und der Art seines Zustandekommens nur beschränkt der gerichtlichen Überprüfung zugänglich. Durch die personelle Zusammensetzung des – paritätisch mit Vertretern der Ärzte und Krankenkassen besetzten – BewA und dem vertraglichen Charakter des EBM soll gewährleistet werden, dass die unterschiedlichen Interessen der an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligten Gruppen zum Ausgleich kommen und auf diese Weise eine sachgerechte inhaltliche Umschreibung und Bewertung der ärztlichen Leistungen erreicht wird. Das vom BewA erarbeitete System autonomer Leistungsbewertung kann seinen Zweck nur erfüllen, wenn Eingriffe von außen grundsätzlich unterbleiben. Die gerichtliche Überprüfung ist daher im Wesentlichen darauf beschränkt, ob der Ausschuss den ihm zustehenden Entscheidungsspielraum überschritten oder seine Bewertungskompetenz missbräuchlich ausgenutzt hat (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2012 – B 6 KA 3/12 R, Rn. 29, m.w.N.). Dies kann dann der Fall sein, wenn der BewA bei der Leistungsbewertung gegen gesetzliche Vorgaben oder insbesondere auch gegen grundgesetzliche Vorgaben wie den Grundsatz der Honorarverteilung nach Art. 3 i.V.m. Art 12 GG oder das sich aus Art. 3 Abs. 1 GG ergebende Gleichbehandlungsgebot verstößt (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 11. Oktober 2017 – B 6 KA 37/17 R, Rn. 35 m.w.N.).

Nach Auffassung der Kammer liegt im Quartal I/2016 jedoch weder ein Verstoß gegen den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit (vgl. hierzu unter a.) noch gegen das Gleichbehandlungsgebot vor (vgl. hierzu unter b.).

a.) Ein Verstoß gegen § 87 Abs. 2c S. 6 SGB V (seit dem 01.01.2020 wortgleich S. 7), mit dem der Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit eine gesetzliche Ausprägung gefunden hat, ist nach Auffassung der Kammer nicht gegeben. Der BewA war vor dem Hintergrund dieser Regelung nicht verpflichtet, die Leistungen der Neuropsychotherapie genauso zu bewerten, wie die Einzeltherapie der Richtlinienverfahren (Kapitel 35.2 EBM).

Gemäß § 87 Abs. 2c S. 6 SGB V a.F. haben die Bewertungen für psychotherapeutische Leistungen eine angemessene Höhe der Vergütung je Zeiteinheit zu gewährleisten. Durch diese Regelung soll den Besonderheiten der psychotherapeutischen Versorgung Rechnung getragen werden (vgl. auch die Gesetzesbegründung zum GKV-WSG, BT-Drucks 16/4247, S. 39). Bis zum 01.01.2009 war hinsichtlich der psychotherapeutischen Leistungen § 85 Abs. 4 S. 4 SGB V a.F. maßgebend. Anders als in § 85 Abs. 4 S. 4 SGB V a.F. richtet sich § 87 Abs. 2c S. 6 SGB V a.F. nicht an die KVen, sondern an den BewA. Zudem ist die Regelung in § 87 Abs. 2c S. 6 SGB V a.F. nunmehr ausschließlich leistungsbezogen und nicht – wie § 85 Abs. 4 S. 4 SGB V a.F. – leistungserbringerbezogen (vgl. hierzu auch Freudenberg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl.2020, § 87 SGB V, Rn. 235 f.).

Zutreffend weist die Klägerin zunächst darauf hin, dass es sich bei den Leistungen der Neuropsychologie um psychotherapeutische Leistungen handelt. Nicht zuletzt geht dies aus dem zweiten Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie nach § 11 PsychThG vom 31.01.2008 hervor, in dem es wörtlich heißt: "Entsprechend der Verfahrensregeln des Wissenschaftlichen Beirats vom 22.11.2007 (Abschnitt 1.1) ist die Neuropsychologische Therapie damit eine wissenschaftlich anerkannte Psychotherapiemethode. Da jedoch nur für einen Anwendungsbereich eine Indikation besteht, kann sie nicht als Psychotherapieverfahren für die vertiefte Ausbildung entsprechend § 1 (1) der PsychThG-AprV empfohlen werden."

Die Tatsache, dass es sich bei den Leistungen der Neuropsychologie um psychotherapeutische Leistungen handelt, bedeutet jedoch noch nicht, dass sie "aufgrund der Besonderheiten der psychotherapeutischen Leistungserbringung" (BT-Drucks 16/4247, S. 39) nach Maßgabe des § 87 Abs. 2c S. 6 (jetzt: S. 7) SGB V und gleich wie die Richtlinienverfahren zu vergüten sind. Eine entsprechende gesetzgeberische Definition des Begriffs "psychotherapeutische Leistungen" i.S.d. § 87 Abs. 2c S. 6 a.F. SGB V existiert nicht. Die Formulierung "je Zeiteinheit" lässt darauf schließen, dass zumindest das Erfordernis der Zeitgebundenheit hinsichtlich der psychotherapeutischen Leistung gegeben sein muss. Dass der BewA sich darauf beschränken muss, stützende Vorgaben nur für die Leistungen zu treffen, die sowohl zeitgebunden als auch genehmigungsbedürftig sind, ist der Norm zwar nicht zu entnehmen. Daher ist der BewA grundsätzlich befugt, inhaltliche Vorgaben für die angemessene Honorierung psychotherapeutischer Leistungen auch für diejenigen Leistungen festzulegen, die nur zeitgebunden und nicht genehmigungsbedürftig sind (BSG, Urteil vom 29. August 2007 – B 6 KA 35/06 R, Rn. 13). Nach der Rechtsprechung des BSG hält sich der BewA aber auch dann noch im Rahmen seiner ihm zustehenden Gestaltungsfreiheit, wenn er sich bei der Förderung psychotherapeutischer Leistungen auf die Leistungen beschränkt, die sowohl zeitgebunden als auch genehmigungsbedürftig sind: "Dies ergibt sich vor allem daraus, dass die Gesetzesvorschriften eine Umsetzung der Rechtsprechung des BSG darstellen, die eine Punktwertstützung nur für die zeitgebundenen und genehmigungsbedürftigen psychotherapeutischen Leistungen gefordert hat (zur Anknüpfung des Gesetzgebers an die Urteile des BSG vom 20.1.1999 und vom 25.8.1999 siehe die Darstellung im Senatsurteil vom 28.1.2004, BSGE 92, 87 = SozR 4-2500 § 85 Nr 8, jeweils RdNr 8; zum Abstellen auf die Kombination von Zeitgebundenheit und Genehmigungsbedürftigkeit s insbes BSG, Urteil vom 25.8.1999, BSGE 84, 235, 244 = SozR 3-2500 § 85 Nr 33 S 260)" (BSG, Urteil vom 29. August 2007 – B 6 KA 35/06 R, Rn. 14 und bezugnehmend darauf BSG, Urteil vom 28. Mai 2008 – B 6 KA 9/07 R –, BSGE 100, 254-282, SozR 4-2500 § 85 Nr 42, Rn. 55). Diese Rechtsprechung lässt sich nach Auffassung der Kammer auch auf die Rechtslage nach Einfügung des § 87 Abs. 2c S. 6 SGB V und nach den erfolgten Honorarreformen übertragen (vgl. auf die alte Rechtsprechung Bezug nehmend auch BSG, Urteil vom 11. Oktober 2017 – B 6 KA 37/17 R, Rn. 61). Es ist nach Auffassung der Kammer auch von der Gestaltungsfreiheit umfasst, wenn der BewA sich bei der Einführung der damals neuen GOP 30932 EBM zunächst an der Bewertung der Leistungen nach dem Kapitel 35.2. EBM orientiert (vgl. die entscheidungserheblichen Gründe zum Beschluss aus der 291. Sitzung). Dies bedeutet jedoch nicht, dass bei jeder Höherbewertung der Leistungen nach dem Kapitel 35.2 EBM auch eine Höherbewertung der GOP 30932 EBM zu erfolgen hat.

b.) Die ungleiche Bewertung der GOP 30932 EBM und die der GOP 35150 EBM verstößt auch nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (vgl. u.a. BVerfG, Urteil vom 02. März 1999 – 1 BvL 2/91 –, BVerfGE 99, 367-401).

Vorliegend geht es um die Gruppe der Leistungserbringer, die ausschließlich oder schwerpunktmäßig neuropsychologische Leistungen erbringen im Vergleich zu der Gruppe der Leistungserbringer, die ausschließlich oder schwerpunktmäßig die psychotherapeutische Leistungen gemäß der Richtlinienverfahren erbringen. Zwar ist der Klägerin insoweit zuzustimmen, dass sich die Voraussetzungen der Leistungserbringung in vielerlei Hinsichtlich ähneln. Zu nennen sind neben der gleichen Ausbildung, die für die Abrechnung vorausgesetzt wird (die Leistungserbringer, die neuropsychologische Leistungen erbringen, benötigen sogar noch eine Zusatzqualifikation), die strukturellen und inhaltlichen Parallelen. Sowohl vor Beginn der (eigentlichen) neuropsychologischen Behandlung als auch vor Beginn einer Behandlung nach dem Kapitel 35.2 EBM sind probatorische Sitzungen zu absolvieren (vgl. für die neuropsychologische Therapie § 7 Abs. 1, Abs. 4 und Abs. 6 Nr. 1 des G-BA-Beschlusses vom 24.11.2011). Zudem sind sowohl die neuropsychologische Therapie als auch die Richtlinienverfahren auf eine längerfristige Behandlung ausgelegt (in beiden Fällen bis zu 60 Stunden, vgl. § 7 Abs. 6 Nr. 2 des G-BA-Beschlusses vom 24.11.2011 bzw. § 32b der Psychotherapie-Richtlinie). Auch sind die jeweiligen Kalkulationszeiten nach der Anlage 3 zum EBM identisch. Bei beiden Leistungen handelt es sich zudem um zeitgebundene Leistungen. Die neuropsychologische Therapie basiert auch – ebenfalls wie die Psychotherapien nach der Psychotherapie-Richtlinie – auf dem Wirkmechanismus einer kontinuierlichen Gestaltung der Therapeuten-Patienten-Beziehung. Die Erbringung neuropsychologischer Leistungen kann auch ein wesentliches Einkommenselement und ein Tätigkeitsschwerpunkt des Psychotherapeuten sein, wie der Fall der Klägerin zeigt. Insoweit haben die neuropsychologischen Leistungen für die Klägerin den gleichen Stellenwert, wie die Richtlinientherapien für die diese Leistungen erbringenden Psychotherapeuten.

Zutreffend weisen die Beklagte und die Beigeladenen aber darauf hin, dass es zwischen der Neuropsychologie und den Richtlinienverfahren durchaus auch Unterschiede gibt. Ein großer Unterschied ist sicherlich die Tatsache, dass es sich einerseits um in der Psychotherapie-Richtlinie anerkannte Therapien handelt, während die neuropsychologischen Leistungen anderseits "nur" als im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung erstattungsfähige Untersuchungs- und Behandlungsmethode anerkannt und in Anlage I Nr. 19 der MVV aufgenommen wurden. Zudem unterscheidet sich auch die Indikation für eine neuropsychologische Therapie (hirnorganische Schäden) von denen für die Richtlinienverfahren. Angesichts dessen, dass weder die Indikation für die Therapie noch die erfolgte oder die fehlende Aufnahme in die Psychotherapie-Richtlinie an dem Zeitaufwand für die Leistungserbringung und der Tatsache, dass die Erbringung der Leistungen oftmals ein wesentliches Einkommenselement für den jeweiligen Psychotherapeuten darstellt, etwas ändert, kann diesen Unterschieden bei der Frage nach einer angemessenen Vergütung nicht ein so großes Gewicht beigemessen werden, dass sie die bis zum 31.12.2018 bestehende Ungleichbehandlung bei der Vergütung rechtfertigen könnten. Tatsächlich sieht die Kammer jedoch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BSG die fehlende Genehmigungsbedürftigkeit der neuropsychologischen Leistungen als den entscheidenden, eine Ungleichbehandlung (unterschiedliche Höhe der Bewertung) rechtfertigenden Unterschied an. Das BSG hat schon mehrfach betont, dass aufgrund der Genehmigungsbedürftigkeit eine Leistungsausweitung für die Leistungserbringer erschwert ist und dies als sachgerechtes Kriterium für eine Ungleichbehandlung angesehen (so z.B. BSG, Urteil vom 11. Oktober 2017 – B 6 KA 37/17 R, Rn. 61).

2. Die Anknüpfung des Strukturzuschlags an die antrags- und genehmigungspflichtigen Leistungen im Quartal I/2016 (GOP 35251 EBM) stellt nach Auffassung der Kammer ebenfalls keine unzulässige Benachteiligung der Psychotherapeuten, die vor allem neuropsychologische Leistungen erbringen, dar.

Mit Beschluss des EBewA vom 22.09.2015 wurden neben der Anhebung der Bewertungen der GOP 35200 bis 35225 EBM ab dem 01.01.2012 Strukturzuschläge auf alle Einzel- und Gruppentherapieleistungen eingeführt (GOP 35251 EBM). Voraussetzung der Abrechenbarkeit war, dass antrags- und genehmigungspflichtige Leistungen in der Zeit bis zum 30.09.2013 in Höhe von mindestens 459.563 Punkten je Quartal bzw. ab dem 01.10.2013 mindestens 162.734 Punkte je Quartal abgerechnet werden (hälftige Vollauslastung). Für Psychotherapeuten mit einem geringeren als einem vollen Versorgungsauftrag reduziert sich die Mindestpunktzahl entsprechend. Hintergrund der Einführung des Strukturzuschlages war, dass eine Überprüfung der Personalaufwendungen ergeben hatte, "dass annähernd 75 % der psychotherapeutischen Praxen keine Personalaufwendungen aufweisen und dass keine bedeutende Zunahme von Beschäftigungsverhältnissen zu beobachten war, obwohl seit dem Jahr 2003 normative Personalaufwendungen für eine Halbtagskraft in die EBM-Bewertung einkalkuliert wurden. Dies verdeutlicht, dass der überwiegende Teil der psychotherapeutischen Praxen keinen Bedarf an einer Beschäftigung von Praxispersonal hat. Diesem Umstand hat der Bewertungsausschuss durch ein differenzierendes Verfahren Rechnung getragen. Die Finanzierung von Personalaufwendungen für eine Halbtagskraft setzt einen bestimmten Leistungsumfang voraus, der eine Beschäftigung von Personal als möglich und sinnvoll begründet. Das ist bei Praxen mit einer Auslastung von mindestens 50 % in Bezug auf die Vollauslastungshypothese des BSG gemäß Nummer 1) anzunehmen. Diese Praxen können nach vorliegendem Beschluss neben den GOP 35200 bis 35225 besondere Zuschlags-GOP abrechnen, die auf Basis der Personalausgaben einer sozialversicherungspflichtigen Halbtagskraft bewertet wurden. Für die Honorierung von Praxen und Vertragsärzten bzw. -therapeuten mit einer Auslastung von weniger als 50 % in Bezug auf die Vollauslastungshypothese des BSG gemäß Nummer 1) werden die empirischen Personalkosten die den Personalaufwendungen der Gruppe der Therapeuten mit Kasseneinnahmen von mindestens 83.000 Euro entsprechen, bei der Bewertung der GOP 35200 bis 35225 berücksichtigt. Die Besonderheit voll ausgelasteter Ärzte und Therapeuten wird durch die Zuschlags-GOP berücksichtigt" (vgl. entscheidungserhebliche Begründung zum Beschluss vom 22.09.2015).

Das BSG hatte die Berechnung der Personalaufwendungen teilweise beanstandet, hinsichtlich der Anknüpfung des Strukturzuschlags (allein) an die antrags- und genehmigungspflichtigen Leistungen aber keine gleichheitswidrige Benachteiligung der Psychotherapeuten, die vor allem andere psychotherapeutische Leistungen erbringen, gesehen. Begründet wurde dies wieder mit den Besonderheiten der antrags- und genehmigungspflichtigen Leistungen, die den Schwerpunkt der vertragspsychotherapeutischen Tätigkeit bilden und anders als andere psychotherapeutischen Leistungen die Besonderheit haben, dass sie einer Leistungsausweitung nicht ohne Weiteres zugänglich sind (BSG, Urteil vom 11. Oktober 2017 – B 6 KA 37/17 R, Rn. 61).

Die Tatsache, dass sich der BewA bei der Bewertung der neuropsychologischen Leistungen im Beschluss aus der 291. Sitzung an der Bewertung der Leistungen nach dem Kapitel 35.2 EBM orientiert hat, führt nicht zwingend dazu, dass für diese (nicht genehmigungspflichtigen) Leistungen auch die Möglichkeit der zusätzlichen Abrechnung des Strukturzuschlages erfolgen muss.

II. Die Vergütung der GOP 30932 EBM sowie die Nichtberücksichtigung der neuropsychologischen Leistungen bei der Berechnung des Strukturzuschlages im Quartal III/2017 (GOP 35571 EBM) ist nach Auffassung der Kammer jedoch rechtswidrig. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG ist gegeben.

Seit dem 01.04.2017 stützt sich der BewA ersichtlich nicht mehr auf das Unterscheidungsmerkmal der Genehmigungsbedürftigkeit. Mit Beschluss vom 29.03.2017 wurden mit Wirkung zum 01.04.2017 die psychotherapeutische Sprechstunde (GOP 35151 EBM) und die psychotherapeutische Akutbehandlung (GOP 35152 EBM) in den EBM aufgenommen. Hinsichtlich der Bewertung dieser Leistungen mit 406 Punkten führt der BewA in den entscheidungserheblichen Gründen zum Beschluss aus: "Obwohl es sich nicht um genehmigungspflichtige Leistungen handelt, erfolgt die Bewertung dieser Leistungen auf Basis der Leistungsbewertungen der antrags- und genehmigungspflichtigen Einzeltherapieleistungen gemäß Abschnitt 35.2 EBM. Im Ergebnis erfolgt die Vergütung je Minute in identischer Höhe wie antrags- und genehmigungspflichtige Therapieleistungen." Die niedrigere Bewertung der Leistung ergibt sich dann letztlich nur daraus, dass ein geringerer Zeitaufwand für die Vor- und Nachbereitung sowie für die Befundung berücksichtig wurde. Außerdem werden die Leistungen der psychotherapeutischen Sprechstunde und der psychotherapeutische Akutbehandlung bei der Berechnung der Strukturzuschläge berücksichtigt.

Indem der BewA bei anderen psychotherapeutischen Leistungen, die – wie die neuropsychologischen Leistungen – nicht genehmigungsbedürftig sind, bei der Bewertung und der Einbeziehung in den Strukturzuschlag eine Gleichbehandlung mit den Leistungen des Kapitels 35.2 EBM vornimmt, macht er nach Auffassung der Kammer deutlich, dass er hinsichtlich der psychotherapeutischen Leistungen bezogen auf die Vergütungshöhe nicht mehr an dem Unterscheidungsmerkmal der Genehmigungsbedürftigkeit festhält. Dieses Vorgehen ist von seiner Gestaltungsfreiheit umfasst. Damit kann er sich jedoch nach Auffassung der Kammer auch hinsichtlich der neuropsychologischen Leistungen nicht mehr auf die fehlende Genehmigungsbedürftigkeit für eine im Vergleich zu den Leistungen nach Kapitel 35.2 EBM wesentlich geringere Vergütung berufen. Ein sachlicher Grund, der die weiterhin bestehende Ungleichbehandlung rechtfertigt, ist damit entfallen. Mit Wirkung zum 01.01.2019 hat der BewA die Ungleichbehandlung behoben. Mit Beschluss vom 23.04.2019 hat er die Bewertung der GOP 30932 EBM an die der GOP 35150 EBM angepasst. Zudem wurde die GOP 30932 EBM bei der Berechnung des Strukturzuschlages nach GOP 35571 EBM berücksichtigt. Angesichts der bestehenden nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung im Bezug auf Leistungen nach dem Kapitel 35.2 EBM und die anderen (ebenfalls nicht genehmigungsbedürftigen) Leistungen hätte dies aber schon zum 01.04.2017 erfolgen müssen.

Die dargestellten Verstöße des EBM im hier streitgegenständlichen Quartal III/2017 gegen höherrangiges Recht bei der Vergütung neuropsychologischer Leistungen führen nicht automatisch dazu, dass die Beklagte eine höhere Vergütung vorzunehmen hat. Vielmehr ist sie grundsätzlich an die Bestimmungen des EBM gebunden. Daher ist zunächst dem BewA als Normgeber des EBM Gelegenheit zu einer gesetzeskonformen Neuregelung zu geben (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2012 – B 6 KA 3/12 R, Rn. 42). Sobald dies erfolgt ist, hat die Beklagte eine Neubescheidung vorzunehmen und das Honorar der Klägerin für das Quartal III/2017 nach Maßgabe des geänderten EBM neu festzusetzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Dabei hat die Kammer berücksichtigt, dass die Klägerin nur hinsichtlich eines der beiden streitgegenständlichen Quartale erfolgreich war. Da die Beigeladenen keine eigenen Anträge gestellt haben und sich so keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben, entsprach es nicht der Billigkeit, der Klägerin und der Beklagten auch deren Kosten anteilig aufzuerlegen (§ 154 Abs. 3 VwGO).

Die Sprungrevision war gemäß § 161 SGG zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 161 Abs. 2 SGG liegen vor, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG hat. Die Rechtsfrage, ob die Vergütung der neuropsychologischen Einzelbehandlung (GOP 30932 EBM) sowie die Nichtberücksichtigung im Zusammenhang mit dem Strukturzuschlag in den Quartalen I/2016 und III/2017 gegen den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit und gegen das Gleichbehandlungsgebot nach Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, wurde bislang durch das BSG noch nicht entschieden und hat grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung. Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn ein Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt ist (Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 160 Rn. 7a). Vorliegend handelt es sich um ein Musterverfahren. Vergleichbare Fälle sind auch an anderen Instanzgerichten anhängig. Zudem sind nach der Darstellung der Klägerin, die anzuzweifeln das Gericht keinen Anlass hat, einige Verwaltungsverfahren, bei denen es um genau diese Fragen geht, ruhend gestellt worden.
Rechtskraft
Aus
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