L 4 U 725/17 ZVW

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 36 U 368/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 U 725/17 ZVW
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 11/20 BH
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 09.08.2016 wird zurückgewiesen. Kosten sind in allen Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nummer 2106 (BK 2106) der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) - Druckschädigung der Nerven - sowie einen darauf gegründeten Anspruch auf Verletztenrente nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII).

Der am 00.00.1952 geborene Kläger war in Bosnien-Herzegowina - nach der Ausbildung zum Maschinenschlosser - vom 21.07.1971 bis 24.11.1971 laut seinen Angaben in einem Bergwerk unter Tage mit Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten beschäftigt. Nach dem Wehrdienst als Telegrafist verrichtete er ab dem 01.03.1973 bei der Firma S zunächst die gleichen Arbeiten wie zuvor. Ab April 1974 war er bei dieser Firma im Auftrag der Firma U GmbH im deutschen Steinkohlenbergbau mit Arbeiten im Streckenvortrieb befasst. Die Firma U GmbH übernahm die Mitarbeiter der Firma S ab 01.11.1983. Seine Tätigkeit gab der Kläger im Dezember 2003 auf.

Wegen der Folgen von Arbeitsunfällen (09.06.1984, 06.02.1988 und 06.12.2003) sowie wegen weiterer BKen (BK 2301, BK 4101, BK 4102, BK 4111, BK 2102, BK 2103, BK 2104, BK 2108, BK 2109, BK 2110, BK 2112) waren weitere Verwaltungs- und Gerichtsverfahren auch betreffend die Überprüfung bindend ablehnender Bescheide gem. § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) anhängig.

Mit einem Schreiben vom 11.03.2013 teilte der Kläger der Beklagten mit, er habe im Januar 2013 einen "Antrag gestellt auf Berufskrankheit Liste Nr. 2106".

Die Beklagte lehnte nach Eingang von Unterlagen betreffend die Tätigkeiten des Klägers und Vorlage eines Berichtes der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie C vom 26.02.2013 gestützt auf eine Stellungnahme des Leiters des Präventionsbereichs C1 vom 30.07.2013 mit Bescheid vom 29.08.2013 das Vorliegen einer BK 2106 ab und stellte fest, dass "Ansprüche auf Leistungen" nicht bestünden. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen sei der Kläger während seiner Berufstätigkeit keinen Einwirkungen ausgesetzt gewesen, die zur Verursachung einer BK geeignet gewesen seien. Nach der Stellungnahme des Präventionsdienstes sei der Kläger bei seinen Tätigkeiten mit druckluftbetriebenen Werkzeugen und weiteren Handwerkzeugen sowie beim Tragen schwerer Lasten einer Gefährdung im Sinne einer BK 2106 nicht ausgesetzt gewesen.

Mit seinem Widerspruch vom 04.09.2013 vertrat der Kläger die Auffassung, bei ihm lägen sowohl die arbeitstechnischen als auch die medizinischen Voraussetzungen einer BK 2106 vor. "N. tibialis und N. ulnaris" seien beschädigt. Die Ausführungen des Präventionsdienstes seien unzutreffend. Herrn C1 sei bekannt, dass er einen schweren und anstrengenden Beruf ausgeübt habe. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb er behaupte, dass die Tätigkeit nicht geeignet sei, eine BK 2106 zu verursachen.

Die Beklagte holte hieraufhin eine ergänzende Stellungnahme des Präventionsdienstes vom 17.10.2013 ein, in der Herr C1 nach Rücksprache mit Kollegen seine frühere Stellungnahme korrigierte. Der Anteil der Tätigkeiten, bei denen der Kläger unter beengten räumlichen Verhältnissen kniend oder mit aufgestützten Ellenbogen gearbeitet habe, sei höher einzuschätzen als zunächst angenommen. Dieser sei einer Gefährdung im Sinne der BK 2106 zuletzt bis Ende 2003 ausgesetzt gewesen.

Die Beklagte zog Unterlagen aus dem Verfahren betreffend die BK 2103 (Erkrankungen durch Erschütterung bei Arbeit mit Druckluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen) bei. In diesem Verfahren vertrat der Arzt für Chirurgie/Unfallchirurgie und Sozialmedizin Dr. B in einem Gutachten vom 08.04.2013 die Auffassung, das bei dem Kläger bestehende Schadensbild sei "ausschließlich der BK 2103 zuzuordnen" und mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 10 v.H. zu bewerten. Der Chefarzt der Abteilung für orthopädische Chirurgie, Unfallchirurgie und Sporttraumatologie der D-Klinik, I, Dr. C2 führte in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 06.05.2013 aus, die "Zuerkennung einer BK 2103" sei gerechtfertigt, er empfehle eine MdE von 10 %. Hieraufhin erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 25.07.2013 eine BK 2103 sowie das Vorliegen einer MdE in Höhe von 10 v.H. an.

Auf Nachfrage der Beklagten ergänzte der Kläger (Schreiben vom 11.11.2013), bei ihm seien "fast alle Nerven getroffen HWS, LWS, Schulter, Ellenbogen, Handgelenke und vor allem Kniegelenke". Die Nervenschäden und deren Ursachen müssten aufgeklärt werden. Der Beklagten lägen Befunde und Unterlagen zur BK 1317 vor. Dazu legte er einen Arztbericht von Prof. Dr. U1 vom 23.10.2012 vor, in dem dieser als Diagnose beschrieb: "V.a. Carpaltunnelsyndrom (CTS) bds., V.a. Sulcus ulnaris-Syndrom bds.". Die Ärztin C übersandte einen EMG-Befund vom 25.02.2013, der ihrer Beurteilung nach für eine Irritation des Nervus ulnaris links im Bereich des linken Ellenbogengelenkes spreche.

Die Beklagte zog ein in dem Verfahren betreffend die BK 2104 von Prof. Dr. U2, Direktor der Neurologischen Klinik und Poliklinik E, F, erstattetes Gutachten vom 29.10.2013 bei. Dieser führte unter Berücksichtigung von elektromyographischen und elektroneurographischen Zusatzgutachten vom 29.10.2013 zusammenfassend aus, es habe im Rahmen der Begutachtung geklärt werden sollen, ob die vom Kläger angegebene Beschwerdesymptomatik durch eine neurologische Erkrankung erklärt werden könne und ob ein Zusammenhang zur beruflichen Tätigkeit bestehe. Die von dem Kläger angegebene Beschwerdesymptomatik habe sich in der klinisch-neurologischen Untersuchung nicht objektivieren lassen. Die daraufhin durchgeführte Elektroneurographie habe normale Nervenleitgeschwindigkeiten und Amplituden gezeigt. Auch die zusätzlich durchgeführte Elektromyographie habe ebenfalls keinerlei Hinweise für das Vorliegen eines peripheren Nervenschadens gezeigt. In Zusammenschau aller Befunde, der klinisch-neurologischen Untersuchung sowie der apparativen Zusatzdiagnostik habe sich kein Hinweis für das Vorliegen einer Schädigung eines peripheren Nervens feststellen lassen. Insbesondere habe kein Sulcus ulnaris-Syndrom nachgewiesen werden können. Damit bestehe auf neurologischem Fachgebiet auch keine berufsbedingte Erkrankung.

Mit Schreiben vom 20.01.2014 merkte der Kläger kritisch an, er sei zu Prof. Dr. U2 zur Beurteilung des Vorliegens der BK 2104 geschickt worden, obwohl dieser zu einer Begutachtung dieser Berufskrankheit nicht geeignet sei. Der Begutachtung habe er nur zugestimmt, um seine Mitwirkungspflichten zu erfüllen. Dieses falsche Gutachten könne zur Begutachtung der BK 2106 nicht herangezogen werden, da es hierzu keine Feststellungen enthalte. Die bei ihm vorliegende Beschädigung der Nerven im Ellenbogen und Knie seien durch objektive Befunde untermauert. Sobald er seine Ellenbogen und Knie beuge, leide er unter Kribbeln, brennenden Schmerzen, Taubheit und Lähmungserscheinungen bis hin zu einem kompletten Ausfall von Fingern und Füßen.

Hieraufhin beauftragte die Beklagte den Beratungsarzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H mit der Überprüfung der Schlüssigkeit des Gutachtens von Prof. Dr. U2, der in seiner beratenden Stellungnahme vom 12.02.2014 darlegte, es bestünden keinerlei Zweifel an der gutachterlichen Beurteilung. Der Ausschluss einer neurologischen Erkrankung im Sinne eines peripheren Druckschadens im Sinne der BK 2106 habe durch die elektrophysiologischen Untersuchungen eindeutig nachgewiesen werden können. Läge eine Druckschädigung der Nerven, insbesondere des Nervus ulnaris vor, so hätte sich dies in den elektrophysiologischen Untersuchungen widerspiegeln müssen. Das Gutachten gehe völlig korrekt von allen medizinischen Annahmen aus und berücksichtige ebenso korrekt die in Literatur und Rechtsprechung bestätigten medizinischen Grundlagen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.04.2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Anerkennung der BK 2106. Zwar habe eine gefährdende Tätigkeit im Sinne der BK 2106 bestätigt, allerdings bei der Beurteilung der medizinischen Befunde eine berufsbedingte Erkrankung des peripheren Nervensystems ausgeschlossen werden können. Es liege kein Krankheitsbild vor, das der BK 2106 entspreche.

Mit der am 09.05.2014 beim Sozialgericht (SG) Dortmund erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren gestützt auf den Befund der Ärztin C vom 26.02.2013 und einen vorgelegten Bericht des Priv.-Doz. Dr. S1 vom 07.08.2012 - der darin ausgeführt hat, elektrophysiologisch lägen "allenfalls Hinweise auf eine diskrete, sensibel betonte Polyneuropathie der Beine" vor - weiter verfolgt.

Der Kläger hat beantragt,

unter Aufhebung des Bescheides vom 29.08.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.04.2014 die Beklagte zu verurteilen, unter Anerkennung der Berufskrankheit nach Nr. 2106 der Anlage zur BKV Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig gehalten und vorgetragen, aus der Klagebegründung ergäben sich keine neuen entscheidungserheblichen Gesichtspunkte.

Mit Urteil vom 09.08.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger erfülle die medizinischen Voraussetzungen der BK 2106 nicht. Dies ergebe sich aus dem von Prof. Dr. U2 erstatteten Gutachten. Auch nach den vorgelegten Berichten der behandelnden Ärzte sei definitiv das Vorliegen einer Erkrankung im Sinne der BK 2106 nicht bewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Urteils Bezug genommen.

Gegen das ihm am 22.08.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20.09.2016 beim Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen Berufung eingelegt.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das LSG mit Beschluss vom 24.01.2017 die Berufung des Klägers unter Bezugnahme auf das angefochtene Urteil sowie den Widerspruchsbescheid zurückgewiesen. Zwar sei der Kläger bei seiner beruflichen Tätigkeit grundsätzlich Einwirkungen ausgesetzt gewesen, die zu einer Druckschädigung der Nerven führen könnten. Jedoch fehle es an dem erforderlichen Vollbeweis einer solchen Erkrankung. Auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens ergebe sich keinerlei Anhaltspunkt für eine davon abweichende Beurteilung. Vielmehr habe Prof. Dr. U2 unter Berücksichtigung von elektromyographischen und elektroneurographischen Zusatzgutachten sowie der eigenen klinisch-neurologischen Untersuchung mit jeweils unauffälligen Ergebnissen in Kenntnis der Berichte behandelnder Ärzte, auf die der Kläger sein Begehren wesentlich stütze, die jedoch im Wesentlichen lediglich Verdachtsdiagnosen nennen würden, schlüssig begründet dargelegt, dass auf neurologischem Fachgebiet keine berufsbedingte Erkrankung vorliege. Bei durch Druckschädigungen von Nerven verursachten Nervenläsionen würden typischerweise auffällige elektromyographische und elektroneurographische Befunde erscheinen, beispielsweise eine herabgesetzte Nervenleitgeschwindigkeit. Dementsprechende Befunde seien beim Kläger nicht nachweisbar. Allein aus dem Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen könne angesichts der multifaktoriellen Entstehung von Erkrankungen nicht automatisch auf das Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen einer BK geschlossen werden; vielmehr müssten medizinische Kriterien hinzukommen. Die vom Kläger begehrte Einholung eines weiteren Gutachtens von Amts wegen halte der Senat nicht für erforderlich. Soweit der Kläger dies für notwendig halte, um (sonstige) Ursachen seiner behaupteten Gesundheitsstörungen abzuklären, handele es sich um einen sogenannten "Ausforschungsbeweis", dem der Senat nicht zu folgen habe. Lägen bereits die Voraussetzungen für die vom Kläger begehrte Anerkennung der BK 2106 nicht vor, komme die Zahlung einer Verletztenrente gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII nicht in Betracht.

Gegen den Beschluss hat der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundessozialgericht (BSG) eingelegt und die Verletzung der tatrichterlichen Sachaufklärungspflicht aus § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gerügt. Insbesondere habe das LSG das von ihm beantragte nervenärztliche Gutachten einholen müssen. Das Gutachten von Prof. Dr. U2 verhalte sich nicht zur streitgegenständlichen BK 2106. Insbesondere beurteile Prof. Dr. U2 periphere Nervenläsionen auf die es vorliegend nicht ankomme, da entscheidend sei, ob eine Druckschädigung von Nerven vorliege. Auch würden wesentliche Untersuchungen an seinen Beinen fehlen.

Das BSG hat mit Beschluss vom 31.08.2017 den Beschluss des Senats vom 24.01.2017 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen. Das LSG habe sich aus objektiver Sicht gedrängt fühlen müssen, ein nervenärztliches Sachverständigengutachten zum Vorliegen bzw. Nichtvorliegen von Nervenschäden im Bereich der Arme und eventuell auch der unteren Extremitäten sowie ggf. zur haftungsbegründenden Kausalität zwischen den berufsbedingten Druckeinwirkungen und den Nervenschäden beizuziehen. Soweit das LSG die "Einholung eines weiteren Gutachtens von Amts wegen nicht für erforderlich" halte, übersehe es bereits, dass weder im Klage- noch im Berufungsverfahren ein Sachverständigengutachten von Amts wegen erstattet worden sei. SG und LSG stützten ihre Entscheidungen ausschließlich auf das Verwaltungsgutachten des Neurologen Prof. Dr. U2 vom 29.10.2013 nebst elektromyografischen und elektroneurografischen Zusatzgutachten, die im Verwaltungsverfahren zur Feststellung einer BK 2104 (Vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen an den Händen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können) erstattet worden seien. Auf der Grundlage dieser Gutachten habe das LSG indes nicht davon ausgehen dürfen, das Fehlen eines (druckbedingten) Nervenschadens sei bereits erwiesen. Denn das neurologische Hauptgutachten sowie die elektromyographischen und elektroneurografischen Zusatzgutachten seien in einem völlig anderen Kontext (BK 2104) differentialdiagnostisch zu "Durchblutungsstörungen an den Händen" erstellt worden und könnten schon deshalb nicht alle potentiellen Nervendruckschäden erfassen, die nach dem Wortlaut der BK 2106 prinzipiell in allen Körperregionen (und nicht nur "an den Händen") auftreten könnten. Schon deshalb sei weitere Sachaufklärung durch Einholung eines nervenärztlichen Sachverständigengutachtens von Amts wegen geboten gewesen. Im Übrigen hätten die Verwaltungsgutachten vorliegend nur dann alleinige Grundlage der gerichtlichen Entscheidungen sein können, wenn der Kläger in die Übermittlung und Nutzung seiner hochsensiblen Sozialdaten (§ 35 Abs. 1 S. 1 SGB I; § 67 Abs. 1 und Abs. 12 SGB X) an das SG und LSG schriftlich eingewilligt (§ 67b Abs. 2 S. 3 SGB X) hätte, weil die gesetzliche Übermittlungsbefugnis in § 69 Abs. 1 Nr. 2 SGB X nur für die Übermittlung von Verwaltungsgutachten für ein dieses Verwaltungsverfahren betreffendes Gerichtsverfahren gelte. Bei dieser Sachlage sei in Übereinstimmung mit dem Vorbringen des Klägers nicht auszuschließen, dass die beantragte Zuziehung eines nervenärztlichen Sachverständigengutachtens nicht nur den Vollbeweis eines Nervenschadens, sondern auch überzeugende Anhaltspunkte für die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs zwischen den beruflichen Druckeinwirkungen und dem Nervenschaden erbracht hätten, die ihrerseits zur Feststellung einer BK 2106 und zur Gewährung einer Stützrente nach einer MdE von 10 v.H. geführt hätten. Das LSG werde auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Nach Fortführung des Verfahrens hat der Kläger u.a. die in den Verfahren der BG RCI ("Verfahren sind LSG bekannt") mit Untersuchungen beauftragten Ärzte von der Schweigepflicht entbunden (schriftliche Einverständniserklärung vom 02.12.2017). Der ehemalige Prozessbevollmächtigte des Klägers hat die Erteilung einer Einwilligungserklärung zur Verwendung des Gutachtens von Prof. Dr. U2 sodann verweigert (Schriftsatz vom 09.01.2018). Zur Begründung seiner Berufung wiederholt der Kläger im Wesentlichen seinen Vortrag und trägt weiter vor, er halte das von Prof. Dr. U2 erstattete Gutachten unter Hinweis auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17.12.2015 (B 2 U 11/14 R) für grob fehlerhaft. Seine Beschwerden hätten sich verschlimmert. Seine körperlichen und psychischen Gesundheitsschäden kämen nur aus dem versicherten Bereich. Die Beklagte habe es abgelehnt, ihn von dem von ihm vorgeschlagenen Gutachter Dr. S1 begutachten zu lassen und ihn stattdessen gegen seinen Willen zu Prof. Dr. U2 geschickt. Prof. Dr. H1 beziehe sich auf veraltete Leitlinien und im Gutachten sei nicht dokumentiert, ob die entscheidende Oberflächentemperatur von zumindest 34°C bei den elektromyographischen Messungen eingehalten worden sei. Die Messungen des Gutachters seien daher im Hinblick auf die fehlende Dokumentation der Hauttemperatur möglicherweise unzutreffend ermittelt und lägen teilweise mehr oder weniger knapp unter den Schwellenwerten der Leitlinien, teilweise auch darüber. Insgesamt vermisse er eine Erklärung zur möglichen Ursachen der Erkrankung. Es ergäben sich hingegen zahlreiche und erhebliche Beschwerden, die nach dem Merkblatt einen Hinweis auf das Vorliegen der BK darstellten. Aus diesem Grund sei eine Nachbegutachtung unter Verwendung bildgebender Verfahren notwendig, die Aufschluss über Art und Ausmaß der Nervenschädigungen geben werde. Hinsichtlich der vom Sachverständigen nun festgestellten Polyneuropathie habe die Beklagte noch mit Widerspruchsbescheid vom 17.04.2014 die Anerkennung einer BK 1317 mit der Begründung abgelehnt, eine solche liege nicht vor. Er sei der Auffassung, dass es sich nicht um eine Polyneuropathie, sondern um eine multiple Mononeuropathie handele. Da seine berufliche Tätigkeit und die Erkrankung einige Zeit zurücklägen und heute eine Erkrankung mehrerer Nerven festgestellt werde, schließe dies nicht aus, dass ursprünglich nur ein einzelner Nerv betroffen gewesen sei und dann fortschreitend andere Nerven erkrankt seien. Er verbleibe bei seiner Auffassung, dass das Gutachten von Prof. Dr. H1 unklar, widersprüchlich und unvollständig sei. Aus diesem Grund sei ein neues Gutachten von Amts wegen einzuholen. Er beantrage die erneute Einholung einer ergänzenden Stellungnahme von Prof. Dr. H1 zu seinen Stellungnahmen vom 07.02.2019, 23.04.2019 und 23.01.2020. Die von ihm aufgeworfenen Widersprüche seien nach wie vor nicht ausgeräumt. Auch habe der Sachverständige keine Konkurrenzursache für die von ihm festgestellte Polyneuropathie benannt. Zudem sei er nach wie vor der Auffassung, dass es sich bei seiner Erkrankung nicht um eine Polyneuropathie, sondern um eine Druckschädigung mehrerer Nerven handele. Schließlich sei der Widerspruch zwischen dem Gutachten von Prof. Dr. U2 und dem von Prof. Dr. H1 zum Vorliegen einer Polyneuropathie nach wie vor nicht aufgeklärt. Das LSG habe es bei allen seinen Streitsachen unterlassen, die MdE nach Recht, Gesetz und ständiger Rechtsprechung zu ermitteln und ihm damit grobes soziales Unrecht zugefügt. Er sei der Ansicht, dass eine Entscheidung nicht auf das Gutachten und die ergänzenden Stellungnahmen von Prof. Dr. H1 gestützt werden könne. Sollte der Senat dies beabsichtigen, beantrage er den Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung zu laden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 09.08.2016 aufzuheben, und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.04.2014 zu verurteilen bei ihm eine Berufskrankheit nach Nr. 2106 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen und ihm Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 10 v.H. nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren,

hilfsweise den Sachverständigen Prof. Dr. H1 zu laden zur Beantwortung seiner aufgeworfenen Fragen in den Schriftsätzen vom 07.02.2019, 23.04.2019 und 23.01.2020.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung führt sie aus, sie halte das Urteil des SG für zutreffend. Das Gutachten, mit dem eine Polyneuropathie ausgeschlossen worden sei, betreffe nicht das vorliegende Berufungsverfahren. Vielmehr sei das Gutachten zur BK 1317 (Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische) erstellt worden. Prof. Dr. U2 habe festgestellt, dass weder eine Polyneuropathie noch eine Schädigung eines peripheren Nerven vorliege. Die BK 1317 sei aber abgelehnt worden, da die beruflichen Voraussetzungen nicht gegeben seien.

Der Senat hat von Amts wegen ein Sachverständigengutachten von dem Direktor der Klinik für Neurologie des Katholischen Klinikum F Prof. Dr. H1 vom 11.08.2018 eingeholt. Prof. Dr. H1 hat hierin nach ambulanter Untersuchung am 09.08.2018 ausgeführt, retrospektiv ergäben sich im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung bezüglich der oberen Extremitäten weder klinisch noch neurophysiologisch Hinweise auf das Vorliegen einer Druckschädigung eines Armnerven, insbesondere nicht für ein in den Vorbefunden konstatiertes, nach den Leitlinien aber nicht zu diagnostizierendes sogenanntes Sulcus ulnaris-Syndrom. Insbesondere im Bereich der Armnerven hätten sich im Bereich der für Druckschädigungen anfälligen Regionen (Nervus medianus im Bereich des Karpaltunnels, Nervus ulnaris im Bereich des sogenannten Sulcus ulnaris - Knochenrinne am Ellenbogen - und Ramus superficialis des Nervus radialis am rumpffernen Unterarm) keine Hinweise für eine isolierte Druckschädigung gezeigt. Die im Bereich der unteren Extremitäten angegebenen sensiblen Störungen entsprächen in ihrem Verteilungsmuster (zirkuläre Anordnung im Bereich des rechten Unterschenkels und Fußes sowie einer diffusen Anordnung im Bereich des gesamten linken Beines) eher dem Befund einer sensiblen Störung, wie sie im Rahmen einer sogenannten Polyneuropathie auftrete. Hinweise für eine isolierte Druckschädigung der Beinnerven ergäben sich weder klinisch noch neurophysiologisch. Darüber hinaus bestehe ein Taubheitsgefühl im Bereich der Narben am linken Ellenbogen und der linken Daumenkuppe, wie sie im Narbenbereich durch Verletzungen von Nervenendästen typisch sei. Die Gesundheitsstörung seien nicht ursächlich oder mitursächlich im Sinne der Entstehung oder im Wege der Verschlimmerung auf eine berufliche Exposition des Klägers im Sinne einer Druckschädigung der BK 2106 zurückzuführen. Gegen die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs spreche der fehlende Nachweis einer isolierten Nervendruckschädigung. Es handele sich vielmehr um eine generalisierte, nicht druckschädigungsbedingte Schädigung der Nerven in ihrem Gesamtverlauf mit rumpfferner Betonung, wie es für eine Polyneuropathie typisch sei. Die dem Gutachten zugrunde gelegten Messprotokolle übersandte der Sachverständige unter dem 21.09.2018.

In der vom Senat von Amts wegen eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 07.01.2019 hat Prof. Dr. H1 ausgeführt, er habe die aktuellste Version der Fachgesellschaft Neurologie zitiert. Die vom Kläger angeführte neuere Version sei nicht in die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie aufgenommen worden. Insbesondere hätten sich bezüglich der zur Diagnostik peripherer Nervenerkrankungen im Vordergrund stehenden neurographischen und elektromyographischen Untersuchungen seit 2012 keine wesentlichen Neuerungen ergeben. Weder eine Ultraschalluntersuchung der Nerven, noch eine kernspintomographische Untersuchung seien beim Kläger angezeigt gewesen. Mit den beim Kläger durchgeführten Verfahren (Neurographie/Elektromyographie) erfolge die Untersuchung auf eine funktionelle Störung eines Nerven, die bildgebenden Verfahren (Ultraschallsonographie bzw. Kernspintomographie) dienten lediglich der Ursachenklärung einer fokalen Nervenläsion, die beim Kläger nicht vorliege. Bei der elektroneurographischen Untersuchung des Klägers habe die Temperatur an den unteren Extremitäten 34,1°C, an den oberen Extremitäten 34,2°C betragen und somit im geforderten Rahmen gelegen, weshalb die Messungen der Nervenleitgeschwindigkeit nicht in ihrer Messgenauigkeit beeinträchtigt gewesen seien. Es habe sich keinerlei Hinweis für ein Sulcus Ulnaris-Sndrom ergeben, da im sogenannten Sulcusabschnitt des Nerven (Ellenbogenanschnitt) auf der rechten Seite sogar eine mit ca. 8 m/s höhere Geschwindigkeit gemessen worden sei. Hinsichtlich der signifikanten Amplitudenminderung bei der motorischen Neurographie sei anzumerken, dass an allen Stimulationsorten die Amplituden der evozierten Muskelaktionspotentiale absolut gesehen im Normbereich gelegen hätten. Hinsichtlich eines durchzuführenden Seitenvergleichs sei anzumerken, dass ein signifikanter Seitenunterschied (V. Finger) nicht bestehe; ein solcher könne für eine sensible Neurographie erst bei einer Amplitudendifferenz der sNAP-Amplitude von mindestens 50 % angenommen werden. Auch im Kniebereich sei zur Feststellung einer Leistungsblockierung im Unterschenkelabschnitt des Nervus tibialis eine Amplitudenminderung von 50 % maßgeblich, da die Stimulation des Nervus tibialis in der Kniekehle häufig schwierig sei. Mit den Ursachen der festgestellten Polyneuropathie habe er sich nicht auseinander setzen müssen, da dies nicht Gegenstand des Gutachtens gewesen sei. Entgegen des Vorbringens des Klägers seien auch nicht fünf der typischen klinischen Symptome des Merkblattes zur BK 2106 Ziffer III erfüllt; diese Einschätzung decke sich nicht mit den im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung erhobenen Befunden. Zusammenfassend seien die erhobenen Befunde bzw. geklagten Beschwerden im Rahmen einer Polyneuropathie erklärlich und bewiesen nicht das Vorliegen einer BK 2106. Eine bildgebende Diagnostik sei nicht notwendig, da deren Einsatz nur dann sinnvoll sei, wenn eine funktionelle Störung des Nerven bereits durch den klinischen Befund sowie die neurophysiologische Dokumentation der Nervenfunktion anzunehmen sei. Ein solcher Verdacht habe sich aus den erhobenen Befunden jedoch nicht ergeben.

Mit Schriftsatz vom 28.03.2019 hat der Kläger um Vorlage der medizinischen Unterlagen hinsichtlich eines Ausschlusses einer Polyneuropathie gebeten. Der Widerspruch dieses medizinischen Gutachtens zum Gutachten von Prof. Dr. H1, der bei ihm eine Polyneuropathie festgestellt habe, müsse aufgeklärt werden. Diese Bitte hat er mit Schriftsatz vom 06.08.2019 nochmals bekräftigt, woraufhin die Beklagte mit Schriftsatz vom 22.08.2019 ihre Verwaltungsakte zur BK 1317 übersandte, deren Bestandteil das neurologische Gutachten von Prof. Dr. U2 vom 29.10.2013 ist.

In einer weiteren von Amts wegen eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 10.12.2019 hat Prof. Dr. H1 ausgeführt, Grundlage für die Ablehnung der BK 1317 durch die Beklagte im Jahr 2014 sei das Gutachten von Prof. Dr. U2 aus dem Jahr 2013, demzufolge sich keine Hinweise für eine Polyneuropathie ergeben hätten. Zwischen dieser Untersuchung und seiner Begutachtung im August 2018 seien ca. 5 Jahre vergangen, sodass davon auszugehen sei, dass die im Rahmen seiner Begutachtung festgestellte sensomotorische Polyneuropathie sich in der Zwischenzeit entwickelt habe. Die Angaben im Gutachten von Prof. Dr. U2 seien auch korrekt gewesen. Hinsichtlich der monierten fehlenden Dokumentation der Temperaturmessungen sei anzuführen, dass die Dokumentation der Temperaturmessungen in der Akte und nicht auf dem Messprotokoll erfolge und deswegen nicht im Rahmen der Übersendung der Messprotokolle übermittelt worden sei. Die genaue Kenntnis der Temperaturmessungen im Nachhinein ergebe sich aus dem Einblick in seine Krankenakte.

Mit Richterbrief vom 02.03.2020 hat der Senat dem Kläger mitgeteilt, dass eine Ladung des Sachverständigen Prof. Dr. H1 zum Termin zur mündlichen Verhandlung nicht vorgesehen ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Akte der Beklagten Bezug genommen, der insgesamt Gegenstand der Entscheidung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, insbesondere statthafte (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG) und fristgerecht eingelegte (§ 151 Abs. 1 SGG) Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Soweit der Kläger mit der Klage über die Feststellung des Vorliegens der BK 2106 hinaus auch die Gewährung einer Verletztenrente begehrt, ist die Klage bereits unzulässig.

Ungeachtet des im Ausgangsverfahren unbeanstandet gestellten Antrags auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v.H. ist zulässiger Streitgegenstand des Berufungsverfahrens allein die Ablehnung der Anerkennung der BK 2106. Denn die Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid vom 29.08.2013 allein über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anerkennung der BK 2106 entschieden und deren Anerkennung mangels Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen abgelehnt. Soweit die Beklagte im Verfügungssatz des Bescheides auch festgestellt hat, dass Ansprüche auf Leistungen nicht bestehen, ergibt sich hieraus nicht anderes. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 16.11.2005, B 2 U 28/04 R) beschreibt die Formulierung im Verfügungssatz eines Bescheides "Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung können nicht gewährt werden" ersichtlich nur allgemein die Folgerungen, die sich aus der Nichtanerkennung einer BK ergeben. Eine Entscheidung über einzelne konkrete Leistungsansprüche ist damit nicht verbunden (BSG, a.a.O., Rn. 17 zitiert nach juris). Im vorliegenden Fall hat die Beklagte die Anerkennung der BK 2106 abgelehnt, da nach dem Ergebnis ihrer Ermittlungen die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht vorgelegen haben. Zwar hat die Beklagte im Rahmen des Widerspruchsverfahrens das Vorliegen einer gefährdenden Tätigkeit im Sinne der BK 2106 bestätigt, jedoch mangels Vorliegens einer berufsbedingten Erkrankung des peripheren Nervensystems die Anerkennung der BK weiter abgelehnt. Über die Gewährung einer Verletztenrente verhalten sich weder der Ausgangs- noch der Widerspruchsbescheid. Auch hat der Kläger in seinem Antrag bzw. der Erinnerung an den gestellten Antrag nur die Prüfung der BK begehrt, nicht explizit auch die Gewährung einer Rente.

Im Übrigen ist die Klage als Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1, Abs. 4, § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG) statthaft. Eine kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage auf Feststellung einer Berufskrankheit ist nach § 55 Abs. 1 Satz 1 SGG zulässig (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 12. Auflage 2017, § 55 Rn. 13b m.w.N.). Die auch im Übrigen zulässige Klage hat das SG zu Recht abgewiesen, denn sie ist unbegründet.

Der Bescheid vom 29.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.04.2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung der BK 2106.

Rechtsgrundlage für die Anerkennung der begehrten BK ist § 9 Abs. 1 S. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 2106 der Anlage 1 zur BKV. BKen sind gem. § 9 Abs. 1 SGB VII nur diejenigen Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet (Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. In der Anlage 1 zur BKV ist die BK 2106 mit dem Erkrankungsbild "Druckschädigung der Nerven" bezeichnet. Die Anerkennung einer BK 2106 setzt demnach voraus, dass der Versicherte infolge versicherter Tätigkeit eine Druckschädigung der Nerven erlitten hat.

In beweisrechtlicher Hinsicht müssen die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Hingegen genügt für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 04.07.2013, B 2 U 11/12 R, Rn. 12; Urteil vom 27.06.2006, B 2 U 20/04 R, Rn. 15; Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, Rn. 20 - alle zitiert nach juris). Um eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zu bejahen, muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden und nach der geltenden ärztlichen wissenschaftlichen Lehrmeinung deutlich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 12.09.2012, B 3 KR 10/12 R, Rn. 47 m.w.N.; Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, Rn. 20 m.w.N.; Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 R, Rn. 4 m.w.N. - alle zitiert nach juris).

Vorliegend war der Kläger bei seiner beruflichen Tätigkeit unter Tage Versicherter im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII und - auch nach Auffassung der Beklagten - grundsätzlich Einwirkungen ausgesetzt, die zu einer Druckschädigung der Nerven hätten führen können. Jedoch fehlt es an dem erforderlichen Vollbeweis einer solchen Erkrankung. Dies steht zur Überzeugung des Senats nach Abschluss der Beweisaufnahme fest.

Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. H1 hat überzeugend, in sich widerspruchsfrei und vollständig unter Berücksichtigung des einschlägigen Merkblattes und der aktuellen unfallmedizinischen Lehrmeinung dargelegt, dass auf neurologischem Fachgebiet keine berufsbedingte Erkrankung in Form einer isolierten Nervendruckschädigung vorliegt. Insbesondere im Bereich der Armnerven haben sich im Bereich der für Druckschädigungen anfälligen Regionen (Nervus medianus im Bereich des Karpaltunnels, Nervus ulnaris im Bereich des sogenannten Sulcus ulnaris - Knochenrinne am Ellenbogen - und Ramus superficialis des Nervus radialis am rumpffernen Unterarm) keine Hinweise für eine isolierte Druckschädigung gezeigt. Die im Bereich der unteren Extremitäten angegebenen sensiblen Störungen entsprechen in ihrem Verteilungsmuster (zirkuläre Anordnung im Bereich des rechten Unterschenkels und Fußes sowie einer diffusen Anordnung im Bereich des gesamten linken Beines) eher dem Befund einer sensiblen Störung, wie sie im Rahmen einer sogenannten Polyneuropathie auftritt. Hinweise für eine isolierte Druckschädigung der Beinnerven ergeben sich weder klinisch noch neurophysiologisch. Eine bildgebende Diagnostik ist nicht notwendig, da deren Einsatz nur dann sinnvoll ist, wenn eine funktionelle Störung des Nerven bereits durch den klinischen Befund sowie die neurophysiologische Dokumentation der Nervenfunktion anzunehmen sind. Ein solcher Verdacht hat sich aus den erhobenen Befunden jedoch nicht ergeben. Bei durch Druckschädigungen von Nerven verursachten Nervenläsionen erscheinen typischerweise auffällige elektromyographische und elektroneurographische Befunde, beispielsweise eine herabgesetzte Nervenleitgeschwindigkeit (vergleiche Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, Seite 256). Dementsprechende Befunde sind beim Kläger nicht nachweisbar.

Bestätigt wird dies auch durch das im Verwaltungsverfahren von der Beklagten beigezogene Gutachten von Prof. Dr. U2 zur BK 2104 sowie die von der Beklagten zur BK 2106 eingeholte beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. H vom 12.02.2014. Bereits im Rahmen der Begutachtung durch Prof. Dr. U2 - ungeachtet der Prüfung einer anderen BK - waren sowohl die Befunde der Elektroneurographie als auch die der Elektromyographie unauffällig und zeigten keine Hinweise für das Vorliegen eines peripheren Nervenschadens. Dr. H hat nach eigener Auswertung der elektrophysiologischen Untersuchungen dargelegt, dass der Ausschluss einer neurologischen Erkrankung im Sinne eines peripheren Druckschadens durch die elektrophysiologischen Untersuchungen eindeutig nachgewiesen werden konnte. Läge eine Druckschädigung der Nerven im Sinne der hier streitigen BK 2106, insbesondere des Nervus ulnaris vor, so hätte sich diese in den elektrophysiologischen Untersuchungen widerspiegeln müssen.

Inwieweit der vormalige Prozessbevollmächtigte des Klägers der Verwendung des Gutachtens von Prof. Dr. U2 zugestimmt bzw. einer Verwertung desselben widersprochen hat, kann dahinstehen. Denn Grundlage der Entscheidung des Senats ist das nach § 106 SGG im wiedereröffneten Berufungsverfahren eingeholte Gutachten von Prof. Dr. H1, das auf eigenen Befunden und einer persönlichen Untersuchung des Klägers beruht. Für die Verwertbarkeit des Gutachtens von Prof. Dr. U2 trotz der vom vormaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers verweigerten Zustimmung - abgesehen davon, dass er sich um ein höchstpersönliches Recht des betroffenen Klägers handelt - spricht jedoch die Tatsache, dass der Kläger selbst im Rahmen seiner schriftlichen Einverständniserklärung vom 02.12.2017 sowie im weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens das Gutachten auf eigene Anforderung von der Beklagten hat zur Akte reichen lassen und vom gerichtlich bestellten Sachverständigen die Aufklärung der seiner Ansicht nach bestehenden Widersprüchlichkeiten zwischen beiden Gutachten hinsichtlich des Vorliegens einer Polyneuropathie begehrt hat. Im Übrigen dürfte die Erlangung und Verarbeitung durch den Senat auch durch § 9 Abs. 2 lit. f. der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gedeckt sein. Danach ist die Erlangung und Verarbeitung zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder bei erforderlichen Handlungen der Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit rechtlich zulässig.

Entgegen der Auffassung des Klägers sind auch die aktenkundigen Befunde der den Kläger behandelnden Ärzte nicht zum Nachweis eines Erkrankungsbildes geeignet. So hat Prof. Dr. U1 in seinem Arztbericht vom 23.10.2012 lediglich den Verdacht auf ein Sulcus ulnaris-Syndrom bds. gestellt. Die sodann veranlasste neurologische Untersuchung durch die Ärztin C (Bericht vom 26.02.2013) ergab als gesicherte Diagnose eine beinbetonte Polyneuropathie, die mit Prof. Dr. H1 kein Erkrankungsbild im Sinne der BK 2106 ist. Die zudem von der vorbenannten Ärztin beschriebene leichtgradige Verzögerung als möglichen Hinweis auf eine Irritation des linken Ulnarisnerven erfüllt nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. H1 in dessen Gutachten vom 11.08.2018 nach den anwendbaren Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie ebenfalls nicht die Anforderungen für die Diagnosestellung eines Sulcus ulnaris-Syndroms. Insoweit hat der Sachverständige - entgegen der Auffassung des Klägers - auch ausdrücklich die Frage verneint, dass vor dem operativen Eingriff eine Erkrankung im Sinne der streitigen BK vorgelegen hat.

Auch aus den dem Senat im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen ergibt sich nichts anderes. Denn auch hier wendet sich der Kläger lediglich erneut gegen die vom gerichtlichen Sachverständigen gestellte Diagnose einer Polyneuropathie. Zu dieser Frage hat der Senat jedoch im Nachgang zum Gutachten vom 11.08.2018 bereits zwei ergänzende Stellungnahmen (07.01.2019 und 10.12.2019) von Prof. Dr. H1 eingeholt, in denen der Sachverständige bei der von ihm gestellten Diagnose geblieben ist. Die vom Kläger vorgelegten Unterlagen sind indes weder dazu geeignet, diese sachverständige Einschätzung des gerichtlich bestellten Facharztes für Neurologie zu widerlegen, noch diese in ihrem Beweiswert zu entkräften.

Danach hat Prof. Dr. H1 insgesamt überzeugend und unter Berücksichtigung der Einwendungen des Klägers bzw. dessen vormaligen Prozessbevollmächtigten den medizinisch relevanten Sachverhalt zutreffend berücksichtigt, sodass der Senat keine Veranlassung hatte, die gutachterlichen Feststellungen in Zweifel zu ziehen.

Allein aus dem Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen kann angesichts der multifaktoriellen Entstehung von Erkrankungen nicht automatisch auf das Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen einer BK geschlossen werden; vielmehr müssen medizinische Kriterien hinzukommen (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 23.04.2015, B 2 U 10/14 R, Rn. 18 zur BK 2108 zitiert nach juris; vgl. Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung M 2106, S. 8).

Dem hilfsweise gestellten Antrag des Klägers auf Befragung des Sachverständigen Prof. Dr. H1 in der mündlichen Verhandlung zur Beantwortung der von ihm in seinen Schriftsätzen vom 07.02.2019, 23.04.2019 und 23.01.2020 aufgeworfenen Fragen musste der Senat nicht nachgehen. Denn der Kläger verkennt hierbei einerseits, dass dem Sachverständigen Prof. Dr. H1 zur Erstattung seiner weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 10.12.2019 die Gerichtsakte nebst der Verwaltungsakten der Beklagten übersandt wurden, in denen seine Schriftsätze vom 07.02.2019 und 23.04.2019 enthalten waren, und der Sachverständige die vorgenannte ergänzende Stellungnahme in Kenntnis der hierin aufgeworfenen Fragen erstattet und keine Veranlassung gesehen hat, von seiner gutachterlichen Einschätzung abzuweichen. Andererseits hat der Kläger in seinem weiteren Schriftsatz vom 23.01.2020 lediglich die bereits zuvor aufgeworfenen Fragen erneut wiederholt. Dabei geht er insbesondere irrtümlich davon aus, dass der im Vollbeweis festzustellende Gesundheitsschaden bei ihm vorliegt und Prof. Dr. H1 ihm Alternativursachen für die von ihm diagnostizierte Polyneuropathie zu benennen habe. Hierbei verkennt der Kläger, dass eben gerade ein Gesundheitsschaden im Sinne der BK 2106 nicht im Vollbeweis festgestellt werden konnte und es auf die Frage von Alternativursachen deshalb vorliegend nicht ankommt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst. Mit in die Kostenentscheidung einzubeziehen waren auch die Kosten des Verfahrens beim BSG. Diese waren nicht zu übernehmen, da der Kläger in der Hauptsache sowohl im Klage- als auch im Berufungsverfahren unterlegen ist und die Zurückverweisung des BSG allein aufgrund der vom BSG beanstandeten fehlenden Ermittlungen des LSG erfolgt ist.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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