S 19 AS 1387/17

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Altenburg (FST)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
19
1. Instanz
SG Nordhausen (FST)
Aktenzeichen
S 19 AS 1387/17
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Widerspruchsbescheid vom 19.07.2017 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen für die Rechtsverfolgung im Widerspruchsverfahren W 1379/16 zu erstatten. Die Hinzuziehung der Bevollmächtigten war notwendig. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen.

Tatbestand:

Streitig sind die Kosten eines Widerspruchsverfahrens.

Mit Bescheid vom 23.06.2016 wurde den Klägerinnen für die Zeit vom 01.06.2016 bis 30.04.2017 Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalt nach dem SGB II unter Anrechnung von Unterhalt für die Klägerin zu 3 in Höhe von 155.- EUR bewilligt. Der Vater der Klägerin zu 3 strebte der ein Unterhaltsabänderungsverfahren beim Familiengericht M. an und zahlte am 10.11.2016 lediglich 33 EUR Unterhalt. Am 14.11.2016 reichte die Klägerin zu 1 den gerichtlichen Antrag zusammen mit dem Kontoauszug bei der Beklagten ein. Mit Bescheid vom 26.11.2016 wurden den Klägerinnen geänderte Leistungen für die Zeit vom 01.01.2017 bis 30.04.2017 bewilligt. Hierbei wurde wiederum ein Unterhalt für die Klägerin zu 3 in Höhe von 155 EUR angerechnet. Mit Schreiben vom 12.12.2016, eingegangen per Fax bei der Beklagten am selben Tag, erhoben die Klägerinnen durch die Prozessbevollmächtigte Widerspruch gegen den Bescheid vom 26.11.2016 und begehrten eine Neuberechnung der Leistung für die Monate November und Dezember 2016. Der Widerspruch wurde von der Beklagten unter der Nr. W 1379/16 registriert. Mit Bescheid vom 07.2.2016 (mit dem Druckdatum 08.12.2016) wurden den Klägerinnen geänderte Leistungen nach dem SGB 2 für die Zeit vom 01.11.2016 bis 30.04.2017 unter Berücksichtigung des tatsächlich geleisteten Unterhalts für die Klägerin zu 3 bewilligt. Mit Schreiben vom 22.03.2017 teilte die Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit, dass der Bescheid vom 07.12.2016 erst nach Einlegung des Widerspruches zugegangen sei. Mit Bescheid vom 03.04.2017 lehnte die Beklagte die Übernahme der im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen der Klägerinnen ab. Dagegen erhoben die Klägerinnen durch ihre Prozessbevollmächtigte am 03.05.2017, eingegangen bei der Beklagten am gleichen Tag, Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 19.07.2017 als unbegründet zurückgewiesen wurde, da kein kausaler Zusammenhang zwischen der Widerspruchseinlegung am 12.12.2016 und dem Erlass der begünstigenden Entscheidung vom 7.12.2016 bestanden habe. Hiergegen haben die Klägerinnen am 18.08.2017 Klage erhoben. Sie sind der Ansicht, dass die Beklagte zur Erstattung der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Widerspruchsverfahrens verpflichtet ist, da der Widerspruch erfolgreich gewesen sei. Insbesondere sei zum Zeitpunkt der Widerspruchseinlegung am 12.12.2016 der abhelfende Änderungsbescheid noch nicht wirksam zugegangen. Zu diesem Zeitpunkt sei der Widerspruch zulässig und begründet gewesen, der Widerspruch sei somit erfolgreich gewesen.

Die Klägerinnen beantragen (sinngemäß),

Den Widerspruchsbescheid vom 19.07.2017 aufzuheben, und die Beklagte zu verpflichten, die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen für die Rechtsverfolgung im Widerspruchsverfahren W 1379/16 zu erstatten und die Hinzuziehung der Bevollmächtigten als notwendig anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Inhaltlich bezieht sie sich auf die Argumentation in den angegriffenen Bescheiden.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die bei der Entscheidung vorlagen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die angegriffenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzten die Klägerinnen in ihren Rechten.

Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist ein Widerspruch nicht immer schon dann erfolgreich, wenn zeitlich nach der Einlegung des Widerspruchs eine dem Widerspruchsführer begünstigende Entscheidung ergeht, sondern er ist nur dann erfolgreich im Sinne des § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X, wenn zwischen Rechtsbehelf und begünstigender Entscheidung der Behörde auch eine ursächliche Verknüpfung im Rechtssinne besteht. Eine solche ursächliche Verknüpfung besteht nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zwar, wenn eine während des Widerspruchsverfahrens eingetretene Rechtsänderung zu einem für den Widerspruchsführer günstigen Verfahrensausgang führt (BSG, Urteil vom 13. Oktober 2010, B 6 KA 29/09 R, Juris, Rdnr. 18), oder wenn eine umstrittene Rechtsfrage während des Widerspruchsverfahrens höchstrichterlich geklärt und dann auf den Widerspruchsführer angewendet wird (BSG, Urteil vom 25. März 2004, B 12 KR 1/03 R, Juris, Rdnr. 18). Sie besteht jedoch nicht, wenn erst die nachträgliche Erfüllung von Mitwirkungspflichten während des Widerspruchsverfahrens eine positive Entscheidung für den Widerspruchsführer ermöglicht hat (BSG, Urteil vom 21. Juli 1992, 4 RA 20/91, Juris, Rdnr. 20). Sie wurde auch dann verneint, wenn die Feststellung des Endes der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung erst wegen der während des Widerspruchsverfahrens erfolgten Zahlung von Beiträgen durch den Widerspruchsführer aufgehoben werden konnte (BSG, Urteil vom 18. Dezember 2001, B 12 KR 42/00 R, Juris, Rdnr. 13), also aufgrund einer nachträglichen Veränderung der Sachlage (Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 23. September 2016 – L 7 AS 1035/15 –, Rn. 27 - 29, juris mit weiteren Nachweisen in der Rechtsprechung).

Hieraus ist ersichtlich, dass es sich bei der ursächlichen Verknüpfung im Rechtssinne um ein normatives Korrektiv handelt und nicht eine (tatsächliche) Kausalität gefordert wird. Der erforderliche Ursachenzusammenhang wurde vom BSG immer dann verneint, wenn der Erfolg durch ein Ereignis in der Sphäre des Widerspruchsführers, insbesondere durch eine nach-träglich vorgenommene dem Widerspruchsführer obliegende Mitwirkung, herbeigeführt wurde. Das Verhalten der Widerspruchsführer, die erst im Widerspruchsverfahren die bereits im Verwaltungsverfahren die gebotene Handlung nachholten und dann die Erstattung der Vorverfahrenskosten verlangten, wurde zutreffend als rechtsmissbräuchlich bzw. widersprüchlich angesehen. (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 28. Juni 2019 – L 8 SB 2932/18 –, Rn. 30, juris) Der Rechtsfigur der ursächlichen Verknüpfung im Rechtssinne liegen also nicht tatsächliche Kausalitätszusammenhänge zugrunde, sondern der Gedanke des Rechtsmissbrauchs und eines venire contra factum proprium. Deshalb differenziert das Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 28. Juni 2019 – L 8 SB 2932/18 a.a.O. auch zu Recht danach, in wessen Sphäre das Ereignis liegt.

Entscheidend ist dabei, ob dieses Ereignis nach bzw. mit Widerspruchseinlegung herbeigeführt wurde und in der Sphäre des Widerspruchsführers lag. Darüber hinaus, bei der Nachholung einer Mitwirkung, kann der Zurechnungszusammenhang unter dem Billigkeitsgesichtspunkt der Treuwidrigkeit allenfalls dann zu Lasten des Widerspruchsführers gehen, wenn er der Behörde von vornherein nicht ausreichend Zeit gewährt, die notwendige Amtshandlung vorzunehmen. (So bei dem Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05. Dezember 2012 – L 19 AS 2074/12 B –, juris, entschiedenen Fall, wenn auch mit einer abweichenden weitergehenden Begründung).

Hier liegt die Mitwirkungshandlung vor der Widerspruchserhebung, die abhelfende Entscheidung wurde durch Zugang nach Erhebung des Widerspruchs wirksam. Der Widerspruch ist der Beklagten ausweislich der Leistungsakte per Fax am Montag, den 12.12.2016 um 11:40 Uhr zugegangen. Von Klägerseite ist im Erörterungstermin am 29.08.2019 glaubhaft vorgetragen worden, dass der Änderungsbescheid, der ausweislich des Druckdatums des Originalbescheides frühestens am Donnerstag den 08.11.2016 zur Post aufgeben worden sein kann, zu diesem Zeitpunkt noch nicht zugegangen war, da die Post üblicherweise erst am Nachmittag ausgetragen wurde. Von Beklagtenseite ist ein früherer Zugang weder behauptet noch nachgewiesen worden. Sie widerspricht der Darlegung der Klägerseite nicht und geht auch davon aus, dass sich Widerspruch und Abänderungsbescheid "gekreuzt" haben. Nach der Rspr. des BSG greift die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 SGB X überdies nur ein, wenn der Tag der Aufgabe zur Post in den Behördenakten vermerkt wurde (BSG, 28. November 2006, B 2 U 33/05 R, BSGE 97, 279-285, SozR 4-2700 § 136 Nr. 2, Rn. 15; BSG, 6. Mai 2010, B 14 AS 12/09 R). Ein solcher Vermerk ist der Leistungsakte jedoch nicht zu entnehmen.

Im Hinblick auf den existenzsichernden Charakter der Leistung wäre eine umgehende Änderung der Bewilligung angebracht gewesen. Die Klägerinnen haben der Behörde vor Einlegung des Widerspruchs auch ausreichend Zeit (hier ca. 4 Wochen) eingeräumt, so dass die Einlegung dieses Rechtsbehelfs nicht treuwidrig war. Außerdem ist von der Beklagten durch den Bewilligungsbescheid vom 26.11.2016 den Eindruck erweckt worden, die - ausweislich der Leistungsakte Blatt 845- angezeigte Änderung der Unterhaltszahlungen nicht berücksichtigen zu wollen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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