L 1 U 1044/18

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 10 U 4427/15
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 U 1044/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
§ 1150 Abs. 2 S 1 RVO vom 25.07.1991, § 1150 Abs. 2 S. 2 RVO vom 25.07.1991, § 212 SGB 7, § 215 Abs. 1 SGB 7, § 539 Abs. 1 Nr. 14 Buchst b RVO



Gesetzliche Unfallversicherung - Übergangsrecht - ehemalige DDR - Schülerunfall - Kinder- und Jugendsportschule - sachlicher Zusammenhang - organisatorischer Verantwortungsbereich - Sportunfall - Wettkampfteilnahme - Länderwettkampf - Nationalkader der DDR - Einwirkungsmöglichkeit- Richtlinie für die Arbeit der KJS der DDR





Schüler einer Kinder- und Jugendsportschule, die als Mitglied des Nationalkaders der DDR im Nachwuchsbereich an einem Länderwettkampf in der Schweiz teilgenommen haben, sind auch unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in der DDR in der Schülerunfallversicherung nicht versichert, wenn die Schule mangels Einwirkungsmöglichkeit für die Teilnahme keine Mitverantwortung trug und der zum Wettkampf begleitende Trainer nicht auch zugleich Lehrkraft der Schule war.
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gotha vom 17. Juli 2018 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin als Schülerin am 5. Mai 1989 einen Arbeitsunfall erlitten hat.

Die 1975 geborene Klägerin besuchte zum Unfallzeitpunkt die Kinder- und Jugendsportschule "H.-R." in B. (KJS) und war in dem angeschlossenen Internat untergebracht. Ihre sportliche Ausbildung, die an die Stelle des regulären Sportunterrichts trat, war dem Deutschen Turn- und Sportbund (DTSB) übertragen. Zugleich gehörte die Klägerin dem SC Dynamo B. als Leistungskader an und war Mitglied im Nachwuchskader Turnen der Nationalmannschaft der DDR. Die Klägerin war für den Länderkampf im Turnen zwischen der DDR und der Schweiz, der vom 4. bis 8. Mai 1989 in M. stattfand, nominiert. Beim Einturnen erlitt sie am 5. Mai 1989 einen Unfall. Infolgedessen wurde nach Rückkehr in die DDR am 9. Mai 1989 arthroskopisch eine Meniskusteilresektion durchgeführt. Am 11. Mai 1989 wurde eine Unfallmeldung gegenüber dem zuständigen Bezirksvorstand des FDGB in B. abgegeben, welche unter anderem von dem Zeugen G. und dem Schulleiter der KJS G. als Betriebsleiter unterzeichnet wurde. Eine Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall nach dem Recht der DDR (§ 220 ff. AGB der DDR) durch die zuständige Betriebsgewerkschaftsleitung erfolgte nicht.

Im Rahmen der Ermittlungen zu einem anderen Unfallereignis vom 5. Juli 2008 zeigte die Klägerin der Unfallkasse B. mit dort am 30. März 2009 eingegangenem Schreiben an, dass sie während des Besuchs der KJS in B. verschiedene Unfälle erlitten hat. Die Unfallkasse B. leitete die Unterlagen zu den Unfällen vom 25. Juli 1988 und 5. Mai 1989 zuständigkeitshalber an die Unfallkasse B. weiter. Diese zog die noch verfügbaren Unterlagen zu dem Unfallereignis vom 5. Mai 1989 bei (unter anderem die Unfallmeldung vom 11. Mai 1989 und den Operationsbericht vom 9. Mai 1989). Eine Nachfrage bei dem Schul- und Leistungssportzentrum B. durch die Beklagte hinsichtlich des Unfallereignisses vom 5. Mai 1989 ergab, dass nach Rücksprache mit dem Zeugen G. sich der Unfall nicht während einer schulischen Veranstaltung ereignet habe. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 26. November 2014 sinngemäß die Anerkennung eines Arbeitsunfalles hinsichtlich des Ereignisses vom 5. Mai 1989 und die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab. Bei dem angeschuldeten Ereignis habe es sich zwar nach dem Recht der ehemaligen DDR gemäß § 1 Abs. 1 und 2 der Verordnung über die Erweiterung des Versicherungsschutzes bei Unfällen in Ausübung gesellschaftlicher, kultureller und sportlicher Tätigkeiten vom 11.4.1973 (GBl I, Nr. 22, 199, nachfolgend: Erweiterungs-VO 1973) um einen Arbeitsunfall gehandelt. Jedoch sei nach dem ebenfalls an-wendbaren Recht der Bundesrepublik kein Arbeitsunfall gegeben, da die Teilnahme an einem Länderwettkampf nicht in einem unmittelbaren schulischen Zusammenhang stehe. Ein hiergegen durch die Klägerin eingelegter Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 28. Oktober 2015 zurückgewiesen.

Hiergegen hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Gotha Klage erhoben. Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 17. Juli 2018 den Bescheid der Beklagten vom 26. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2015 aufgehoben und festgestellt, dass das Ereignis vom 5. Mai 1989 ein Arbeitsunfall gewesen ist. Das Unfallereignis vom 5. Mai 1989 sei einem Träger der Unfallversicherung zwar erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt geworden, der Unfall sei jedoch sowohl nach dem zum Unfallzeitpunkt gelten-den Recht der DDR als auch nach § 539 Abs. 1 Nr. 14 b der Reichsversicherungsordnung (RVO) ein Arbeitsunfall gewesen. Danach seien Schüler während des Besuchs allgemeinbil-dender Schulen versichert gewesen. Der Schulbesuch bei der KJS genüge diesen Kriterien. Auch bei dem Länderwettkampf in der Schweiz sei der organisatorische Verantwortungsbe-reich der KJS eröffnet gewesen. Die Spezifik der Ausbildung in den Kinder- und Jugendsportschulen seien zu berücksichtigen. Die mit der Zugehörigkeit zum Leistungskader verbundene Teilnahme an dem Länderwettkampf in der Schweiz falle in den organisatorischen Verantwortungsbereich der KJS. Die Anleitung und Überwachung des Trainings sei durch den damaligen Sportlehrer der Klägerin erfolgt und könne als wirksame schulische Aufsichtsmaßnahme angesehen werden. Dies werde auch durch den Beschluss des Sekretariats des ZK der SED vom 24. Juni 1970 belegt, wonach die Leitungen der Sportclubs im Zusammenwirken mit den Direktoren der KJS für das Training, Unterricht und Erziehung verantwortlich gewesen seien. Nach § 220 AGB DDR i. V. m. § 1 Abs. 1 Erweiterungs-VO sei die Tätigkeit der Klägerin auch hiernach als versicherte Tätigkeit einzustufen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Versicherte Tätigkeit nach § 539 Abs. 1 Nr. 14 RVO sei allein der Schulbesuch. Die Teilnahme der Klägerin am Sportwettkampf in der Schweiz stelle keinen Schulbesuch in diesem Sinne dar. Der Verantwortungsbereich der Schule sei nicht mehr eröffnet gewesen. Die alleinige Gesamtverantwortung für den Länder-wettkampf habe beim Sportclub Dynamo B. als einer vom Schulwesen der DDR unabhängigen Organisation gelegen. Es habe zwar eine enge personelle und organisatorische Verflech-tung zwischen den Sportclubs und den Kinder- und Jugendsportschulen bestanden. Die Mitverantwortung der Kinder- und Jugendsportschulen habe sich indes nicht auf Länderwettkämpfe erstreckt. Während des Wettkampfes habe auch keine schulische Aufsichtsmaßnahme stattgefunden. Die Trainer seien zum Unfallzeitpunkt am 5. Mai 1989 ausschließlich in den Organisationsbereich des Sportclubs SC Dynamo eingegliedert gewesen.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gotha vom 17. Juli 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Ausführungen des Sozialgerichts Gotha in dem angegriffenen Gerichtsbescheid.

Der Senat hat aus dem Bundesarchiv drei Dokumente aus dem Bestand des Ministeriums des Inneren der DDR betreffs der Ausreise der an dem Länderwettkampf beteiligten Personen in die Schweiz beigezogen. Unterlagen aus dem Bestand des Deutschen Turn- und Sportbundes zum Länderwettkampf konnten nicht ermittelt werden. Des Weiteren wurden ein Protokoll der Sitzung des Sekretariats des ZK vom 24. Juni 1970, eine Anlage zum Protokoll der Sitzung des Sekretariats des ZK vom 12. Oktober 1977 betreffend die Richtlinie für die Arbeit der Kinder- und Jugendsportschulen der DDR und eine Anlage Nr. 2 zum Protokoll Nr. 7/80 vom 23. Januar 1980 beigezogen.

Der Berichterstatter des Senats hat im Termin zur Beweisaufnahme am 9. März 2020 den Zeugen G. gehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift in der Gerichtsakte verwiesen.

Die Klägerin hat auf Anforderung des Senats eine Abschrift ihres Schulzeugnisses für das Schuljahr 1988/89 vorgelegt.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass der Unfall auch im Verantwortungsbereich der KJS geschehen sei. Schule und Sportschule seien eng miteinander verzahnt gewesen. Die spätere Unfallmeldung sei von dem Schulleiter ebenso wie ihr Schulzeugnis unterzeichnet worden. Für das Fach Sport seien nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nur die Trainer verantwortlich gewesen. Es könne dahinstehen, ob es für die Notenvergabe eine Richtlinie gegeben habe. Der Trainingsbetrieb sei zugleich auch immer Sportunterricht gewesen. Aufsicht hätten ausschließlich die Trainer gehabt. Die Freistellung und Einbeziehung von Wettkämpfen auf Landesebene oder im internationalen Vergleich sei auch immer mit der Schule erörtert worden. Der organisatorische Mitverantwortungsbereich der Schule sei daher eröffnet.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung waren.

Entscheidungsgründe:

Im Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsge-setzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und hat in der Sache Erfolg (§§ 143, 151 SGG). Der Bescheid der Beklagten vom 26. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 SGG). Die Beklagte hat in dem Bescheid zu Recht die Anerkennung eines Arbeitsunfalles abgelehnt, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung des Ereignisses vom 5. Mai 1989 als Arbeitsunfall. Die von der Klägerin mit der Anfechtungsklage und der damit verbundenen Verpflichtungsklage in zulässiger Weise begehrte Feststellung des Ereignisses als Arbeitsunfall ist gemäß § 1150 Abs. 2 RVO nach dem Recht der RVO und zugleich nach dem Recht der ehemaligen DDR zu beurteilen, weil sich das Ereignis, dessen Feststellung die Klägerin als Arbeitsunfall begehrt, im Jahre 1989 ereignete.

Nach § 215 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) ist für die Übernahme der vor dem 1. Januar 1992 eingetretenen Unfälle und Krankheiten als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung § 1150 Abs. 2 und 3 RVO in der am Tag vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Fassung weiter anzu-wenden. Der Anspruch der Klägerin richtet sich daher nach § 1150 Abs. 2 RVO in der am 31. Dezember 1996 geltenden Fassung des Renten-Überleitungsgesetzes vom 25. Juli 1991 (BGBl I 1606, 1688), denn der geltend gemachte Unfall ist vor dem 1. Januar 1992 im Bei-trittsgebiet eingetreten.

Nach § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO sind die vor dem 1. Januar 1992 in der ehemaligen DDR eingetretenen Unfälle und Krankheiten als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten im Sinne des Dritten Buches der RVO anzuerkennen, wenn diese Unfälle oder Krankheiten vor dem 1. Januar 1992 eingetreten sind und nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten der Sozialversicherung waren. Dies gilt nach § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO nicht für Unfälle und Krankheiten, die einem ab 1. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt geworden sind und die nach dem Dritten Buch der RVO nicht zu entschädigen wären (vgl. BSG, Urteil vom 18.8.2004 - B 8 KN 1/03 U R - BSGE 93, 149 = SozR 4-5670 Anl. 1 Nr. 2402 Nr. 1).

Der Unfall der Klägerin ist vor dem 1. Januar 1992 eingetreten. Unerheblich ist hier zunächst, ob der Arbeitsunfall nach § 1 Abs. 1 Erweiterungs-VO 1973 einem Unfall nach dem Recht der ehemaligen DDR (§ 220 Abs. 1 und 3 des Arbeitsgesetzbuches der DDR) gleichgestellt war (vgl. hierzu BSG vom 30. Juni 2009 - B 2 U 19/08 R - SozR 4-2700 § 2 Nr. 13 Rn. 31). Denn das Unfallereignis vom 5. Mai 1989 ist einem für das Beitrittsgebiet zuständigen Unfallversicherungsträger erst im Juli 2008 durch das Schreiben der Klägerin an die Unfallkasse B. bekannt geworden. Anhaltspunkte für ein Bekanntwerden vor dem 1. Januar 1994 im Sin-ne des § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO bestehen nicht.

Das Ereignis vom 5. Mai 1989 ist nicht als Arbeitsunfall im Sinne des Dritten Buches der RVO einzustufen.

Arbeitsunfall im Sinne des § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO war ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten und danach versicherten Tätigkeiten erlitt. In Betracht zu ziehen für einen Versicherungsschutz der Klägerin ist ausschließlich die Vorschrift des § 539 Abs. 1 Nr. 14 b RVO.

Die Voraussetzungen des § 539 Abs. 1 Nr. 14 b RVO können allerdings nicht bejaht werden. Nach der Vorschrift waren Schüler während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen gesetzlich unfallversichert. Grundsätzlich unterfiel auch der Besuch der KJS dem Versicherungsschutz. Denn zu den allgemeinbildenden Schulen im Sinne dieser Vorschrift zählen Schulen, die nach ihrem Schulziel den Schülern eine auf den Haupt- oder Realschulabschluss oder die Reifeprüfung vorbereitende Bildung vermitteln. Entscheidend ist nicht allein der erzielbare Schulabschluss, sondern die Vermittlung allgemeiner Bildungsinhalte, die mit den genannten Schulabschlüssen verbunden sind (vgl. BSG, Urteil vom 30. Juni 2009 – B 2 U 19/08 R- zitiert nach Juris). Ein solches Schulziel hat auch die KJS verfolgt. Deren Schüler wurden nach den staatlichen Lehrplänen auf Prüfungen mit dem Ziel vorbereitet, einen mit dem Realschulabschluss oder der Reifeprüfung vergleichbaren Abschluss zu erlangen.

Die Teilnahme am Länderwettkampf kann dem Schulbesuch als versicherter Tätigkeit nicht zugeordnet werden. Die versicherte Tätigkeit des Schulbesuchs erstreckt sich auf Betätigungen während des Unterrichts, in den dazwischenliegenden Pausen und solche im Rahmen sogenannter Schulveranstaltungen. Die unfallbringende Verrichtung muss im organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule geschehen und zur Zeit des Unfallereignisses im sachlichen Zusammenhang mit der grundsätzlich versicherten Tätigkeit als Schüler stehen. Außerhalb dieses Verantwortungsbereichs besteht auch bei solchen Verrichtungen kein Versicherungsschutz, die durch den Schulbesuch bedingt sind (BSG, Urteil vom 30. Juni 2009, Az.: B 2 U 19/08 R, SGb 2010 S. 483-487; BSG, Urteil vom 26. Oktober 2004, Az.: B 2 U 41/03 R zitiert nach Juris). Eine wesentliche Einflussmöglichkeit im Sinne einer Mitverantwortung ist für die Bejahung des Versicherungsschutzes als ausreichend anzusehen (Schlaeger/Lindner, Unfallversicherung für Kinder in Tagesbetreuung, Schüler und Studierende, 2. Auflage 2020, § 5 Rn. 59/70 m.w.N.). Daher können grundsätzlich auch Angebote in Kooperation mit anderen Trägern unter den Schutz der gesetzlichen Schülerunfallversicherung fallen. Wesentliches Kriterium für eine derartige organisatorische Mitverantwortlichkeit der Schule ist die Möglichkeit des Ergreifens wirksamer schulischer Aufsichtsmaßnahmen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 18. April 2000, Az.: B 2 U 5/99 R, zitiert nach Juris). Entscheidend ist der Gesamteindruck der Veranstaltung unter Berücksichtigung von Planung, Ankündigung und Durchführung.

Gemessen an diesen Kriterien kann die Teilnahme an dem Länderwettkampf in der Schweiz vom 4. bis 8. Mai 1989 nicht als im inneren Zusammenhang mit dem Schulbesuch der KJS angesehen werden. Die am Unfalltag, dem 5. Mai 1989, absolvierte Trainingseinheit (das Einturnen für den Wettkampf) fällt nicht in den organisatorischen (Mit)-Verantwortungsbereich der Schule der Klägerin. Denn das am Unfalltag durchgeführte Einturnen fand außerhalb des organisatorischen Verantwortungsbereichs der KJS statt.

Für die KJS bestand während des Länderwettkampfs in der Schweiz am 5. Mai 1989 einschließlich des Einturnens keine Einwirkungsmöglichkeit. Zwar kann nach der Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteil vom 26. November 2019 B 2 U 2/18 R, zitiert nach Juris) auch die Teilnahme eines Schülers an einem sportlichen Wettkampf außerhalb des Schulgeländes unter Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung stehen. Die hierfür zumindest erforderliche organisatorische Mitverantwortung der KJS für den Länderwettkampf lässt sich jedoch nicht feststellen. Auch die enge organisatorische Verzahnung zwischen Schulbesuch und sportlicher Betätigung an den KJS der DDR begründet eine solche Mitverantwortung nicht. Auch unter Berücksichtigung der besonderen Umstände in einem zentralistisch organisierten Staatswesen bestanden keine Einflussmöglichkeiten der KJS auf die Durchführung eines Länderwettkampfes in der Schweiz. Nicht zu entscheiden hat der Senat in diesem Zu-sammenhang, ob die vollständige Integration des Sportunterrichts in das Training mit der Folge, dass der übliche Schulsport durch das Training für den Leistungskader vollständig ersetzt worden ist (dies hat auch der Zeuge G. in seiner Zeugenaussage vor dem Berichterstatter des Senats bestätigt), dazu führt, dass sich die Klägerin während des Turntrainings in der Turnhalle ihres Sportvereins noch/auch im organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule befand (vgl. dazu BSG Urteil vom 30. Juni 2009 - B 2 U 19/08 R, zitiert nach Juris). Vorliegend ist entscheidend zu berücksichtigen, dass der Unfall sich am 5. Mai 1989 während des Einturnens zu einem Länderwettkampf in der Schweiz ereignet hat. An diesem Wettkampf hat die Klägerin als Mitglied des Nationalkaders der DDR im Nachwuchsbereich teilgenommen. Nach Ziffer 6.2 der Richtlinie für die Arbeit der KJS der DDR (vgl. Anlage Nr. 5 zum Protokoll Nr. 115 vom 12. 10.1977 des ZK) beschränkte sich die Verantwortlichkeit der Direktoren der KJS darauf, Schüler der KJS zeitweilig vom Unterricht zu befreien, wenn sie an nationalen und internationalen Wettkämpfen teilnehmen. Hinsichtlich nationaler bzw. internationaler Wettkämpfe kam demgegenüber der Ziffer 2.2.4 der Richtlinie für die Arbeit der KJS (regelte u. a. die Teilnahme an Wettkämpfen während der Unterrichtszeit) keine eigenständige Bedeutung zu. Aus Ziffer 6.2 der Richtlinie über die Arbeit der Kinder- und Jugendsportschulen folgt jedoch nicht, dass der Direktor der KJS für die Entscheidung über die Teilnahme der Klägerin am Länderwettkampf in der Schweiz mit zuständig bzw. verantwortlich war. Insoweit ergibt sich aus der Aussage des Zeugen G. im Termin vom 9. März 2020, dass es Ausscheidungswettkämpfe gegeben hat und anhand der dort erzielten Ergebnisse der jeweilige Cheftrainer bzw. die Cheftrainerin entschieden hat, wer in den Nationalkader aufgenommen wird. Der Zeuge G. hat ausdrücklich bestätigt, dass mit dieser Entscheidung die Schule und insbesondere ihr Direktor nichts zu tun hatten. Hinsichtlich des Schulunterrichtes gab es einen Freistellungsantrag an die Schule. Der Zeuge G. hat diesen Vorgang ausdrücklich als Routine beschrieben. Um solche administrativen Aufgaben hat sich nach seinen Angaben das Büro der Zentralen Leitung bei der Sportvereinigung Dynamo, welches in der Regel einem Oberst der Polizei unterstand, gekümmert. Dass der Schulleiter der KJS, ein Herr G., anschließend am 11. Mai 1989 die Unfallanzeige mitunterzeichnet hat, führt ebenfalls nicht dazu, von einer Mitverantwortung auszugehen. Entscheidend ist nicht eine spätere Einbindung in die verwaltungsmäßige Unfallabwicklung. Diese kann allenfalls ein Indiz für eine Verantwortlichkeit darstellen. Dieses Indiz wird aber durch den konkreten Ablauf des Länderwettkampfes widerlegt. Mangels Einflussmöglichkeit auf den Ablauf des Länderwettkampfes durch die KJS ist ihr Verantwortungsbereich nicht eröffnet. Eine Eröffnung des organisatorischen Verant-wortungsbereichs der KJS kann nicht daraus hergeleitet werden, dass der Zeuge G. als für die Klägerin verantwortlicher Trainer zugleich eine Funktion als Lehrer der KJS ausübte. Insoweit hat die Einvernahme des Zeugen G. ergeben, dass dieser nicht als Lehrer der KJS angesehen werden kann. Er selbst hat ausdrücklich ausgeführt, dass er vom Schulleiter keine Anweisungen bekommen hat. Der Zeuge G. war als Major der Volkspolizei beim SC Dynamo B. angestellt. Er unterstand dem Sektionsleiter, dem Cheftrainer bzw. dem Büro der zentralen Leitung der Sportvereinigung Dynamo. Kontakt zur Schule gab es nur im Hinblick auf die erfor-derlichen Koordinierungen von Schulunterricht und Training. Daraus, dass der Sportunterricht vollständig in das Training integriert war und durch dieses vollständig ersetzt wurde, ergab sich ebenfalls nichts für eine schulische Mitverantwortung der KJS im Rahmen des Länder-wettkampfs in der Schweiz vom 4. bis 8. Mai 1989. Der Senat braucht an dieser Stelle - wie an anderer Stelle bereits ausgeführt - nicht zu entscheiden, ob auf Grund der engen Verzahnung zwischen den Sportclubs und der KJS auch für die KJS gewisse Einflussnahme- und Einwirkungsmöglichkeiten auf das Training bestanden. Denn diese Frage stellt sich nur für das normale Training außerhalb der Wettkampfzeiten. Vorliegend geht es jedoch um die Annahme von Versicherungsschutz für die Teilnahme an einem Länderwettkampf der DDR in der Schweiz als Mitglied des Nationalkaders im Nachwuchsbereich. Im Rahmen dessen be-standen für die KJS keine Einwirkungsmöglichkeiten. Dies wird auch dadurch belegt, dass außer den drei Turnerinnen keiner von den weiteren Teilnehmern am Länderwettkampf in der Schweiz der KJS "H. R." in B. zuzurechnen ist. Ausweislich der vom Stellvertreter des Ministers des Inneren bestätigten Ausreiseliste vom 19. April 1989 nominierte der Deutsche Turn-verband für den Länderwettkampf vom SC Dynamo B. sieben Personen. Darunter befanden sich neben der Klägerin zwei weitere Sportlerinnen und neben dem Zeugen G. als Trainer noch zwei weitere Trainer bzw. eine Trainerin und eine Physiotherapeutin. Weder die Trainerin, noch die beiden Trainer, noch die Physiotherapeutin waren der KJS zuzurechnen. Dies hat auch der Zeuge G. insoweit bestätigt, als er ausgeführt hat, dass er sich nicht daran erinnern könne, dass ein Lehrer oder eine Lehrerin aus der Schule am Länderwettkampf teilgenommen hat. Für die Betreuung außerhalb des Wettkampfes waren nach seiner Aussage bei den Turnerinnen die Kampfrichterinnen zuständig. Der Zeuge G. selbst war wie bereits ausgeführt, als Major der Volkspolizei beim SC Dynamo B. angestellt. Er übte während des Länderwettkampfs in der Schweiz ersichtlich keine (Ersatz)-Funktion als Lehrer der KJS aus. Dafür reicht es auch nicht aus, wenn der Zeuge G. bestimmte (Ersatz)-Funktionen als Lehrer im Rahmen der KJS wahrgenommen hätte und zum Beispiel an der Notenvergabe für die Sportnote auf dem Zeugnis der Klägerin beteiligt gewesen sein sollte. Abgesehen davon, dass der Zeuge G. sich hieran nicht erinnern konnte, rechtfertigt dies es nicht, dem Zeugen G. parallel zu seiner Tätigkeit für den SC Dynamo B. noch eine parallel wahrgenommene Funktion eines Lehrers zuzuweisen. Denn während des Länderwettkampfes war der Zeuge ausschließlich als Trainer, angestellt beim SC Dynamo B., tätig. Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass bei der Teilnahme am Länderwettkampf in der Schweiz vom 4. bis 8. Mai 1989 wirksame schulische Einflussmöglichkeiten bestanden.

Sonstige Vorschriften, nach denen der Klägerin Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 RVO zu gewähren wäre, sind nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved