L 6 U 13/02

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 7 U 102/99
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 13/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 28. November 2001 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Anerkennung und Entschädigung eines Unfalls als Arbeitsunfall.

Die 1945 geborene Klägerin pflegte ihre – inzwischen im Februar 1998 verstorbene – Mutter, die vom 09. Dezember 1997 an wegen eines fortgeschrittenen Krebsleidens (Darmkrebs mit weiteren Metastasen im Bauchraum) Leistungen nach der Pflegestufe II aus der sozialen Pflegeversicherung erhielt. Am Morgen des 19. Dezember 1997 um 7.30 Uhr war die Klägerin an ihrem Arbeitsplatz von ihrer Mutter angerufen worden. Diese hatte über starke Schmerzen geklagt und die Klägerin gebeten, Schmerzmedikamente zu besorgen und ihr zu bringen. Daraufhin rief die Klägerin die Hausärztin der Mutter Dr. G. an, die ihr die Medikamente zur Abholung bereit stellen wollte. Daraufhin holte die Klägerin die Medikamente bei der Ärztin ab, wollte sie ihrer Mutter bringen und dann anschließend wieder zur Arbeit gehen. Auf dem Weg von der Ärztin zur Mutter rutschte die Klägerin um 8.15 Uhr wegen eines plötzlich einsetzenden Eisregens aus und schlug auf eine Bordsteinkante auf. Dabei kugelte sie sich die rechte Schulter aus und zog sich Schürfwunden am rechten Knie und Hüftprellungen sowie eine Beule am Kopf zu. Im Februar 1998 wurde sie an der rechten Schulter wegen einer Bankartläsion (Abriss des Labrum glenoidale (Gelenklippe) bei vorderer Schulterluxation) und einer Rotatorenmanschettenläsion operiert.

Die Klägerin meldete den Unfall am 20. August 1998 der Beklagten und reichte dazu eine Bescheinigung der Hausärztin Dr. G. vom 17. August 1998 ein, in der diese bestätigte, die Klägerin habe am 19. Dezember 1997 einen Unfall bei der Pflegetätigkeit erlitten.

Die Beklagte zog die Unfallfragebögen der Pflegekasse (Barmer Ersatzkasse) und das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) über die Feststellung der Voraussetzungen für die Einstufung der Mutter der Klägerin in die Pflegestufe II bei. In dem Gutachten des MDK von der Ärztin Kramer wird ein Pflegeaufwand der Klägerin von 21 bis 28 Stunden pro Woche aufgeführt. Die Pflegebedürftige bewohne eine eigene Wohnung. Sie liege überwiegend im Bett, könne nur in kleinen Schritten und unsicher gehen und benötige personelle Unterstützung, um sich bewegen zu können. Wöchentlich einmal komme die Hausärztin zum Hausbesuch in die auf der 1. Etage liegende Wohnung. Das Essen werde ihr bereitet; sie nehme es in der Küche in mundgerechten Stücken zu sich.

Mit Bescheid vom 02. Dezember 1998 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall ab. Zwar sei die Klägerin grundsätzlich als Pflegeperson unfallversichert, jedoch nur bei den vom Gesetz benannten Pflegeverrichtungen, also Körperpflege, Ernährung, Mobilität und hauswirtschaftliche Versorgung der Pflegebedürftigen. Die unfallbringende Tätigkeit, das Besorgen der Medikamente, falle nicht darunter. Diese Tätigkeit sei eine Vorstufe der Behandlungspflege, welche gemäß § 37 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) – Gesetzliche Krankenversicherung – in den Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung und nicht in den der gesetzlichen Pflegeversicherung gehöre. Ein Unfallversicherungsschutz nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) – Gesetzliche Unfallversicherung – als "Wie"-Beschäftigte" habe nicht bestanden, weil sie als Verwandte im Haushalt der Pflegebedürftigen unentgeltlich tätig und daher gemäß § 4 Abs. 4 SGB VII kraft Gesetzes versicherungsfrei gewesen sei.

In dem dagegen am 28. Dezember 1998 eingelegten Widerspruch trug die Klägerin vor, wenn schon die Begleitung des Pflegebedürftigen zum Arzt oder in das Krankenhaus unter dem Schutz der Unfallversicherung stehe, müsse doch erst recht das Holen und Bringen von Medikamenten versichert sein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22. April 1999 wies die Beklagte den Widerspruch mit den schon im Bescheid genannten Gründen zurück und führte ergänzend aus: Zu Recht bestehe der Versicherungsschutz auf den von der Klägerin im Widerspruch aufgeführten Wegen, denn jene Verrichtungen gehörten im Gegensatz zum Holen von Medikamenten in den Pflegebereich der Mobilität ("Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung").

Mit der am 25. Mai 1999 beim Sozialgericht Halle erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt und vorgetragen, den Weg für die Besorgung der Medikamente habe sie für ihre Mutter zurückgelegt, die selbst hierzu gesundheitlich nicht mehr in der Lage gewesen sei. Daher werde diese Verrichtung von dem Pflegebereich der Mobilität erfasst. Auf den Ausschlusstatbestand komme es nicht mehr an. Dagegen hat die Beklagte eingewandt, nur der Hilfebedarf, der notwendig sei, dem Pflegebedürftigen die Mobilität zu verschaffen, sei unfallversichert. Hier habe sich aber die Mutter nicht mit Hilfe der Klägerin außer Haus bewegen und etwa den Arzt aufsuchen müssen. Auch wenn die Klägerin die unfallbringende Verrichtung zu den Aufgaben ihrer Pflege zähle, falle sie dennoch nicht in den Bereich, der vom Gesetz in den Unfallversicherungsschutz einbezogen worden sei.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 28. November 2001 abgewiesen. Das Bringen von Medikamenten gehöre weder in den Pflegebereich der Ernährung noch in den der Mobilität oder der hauswirtschaftlichen Versorgung. Vielmehr könne es wie das Verabreichen von Medikamenten der Behandlungspflege zugerechnet werden, die in den Aufgabenkreis der gesetzlichen Krankenversicherung gehöre. Jene Verrichtungen stünden nach dem Willen des Gesetzgebers ebenso wenig unter dem auf die Kernbereiche der Pflegeversicherung reduzierten Unfallversicherungsschutz, wie die Leistungen der Krankenpflege nach § 37 SGB V. Dies sei auch nicht verfassungswidrig

Gegen das ihr am 21. Dezember 2001 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 21. Januar 2002 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, das Bringen von Medikamenten sei mit dem Verabreichen nicht zu vergleichen. Das Holen von Medikamenten werde von dem Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung erfasst, denn ihre Mutter habe wegen der Pflegebedürftigkeit keine Besorgungen mehr machen können. Sie habe die Pflege der Mutter selbst gestaltet; am Unfalltag sei sie der Weisung ihrer Mutter nachgekommen, Medikamente zu besorgen. Ein- bis zweimal in der Woche habe sie für ihre Mutter die Apotheke aufgesucht, um Medikamente oder besondere Nahrung einzukaufen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 28. November 2001 und den Bescheid vom 2. Dezember 1998 in der Fassung des Widerspruchbescheides vom 22. April 1999 aufzuheben und festzustellen, dass der Unfall vom 19. Dezember 1997 ein Arbeitsunfall war.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 28. November 2001 zurückzuweisen.

Sie verweist auf ihre Bescheide und das angefochtene Urteil.

Die Klägerin hat einen ärztlichen Untersuchungsbericht vom 05. Mai 1999 vom Krankenhaus ..., S. eingereicht. Der Senat hat Befundberichte von dem behandelnden Chirurgen Dr. L. vom 06. September 2002 und von der Hausärztin Dr. G. von Oktober 2002 eingeholt.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

Die Klage ist zwar zulässig, aber unbegründet, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung, dass ihr Unfall am 19. Dezember 1997 ein Arbeitsunfall war.

Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch richtet sich nach den Vorschriften des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII). Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ist ein Arbeitsunfall ein Unfall, der infolge einer versicherten Tätigkeit eintritt. Ein Unfall im Sinne dieser Vorschrift ist gemäß Abs. 1 Satz 2 der Vorschrift ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden fuhrt. Gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII gilt als versicherte Tätigkeit auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit.

Die Klägerin war bei der unfallbringenden Tätigkeit, dem Weg von der Hausärztin zur pflegebedürftigen Mutter nicht unfallversichert, weil dieser Weg nicht mit einer versicherten Tätigkeit in Zusammenhang stand.

Die Klägerin war auf dem Weg von der Ärztin zu ihrer Mutter nicht als Pflegeperson gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII kraft Gesetzes unfallversichert. Nach dieser Vorschrift sind Pflegepersonen im Sinne des § 19 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) – Soziale Pflegeversicherung – bei der Pflege eines Pflegebedürftigen im Sinne des § 14 SGB XI unter folgender Einschränkung versichert: Die versicherte Tätigkeit umfasst Pflegetätigkeiten im Bereich der Körperpflege und – soweit diese Tätigkeiten überwiegend Pflegebedürftigen zugute kommen – Pflegetätigkeiten in den Bereichen der Ernährung, der Mobilität sowie der hauswirtschaftlichen Versorgung gemäß § 14 Abs. 4 SGB XI.

Zwischen den Beteiligten ist nicht umstritten, dass die Klägerin ihre Mutter als Pflegeperson gemäß § 19 Abs. 1 SGB XI gepflegt hat, denn sie tat dies nicht erwerbsmäßig.

Das Verbringen der Schmerzmedikamente am 19. Dezember 1997 von der Ärztin zur pflegebedürftigen Mutter gehörte aber nicht zu den versicherten Verrichtungen. Die Klägerin meint, die Tätigkeit sei einem der Bereiche der Ernährung, Mobilität oder hauswirtschaftliche Versorgung zuzuordnen. Keiner dieser Bereich ist jedoch betroffen. In § 14 Abs. 4 SGB XI werden die Pflegebereiche näher beschrieben. Zu den Verrichtungen der Grundpflege gehört
1. Körperpflege, Waschen, Duschen, Baden etc.
2. im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung,
3. im Bereich der Mobilität das selbstständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, das An- und Auskleiden, das Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung.

Neben der Grundpflege werden im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkäufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen als Pflegeverrichtungen berücksichtigt.

Das Bundessozialgericht hat in seinen Urteilen vom 17. März 2005 (B 3 KR 8 und 9/04 R, Juris) für den bis zum 31. Dezember 2003 geltenden, in diesem Fall anzuwendenden Rechtszustand betont, die Gabe von Medikamenten sei eine krankheitsspezifische Pflegemaßnahme, die grundsätzlich eine Form der Behandlungssicherungspflege im Sinne des § 37 SGB V sei, welche zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen gehöre. Auch bei weiter Auslegung werde die Medikamentengabe nicht vom Verrichtungskatalog des § 14 Abs. 4 SGB XI erfasst, so dass sie keine Verrichtung der Grundpflege im Sinne der sozialen Pflegeversicherung sei, es sei denn, die Gabe des Medikaments habe dadurch in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zur Aufnahme der Nahrung gestanden, dass das Medikament die Nahrungsaufnahme erst ermöglicht habe. Die im Anschluss an die Neuregelung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V nach der Rechtsprechung des BSG ab 1. Januar 2004 geltende Auslegung der Vorschrift ist nicht entscheidungserheblich.

Es ist weder vorgetragen noch aus den sonstigen Umständen und Befunden ersichtlich, dass die pflegebedürftige Mutter Medikamente einzunehmen hatte, die ihr erst die Nahrungsaufnahme ermöglichten. Die beabsichtigte Verabreichung der Schmerzmittel am 19. Dezember 1997 war Behandlungspflege im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung und keine unfallversicherte Pflegeverrichtung nach § 14 Abs. 4 SGB XI. Der Weg der Klägerin stand in einem unmittelbaren inneren Zusammenhang mit der Gabe der Medikamente, also mit der Behandlungspflegetätigkeit. Rechtlich wird der Weg daher dieser Tätigkeit zugeordnet, so dass ein Wegeunfallschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII nicht bestand.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den von der Klägerin vorgetragenen Überlegungen. Wege, die die Pflegeperson dem Pflegebedürftigen aufgrund der Pflegesituation "abnimmt", sind nur dann versichert, wenn sie im inneren Zusammenhang mit einer Pflegeverrichtung zurückgelegt werden. Zu Recht hat die Beklagte deshalb darauf hingewiesen, dass die Pflegetätigkeiten im Bereich der Mobilität untrennbar mit der Pflegebedürftigen gemeinsam verrichtet werden müssen (Weg zum Bad oder zum Arzt). Denn es gilt, die Fortbewegung des Pflegebedürftigen durch die unterstützende Hilfe sicherzustellen. Der Weg der Klägerin von der Ärztin zur Wohnung ihrer Mutter fällt daher nicht in den engen Pflegebereich der Mobilität, weil sie ihn nicht mit der Mutter zurückgelegt hat. Wem sie letztlich den Weg erspart hat (der Mutter, der Hausärztin (Hausbesuch), dem Notarzt, dem Medikamentenbringservice einer Apotheke) ist unerheblich, weil er nicht im Zusammenhang mit einer Pflegeverrichtung stand.

Der Weg kann wegen der eindeutigen Zuordnung auch nicht unter den Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung gefasst werden. Der Wortlaut "hauswirtschaftliche Versorgung" und die beispielhaft aufgezählten Verrichtungen lassen es nicht zu, die Verabreichung eines Schmerzmittels und die damit zusammenhängenden Wege hierunter zu fassen. Der Weg der Klägerin, auf dem der Unfall geschah, diente nicht der Besorgung von Lebensmitteln, Bankgeschäften oder anderen hauswirtschaftlichen Dingen, sondern es dominierte das Motiv, die abgeholten Medikamente zu verabreichen.

Schließlich hat auch eine Versicherung kraft Gesetzes gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII nicht vorgelegen. Danach sind Personen versichert, die "wie" Beschäftigte (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII) tätig werden. Jedoch ist schon der Anwendungsbereich dieser Vorschrift nicht eröffnet, weil die Klägerin die Pflege ihrer Mutter in eigener Regie und Verantwortung, also wie ein Pflegedienstleistungsunternehmen und nicht wie eine abhängig beschäftigte Angestellte ihrer Mutter durchgeführt hat (vgl. Urteil des BSG vom 7. September 2004 – B 2 U 46/03 R –, NJW 2005, 1148 ff). Auf den von der Beklagten zitierten Tatbestand der Versicherungsfreiheit der im Haushalt tätigen Familienangehörigen gemäß § 4 Abs. 4 SGB VII kommt es daher nicht an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die in § 160 Abs. 2 SGG aufgeführten Gründe nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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