L 7 AS 1014/20 B ER; L 7 AS 1015/20 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 55 AS 1321/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 1014/20 B ER; L 7 AS 1015/20 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 02.06.2020 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I. Der Antragsteller wendet sich mit seiner Beschwerde gegen einen Beschluss des Sozialgerichts Dortmund, das seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt hat.

Der Antragsteller, geboren am 00.00.1968, ist mit der am 00.00.1978 geborenen N I seit 2011 verheiratet. Der Antragsteller bezog zunächst Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Am 27.03.2019 sprach der Antragsteller beim Antragsgegner vor und teilte mit, dass er sich am 15.02.2019 im Bereich Trockenbau und Haushaltsauflösungen selbständig gemacht habe und deswegen auf Leistungen ab dem 15.02.2019 verzichte. Am 28.03.2019 nahm der Antragsteller seinen Verzicht zurück.

Am 09.09.2019 teilte der Antragsteller dem Antragsgegner mit, er habe sein Gewerbe zum 31.08.2019 abgemeldet und beziehe kein Einkommen. Er beantrage deswegen Leistungen ab dem 01.10.2019. Er verfüge über kein eigenes Konto. Lediglich seine Ehefrau habe ein Girokonto.

Mit Bescheid vom 16.10.2019 versagte der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen ab dem 01.10.2019. Der Antragsteller habe nicht ausreichend bei der Hilfebedarfsprüfung mitgewirkt. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dieser Bescheid, gegen den kein Widerspruch eingelegt wurde, dem Antragsteller zugestellt wurde.

Am 11.03.2020 schloss der Antragsteller einen Arbeitsvertrag als Paketzusteller mit der Fa. L (20 Wochenstunden/ Bruttogehalt 1.000 EUR) ab. Den Abschluss dieses Arbeitsvertrags teilte der Antragsteller dem Antragsgegner am 25.03.2020 mit.

Am 30.03.2020 hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht Dortmund Leistungen im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt. Er habe seit Oktober 2020 keine Einkünfte und befinde sich in einer extremen Notlage. Als Meldeadresse nannte der Antragsteller den X-Platz 00 in L1. Auf Nachfrage des Sozialgerichts hat der Antragsteller mitgeteilt, dass er seinen Lebensunterhalt durch Darlehenszuwendungen der Frau T T1 aus I1 iHv 750 EUR am 02.08.2019, iHv 650 EUR, am 03.09.2019, iHv 800 EUR am 02.10.2019, iHv 800 EUR am 17.10.2019, iHv 600 EUR am 04.11.2019, iHv 700 EUR am 02.12.2019, iHv 500 EUR am 03.01.2020 und iHv 800 EUR am 02.02.2020 sichergestellt habe. Die Darlehen seien sämtlich in bar übergeben worden und Ende Juni 2020 zurückzuzahlen. Am 18.05.2020 hat der Antragsteller auf Aufforderung des Sozialgerichts den Arbeitsvertrag mit der Fa. L sowie seine Lohnabrechnungen für März und April 2020 vorgelegt.

Mit Beschluss vom 02.06.2020 hat das Sozialgericht die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Der Antragsteller habe keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Der Regelbedarf vom Antragsteller und dessen Ehefrau könne seit Antragstellung größtenteils vom Einkommen gedeckt werden, da der Antragsteller im April 2020 rund 812 EUR netto verdient habe. Unterkunfts- und Heizbedarfe habe der Antragsteller trotz wiederholter Anfrage des Gerichts nicht glaubhaft gemacht. Die Ankündigung des Antragstellers, ab Juni 2020 eine neue Wohnung zu beziehen sei nicht ausreichend.

Hiergegen hat der Antragsteller am 30.06.2020 Beschwerde eingelegt. Er hat auszugsweise einen undatierten Mietvertrag zum 01.06.2020 für eine Wohnung in der C-Straße 00, L1 vorgelegt. Da die Miete ab dem 01.06.2020 insgesamt 520 EUR betrage, sei ein Anordnungsgrund gegeben.

II.

Die nach § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, jedoch unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den Antrag, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zur Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu verpflichten, abgelehnt. Zur Begründung nimmt der Senat im Wesentlichen auf die Ausführungen des Sozialgerichts Bezug (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Zu Lasten des Antragstellers kommt hinzu, dass bei ihm und seiner Ehefrau, von der er nach eigenen Angaben nicht dauernd getrennt lebt, nur ein Regelbedarf der Stufe 2 (nicht wie das Sozialgericht meint Regelbedarfsstufe 1), derzeit monatlich je 389 EUR, berücksichtigt werden kann (§§ 7 Abs. 3 Nr. 3a, 20 Abs. 4 SGB II). Mit einem Nettogehalt von rund 812 EUR seit Antragstellung kann der Gesamtregelbedarf von 778 EUR (2 x 389 EUR) bis zur Entscheidung in der Hauptsache gedeckt werden, ohne dass das soziokulturelle Existenzminium unterschritten wird. Der Antragsteller ist über das Beschäftigungsverhältnis gesetzlich krankenversichert (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V) und seine Ehefrau beitragsfrei familienversichert (§ 10 SGB V). Die Berücksichtigung der Erwerbstätigenfreibeträge nach § 11b Abs. 2 und 3 SGB II können jedenfalls dann dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben, solange - wie vorliegend - keine berufsbedingten Aufwendungen glaubhaft gemacht werden (vgl. für die Folgenabwägung: Beschluss des Senats vom 12.06.2019 - L 7 AS 887/19 B ER). Bei der Prüfung des Anordnungsgrundes und damit der besonderen Eilbedürftigkeit im einstweiligen Rechtsschutzverfahren können auch solche Mittel Berücksichtigung finden, deren Inanspruchnahme im Rahmen der materiellen Prüfung des Anspruchs nicht eingefordert werden kann, die dem Antragsteller aber tatsächlich zur Beseitigung der Notlage zur Verfügung stehen (Beschluss des Senats vom 18.10.2019 - L 7 AS 1326/19 B ER).

Vorliegend ist das Nettoeinkommen des Antragstellers rund 34 EUR monatlich höher als der Regelbedarf für zwei verpartnerte SGB II-Leistungsempfänger. Besondere berufliche Aufwendungen des Antragstellers für die in Kamen befindliche Arbeitsstelle sind nicht ersichtlich, sodass nichts für eine existentielle Notlage des Antragstellers spricht, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigt. Vor diesem Hintergrund kann auch offen bleiben, ob der Antragsteller auch für seine Ehefrau Leistungen im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt hat.

Dem steht das Beschwerdevorbringen nicht entgegen. Zwar hat der Antragsteller erstmalig im Beschwerdeverfahren Auszüge eines undatierten Mietvertrags vorgelegt und damit die Bedarfe für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II glaubhaft gemacht. Auch nimmt der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung - bestätigt durch das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 01.08.2017 - 1 BvR 1910/12) - an, dass für die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes bezogen auf die Unterkunfts- und Heizbedarfe keine Räumungsklage und/oder Kündigungslage erforderlich ist (vgl. Beschlüsse des Senats vom 04.05.2015 - L 7 AS 139/15 B ER und vom 06.12.2017 - L 7 AS 2133/17 B). Jedoch fehlt für eine Verpflichtung des Antragsgegners zur Bewilligung der Unterkunfts- und Heizbedarfe ab Juni 2020 im Wege der einstweiligen Anordnung - erstmalig beantragt im Beschwerdeverfahren - das Rechtsschutzbedürfnis. Ein Rechtschutzbedürfnis für einen Antrag auf einstweilige Anordnung besteht in der Regel nur, wenn sich der Antragsteller zuvor an die Verwaltung gewandt, dort einen Antrag auf die Leistung gestellt und die normale Bearbeitungszeit abgewartet hat. Ausnahmsweise kann bereits ohne förmlichen Antrag auf die Leistung ein Rechtsschutzbedürfnis bestehen, wenn die Sache sehr eilig ist und der Antragsteller aus besonderen Gründen mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, bei der Verwaltung kein Gehör zu finden (Keller, in: Meyer-Ladewig, SGG, 12. Aufl., § 86b Rn. 26b). Über den Antrag auf Übernahme der Unterkunfts- und Heizbedarfe konnte der Antragsgegner im Verwaltungsverfahren mangels entsprechender Anzeige seitens des Antragstellers nicht entscheiden. Es ist nicht Aufgabe gerichtlichen Eilrechtsschutzes, Leistungen im Wege der einstweiligen Anordnung zuzusprechen, noch ehe im Verwaltungsverfahren ein entsprechender Antrag gestellt wurde. Dass der Antragsgegner diesen Antrag ablehnen bzw. nicht zeitgerecht bearbeiten wird, ist nicht erkennbar.

Aus den genannten Gründen hat das Sozialgericht mangels hinreichender Erfolgsaussicht auch den Antrag auf Prozesskostenhilfe gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO zu Recht abgelehnt.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Kosten im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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