S 40 U 132/19

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
40
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 40 U 132/19
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
1. Nach rechtlicher Bewertung ist vorliegend im Rahmen der Grundsätze des Anscheinsbewei-ses davon auszugehen, dass sich ein alkoholtypisches Risiko verwirklicht hat, dass allein wesentlich zu dem Unfallereignis führte. Bei typischen Geschehensabläufen, besonders im öffentlichen Verkehrsraum, kann nach der Erfahrung regelmäßig von einem bestimmten Er-eignis auf eine bestimmte Folge geschlossen werden und umgekehrt von einem bestimmten Ergebnis auf einen bestimmten zugrundeliegenden Ablauf, und zwar sowohl hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs sowie hinsichtlich des Verschuldens.
2. Der festgestellte Blutalkoholwert von 2,67 Promille eröffnete einen unversicherten Gefahren-bereich, der nach diesen Grundsätzen dazu führt, dass der Alkohol die allein wesentliche Ursache für ein Unfallereignis ist.
3. Entkräftet wird der Anscheinsbeweis nicht durch bloße gedankliche Möglichkeiten, dass vorliegend von einer möglichen Wegegefahr auszugehen wäre, sondern nur durch erwiesene Tatsachen, die einen atypischen Verlauf möglich gemacht haben können, etwa durch den Nachweis der konkreten Wegegefahr.
4. Die Begründung in den Bescheiden ist nicht zutreffend, dass eine grundsätzliche Ablehnung wegen „Volltrunkenheit“ bei einem Promillewert von 2,67 rechtlich zulässig ist. Diese „alte“ Argumentation der Rechtsprechung zur „Lösung von der versicherten Tätigkeit“ ist seit der Entscheidung des BSG vom 19.11.2012 (B 2 U 19/11 R in Juris) nicht mehr aufrechtzuerhal-ten.
Bemerkung
Berufung eingelegt
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. 3. Der Streitwert wird auf 23.202,43 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über das Vorliegen eines Arbeitsunfalles mit der Folge einer Kostenerstattung für Krankenhausbehandlungen.

Die Klägerin ist ein privater Krankenversicherungsträger, bei der für den 1963 geborenen B. (im Folgenden: Betroffener) eine Krankheitskostenvollversicherung besteht. Die Beklagte ist der gesetzliche Unfallversicherungsträger für den Betroffenen als Beschäftigten. Der Betroffene ist bei der Firma N. GmbH in N1 beschäftigt und wohnhaft in S ... Zum Teil ist er in N1, zum Teil im Home-Office in S. tätig. Am 24.02.2016 erlitt auf dem Hauptbahnhof in S. einen schweren Unfall.

Nach den Verwaltungsakten der Beklagten und den von ihr beigezogenen staats-anwaltschaftlichen bzw. polizeilichen Ermittlungsakten ergibt sich zu den Umständen des Unfallereignisses des Betroffenen folgendes: Am Mittwoch, den 24.2.2016, um 19:25 Uhr, kam der deutlich alkoholisierte Betroffene im Bahnhof S. auf dem Bahnsteig 11 ohne Fremdeinwirkung ins Stolpern, als er sein auf dem Bahnsteig abgestelltes Gepäckstück aufnehmen wollte. Er stürzte gegen einen Reisezugwagen, der zu diesem Zeitpunkt aus dem Gleis 11 ausfahren sollte. Er fiel im weiteren Verlauf zwischen Bahnsteigkante und Reisezugwagen in den Gleisbereich, wo er vom Zug überrollt und lebensgefährlich verletzt wurde. Ein Alkoholtest durch das Krankenhaus ergab einen Blutalkoholwert von 3,4 g/l (umgerechnet 2,67 Promille). Das Unfallgeschehen wurde durch den unbeteiligten Zeugen, Herrn U., beobachtet, welcher am 24.2.2016 durch Kollegen des Bundespolizeireviers K. vernommen wurde. Der Zeuge führte an, dass er den Betroffenen aus einer Entfernung von ca. 50 m auf dem Bahnsteig 11 wahrgenommen hatte, wie dieser leicht torkelnd nach seinem Trolley greifen wollte. Hierbei sei dieser ohne Fremdeinwirkung gestolpert und zunächst gegen den Reisewagen gefallen und im weiteren Verlauf zwischen Zug und Bahnsteigkante gestürzt.

Im Polizeibericht vom 24.2.2016 wird unter Punkt IV. Ermittlungen und Zeugenvernehmungen ausgeführt, dass der aufnehmende Beamte zunächst das Gespräch mit dem Augenzeugen U. suchte. Dieser gab im Rahmen einer informatorischen Erstbefragung an, er hätte beobachtet, wie der Betroffene sich in seiner Nähe im Bahnsteigabschnitt B/C zunächst torkelnd – mutmaßlich unter Alkoholeinfluss – auf dem Bahnsteig bewegte. Als der Regionalexpress 19922 schon etwa zur Hälfte das Gleis 11 verlassen hatte, hätte sich der Betroffene der Bahnsteigkante genähert, um sein Gepäck aufzunehmen. Dabei hätte er das Gleichgewicht verloren und sei zwischen Zug und Bahnsteigkante gefallen. Eine Fremdeinwirkung auf den Betroffenen verneinte der Zeuge auf Nachfrage definitiv. Am 24.2.2016 um 21:10 Uhr gab der Zeuge U. gegenüber einem anderen Polizeibeamten an, dass er sich im Raucherbereich in Abschnitt E auf dem Bahnsteig befunden hatte. Dort beobachtete er in etwa 50 m Entfernung im Abschnitt B einen Mann, welcher sich torkelnd bewegte und im Begriff war nach seinem Rollkoffer zu greifen. Dabei sei der Mann gestolpert zwischen den fahrenden Zug und den Bahnsteig gekommen.

In der eigenhändig unterschriebenen Zeugenvernehmung vom 24.2.2016 – Beginn: 21:10 Uhr Ende 21:30 Uhr – führte der Zeuge U. unter anderem aus: Als der Zug auf Gleis 11 gerade dabei war auszufahren, sah ich in ca. 50 m Entfernung einem Mann, welcher leicht torkelnd am Bahnsteig stand und nach seinem Trolley greifen wollte. Dabei kam er ins Stolpern und fiel auf den ausfahrenden Zug und danach zwischen Zug und Bahnsteigkante.

In einem weiteren Bericht der Bundespolizeidirektion S. vom 24.2.2016 ist niedergelegt, dass ein Alkoholtest beim Betroffenen einen Alkoholgehalt von 3,4 g/l ergäben hatte. Ein solcher Gehalt ließe auf eine absolute Volltrunkenheit schließen. Unter dem 2.3.2016 erfolgte die Blutalkoholwertbestimmung des Betroffenen, die ein Blutalkoholpromillewert von 2,67 ergab. Im Durchgangsarztbericht vom 24.2.2016 ist ebenfalls der Blutalkoholwert von 3,4 g/l Ethanol im Plasma vermerkt.

Mit Bescheid vom 5.7.2016 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 24.2.2016 als Arbeitsunfall mit der Begründung ab, Arbeitsunfälle seien nach der Vorschrift des § 8 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) Unfälle, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen, von Versicherten infolge einer versicherten Tätigkeit. Versicherte Tätigkeiten seien auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weges von und nach der ständigen Familienwohnung, wenn die Versicherten wegen der Entfernung ihrer Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft haben (§ 8 Abs. 2 Nr. 4 SGB VII). Der Betroffene befand sich gegen 19:25 Uhr im Hauptbahnhof S. am Bahnsteig 11, Abschnitt B/C, und wollte sein Gepäckstück aufnehmen. Hierbei geriet er ins Stolpern, stürzte gegen einen Reisezugwagen einer zu diesem Zeitpunkt ausfahrenden Rangierfahrt und fiel zwischen Bahnsteigkante und Reisezugwagen in den Gleisbereich, wo er vom Zug überrollt und schwer verletzt wurde. Die von der Polizei S. durchgeführten Ermittlungen zum Unfallhergang hätten ergeben, dass beim Betroffenen zum Unfallzeitpunkt ein Blutalkoholwert von 2,67 Promille vorgelegen hätte. Bei diesem Wert sei von Volltrunkenheit auszugehen.

Durch den Genuss einer derart großen Menge von Alkohol sei der Betroffene nicht mehr in der Lage, eine ernstlich dem Unternehmen dienende Tätigkeit nachzugehen – hier das Zurücklegen eines unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehenden Weges –, sodass es bereits am inneren Zusammenhang und somit an einer versicherten Tätigkeit zum Unfallzeitpunkt fehlte. Weitere Ermittlungen, unter anderem zum zeitlichen Zusammenhang, Unfallkausalität seien nicht mehr erforderlich, da der Betroffene aufgrund des Leistungsausfalles wegen Volltrunkenheit nicht mehr unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden hätte. Ein Arbeitsunfall sei daher abzulehnen. Ein Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung bestünde nicht.

Mit Schriftsatz vom 31.7.2016 legte der Betroffene dagegen Widerspruch ein und führte aus, warum ein Arbeitsunfall vorliegen würde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 3.5.2017 wies die Beklagte den Widerspruch des Betroffenen als unbegründet zurück und führte zusammengefasst aus, die Anerkennung eines Arbeitsunfalles setze voraus, dass die versicherte Tätigkeit und das Unfallereignis mit Gewissheit bewiesen seien. Eine anspruchsbegründende Tatsache sei bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich sei, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet seien, die volle Überzeugung hiervon zu begründen. Aus den nach dem Unfallereignis eingeholten Ermittlungsunterlagen und ärztlichen Befunden hätte sich ergeben, dass zum Unfallzeitpunkt ein Blutalkoholwert von 2,67 Promille beim Betroffenen nachgewiesen worden sei. Damit läge Volltrunkenheit vor.

Nachdem bei Volltrunkenheit nicht mehr davon auszugehen sei, dass der Betroffene zum Unfallzeitpunkt noch dazu in der Lage gewesen sei, eine dem Unternehmen ernstlich dienende Tätigkeit nachzugehen, unterliege auch der Heimweg von der Arbeit nicht mehr dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, es hatte daher eine Ablehnung des Unfalles als Arbeitsunfall zu erfolgen. Die vom Betroffenen in der Widerspruchsbegründung vorgetragenen Argumente würden sich auf die Fallgestaltung eines alkoholbedingten Leistungsabfalls beziehen. Hier sei der Versicherungsschutz nicht von vornherein ausgeschlossen. Diese Fallgestaltung sei aber nicht einschlägig. Aus den Aktenunterlagen sei eindeutig ersichtlich, dass sein Blutalkoholwert von 2,67 Promille zum Unfallzeitpunkt vorgelegen hatte. Von einer versicherten Tätigkeit zum Unfallzeitpunkt sei daher weiterhin nicht auszugehen. Bei dieser Sachlage konnte dem Widerspruch nicht stattgegeben werden.

Der Widerspruchsbescheid wurde vom Betroffenen nicht mit Rechtsmitteln angegriffen.

Dem zwischenzeitlichen Erstattungsbegehren der Klägerin kam die Beklagte nicht nach.

Mit Schriftsatz vom 18.7.2018 erhob die Klägerin am 19.7.2018 Klage beim Sozialgericht Nürnberg, welches die Klage mit Beschluss vom 21.5.2019 an das zuständige Sozialgericht Hamburg verwiesen hat.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass ein Wegeunfall trotz des Blutalkoholwertes von 2,67 Promille vorgelegen habe. Sie verweist auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), dass die Wegefähigkeit auch bei einer Blutalkoholkonzentration von 2,8 Promille nicht aufgehoben wäre (BSG Urteil vom 13.11.2012 – B 2 U 19/11 R).

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen (sinngemäß gefasst),

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 23.202,43 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 4.5.2017 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich im Wesentlichen auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.

Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhaltes die Verwaltungsakten (Bd. 1 und 2) der Beklagten beigezogen.

Mit Verfügung vom 19.5.2020 hat das Gericht mitgeteilt, dass beabsichtigt ist, ohne mündliche Verhandlung und ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter durch Gerichtsbescheid zu entscheiden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Prozessakten des Gerichtes und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht aufweist und der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist.

Die zulässige Leistungsklage ist unbegründet.

Die Klägerin kein Anspruch auf die Erstattung ihr entstandener Kosten für die Krankenhausbehandlung des Betroffenen, denn der Betroffene hat keinen Arbeitsunfall (Wegeunfall) am 24.2.2016 erlitten.

Als Anspruchsgrundlage kommt nur der im öffentlichen Recht auch ohne ausdrückliche Normierung gewohnheitsrechtlich anerkannte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch in Betracht, der sich aus allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts ableitet, insbesondere der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Er setzt voraus, dass im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht oder sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen vorgenommen worden sind und verschafft in weitgehender Analogie zu den §§ 812 ff BGB ein Recht auf Herausgabe des Erlangten (vgl. hierzu ausführlich BSG Urteil vom 03.04.2014 - B 2 U 21/12 in Juris).

Voraussetzung ist demnach, dass die Beklagte für die Kosten zuständig wäre, welches weiter voraussetzt, dass der Betroffene am 24.2.2016 einen Arbeitsunfall erlitten hätte. Dies ist jedoch nicht der Fall.

Nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Zu den versicherten Tätigkeiten zählt nach § 8 Abs 2 Nr. 4 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weges von und nach der ständigen Familienwohnung, wenn die Versicherten wegen der Entfernung ihrer Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft haben. Daher muss eine Verrichtung des Versicherten vor dem fraglichen Unfallereignis, das "infolge", also unter anderem nach dieser Verrichtung eingetreten sein, den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt haben. Nur dies begründet die Versichertenstellung in und den Versicherungsschutz aus der jeweiligen Versicherung. Diese (versicherte) Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis), kurz gesagt: eine Einwirkung, objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität). Diese (versicherte) Einwirkung muss einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv-naturwissenschaftlich (1. Kausalitätsstufe) und rechtlich wesentlich (2. Kausalitätsstufe) verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität) (vgl. BSG Urteil vom 24.7.2012, Az.: B 2 U 23/11 R, nach juris). Die versicherte Tätigkeit und die zum Unfall führende Tätigkeit – die Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses – müssen im Grad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, feststehen.

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der Betroffene war zwar auf dem Heimweg zu der ständigen Familienwohnung von N1 nach S. in der Wegeunfallversicherung des § 8 Abs 2 Nr. 4 SGB VII kraft Gesetzes versichert. Er hat auch einen Unfall i.S. des § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII erlitten, als er sich durch den Zug schwer verletzte. Dieser Unfall ist jedoch kein Arbeitsunfall, weil die Einwirkungen des Unfallereignisses nicht der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sind, sondern allein wesentlich der Alkoholkonsum des Betroffenen ursächlich war.

Im Rahmen der Unfallkausalität erfolgt die rechtliche Zurechnung der versicherten Tätigkeit zum Unfallereignis. Die Verrichtung der versicherten Tätigkeit muss die Einwirkung sowohl objektiv naturwissenschaftlich (1. Stufe), als auch rechtlich wesentlich (2. Stufe) verursacht haben. Waren allein unversicherte Wirkursachen rechtlich wesentlich für das Erleiden des Unfallereignisses verantwortlich, tritt die versicherte Tätigkeit als Ursache in den Hintergrund. Letzteres ist hier der Fall.

Der Betroffene hat in diesem Sinne keinen Wegeunfall erlitten. Dies hat die Beklagte grundsätzlich zutreffend erkannt und einen Arbeitsunfall mit den angefochtenen Bescheiden abgelehnt. Zutreffend weist die Klägerin zwar darauf hin, dass die Begründung der Beklagten in den Bescheiden nicht zutreffend ist, denn eine grundsätzliche Ablehnung wegen "Volltrunkenheit" bei einem Promillewert von 2,67 ist rechtlich nicht zutreffend. Diese "alte" Argumentation der Rechtsprechung zur "Lösung von der versicherten Tätigkeit" ist seit der Entscheidung des BSG vom 19.11.2012 (B 2 U 19/11 R in Juris) nicht mehr aufrechtzuerhalten. Hierauf hat die Klägerin zu Recht hingewiesen. Trotzdem hat der Betroffene keinen Arbeitsunfall erlitten, denn der festgestellte Alkoholkonsum war die allein wesentliche Ursache für das Erleiden des Unfallereignisses am 24.2.2016. Die Unfallkausalität ist nicht erfüllt. Wie das BSG im vorgenannten Urteil bereits zutreffend ausgeführt hat, sind im Rahmen der Unfallkausalität versicherte und unversicherte (eigenwirtschaftliche) Ursachen festzustellen (1. Stufe) und rechtlich (2. Stufe) zu bewerten.

Auf der ersten Kausalitätsstufe ist als eine Wirkursache festzustellen, dass sich der Betroffene auf einem grundsätzlich versicherten Heimweg befunden hat. Als weitere objektive Wirkursache ist festzustellen, dass er diesen Heimweg unter erheblichen Alkoholeinfluss zurückgelegt hat.

Die rechtliche Abwägung bzw. Wertung dieser beiden naturwissenschaftlichen objektiv festgestellten Wirkursachen ergibt für das Gericht, dass der Alkoholeinfluss als unversicherte Ursache die allein wesentliche Ursache für das Erleiden des Unfallereignisses mit seinen erheblichen Folgen war. Der Zeuge U. hat sowohl unmittelbar nach dem Unfallereignis gegen 19:30 Uhr, als auch etwas später um 21:10 Uhr angegeben, dass der Betroffene torkelte und sich mutmaßlich unter Alkoholeinfluss auf dem Bahnsteig bewegte. Er habe dann aus ca. 50 m Entfernung gesehen, wie dieser seinen Trolley greifen wollte und dabei ins Stolpern kam, hierbei gegen den ausfahrenden Zug fiel und dann zwischen Zug und Bahnsteigkante stürzte. Der Betroffene hatte hierbei einen Blutalkoholwert von 2,67 Promille. Diesen Geschehensablauf und den Promillewert stellt das Gericht als Tatsachen fest und legt diese seiner Entscheidung zu Grunde.

Nach rechtlicher Bewertung, insbesondere der Zeugenaussage ist vorliegend im Rahmen der Grundsätze des Anscheinsbeweises davon auszugehen, dass sich ein alkoholtypisches Risiko verwirklicht hat, dass allein wesentlich zu dem Unfallereignis führte. Bei typischen Geschehensabläufen, besonders im öffentlichen Verkehrsraum, kann nach der Erfahrung regelmäßig von einem bestimmten Ereignis auf eine bestimmte Folge geschlossen werden und umgekehrt von einem bestimmten Ergebnis auf einen bestimmten zugrundeliegenden Ablauf, und zwar sowohl hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs sowie hinsichtlich des Verschuldens. Der festgestellte Blutalkoholwert von 2,67 Promille eröffnete einen unversicherten Gefahrenbereich, der nach diesen Grundsätzen dazu führt, dass der Alkohol die allein wesentliche Ursache für ein Unfallereignis ist. In einem solchen erheblichen alkoholisierten Zustand ist auch ein Stolpern grundsätzlich dem unversicherten (Risiko-)Bereich der alkoholbedingten und -typischen unkoordinierten und unkontrollierten körperlichen Bewegungen zuzurechnen. Insoweit hat der Zeuge U. mehrfach ausgesagt, er habe den Betroffenen sogar aus einer Entfernung von 50 Metern "leicht torkelnd gesehen".

Eine typische (versicherte) Wegegefahr, die ein "Stolpern" begründen könnte – z.B. eine Unebenheit im Boden oder Ähnliches – ist nach den polizeilichen Unterlagen oder aus der Aussage des Zeugen nicht feststellbar. Insoweit bleibt die wesentliche Ursache der Alkoholkonsum mit den alkoholtypischen Ausfallerscheinungen, die sich gerade im Torkeln und Stolpern manifestieren.

Entkräftet wird der Anscheinsbeweis nicht durch bloße gedankliche Möglichkeiten, wie die Klägerin vorträgt, dass vorliegend von einer möglichen Wegegefahr auszugehen wäre, sondern nur durch erwiesene Tatsachen, die einen atypischen Verlauf möglich gemacht haben können, etwa durch den Nachweis der konkreten Wegegefahr. Auch das BSG führt in dem o.g. Urteil in Abgrenzung zwischen der Wegezurücklegung und dem Alkoholkonsum aus (Rn. 48 - 50): "Eine solche Verkehrsgefahr hat sich hier nicht verwirklicht. Nach den Feststellungen des LSG fehlt es an Tatsachen, die das Abkommen des Versicherten von der Straße als Realisierung einer Verkehrsgefahr qualifizieren. Ein technisches Versagen, widrige Straßenverhältnisse oder andere äußere Einflüsse auf die Fahrt lagen nicht vor. Damit lässt sich der Eintritt eines vom Schutzzweck der Wegeunfallversicherung erfassten Risikos nicht positiv feststellen. Ein den Unfall herbeiführendes unzureichendes gegebenenfalls sogar "verkehrswidriges", aber dennoch versichertes Fahrverhalten des Versicherten scheidet hier als Wirkursache für eine Realisierung einer geschützten "Wegegefahr" aus. Denn eine eventuell verminderte Aufmerksamkeit und Konzentration oder eine überhöhte Geschwindigkeit ist vom LSG nicht als eigenständige Wirkursache festgestellt worden. Sie könnte allenfalls schlüssig mit der vom Berufungsgericht festgestellten weiteren Mitursache des Alkoholgenusses festgestellt sein, wäre dann aber nach dem LSG auf diesen zurückzuführen. Das Trinken von Alkohol ist jedoch grundsätzlich eine unversicherte Tätigkeit, die keinen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt und deshalb den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz schlechthin nicht zu begründen vermag. Dass der Alkoholkonsum Bestandteil der um 22.02 Uhr beendeten Verrichtung der Beschäftigung (und deshalb unter Umständen versichert) gewesen wäre, hat das LSG nicht festgestellt und ist auch nicht ersichtlich. Eine Verkehrsgefahr, die sich erst und allein aus der unversicherten Tätigkeit des Alkoholgenusses ergibt, eröffnet schon nicht den Schutz der Wegeunfallversicherung. Der Alkoholkonsum des Versicherten eröffnete vielmehr einen versicherungsfremden Gefahrenbereich, der allein mit dem Zurücklegen des Weges im Pkw nicht gegeben war und damit vom Schutzzweck der Wegeunfallversicherung nicht erfasst ist. Da die Einwirkung auf den Versicherten nicht auf einer dem Schutzbereich der Wegeunfallversicherung unterfallenden, sich aus dem versicherten Zurücklegen des Weges ergebenden Gefahrenquelle beruht, ist schon deshalb für die rechtliche Zurechnung der Einwirkung auf den Versicherten zur versicherten Verrichtung kein Raum. Aus diesem Grund kommt es nicht darauf an, dass der nicht alkoholkranke Versicherte absolut fahruntüchtig war und das Fahren im Zustand der absoluten Fahruntüchtigkeit als unversicherte Mitursache gegebenenfalls die Zurechnung der verwirklichten Gefahr zur versicherten Wirkursache ausschließt (zu einigen Problemen der Alkoholfahrt vgl Sandbiller, Alkoholkonsum und Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung bei Wegeunfällen, SGb 2012, 576 f)."

Grundsätzlich zeigt der weitere Geschehensablauf nach dem Stolpern, als der Betroffene gegen den Zug und dann zwischen Bahnsteig und Zug fiel, dass hier - dem Anschein nach – ebenfalls von alkoholbedingten und nicht kontrollierten Bewegungen bzw. Ausfällen auszugehen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtordnung.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. den §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes. Die Höhe ergibt sich aus den Interessen der Beteiligten.
Rechtskraft
Aus
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