L 8 BA 90/19 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
8
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 17 BA 96/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 BA 90/19 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 14.3.2019 geändert und die aufschiebende Wirkung der unter dem Aktenzeichen S 17 BA 63/19 beim Sozialgericht Detmold anhängigen Klage des Antragstellers gegen den Bescheid vom 20.8.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.5.2019 angeordnet. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens. Der Streitwert für das gesamte Verfahren wird auf 31.148,24 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und begründet.

Nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 10.5.2019 richtet sich das Begehren des Antragstellers zulässigerweise auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der unter dem Aktenzeichen S 17 BA 63/19 beim Sozialgericht (SG) Detmold anhängigen Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20.8.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.5.2019.

Gemäß § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese auf Antrag ganz oder teilweise anordnen bzw. gem. § 86b Abs. 1 S. 2 SGG die Aufhebung einer schon erfolgten Vollziehung anordnen. Keine aufschiebende Wirkung haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen eine - wie hier erfolgte - Entscheidung über Beitragspflichten und die Anforderung von Beiträgen sowie der darauf entfallenden Nebenkosten einschließlich der Säumniszuschläge (vgl. zu Letzteren: st. Rspr. des Senats, z.B. Beschl. v. 7.1.2011 - L 8 R 864/10 B ER - juris Rn. 21).

Die Entscheidung, ob eine aufschiebende Wirkung ausnahmsweise gem. § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Suspensivinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsakts andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an § 86a Abs. 3 S. 2 SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Da § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Suspensivinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Hierfür reicht es nicht schon aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (st. Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschl. v. 11.3.2016 - L 8 R 506/14 B ER - juris Rn. 51 m.w.N.).

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist die aufschiebende Wirkung der Klage vom 22.5.2019 anzuordnen, da deren Erfolg überwiegend wahrscheinlich ist. Es spricht nach der im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung derzeit mehr dafür als dagegen, dass sich der von der Antragsgegnerin nach § 28f Abs. 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) erlassene Summenbeitragsbescheid, mit dem sie vom Antragsteller Beiträge und Umlagen in Höhe von 124.592,96 Euro einschließlich Säumniszuschlägen gem. § 24 Abs. 1 SGB IV in Höhe von 52.006,50 Euro nachfordert, in der Hauptsache als rechtswidrig erweisen wird.

Bereits die sachliche Zuständigkeit der Antragsgegnerin für den Erlass des Bescheides ist nicht erkennbar.

Ermächtigungsgrundlage für den Erlass des Prüfbescheides durch die Antragsgegnerin ist § 28p Abs. 1 S. 5 SGB IV. Nach dieser Vorschrift erlassen die Träger der Rentenversicherung gegenüber den Arbeitgebern Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe der Arbeitnehmer in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Gem. § 28p Abs. 2 S. 2 SGB IV stimmen sich die Träger der Rentenversicherung darüber ab, welche Arbeitgeber sie prüfen; ein Arbeitgeber ist jeweils nur von einem Träger der Rentenversicherung zu prüfen. Gem. Ziff. 1.2.1 Satz 3 des Gemeinsamen Rundschreibens der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung, Verlautbarung zu den Prüfungen der Rentenversicherungsträger bei den Arbeitgebern vom 3.11.2010 (im Folgenden: GR vom 3.11.2010) erfolgt die Aufteilung im Verhältnis zwischen den Regionalträgern und der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Bund anhand der Prüfziffer in der Betriebsnummer des Arbeitgebers oder der abrechnenden Stelle nach § 28p Abs. 6 SGB IV. Die DRV Bund prüft dabei Arbeitgeber, in deren Betriebsnummer die Prüfziffer 0 bis 4 lautet, die Regionalträger prüfen in ihrem Zuständigkeitsbereich Arbeitgeber, in deren Betriebsnummer die Prüfziffer 5 bis 9 lautet (GR Satz 4). Die Prüfziffer ist die letzte Ziffer der Betriebsnummer. Diese Bestimmungen stellen eine ausreichende Regelung der sachlichen Zuständigkeit dar, da es sich um abstrakt-generelle Regelungen handelt, die nach allgemeinen Grundsätzen festlegen, ob die Betriebsprüfung von der DRV Bund als Bundesträger oder von einem Regionalträger durchzuführen ist (vgl. Bay. LSG Beschl. v. 15.1.2018 - L 14 R 5201/16 - juris Rn. 24 f.; vgl. zum Verfahren auch Scheer in: jurisPK-SGB IV, § 28p Rn. 120).

Ausgehend von der für den Betrieb des Antragstellers vergebenen Betriebsnummer xxx, zu der der hier streitige Bescheid ergangen ist, lautet die Prüfziffer 1, sodass vorliegend die DRV Bund als Bundesträger und nicht die Antragsgegnerin als Regionalträgerin für den Erlass eines Prüfbescheides gem. § 28p SGB IV sachlich zuständig ist. Dem entspricht auch, dass die DRV Bund bereits die Betriebsprüfung für den Zeitraum vom 1.1.2015 bis 31.10.2016 bei dem Antragsteller durchgeführt und für diesen Zeitraum den Beitragsbescheid vom 21.11.2016 erlassen hat.

Für ein Abweichen von der Regelung des § 28p Abs. 2 S. 2 SGB IV in Verbindung mit dem GR vom 3.11.2010 im Sinne einer einzelfallbezogenen Zuständigkeitsbestimmung ist eine Rechtsgrundlage nicht ersichtlich. Die in Ziff. 1.2.2 bis 1.2.4 des GR vom 3.11.2010 genannten und an den gesetzlichen Vorschriften der Sozialgesetzbücher ausgerichteten Sonderzuständigkeiten liegen erkennbar nicht vor. Soweit die Antragsgegnerin für die von ihr durchgeführte Prüfung - lediglich - Praktikabilitätsgesichtspunkte genannt hat, können diese ihre sachliche Zuständigkeit nicht begründen.

Die Rechtswidrigkeit des Bescheides ist auch nicht gem. §§ 41, 42 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) folgenlos. Der Mangel der sachlichen Zuständigkeit gehört nicht zu den Fehlern, die nach § 41 SGB X unbeachtlich sind, und nicht zu den Fehlern, derentwegen nach § 42 Satz 1 SGB X die Aufhebung eines Verwaltungsaktes nicht verlangt werden kann (vgl. z.B. BSG Urt. v. 14.5.2020 - B 14 AS 28/19 R - juris Rn. 40 m.w.N.; Urt. vom 03.9.1998 - B 12 KR 23/97 R - juris Rn. 14; Heße in BeckOK, § 42 SGB X Rn. 3; Schütze in Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020 - § 42 Rn. 5 m.w.N.; Leopold in juris-PK § 42 SGB X Rn. 44 m.w.N.).

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass auch unter materiell-rechtlichen Gesichtspunkten nach summarischer Prüfung ernstliche Zweifel daran bestehen, dass rechtmäßig ein Summenbeitragsbescheid gem. § 28f Abs. 2 S. 1 SGB IV erlassen werden konnte (vgl. zu den Voraussetzungen ausführlich Senatsbeschl. v. 14.4.2020 - L 8 BA 40/19 B ER - juris Rn. 8 ff.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf §§ 52, 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 4 Gerichtskostengesetz und berücksichtigt, dass in Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes, die Beitragsangelegenheiten betreffen, regelmäßig nur ein Viertel des Wertes der Hauptsache einschließlich etwaiger Säumniszuschläge als Streitwert anzusetzen ist (vgl. z.B. Senatsbeschl. v. 21.2.2012 - L 8 R 1047/11 ER - juris Rn. 38 m.w.N.).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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