L 1 KR 261/20 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 198 KR 591/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 261/20 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialge-richts Berlin vom 14. Mai 2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu er-statten.

Gründe:

Die Beteiligten streiten über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen einen an die Tochter der Antragstellerin gerichteten Beitragsbescheid, mit dem das Bestehen einer freiwilligen Versicherung sowie Beitragsansprüche ab dem 1. Oktober 2019 festgesetzt werden.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 14. Mai 2020 hat keinen Erfolg. Mit Recht hat das Sozialgericht abgelehnt, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die aufschiebende Wirkung des von der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 2. April 2020 erhobenen Widerspruchs anzuordnen. Der Senat lässt dahingestellt sein, ob der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung schon deswegen keinen Erfolg haben kann, weil er von der Antragstellerin im eigenen Namen gestellt worden ist, obwohl Adressat des Bescheides nicht sie, sondern ihre Tochter ist. Für die Zulässigkeit dieser Verfahrens-weise spricht immerhin, dass die durch den angegriffenen Bescheid ausgesprochene freiwillige Versicherung an die Stelle einer bisherigen Familienversicherung tritt und unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG bisher als zulässig angesehen worden ist, dass der Stammversicherte Rechte aus der Familienversicherung im eigenen Namen verfolgt (vgl. Gerlach in Hauck/Noftz, SGB V, § 10 Rn 201). Das kann indessen hier dahingestellt bleiben, weil der Antrag auch aus anderen Grün-den in der Sache keinen Erfolg haben kann.

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG – kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Der Widerspruch gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 2. April 2020 hat nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG keine aufschiebende Wirkung, weil mit dem Bescheid die Zahlung von Beiträgen ab dem 1. Oktober 2019 gefordert wird. Anzuordnen ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs in den Fällen des § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG jedenfalls dann, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestehen (Vgl. etwa Beschluss des LSG Schleswig-Holstein v. 25. Juni 2012 – L 5 KR 81/12 B ER – juris Rn 14). Dies ergibt sich aus einem Vergleich mit der Vorschrift des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG. Im Übrigen gibt der Gesetzgeber in § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG nicht ausdrücklich vor, nach welchen Maßstäben über die Aussetzung einer sofortigen Vollziehung zu entscheiden ist. Hat der Gesetzgeber aber – wie es § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG voraussetzt – an anderer Stelle bereits grundsätzlich die sofortige Vollziehbarkeit einer Verwaltungsentscheidung angeordnet, nimmt er damit in Kauf, dass eine an-gefochtene Entscheidung wirksam bleibt, obwohl über ihre Rechtmäßigkeit noch nicht abschließend entschieden worden ist. Von diesem Grundsatz ermöglicht § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG eine Ausnahme. Zumindest in den Fällen einer offen-sichtlichen Rechtswidrigkeit ist die Vollziehbarkeit auszusetzen, weil dann kein öffentliches Interesse an einer Vollziehung erkennbar ist. Unterbleiben muss die Aussetzung dagegen, wenn der eingelegte Rechtsbehelf offensichtlich aussichts-los ist. Dann gibt es keine Veranlassung, von dem vom Gesetzgeber für richtig gehaltenen Grundsatz abzuweichen. In den übrigen Fällen, in denen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht klar erkennbar ist, kommt es auf eine Interessenabwägung an (BT-Drs 11/3480, S. 54). Je geringer die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs sind, desto mehr muss für den Betroffenen auf dem Spiel stehen, damit trotz bloßer Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer angefochtenen Maßnahme entgegen der grundsätzlichen Entscheidung des Gesetzgebers die auf-schiebende Wirkung angeordnet werden kann (vgl. zum ganzen Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 12. Aufl., § 86b Rn 12f mit weit. Nachw.).

Bei Beachtung dieser Maßstäbe kann der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hier keinen Erfolg haben. Das gilt insbesondere deswegen, weil der Prüfungsmaßstab dadurch geprägt ist, dass die Antragstellerin keine schwere und nicht wieder auszugleichende Beeinträchtigung für den Fall glaubhaft gemacht hat, dass die Beitragsforderung bis zu dem rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens wirksam und vollziehbar bleibt. Sie hat nach eigenen Angaben (Schreiben an die Antragsgegnerin vom 27. Juli 2020 und vom 4. August 2020) die seit dem 1. Oktober 2019 aufgelaufenen Beiträge zunächst beglichen. Sie hat weder vorgetragen geschweige denn glaubhaft gemacht, dadurch in wirtschaftliche oder sonstige Schwierigkeiten geraten zu sein. Vor diesem Hintergrund könnte der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nur Erfolg haben, wenn die von der Antragsgegnerin erhobene Forderung offensichtlich rechtswidrig ist. Der Senat hält aber ein Obsiegen der Antragstellerin in der Hauptsache nicht für wahrscheinlicher als ein Unterliegen. Deswegen muss es bei dem gesetzlichen Grundsatz bleiben, dass der Widerspruch gegen eine Beitragsfestsetzung keine aufschiebende Wirkung hat.

Rechtsgrundlage für die in dem angefochtenen Bescheid festgesetzte Beitragsforderung ist §§ 220, 223, 240 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Nach diesen Vorschriften haben die freiwilligen Mitglieder einer Krankenkasse Beiträge zu zahlen. Die Antragstellerin wendet sich nicht gegen die Berechnung der Beiträge, sondern gegen die Eintragung einer freiwilligen Mitgliedschaft für ihre Tochter. Auch insoweit ist der Bescheid vom 2. April 2020 aber jedenfalls nicht offensichtlich rechtswidrig. Die Antragsgegnerin hat die bisherige Familienversicherung durch Bescheid vom 30. März 2020 zum 30. September 2019 beendet und in diesem Bescheid den vorherigen Bescheid über das Ende der Familienversicherung vom 12. Juli 2019 in der Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 16. August 2019 und des Widerspruchsbescheides vom 3. Februar 2020 mit Wirkung vom 1. Oktober 2019 an aufgehoben. Zur Begründung für den Wegfall der Voraussetzungen der Familienversicherung hat die Antragsgegnerin darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen für den Ausschluss der Familienversicherung entsprechend § 10 Abs. 3 SGB V erfüllt seien, weil der mit der Antragstellerin verheiratete Vater nunmehr ein über der Entgeltgrenze liegendes Gesamteinkommen habe. Die dazu von der Antragsgegnerin vorgelegten Berechnungen sind weder offensichtlich fehlerhaft noch von der Antragstellerin in dem vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes substantiiert in Frage gestellt worden.

Auch die von der Antragsgegnerin ausgestellten Bescheinigungen über das Bestehen einer Familienversicherung vom 31. Januar 2008 und 5. April 2013 führen nicht zwingend zur Rechtswidrigkeit der Aufhebungsentscheidung vom 30. März 2020. Selbst wenn die Bescheinigungen als statusbegründende Verwaltungsakte im Sinne des § 31 SGB X anzusehen wären, könnten sie doch nach § 48 Abs. 1 SGB X bei Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden. Der Bescheid vom 30. März 2020 nimmt auf § 48 SGB X Bezug. In dem Bescheid wird statt § 48 SGB X zwar § 48 SGB V genannt. Insoweit liegt aber offensichtlich ein Schreibfehler vor. Dass die Bescheinigungen vom 31. Januar 2008 und 5. April 2013 nicht ausdrücklich als aufgehoben genannt werden, wäre gegebenenfalls unschädlich. Die Wirksamkeit einer Aufhebungsentscheidung setzt schon nicht voraus, dass alle aufgehobenen Bescheide nach ihrem Datum ausdrücklich genannt werden, solange deutlich bleibt, welche Zeiträume betroffen sind (BSG v. 29. November 2012 – B 14 AS 196/11 R – juris Rn 16-18). Im Übrigen hatte die Antragsgegnerin für Zeiträume ab dem 1. Januar 2019 letztmalig mit Teilabhilfebescheid vom 16. August 2019 fest-gestellt, dass die Familienversicherung für die Tochter der Antragstellerin bestehen bleibt. Insoweit sind frühere Bescheide für Zeiten ab dem 1. Januar 2019, wenn es denn solche gegeben haben sollte, durch den Bescheid vom 16. August 2019 er-setzt und damit gegenstandslos geworden (vgl. Schneider-Dannwitz, jurisPK SGB X, 2. Aufl., § 39 Rn. 51). Soweit das Sozialgericht in seinem mit der Beschwerde an-gefochtenen Beschluss gemeint hat, dass die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 16. August 2019 nicht positiv über das Bestehen einer Familienversicherung ab dem 1. Januar 2019 entschieden hat, vermag der Senat ihm darin nicht zu folgen. Als Teil der Abhilfeentscheidung wird in dem Bescheid nämlich ausdrücklich die Durchführung einer Familienversicherung genannt. Auf Seite 5 des Bescheides wird zudem ausgeführt, dass "vorerst ab dem 01.01.2019 weiterhin der Anspruch auf die Familienversicherung" besteht.

Zutreffend hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass die Beendigung der Familienversicherung nach § 188 Abs. 4 SGB V zur Fortsetzung der Versicherung als freiwillige Versicherung führt. Für die Tochter der Antragstellerin ist weder der Aus-tritt aus der Versicherung bei der Antragsgegnerin erklärt noch das Bestehen einer anderweitigen Krankenversicherung nachgewiesen worden.

Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass die Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 30. März 2020 Widerspruch eingelegt hat oder dieser Bescheid möglicherweise nach § 96 SGG Gegenstand eines bereits vor dem Sozialgericht anhängigen Verfahrens geworden ist. Soweit der Bescheid vom 30. März 2020 hier inzident zu überprüfen war, fanden sich keine Anhaltspunkte für seine offensichtliche Rechtswidrigkeit. Der Bescheid ist zudem bis-her weder aufgehoben noch ist seine Vollziehbarkeit anderweitig ausgesetzt worden. Allein die Erhebung eines Widerspruchs gegen die Beendigung einer Familienversicherung hat nach § 86a Abs. 2 Nr. 1a SGB V keine aufschiebende Wirkung gegen Beitragsansprüche. Soweit das LSG Nordrhein-Westfalen in seinem Beschluss vom 7. April 2011 – L 5 KR 107/11 B ER zu diesen Fragen eine andere Rechtsauffassung vertreten hat, kann daran nach der Änderung des § 188 Abs. 4 SGB V nicht mehr festgehalten werden. Denn nach neuem Recht lässt die Beendigung einer Familienversicherung regelmäßig eine freiwillige Versicherung entstehen. Der Status als Versicherter als solcher bleibt unverändert, es entstehen jedoch Beitragspflichten. Insoweit wird der Eintritt der aufschiebenden Wirkung durch § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG aber ausgeschlossen.

Nach alledem konnte die Beschwerde keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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