L 9 KR 62/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 36 KR 1341/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 62/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialrechts Berlin vom 22. Januar 2018 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Erstattung von Kosten für die Anschaffung eines Galileo® Typ Basic mit Wobbler.

Der am 9. Juni 2013 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Er leidet seit seiner Geburt an einer Stoffwechselerkrankung in Gestalt einer Glykogenose Typ Ia. Dabei ist durch einen Enzymmangel die Bereitstellung von Glukose beeinträchtigt, wodurch es zu lebensbedrohlichen Unterzuckerungen mit Laktaterhöhung kommt. Konkret können die Betroffenen das in der Leber als Energiespeicher angereicherte Glykogen nicht nutzen, um in Phasen ohne Nahrungsaufnahme den Blutzuckerspiegel im Normbereich zu halten. Durch eine diätetische Behandlung und u.a. eine kontinuierliche Ernährung über eine PEG-(Magen-)Sonde sollen Hypoglykämien und sekundäre Schädigungen vermieden werden. Aufgrund der Stoffwechselerkrankung leidet der Kläger an einem Grand-Mal-Status (G41.0) und es ist zu neurologischen Beeinträchtigungen gekommen. Er leidet an zentralen Bewegungsstörungen, muskulärer Hypotonie, einer Entwicklungsverzögerung und Seh- und Koordinationsschwierigkeiten.

Er erhielt mehrmals wöchentlich Physiotherapie. Im Rahmen dieser Therapie kamen auch Übungen auf einem Galileo®-Gerät zur Anwendung. Dabei handelt es sich um ein Vibrationsgerät zur Durchführung einer biomechanischen Ganzkörpervibrationstherapie. Dazu vibriert eine Vibrationsplatte, auf welche sich die Nutzer stellen (oder teilweise legen), abwechselnd auf der linken und auf der rechten Seite wie eine Wippe, um das Bewegungsmuster ähnlich dem menschlichen Gang zu simulieren. Nach Angaben des Herstellers sollen durch diese seitenalternierende Bewegung der Platte neuromuskuläre Reflexe ausgelöst werden. Die Verbesserung der neuromuskulären Funktionen ermögliche eine Zunahme der Bewegungsaktivitäten mit zunehmendem Aufbau bzw. Kräftigung der Muskulatur. Als Folge des Muskelkraftzuwachses komme es zu einer Zunahme der Knochenmasse. Durch die regelmäßige Aktivierung der neuromuskulären Reflexbögen werde auch die inter- und intramuskuläre Koordination verbessert und es komme zu einer Verbesserung der Körperkoordination. Für Kinder und Jugendliche, die nicht in der Lage seien, auf einem Galileo®-Standsystem zu trainieren, sei das Vibrationssystem angepasst.

Die zusätzliche Wobbel-Fernbedienung ermöglicht eine Therapie mit sich zufällig ändernden Frequenzen, so dass der Patient nicht vorhersehen kann, wie sich die Frequenz im Verlauf der Anwendung verändert.

Der Kläger hat einen Grad der Behinderung von 80, Merkzeichen G, H und B. Er hatte 2014 die Pflegestufe II (seit 2017: Pflegegrad 4).

Unter Vorlage einer Befürwortung des Sozialpädiatrischen Zentrum für chronisch kranke Kinder (SPZ) der Charité beantragte der Kläger mit Schreiben vom 1. Oktober 2014 bei der Beklagten die Bereitstellung eines Galileo®-Gerätes mit Wobbelfunktion für die Behandlung zu Hause. Die Weiterführung der Therapie sei im Hinblick auf den zeitlichen Aufwand gefährdet, der sich aus der Anfahrt von viermal pro Woche zur Physiotherapiepraxis einschließlich der zweistündlich erfolgenden Nahrungszugabe mit zusätzlichem häufigem Erbrechen ergebe. Damit die ambulante Leistung aufrechterhalten werden könne, benötige der Kläger das Gerät zuhause.

Mit Bescheid vom 20. Oktober 2014 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten für einen Galileo®-Trainer ab, da der medizinische Nutzen für diesen bislang nicht nachgewiesen sei. Auf den vom Kläger mit Schreiben vom 18. November 2014 formulierten Widerspruch holte die Beklagte insgesamt MDK-Gutachten ein: -am 5. Dezember 2014 durch Dr. I. N, die eine Anwendung des Geräts in der Häuslichkeit u.a. deshalb für kontraindiziert hielt, weil der Kläger unter einer schweren Epilepsie leide (unter Berufung auf die Hersteller-Angaben, vgl. https://www.galileo-training.com/de-deutsch/produkte/galileo-trainingsgeraete/grundlagen-vibrationstraining/gegenanzeigen.html zu Gegenanzeigen: "Epilepsie aufgrund Verletzungsgefahr"). Alternativ könne der Kläger für den häuslichen Bereich ergänzend zum Steh-/Vertikalisationstraining mit einem Schrägliegebrett aus der Produktgruppe 28 (Hilfsmittelverzeichnis) versorgt werden.

-am 5. Mai 2015 durch G. T, danach bestehe für den Kläger aufgrund des Auftretens von generalisierten Anfällen ("Grand-Mal") bei fiebrigen Infekten oder im Zusammenhang mit Hypoglykämien eine Kontraindikation. Das Risiko, dass Anfälle auftreten, sei wegen der Hypoglykämiegefahr, vor der der Hersteller des Geräts selbst warne, hoch. Die Unbedenklichkeit des Gebrauchs könne nicht bestätigt werden. Darüber hinaus bestehe ein nicht nachgewiesener therapeutischer Nutzen.

-am 30. Dezember 2015 durch G. T, danach lasse die medizinisch-wissenschaftliche Datenlage zur häuslichen Nutzung des Gerätes keine abschließende Bewertung zu, bisher liege auch keine Bewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses vor. Für den gewünschten Muskelaufbau lägen andere Leistungen vor. Mittlerweile könne der Kläger – wenn auch noch unsicher – gehen, es komme daher ein regelmäßiges Gehtraining am Gehwagen zum Muskelaufbau in Betracht. Daneben erscheine auch Stehtraining erforderlich und erfolgversprechend, eine rein passive Vertikalisierung dagegen nicht.

Der Kläger hat während des Widerspruchsverfahrens das Vibrationsgerät Galileo® Typ Basic mit Wobbler (Gerätenummer: 8N050410P-032014) zu einem Preis von 3.999,00 Euro angeschafft (Rechnung an die Mutter vom 8. Juli 2015).

Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 2016 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen. Dagegen hat der Kläger am 18. Juli 2016 Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben. Das Training mit dem Gerät habe nachweislich geholfen, seine Bewegungsstörungen zu heilen. Es sei ihm möglich geworden, frei zu sitzen, zu krabbeln, auf seinen Knien zu stehen und aus eigener Kraft auf den Füßen zu stehen sowie kleine Strecken zu laufen. Demgegenüber sei jede Fahrt zur Physiotherapie und jeder Aufenthalt außerhalb der Häuslichkeit mit erheblichen Risiken verbunden. Ein Risiko bei Benutzung des Gerätes bestehe nicht, es sei lediglich erforderlich, den Kläger beim Training zu beaufsichtigen. Das sei bei einem eineinhalbjährigen Nutzer aber ohnehin erforderlich. Im Übrigen habe die Beklagte selbst dem Kläger angeboten, an dem Konzept "Auf die Beine", einer von der Universität K entwickelten Bewegungstherapie, in deren Mittelpunkt das Ganzkörpervibrationstraining mit dem Galileo®-System stehe, teilzunehmen. Teil dieses Konzeptes sei auch eine häusliche Anwendung des Galileo®-Trainingsgerätes. Die Beklagte habe damit zum Ausdruck gebracht, dass sie das Trainingsgerät als geeignete Therapieform anerkenne. Eine Aussicht auf Heilung sei nicht Voraussetzung des Anspruchs, ausreichend sei eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Gerade im Kleinkindalter hätten Bewegungsstörungen ganz erhebliche Auswirkungen auf das künftige gesamte Leben. Die von der Beklagten genannten alternativen Behandlungsmöglichkeiten wie die Nutzung des "Stehbrettes" seien nach Auffassung aller Ärzte für den Kläger ungeeignet. Das empfohlene Gehtraining oder die Krankengymnastik hätten vorausgesetzt, dass der Kläger des Gehens mächtig gewesen sei, dazu sei er bei Beginn der Behandlung im Herbst 2014 aber nicht in der Lage gewesen. Das Therapie-Gerät diene der Behandlung von Erkrankungen, so der Muskelschwäche und Entwicklungsverzögerung, die ihrerseits auf der Glykogenose Typ 1a beruhten. Die Beklagte verkenne insoweit die Voraussetzungen eines Anspruchs nach § 2 Abs. 1a SGB V. Betroffen sei hier die lebensbedrohliche Erkrankung der Glykogenose Typ 1a. Es handele sich um dabei eine seltene Erkrankung. Die Bewegungsstörungen seien Teil des Krankheitsverlaufs der Glykogenose, auch wenn sie selbst nicht lebensbedrohlich seien. Auch während eines zwischenzeitlichen Aufenthaltes des Klägers zur stationären Rehabilitation im Rehabilitationszentrum H habe er ein Galileo®-Training erhalten. Die Rehabilitationseinrichtung befürworte den Einsatz. Das Gerät werde nicht isoliert benutzt, sondern kombiniert mit anderen Therapien. Von ca. Oktober 2015 bis ca. Juli 2016 sei die Physiotherapie in der Häuslichkeit durch Hausbesuche der Physiotherapeutin erfolgt, diese hätte Galileo®-Training sowie ein Lauftraining mit dem Kläger absolviert.

Mit Gerichtsbescheid vom 22. Januar 2018 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Kostenerstattung, da die Beklagte die Versorgung mit einem Galileo®-Trainingsgerät für den häuslichen Gebrauch nicht zu Unrecht abgelehnt habe. Dem Kläger stehe kein Primäranspruch auf das Trainingsgerät zu. Bei dem Trainingsgerät handele es sich um eine sächliche medizinische Leistung, und demnach um ein Hilfsmittel. Es diene hier dem Versorgungsziel der Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung. Das ergebe sich zuletzt aus dem Rehabilitationsentlassungsbericht vom 22. März 2017. Der Kläger sei aufgrund seiner Diagnose einer deutlichen Muskelhypotonie mit Einschränkungen in seiner Rumpfstabilität, Stützfunktion, Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen sowie Minderung der Kraft in den Extremitäten behandelt worden. In diesem Rahmen sei auch regelmäßig ein Galileo®-Training durchgeführt worden. Ein Anspruch auf ein Hilfsmittel, welches als untrennbarer Bestandteil einer neuen vertragsärztlichen Behandlungs- oder Untersuchungsmethode eingesetzt werde, sei erst dann gegeben, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss die Methode positiv bewertet habe. Insoweit erfasse die Sperrwirkung des durch § 135 Absatz 1 Satz 1 SGB V begründeten Leistungsverbots mit Erlaubnisvorbehalt jegliche Maßnahme im Rahmen einer bei einem bestimmten Krankheitsbild systematisch angewandten Methode. Solange eine Therapie als neue Behandlungsmethode nicht zur Versorgung in der gesetzlichen Krankensicherung empfohlen worden sei, seien die dabei eingesetzten Geräte grundsätzlich keine von der Leistungspflicht umfassten Hilfsmittel. Gemäß diesen Maßgaben basiere die Beübung des Klägers auf dem Galileo®-Trainingsgerät auf einer neuen Behandlungsmethode, nämlich der Vibrationstherapie. Dies ergebe sich hinreichend aus der eigenen Beschreibung der Methode durch den Hersteller, der unter anderem darlege, dass der Körper auf die Bewegung der Therapieplattform mit rhythmischen Muskelkontraktionen im Wechsel zwischen linker und rechter Körperhälfte reagiere. Diese Kontraktionen erfolgten nicht willentlich, sondern reflex-gesteuert. Es solle so die Muskulatur in Beinen, Bauch und Rücken bis hinauf in den Rumpf aktiviert werden. Die Anzahl der sogenannten Reflexe pro Sekunde werde über eine einstellbare Stimulationsfrequenz bestimmt. Die Vibrationen könnten in Amplitude und Frequenz unabhängig vom Körpergewicht einfach verändert werden. Diese Stimulation des Bewegungsablaufs unterscheide sich nach Angaben des Herstellers im Hinblick auf die medizinisch-technische Vorgehensweise sowie mögliche Risiken und Aspekte der Wirtschaftlichkeit erheblich von den herkömmlichen Behandlungsvarianten, wie z.B. Krankengymnastik. Die Vibrationstherapie sei insoweit im Vergleich zu den bisherigen Behandlungsmethoden schon deswegen neu, weil diese in keiner Weise elektrisch unterstützt seien. Die elektrische Wirkweise habe aber auch erhebliche Unterschiede im Hinblick auf mögliche Risiken zur Folge. Dies ergebe sich unter anderem aus den vom Hersteller genannten Gegenanzeigen/Kontraindikationen sowie der Nebenwirkungen. Der Einsatz des Trainingsgerätes stehe hier in einem untrennbaren Zusammenhang mit einer neuen Behandlungsmethode. Dieser bestehe schon deshalb, weil die technisch neuartige Wirkungsweise der Vibrationstherapie unmittelbar mit der Nutzung des Galileo®-Trainingsgerätes verbunden sei. Wegen dieses Zusammenhangs sei Voraussetzung des Leistungsanspruchs, dass die neue Behandlungsmethode vom Gemeinsamen Bundesausschuss anerkannt worden sei. An einer derartigen Anerkennung der Methode fehle es. Es liege kein Ausnahmefall vor, indem die Vibrationstherapie mittels des Galileo-Trainingsgerätes ausnahmsweise eingesetzt werden dürfe. Zwar liege bei dem Kläger mit der Glykogenose Typ 1a eine einer lebensbedrohlichen Erkrankung wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung im Sinne des § 2 Abs. 1a SGB V vor. Allerdings wirke das streitgegenständliche Trainingsgerät nicht auf diese Erkrankung selbst ein. Es sollte vielmehr die eingetretene Entwicklungsstörung hinsichtlich des Bewegungsapparates des Klägers positiv beeinflusst werden. Diese Folgeerkrankung selbst sei nicht lebensbedrohlich und auch nicht wertungsmäßig einer solchen Erkrankung vergleichbar. Zudem stünden allgemein anerkannte Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Ein Seltenheitsfall liege ebenfalls nicht vor. Abzustellen sei hier wiederum auf die Entwicklungsverzögerung im Bewegungsapparat. Diese trete auch bei Kindern nicht in einem solchen Maß selten auf, dass sie sich einer systematischen Erforschung entzöge. Ein Fall des Systemversagens sei ebenfalls nicht gegeben. Es sei bislang keine hinreichende Studienlage gegeben, die die Fortentwicklung der medizinischen Erkenntnisse zur Vibrationstherapie hinreichend deutlich dokumentiere.

Gegen den ihm am 29. Januar 2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 28. Februar 2018 Berufung eingelegt. Es bestünden erhebliche Bedenken, dass das Galileo®-Gerät untrennbarer Bestandteil der Vibrationstherapie sein soll, denn seine Anwendungsmöglichkeiten seien nicht nur beschränkt auf diese Therapie. Außerdem sei die Vibrationstherapie nicht nur mit dem Galileo®-Gerät durchführbar. Vibrationstherapie werde nicht nur bei Entwicklungsstörungen bei Kindern eingesetzt. Anerkannt sei, dass sie einen nachweisbaren Nutzen für eine Vielzahl von Erkrankungen habe. Auf einen medizinischen Nutzen habe die Beklagte selbst in ihrem Broschüren aus dem Jahr 2013 und ihrem Internetauftritt zu dem Konzept "Auf die Beine" abgestellt. Mit diesem Konzept, im Rahmen dessen die Beklagte Kosten für eine Therapie unter Nutzung des Galileo®-Systems übernommen habe, sei es ihr verwehrt, sich darauf zu berufen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss noch keine positive Bewertung abgegeben habe. Außerdem habe das Sozialgericht eine Prüfung dahingehend unterlassen, ob der Kläger einen Anspruch auf Ausstattung mit dem Gerät haben könne, weil es einem Behinderungsausgleich diene bzw. mit ihm einer drohenden Behinderung vorgebeugt werden solle. Ohne Behandlung würde der Kläger heute nicht laufen können oder aus eigener Kraft sitzen, knien oder krabbeln. Die Abwendung der drohenden Behinderung sei vom Sozialgericht nicht geprüft worden. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass die Therapie mittels des Galileo®-Systems in die vertragsärztliche Versorgung Einzug gehalten habe. Der Kläger sei und werde unter anderem in der C in B damit behandelt.

Der Kläger habe die Übungen unter professioneller Aufsicht absolviert, er beziehe sich auf einen von der Physiotherapiepraxis ausgearbeiteten Trainingsplan. Das Programm "Auf die Beine" der Uniklinik Köln sei für Kinder ab drei Jahren konzipiert gewesen, die Physiotherapiepraxis S setze es auch bei kleineren Kindern ein.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialrechts Berlin vom 22. Januar 2018 und den Bescheid der Beklagten vom 20. Oktober 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger 3.999 EUR gemäß Rechnung der Firma TeHa Medical vom 8. Juli 2015 zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Bei dem Behandlungskonzept "Auf die Beine" handele es sich um eine integrierte Versorgung, in welcher die Vibrationstherapie in einem eng gefassten Behandlungskonzept angeboten worden sei. Dies könne jedoch nicht dazu führen, einen Erstattungsanspruch des Klägers außerhalb dieser besonderen Versorgung entstehen zu lassen. Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Entscheidungsfindung war.

Entscheidungsgründe:

I. Der Senat hat über die Berufung gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der Besetzung durch die Berichterstatterin und den ehrenamtlichen Richter sowie die ehrenamtliche Richterin entschieden, weil das Sozialgericht über die Klage durch Gerichtsbescheid entschieden und der Senat durch Beschluss vom 23. April 2019 die Berufung der Berichterstatterin zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern/Richterinnen übertragen hat.

II. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 153 Abs. 2 SGG).

Zu ergänzen und zu betonen bleibt auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens:

Ein Kostenerstattungsanspruch kann sich aus § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) ergeben, soweit das begehrte Gerät auch ein solches der medizinischen Rehabilitation ist, auch aus dem inhaltsgleichen § 15 Abs. 1 Satz 4 Sozialgesetzbuch/Neuntes Buch (SGB IX) in der bis zum 31. Dezember 2017 (§ 13 Abs. 3 Satz 2 SGB V).

Maßgebend für das Entstehen eines Kostenerstattungsanspruchs sind die Verhältnisse zum Zeitpunkt seines Entstehens, d.h. für den Kläger zu dem Zeitpunkt, in dem er sich das Galieo®-Gerät beschafft hat. Kostenerstattung kann er deshalb nur beanspruchen, wenn im Zeitpunkt der Leistungsverschaffung (Juli 2015) alle Voraussetzungen für den Primärleistungsanspruch gegeben waren (BSG, Urteil vom 25. Juni 2009 – B 3 KR 9/08 R – Rn. 9). Das war aber nicht der Fall.

Zweifelhaft ist bereits, ob sich bei dem vom Kläger beschafften Galileo®-Trainingsgerät um ein Hilfsmittel i.S. § 33 SGB V und keinen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt. Ein Gegenstand ist ein allgemeiner Gebrauchsgegenstand, wenn er von der Konzeption her nicht vorwiegend für Kranke und Behinderte gedacht ist (Pflugmacher in: Eichenhofer/von Koppenfels-Spieß/Wenner, SGB V, § 33 Rn. 16). Das zugrunde liegende Konzept des Vibrationstrainings wird mit Galileo®-Geräten auch in Fitnessstudios verwendet und soll Muskelpartien gezielt trainieren. Speziell das vom Kläger erworbene Galileo® Typ Basic, Geräte-Nr. 8N050410 wurde als Muskeltrainingsgerät für die private Anwendung verkauft und war nach eigenen Angaben des Herstellers kein Medizinprodukt (vgl. dazu https://www.galileo-training.com/de-deutsch/produkte/p194/galileo-basic-veraltetes-produkt.html). Es ist als "Altgerät" heute nicht mehr erhältlich. Ausweislich der Information des Herstellers über Bauart und Leistungsmerkmale dürfte es aber dem heutigen Model Galileo® Med S entsprechen, welches als "Therapie-Gerät" firmiert und ein Medizinprodukt ist. Dieses soll speziell der Behandlung im professionellen Umfeld wie Physiotherapie und Rehabilitation dienen (vgl. https://www.galileo-training.com/de-deutsch/produkte/p152/galileo-med-s.html). Unter Berücksichtigung der sehr ähnlichen Merkmale (inklusive der maximalen Beschleunigung von 11,4 g) und der Verwendung im Bereich der Physiotherapie kann zugunsten des Klägers somit davon ausgegangen werden, dass es sich auch bei seinem Gerät um ein Hilfsmittel handelt.

Der Kläger weist zutreffend darauf hin, dass der Einsatz des Galileo®-Trainingsgerätes als eines Hilfsmittels in seinem Fall auch dazu diente, einer drohenden Behinderung vorzubeugen. Eine Behinderung "droht", wenn aus einem bestimmten Krankheitsbild bei natürlichem Verlauf in absehbarer Zeit unter den Gegebenheiten des Einzelfalls mit einiger Wahrscheinlichkeit ein Dauerzustand in Form einer sonst nicht mehr behebbaren konkreten Funktionseinschränkung erwachsen kann (vgl. BSG, Urteil vom 22. April 2009 – B 3 KR 11/07 R Rn. 25). Bei dem zum Zeitpunkt der Anschaffung des Galileo®-Trainingsgeräts knapp zweijährigen Kläger bestand die konkrete nahe Gefahr, dass sich aufgrund der sich einstellenden neurologischen Beeinträchtigungen mit Entwicklungsverzögerung, muskulärer Hypotonie und Seh- und Koordinationsbeeinträchtigungen eine für das Lebensalter abweichende Bewegungsfähigkeit eingestellt hätte, die mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hätte andauern können. Das Funktionsdefizit hätte die Teilhabe des Klägers am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtigt und hätte die Merkmale einer Behinderung erfüllt (vgl. Becker/Kingreen/Butzer-Lungstras, SGB V, § 33 Rn. 16). Allein die Tatsache, dass das Galileo®-Gerät auch dazu diente, eine drohenden Behinderung zu vermeiden, führt aber nicht dazu, dass sich die Anforderungen für den Primäranspruch ändern. § 33 Abs. 1 SGB V gewährt einen Anspruch, wenn die Hilfsmittelversorgung erforderlich ist, den Erfolg i.S. der Krankenbehandlung oder der Verhinderung einer drohenden Behinderung zu erreichen. Erforderlich ist das Hilfsmittel, wenn es zur Erreichung der o.g. Ziele geeignet ist. Die Geeignetheit, verstanden als medizinischer Nutzen, ist streng auf die obigen Versorgungsziele zu beziehen. Nur in dem Fall, dass allein ein Behinderungsausgleich als drittes mögliches Versorgungsziel mit dem Hilfsmittel erreicht werden soll (§ 33 Abs. 1 Satz 1, 3. Alternative SGB V), entscheidet allein die Funktionstauglichkeit gemessen an einer vom Hersteller vorgegebenen Zweckbestimmung auch darüber, ob das Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V geeignet ist. Demgegenüber muss der medizinische Nutzen bei Hilfsmitteln zur Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung wie auch zur Vorbeugung gegen eine drohende Behinderung unter Berücksichtigung des jeweiligen Behandlungskonzepts beurteilt werden (BSG, Urteil vom 12. August 2009 – B 3 KR 10/07 R Rn. 18; BSG, Urteil vom 8. Juli 2015 – B 3 KR 6/14 R Rn. 29 für die Aufnahme ins Hilfsmittelverzeichnis). Für das Galileo®-Therapiegerät liegt eine Beurteilung anhand des Behandlungskonzeptes deshalb nahe, weil es Teil einer eigenen Behandlungsmethode ist. Dabei ist es ohne Belang, ob die Anwendungsmöglichkeiten des Galileo®-Gerätes auf die Vibrationstherapie allein beschränkt sind, denn maßgebend ist das konkrete Behandlungskonzept. Nach dem Behandlungskonzept für den Kläger, wie es auch die Physiotherapeutin S in ihrem Behandlungsbericht vom 5. Oktober 2015 beschreibt, sollte das tägliche Training (Vibration) der Aktivierung und Kräftigung der Muskelgruppen dienen und entsprach dem Trainingsangebot von "Auf die Beine" in K. Teil dieses Behandlungskonzeptes, welches die Beklagte im Rahmen der integrierten Versorgung ihren Versicherten anbietet, ist aber das Vibrationstraining mit dem K Galileo® Geh- und Stehtrainer zur Optimierung der muskulären Leistungsfähigkeit (vgl. https://unireha.uk-koeln.de/kinder-jugendreha/behandlungskonzept-auf-die-beine/). Ausgehend davon hat das Sozialgericht sorgfältig Behandlungskonzept und Wirkweise der mit dem Galileo-Gerät auch im Fall des Klägers verfolgten Behandlungsmethode (Ganzkörpervibrationstherapie) ausgeführt.

Der Schutzzweck des § 135 SGB V, nämlich die Qualitätssicherung und Vermeidung von Gefahren, rechtfertigt es zudem, die Abgabe eines therapeutischen Gerätes an Versicherte zur selbst verantworteten Anwendung von einem positiven Votum des Gemeinsamen Bundesausschusses abhängig zu machen. Der Kläger kann sich insoweit nicht darauf berufen, dass das Galileo®-Gerät bereits im Rahmen der Physiotherapie und medizinischen Rehabilitation – auch bei ihm – zur Anwendung gelangt. Selbst wenn der Geräte-Einsatz in diesem Rahmen als medizinisch anerkannt gelten würde, muss die Sicherung der Qualität und der Wirtschaftlichkeit für die Anwendung der Versicherten in der Häuslichkeit von einer eigenen positiven Empfehlung nach § 135 SGB V abhängig gemacht werden. Werden technische Geräte, die bislang allein in den Praxen der Vertragsärzte oder von Physiotherapiepraxen eingesetzt wurden, an Patienten überlassen und sollen von diesen (zumindest auch) ohne Kontrolle und fachkundige Anleitung eingesetzt werden, so kann es im Vergleich zur Anwendung in der Physiotherapie bei der selbständigen Durchführung zu wesentlichen Änderungen hinsichtlich des medizinischen Nutzens und möglicher Risiken kommen (BSG, Urteil vom 8. Juli 2015 – B 3 KR 6/14 R Rn. 25/26 zum Einsatz von CAM-Schienen in der Häuslichkeit). Daher reicht es aus, wenn die Anwendung teilweise auch außerhalb der Physiotherapie und ohne Aufsicht durch Physiotherapeuten in der Häuslichkeit erfolgt. Allein dies rechtfertigt, den Einsatz nicht ohne vorheriges (positives) Votum des Gemeinsamen Bundesausschusses zu dieser speziellen Anwendung zuzulassen. Daher ist im Fall des Klägers nicht entscheidend, dass ausweislich der Angaben seiner Mutter im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht das Galileo®-Gerät ab Oktober 2015 bis Mitte 2016 auch als Teil der Physiotherapie, die bei ihm zuhause stattfand, von der Therapeutin eingesetzt wurde und danach im Rahmen der Ergotherapie. Entscheidend ist, dass das Gerät daneben auch ohne Anwesenheit der Physiotherapeutin und damit nicht als Teil ihrer verantworteten Therapie genutzt wurde. Die im Berufungsverfahren eingereichten Trainingspläne der behandelnden Physiotherapeutin S mit detaillierten Anweisungen zur einzelnen (täglichen) Anwendung) führen zu keiner anderen Betrachtung. Es bleibt zu konstatieren, dass der zum Zeitpunkt der Anschaffung im Juli 2015 erst zweijährige Kläger das Gerät ohne Aufsicht und Verantwortung durch die Physiotherapeutin nutzte.

Das BSG hat eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen ein Urteil des LSG Rheinland-Pfalz, welches die Versorgung eines Kindes mit einem Galileo®-Trainingsgerät unter Berufung auf ein fehlendes Votum des Gemeinsamen Bundesausschusses abgelehnt hat, nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 12. September 2019 – B 3 KR 84/18 B).

Keine andere Beurteilung folgt daraus, dass Galileo®-Geräte, vergleichbar demjenigen des Klägers, im Rahmen des interdisziplinären Behandlungskonzeptes für Kinder und Jugendliche mit eingeschränkter Bewegungsfähigkeit "Auf die Beine" zur Anwendung kommen. Das Programm wird auf der Grundlage von Verträgen der besonderen (integrierten) Versorgung nach § 140a SGB V mit der Beklagten durchgeführt. Das bindet die Beklagte im Verhältnis zum Kläger aber nicht i.S. eines Leistungsanspruchs. Gemäß § 140a Abs. 2 Satz 2 SGB V können die Selektivverträge zunächst Leistungen enthalten, die nach § 11 Abs. 6 auch Gegenstand von Satzungsleistungen sein können. Dies betrifft u.a. auch neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Diese Methoden dürfen nach § 140a Abs. 2 Satz 3, der sich insoweit primär auf diese Methoden beziehen dürfte, allerdings noch nicht durch Beschlüsse des G-BA von der Versorgung ausgeschlossen sein. Außerdem müssen sie im Vertrag konkret benannt werden (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 2. September 2011 – L 4 KR 1931/10 Rn. 40; Becker/Kingreen/Huster, 6. Aufl. 2018, SGB V § 140a Rn. 18). Die Regelung eröffnet insoweit in der ambulanten Behandlung einen größeren Spielraum zur Einbeziehung auch von nicht durch den Gemeinsamen Bundesausschuss ausdrücklich befürworteter Behandlungsmaßstäbe in die Versichertenversorgung (LSG Baden-Württemberg, aaO). Außerhalb der Verträge nach § 140a SGB V gilt dagegen weiter der Vorbehalt des § 135 SGB V. Wären die Krankenkassen wie die Beklagte allein durch den Abschluss solcher Verträge auch im Verhältnis zu anderen Versicherten zur Gewährung neuer Behandlungsmethoden gebunden, wäre Sinn und Zweck sowie die Effektivität dieser besonderen Versorgung praktisch gefährdet, da die Krankenkassen solche Verträge im Hinblick auf diese Folge vermeiden würden. Die Beklagte hat dem Kläger die Versorgung in dem Programm in K im Rahmen der integrierten Versorgung auch angeboten. Ob er das Programm hätte nutzen können, ist offen. Selbst dies führt aber nicht dazu, ihm außerhalb des Programmes ohne Bindung an die speziellen Kautelen des Vertrags über die integrierte Versorgung einen Leistungsanspruch zuzuerkennen. Auf die alternative Versorgung mit anerkannten Hilfsmitteln hat die Beklagte ihn unter Bezugnahme auf den MDK zeitnah im Verwaltungsverfahren hingewiesen.

Damit trifft im Fall des Klägers zu, was das BSG zur Nutzung und zum Anspruch auf Versorgung Versicherter (ebenfalls Kinder) mit Kopforthesen ausgeführt hat: "Ohne eine positive Empfehlung des GBA kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Einsatz des Hilfsmittels - unter Berücksichtigung möglicher Risiken und des Wirtschaftlichkeitsgebots - positive Wirkungen in Bezug auf Spätfolgen oder Folgeerkrankungen. mit sich bringt und deshalb zur Vorbeugung einer drohenden Behinderung objektiv geeignet sein könnte." (BSG, Urteil vom 11. Mai 2017 – B 3 KR 6/16 R –, Rn. 50)

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG), denn es handelt sich um einen Einzelfall und der Senat weicht nicht von der Rechtsprechung des BSG ab.
Rechtskraft
Aus
Saved