L 1 KR 455/17

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 211 KR 96/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 455/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Im Streit steht die Übernahme der Kosten für Hautstraffungsoperationen.

Die 1970 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie ließ sich im Mai 2012 in einer laporoskopischen Operation den Magen verkleinern (Sleeve-Gastrektomie). Ihr Körpergewicht fiel in der Folge von 105 kg auf 56 kg.

Sie beantragte am 23. September 2013 bei der Beklagten unter Einreichung eines Attestes des Zentrums für Chirurgie, Klinik für plastische, ästhetische und rekonstruktive Mikrochirurgie/Handchirurgie des Klinikum E-v-B die Übernahme der Kosten einer Resektion der Hautfettschürze abdominal (Pannikulektomie), Straffungen der Brüste, Oberarme und Oberschenkel. In dem Attest heißt es, besonders in der warmen Jahreszeit leide die Klägerin trotz guter Pflege und penibler Prophylaxe vier bis fünf mal jährlich unter intertriginösen Entzündungen unter den Brüsten und unter der Bauchfalte. Sie habe mitgeteilt, die durch die Hautüberschüsse entstandenen Hautirritationen behandele sie aufgrund ihrer beruflichen Erfahrung als Krankenschwester und in Absprache mit ihrer Hausärztin immer selbst. Als Hilfsmittel benutze sie Babypuder, Baumwolltücher oder im schwereren Fall Canesten. Außerdem seien sämtliche Hautüberschüsse mechanisch störend und schränkten bei alltäglichen Bewegungen ein. Zunächst werde eine Bauchfettschürzenresektion empfohlen. In einen weiteren Schritt werde eine Bruststraffung empfohlen. Über eine Oberarm- und Oberschenkelstraffung sei danach je nach Leidensdruck nachzudenken. Mit Schreiben vom 24. September 2013 schaltete die Beklagte den medizinischen Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e.V. (MDK) ein, ohne die Klägerin hierüber zu informieren. Dessen Gutachter G gelangte im sozialmedizinischen Gutachten nach Aktenlage vom 14. Oktober 2013 zu dem Ergebnis, dass die plastischen Operationen medizinisch nicht notwendig seien. Die beklagten Befunde könnten mit alltagsüblicher Kleidung ausreichend kaschiert werden.

Mit Bescheid vom 18. Oktober 2013 lehnte die Beklagte daraufhin die Kosten für die beantragten Straffungsoperationen ab. Den Widerspruch hiergegen wies die Beklagte nach Einholung eines weiteren sozialmedizinischen Gutachtens vom 15. November 2013 mit Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2013 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 14. Januar 2014 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Sie hat vorgetragen, durch die Gewichtsreduktion seien Hautlappen entstanden, insbesondere im Bereich der Brust und am Bauch. Dies habe dazu geführt, dass Bereiche in der Brustfalte und am Bauch permanent feucht seien. Dadurch entstünden regelmäßig wunde Stellen und Pilzinfektionen, die von starkem Juckreiz und Bläschenbildung begleitet sein. Teilweise seien die Hautregionen derart entzündet, dass das pure Fleisch offenliege. Dies trete regelmäßig ca. drei bis viermal pro Jahr über die gesamte Länge der Brust- und der Bauchfalte auf, verstärkt in den Sommermonaten. Bis diese Verletzungen rückstandslos verheilt seien, vergingen eineinhalb bis zwei Wochen. Dabei pflege sich die Klägerin penibel und gekonnt. Die Klägerin hat ärztliche Bescheinigungen des Frauenarztes Dr. B vom 30. Januar 2015 und der Hautärztin G vom 30. März 2015 eingereicht, ferner ein Attest der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie W vom 15. April 2015. Am 5. Januar 2016 hat der Gutachter des MDK G die Klägerin untersucht. Im Gutachten vom 11. Januar 2016 ist er erneut zu dem Ergebnis gelangt, dass für die beantragten Straffungsoperationen keine medizinische Notwendigkeit bestünde, auch wenn der Leidensdruck und die psychische Belastung deutlich geworden seien. Es sei allerdings sinnvoll, die körperliche Begutachtung im Sommer durchzuführen, wenn die von der Klägerin anamnestisch angegebenen submammären Hautentzündungen vorhanden seien und begutachtet werden könnten. Eine solche Untersuchung ist von der Gutachterin L des MDK am 14. September 2016 durchgeführt worden. Dabei hat sich unter den Brüsten eine hochrote, großflächige Hautrötung mit Überwärmung gezeigt. In ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 15. September 2016 hat die Gutachterin ausgeführt, bei der Hautrötung handele es sich um eine Momentaufnahme. Hinweis auf eine Schädigung der Haut durch Chronifizierung bestünden nicht. Eine schwere therapieresistente Dermatose läge nicht vor.

Das SG hat Befundberichte von dem Facharzt für Innere Medizin Dr. S, dem Arzt der Klinik für minimalinvasive Chirurgie Dr. S, der Fachärztin für Haut- und Geschlechtsleiden Dr. C, des Chefarztes Dr. G des E-v-B Klinikums, sowie der Fachärztin für Gynäkologie G und der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie W eingeholt. Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Facharzt für plastische Chirurgie und Handchirurgie Dr. G die Klägerin am 6. Juli 2017 untersucht und unter dem 7. Juli 2017 ein Sachverständigengutachten angefertigt. Er gelangt zum Ergebnis, eine medizinische Notwendigkeit für die begehrten Hautstraffungs-Operationen bestehe nach aktueller Rechtsprechung nicht. Sollten sich chronische Hautentzündungen bestätigen, sei aus seiner Sicht die medizinische Indikation zur Straffung der Brüste gegeben. Der Eingriff würde zusätzlich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Lebensqualität der Klägerin signifikant erhöhen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 27. September 2017 abgewiesen. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt, bei der Klägerin bestehe derzeit kein krankheitswertiger Hautüberschuss, der durch eine Straffungsoperation behandelt werden müsste. Dieser verursache keine körperliche Fehlfunktion. Ein regelwidriger Zustand und damit eine Krankheit ließe sich allenfalls auf dermatologischem Gebiet (Ekzem/Rötung/Pilzbildung) begründen. Ausweislich der erhobenen Befundberichte und Begutachtungen hätten in warmen Sommermonaten Hautrötungen auch objektiv festgestellt werden können, die jedoch dermatologisch behandelbar seien. Aus der psychischen Belastung folge keine Notwendigkeit einer Operation. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) seien solche Belastungen nicht mit chirurgischen Eingriffen in gesunde Körpersubstanz zu begegnen, sondern mit Mitteln der Psychiatrie und der Psychotherapie. Die Hautlappenüberschüsse seien auch nicht entstellend.

Gegen diese am 4. Oktober 2017 zugestellte Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin vom 2. November 2017. Zu deren Begründung hat die Klägerin ihr bisheriges Vorbringen wiederholt. Das SG gehe fehlerhaft davon aus, dass die begehrten Operationen lediglich auf ästhetischen Gründen beruhten. Die psychische Erkrankung der Klägerin bestehe trotz jahrelanger therapeutischer Behandlung fort. Hautstraffungen müssten von der Krankenkasse übernommen werden, wenn medizinische Gründe einen derartigen Eingriff rechtfertigten. Neben ständigen Entzündungen an der Unterbauchfalte zählten zu diesen funktionalen Gründen auch eine stark überhängende Fettschürze oder eine starke Gewichtsabnahme von mehr als 20 kg.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. September 2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die begehrte Hautstraffung am Bauch sowie an den Brüsten zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat Befundberichte von den behandelnden Ärzten für die Zeit ab Januar 2016 der behandelnden Dermatologin Dr. C vom 25. Februar 2019, des behandelnden Internisten Dr. S vom 28. Februar 2019. Auf die erwähnten ärztlichen Gutachten und Befundberichte samt den dazu eingereichten weiteren ärztlichen Unterlagen wird ergänzend Bezug genommen.

II.

Es konnte im Beschlusswege entschieden werden. Die Beteiligten sind hierauf letztmals mit Verfügung vom 2. Juli 2020 hingewiesen worden.

Der Berufung muss Erfolg versagt bleiben. Mit Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte, in einer oder mehrerer Operationen mit im Krankenhaus vorzunehmender Abdominalplastik/Fettschürzenresektion und Bruststraffung versorgt zu werden. Als Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin kommt allein § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V i. V. m. § 39 Abs. 1 SGB V in Betracht. Nach diesen Vorschriften besteht Anspruch auf Behandlung im Krankenhaus, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.

Die von der Klägerin begehrte Operationen sind jedoch nicht zur Behandlung einer Krankheit erforderlich. Als Krankheit ist ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand anzusehen, der einer ärztlichen Behandlung bedarf. Der Körperzustand der Klägerin ist regelwidrig, weil - wie von den gerichtlich beauftragten Gutachtern bestätigt und von der Beklagten nicht angezweifelt worden ist - sie nach einer starken Gewichtsabnahme mehrere Hautwülste am Körper trägt. Indessen ergibt sich aus dieser Regelwidrigkeit des Körperzustandes der Klägerin noch nicht notwendig auch die Behandlungsbedürftigkeit. Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung reicht nicht so weit, dass alle Versicherte Anspruch auf die (Wieder-)Herstellung eines äußeren Erscheinungsbildes hätten, das gängigen ästhetischen Vorstellungen entspricht. Nach der Rechtsprechung des BSG wird die Leistungspflicht der Krankenkassen bei der Korrektur anatomischer Besonderheiten dadurch begrenzt, dass entweder eine entstellende Wirkung vorliegen oder aber es zu einer Beeinträchtigung von Körperfunktionen gekommen sein muss (BSG v. 19. Oktober 2004 - B 1 KR 9/04 R - juris-Rdnr. 13). Eine entstellende Wirkung liegt nach der Rechtsprechung des BSG nur vor, wenn die anatomische Besonderheit bei einem Versicherten so ausgeprägt ist, dass sie von jedermann auf der Straße sofort bemerkt und als auffällig wahrgenommen wird, wenn ihm der Versicherte in Alltagskleidung begegnet (BSG v. 19. Oktober 2004 - B 1 KR 9/04 R - juris-Rdnr. 14). Diese Voraussetzung ist im Falle der Klägerin schon deswegen nicht gegeben, weil die Hautfalten üblicherweise durch Kleidung bedeckt werden. Auf das Erscheinungsbild der Klägerin in Badekleidung oder gar im unbekleideten Zustand kommt es nicht an. Von einer Entstellung ist demnach nach den übereinstimmenden Aussagen der ärztlichen Sachverständigen sowie der Behandler nicht auszugehen.

Die Hautfalten haben auch nicht zu einer Beeinträchtigung von Körperfunktionen geführt, welche den geplanten operativen Eingriff rechtfertigen könnte. Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V ist Krankenhausbehandlung erst zu leisten, wenn das Behandlungsziel nicht schon durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Der vom Gericht nach § 109 SGG beauftragte Gutachter Dr. G verneint eine medizinische Indikation für die operative Hautstraffungen aufgrund der dermatologischen Folge der Hautfalten unterhalb der Brüste und am Bauch. Hautirritationen konnte der Sachverständige bei der Vorstellung nicht diagnostizieren. Dass keine chronischen Dermatitiden bestünden, könne auf die gute, schnelle und konsequente Pflege der Klägerin als gelernte Krankenschwester zurückzuführen sein. Diese Bewertung deckt sich mit den Gutachten des MDK, in welchen ebenfalls chronische Hautirritationen verneint wurden. Ein anderes Bild ergibt sich auch nicht aufgrund der durch das SG und den Senat eingeholten Befundberichte sowie der von der Klägerin eingereichte Atteste. Durchgehend wird von fünf bis sechs mal im Jahr auftretenden Hautirritationen berichtet, welche jedoch durch die akkurat vorgenommene eigene Pflege in ca. eineinhalb Wochen wieder verschwinden. Anzeichen für Chronifizierung hat die MDK-Sachverständige L nicht feststellen können. Hierzu passt, dass die Klägerin nur ganz gelegentlich ihre Hautärztin aufsucht, welche in ihrem Befundbericht auf die hier interessierenden Hautirritationen gar nicht eingeht.

Auf die Ausführungen des SG wird im Übrigen ergänzend nach § 153 Abs. 2 SGG verwiesen.

Ein Anspruch auf die begehrten Operationen folgt zuletzt auch nicht aus § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V aufgrund einer Genehmigungsfiktion. Der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat seine diesbezügliche Rechtsprechung unlängst ausdrücklich aufgegeben. Hierauf hat die Beklagte bereits in ihrem jüngsten Schriftsatz hingewiesen. Eine fingierte Genehmigung (§ 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V) nach dem Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) begründet keinen eigenständigen Sachleistungsanspruch. Sie vermittelt dem Versicherten (nur) eine vorläufige Rechtsposition, die es ihm erlaubt, sich die Leistung selbst zu beschaffen und es der Krankenkasse nach erfolgter Selbstbeschaffung verbietet, eine beantrage Kostenerstattung mit der Begründung abzulehnen, nach allgemeinen Grundsätzen der GKV bestehe kein Rechtsanspruch auf die Leistung (BSG, Urteil vom 26. Mai 2020 –B 1 KR 9/18 R- zitiert nach dem Terminsbericht 19/20 unter Aufgabe von BSG, Urt. v. 08. März 2016 - B 1 KR 25/15 R - BSGE 121, 40 Rdnr. 25 und zuletzt BSG, Urt. v. 27. August 2019 - B 1 KR 36/18 R). Der weitere für Krankenversicherungsleistungen zuständige Senat des BSG hat sich dem ausdrücklich angeschlossen (Urteile des 3. Senats vom 19. Juni 2020 –B 3 KR 14/18 R, B 3 KR 6/19 R und B 3 KR 13/19 R-, zitiert nach dem Terminsbericht 21/20).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved