Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 169 KR 4213/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 12/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 79/20 B
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Verfahren durch Beschluss als unzulässig verworfen
Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom 29. November 2017 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Versorgung mit implantologischen Leistungen sowie einem implantatgestützten Zahnersatz.
Der Kläger ist 1956 geboren und bei der Beklagten krankenversichert. Er erhielt auf der Grundlage eines Heil- und Kostenplanes vom 6. November 2014 im Oberkiefer eine Interimsprothese.
Mit Schreiben vom 25. Februar 2015 beantragte er bei der Beklagten eine "andere Versorgung, auch außerhalb des Kassenvertrages", denn er sei mit dem Provisorium unzufrieden und bekomme immer Brechreiz, wenn dieses eingesetzt werde.
Die Beklagte verwies ihn am 3. März 2015 darauf, dass zeitnah eine endgültige Planung und Versorgung erfolgen sollte, für eine über die vertragszahnärztliche Versorgung hinausgehende Interimsprothese sei eine Kostenübernahme ausgeschlossen.
Der Kläger beantragte daraufhin unter dem 8. März 2015, ihm gemäß einem Heil- und Kostenplan mit Zahnimplantaten zu versorgen. Er leide seit dem 10. Lebensjahr unter einem empfindlichen Magen und habe seit dem 13. Lebensjahr Magengeschwüre. Seit der Versorgung mit der Interimsprothese bekomme er starken Brechreiz. Sein Arzt habe erklärt, dass der Brechreiz sowie Schwindelgefühle von der Halswirbelsäule herrührten. Außerdem leide er seit über einem Jahr an starken Schmerzen im rechten Ohr. Er übersandte neben dem Behandlungsplan vom 10. März 2015 eine ärztliche Stellungnahme der Ärzte für Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie und Plastische Operationen Dres. K/N vom 16. Juli 2015. Die Ärzte begründeten die Notwendigkeit einer Versorgung mit drei Implantaten im Oberkiefer, damit, dass ein Zahnersatz ohne Gaumenabdeckung befestigt werden könne. Es bestehe wegen des extremen Würgereizes eine Ausnahmeindikation.
Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme für eine Implantatbehandlung mit Bescheid vom 29. Juli 2015 einschließlich eines implantatgestützten Zahnersatzes als Sachleistung im Rahmen der medizinischen Gesamtbehandlung ab, weil die Voraussetzungen dafür nicht vorlägen. Eine Beteiligung der Krankenkassen an diesen Kosten einschließlich der Nebenleistungen sei nur in besonders schweren Fällen möglich, sofern eine der folgenden Indikationen vorliege und eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich sei:
-Größere Kiefer-oder Gesichtsdefekte, die ihre Ursache hätten in
• Tumoroperationen, • Entzündungen des Kiefers, • Operationen infolge von großen Zysten (z.B. große follikuläre Zysten oder Keratozysten), • Operationen infolge von Osteopathien, sofern keine Kontraindikation für eine Implantatversorgung vorliegt, • angeborenen Fehlbildungen des Kiefers (Lippen, Kiefer, Gaumenspalte, ektodermale Dysplasien) • in Unfällen,
-bei dauerhaft bestehender extremer Xerostomie (Mundtrockenheit), insbesondere im Rahmen einer Tumorbehandlung, -bei generalisierter genetischer Nichtanlage von Zähnen (Fehlen der Mehrzahl der Zähne je Kiefer) -sowie bei nicht willentlich beeinflussbaren muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich (z.B. Spastiken).
Die genannten Voraussetzungen lägen bei dem Kläger nicht vor.
Der Kläger erhob Widerspruch unter Übersendung eines Behandlungsplanes über die Versorgung mit vier Implantaten und einer Einzelrechnung der Zahnärzte Dres. C/T (über 58,51 Euro) und beantragte Kostenübernahme. Er habe infolge von acht Giftanschlägen zwischen 2005 und März 2014 fast alle Zähne verloren. Die provisorische Zahnprothese könne er maximal fünf Stunden tragen. Er sei ein Härtefall.
Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch den MDK (Dr. M). Der MDK-Gutachter kam in seinem Gutachten vom 1. Februar 2016 aufgrund einer Untersuchung am 26. Januar 2016 zu dem Ergebnis, dass insgesamt 16 Zähne fehlten, davon sieben im Oberkiefer. Es bestehe bei dem Kläger keine Ausnahmeindikation für eine Implantatversorgung. Der gutachterlich durchgeführte Provokationstest habe bei dem Kläger keinen extremen Würgereiz ausgelöst. Der Würgereflex habe seine Ursache nicht in einer neurologischen, sondern in einer psychologischen Erkrankung. Er gehöre damit nicht zu den im Ausnahmekatalog genannten Indikationen für eine Implantatversorgung. Bei Vorliegen einer psychologischen Intoleranz gegenüber dem eingegliederten Zahnersatz und entsprechend gelagerten Symptomen seien systematische Desensibilisierung des Patienten sowie Entspannungsübungen durch fachpsychiatrisches Personal notwendig. In diesem Fall bedürfe es einer interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Zahnarzt, Psychiater und Psychotherapeuten. Ein extremer Würgereiz habe im Rahmen der Begutachtung bei dem Kläger allerdings nicht festgestellt werden können.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16. März 2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger hat bereits am 14. Dezember 2015 Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben, am 22. März 2016 hat er explizit gegen den Widerspruchsbescheid der Beklagten Klage erhoben. Das Sozialgericht hat zwei Anträge auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt, die gegen den ersten Beschluss erhobene Beschwerde zum Landessozialgericht (L 1 KR 111/17 B PKH) ist erfolglos geblieben.
Das Sozialgericht hat die Klage - nach Anhörung der Beteiligten - mit Gerichtsbescheid vom 29. November 2017 abgewiesen. Der sinngemäße Antrag des Klägers, die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die Versorgung mit Implantaten in regio 4, 12,22 und 25 zu übernehmen, hilfsweise die Kosten für die Versorgung mit Implantaten in regio 4, 12,22 und 25 darlehensweise zu übernehmen, habe keinen Erfolg. Sämtliche Leistungen im Zusammenhang mit Implantaten, wie die Implantate selbst, die Implantataufbauten und die die Implantate bedingenden Verbindungselemente gehörten nicht zur zahnärztlichen Regelversorgung bei Suprakonstruktionen. Eine der vom Gemeinsamen Bundesausschuss festgelegten Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle, in denen Krankenkassen diese Leistungen einschließlich der Suprakonstruktion als Sachleistung im Rahmen der medizinischen Gesamtbehandlung erbrächten, liege bei dem Kläger nicht vor. Der vom Kläger und den Ärzten Dres. K/N angegebene Würge- bzw. Brechreiz bei Verwendung von Zahnprothesen stelle keine der aufgeführten Ausnahmeindikationen für die Versorgung mit Implantaten dar und stehe auch einer anerkannten Ausnahmeindikation nicht aus anderen Gründen gleich. Auch das Vorbringen des Klägers, dass ihm zwischenzeitlich weitere Zähne im Oberkiefer herausgefallen seien bzw. gezogen worden seien und eine Befestigung der Prothese nicht mehr möglich sei, führe zu keinem anderen Ergebnis. Die Ausnahmeindikationen seien nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts einer erweiternden Auslegung nicht zugänglich.
Der Kläger hat gegen den ihm am 12. Dezember 2017 zugestellten Gerichtsbescheid am 9. Januar 2018 Berufung sowie gegen den zweiten ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts über die Prozesskostenhilfe vom 29. November 2017 Beschwerde eingelegt und verfolgt sein Begehren weiter. Da ihm weitere Zähne verloren gegangen seien, sei eine Prothese nicht mehr möglich, da sie keinen Halt finde. Außerdem habe er 2017 einen Schlaganfall und Herzinfarkt erlitten.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 29. November 2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. Juli 2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn mit vier Implantaten im Oberkiefer gemäß dem Behandlungsplan der Ärzte Dres. K/N vom 10. März 2015 sowie einem implantatgestützten Zahnersatz zu versorgen (regio 14, 12, 22 und 25).
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die Gründe des Gerichtsbescheides. Der Senat hat die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 29. November 2017, mit dem dieses abgelehnt hat, dem Kläger Prozesskostenhilfe zu gewähren, mit Beschluss vom 22. Oktober 2018 zurückgewiesen. Der Senat hat die Verwaltungsakten der Deutschen Rentenversicherung Bund beigezogen und von den dem Arzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Dr. K einen Befundbericht eingeholt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Befundbericht vom 16. April 2019 Bezug genommen.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Entscheidungsfindung war.
Entscheidungsgründe:
I. Der Senat hat über die Berufung gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der Besetzung durch die Berichterstatterin und die ehrenamtliche Richterin und den ehrenamtlichen Richter entschieden, weil das Sozialgericht über die Klage durch Gerichtsbescheid entschieden und der Senat durch Beschluss vom 15. Mai 2019 die Berufung der Berichterstatterin zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern/Richterinnen übertragen hat.
II. Der Senat hält den Kläger zumindest für das vorliegende Verfahren für prozessfähig. Ein Beteiligter ist prozessfähig, soweit er sich durch Verträge verpflichten kann (§ 71 SGG). Die Prozessfähigkeit ist als Sachentscheidungsfähigkeit jederzeit von Amts wegen zu prüfen. Klagen von Prozessunfähigen, die nicht ordnungsgemäß vertreten sind, sind als unzulässig abzuweisen. Wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist, ist nicht geschäftsfähig (§ 104 Nr. 2 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB) und damit nicht prozessfähig. Die Voraussetzungen sind erfüllt, wenn ein Betroffener nicht mehr in der Lage ist, seine Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. Das ist dann der Fall, wenn die Willensbildung nicht auf rationalen Erwägungen beruht, sondern unkontrollierbaren Trieben oder Vorstellungen unterworfen ist. Allein die Diagnose einer auch gewichtigen psychischen Erkrankung reicht dagegen nicht aus. Vielmehr muss es auch nahe liegen, dass diese den Beteiligten daran hindert, seinen Willen frei auszuüben (Roller in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 71 SGG (Stand: 14.05.2020), Rn. 54). Gegen Geschäftsunfähigkeit spricht, wenn der Beteiligte - ggf. mit selbst organisierter Hilfe - seine gesamten wirtschaftlichen Angelegenheiten eigenständig regelt und mit dem Gericht zu korrespondieren in der Lage ist. Anhaltspunkte dafür, die Prozessfähigkeit des Klägers zu prüfen, bestehen, weil der Kläger in früheren Verfahren wegen Prozessunfähigkeit einen Verfahrenspfleger bestellt erhielt. So ordnete ihm das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg im Verfahren L 23 SO 355/15 (nachfolgend B 8 SO 73/18 B) einen Verfahrenspfleger bei, weil es von einer Prozessunfähigkeit ausging. Ausweislich des Betreuungsgutachtens R vom 5. April 2006 sowie Dr. B vom 30. Dezember 2011, welche der Senat der Akte der Deutschen Rentenversicherung Bund beigezogen hat, leidet der Kläger an einer paranoiden Psychose (Gutachten R) bzw. einer anhaltenden wahnhaften Störung (F.22, so Dr. B). Er selbst hält sich aber für in der Lage, einen Prozess zu führen, der Senat hat für das vorliegende Verfahren keine Anhaltspunkte, dass er das nicht kann. Der Kläger hat sein Begehren auf Implantatversorgung unzweideutig formuliert und es nachvollziehbar mit den vielen fehlenden Zähnen und einem bestehenden Würgereiz begründet. Er war auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in der Lage, den Ausführungen des Senats zu folgen und weitere Angaben zu seinem Gesundheitszustand zu machen und sein Anliegen sachgerecht zu vertreten. Ob er zu einem anderen Zeitpunkt oder im Hinblick auf andere Verfahren, z.B. betreffend sozialhilferechtliche Ansprüche, querulatorisch Anliegen verfolgt, ist für das mit dem Berufungsverfahren verfolgte Begehrten nicht ausschlaggebend. Auch die Beklagtenvertreterin konnte auf Anfrage des Senats im Termin von keinen entsprechend geführten Widerspruchs- und Klageverfahren gegen ihr Haus berichten (vgl. zur partiellen Prozessunfähigkeit bei Querulanz, Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/B. Schmidt, SGG, 13. Aufl. § 71 Rn. 6a).
III. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 153 Abs. 2 SGG).
Zu ergänzen und zu betonen bleibt auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens:
1. Ein Anspruch auf die begehrten Leistungen kann sich aus § 13 Abs. 3a Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) nicht ergeben. Gemäß § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachterliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Gelingt dies nicht fristgerecht und teilt sie Versicherten einen hinreichenden Grund nicht (innerhalb der Frist) mit, so gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich die Leistungsberechtigten nach Fristablauf eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (§ 13 Abs. 3a Sätze 5 bis 7 SGB V). Zwar ist im Fall des Klägers die o.g. Frist, ausgehend von seinem bei der Beklagten am 8. März 2015 eingegangenen Antrag, am 29. Juli 2015, dem Tag, an dem die Beklagte eine Entscheidung getroffen hat, abgelaufen gewesen. Die Beklagte hatte dem Kläger zuvor keinen hinreichenden Grund für eine Verzögerung mitgeteilt. Die auf § 13 Abs. 3a SGB V beruhende Genehmigungsfiktion begründet aber keinen eigenständigen Sachleistungsanspruch. Sie vermittelt nur eine vorläufige Rechtsposition, die zur Selbstbeschaffung berechtigt, und kann nur zu einem Anspruch auf Kostenerstattung bzw. Kostenfreistellung führen (jüngst: BSG, Urteile vom 19. Juni 2020, vgl. Terminbericht des BSG Nr. 21/20 in Abkehr von der Rechtsprechung des 3. Senates des BSG). Der Kläger begehrt mit seiner Klage weder eine Erstattung für aufgewendete Kosten noch Freistellung von Forderungen von Dritten, denen er wegen einer Selbstbeschaffung der Leistung ausgesetzt ist. Er hat sich die begehrte Implantatversorgung noch nicht beschafft und begehrt von der Beklagten die Erbringung der Leistung als Sachleistung.
2. Der Kläger hat auch im Ergebnis der durch den Senat unternommenen Ermittlungen keinen Anspruch auf Versorgung oder die Kostenübernahme für eine Implantatversorgung und implantatgestützten Zahnersatz. Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, ist für ihn eine Ausnahmeindikation auch unter Berücksichtigung der im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen nicht nachgewiesen.
a. Implantologische Leistungen zählen nur in engen Ausnahmefällen zu den Leistungen, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V (i.d.F. durch Art 1 Nr 14 Buchst a Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung - Gesundheitsstrukturgesetz vom 21. Dezember 1992, BGBl I 2266, in Kraft seit dem 1. Januar 1993) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u.a. zahnärztliche Behandlung und die Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a SGB V). Die zahnärztliche Behandlung ihrerseits umfasst die Tätigkeit des Zahnarztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist; sie umfasst auch konservierend-chirurgische Leistungen und Röntgenleistungen, die im Zusammenhang mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen erbracht werden. Welche Tätigkeiten des Zahnarztes i.S. des § 28 Abs. 2 Satz 1 SGB V zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig sind, konkretisiert die BehandlRL-ZÄ (Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses - GBA - für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (Behandlungsrichtlinie) vom 4. Juni 2003/24. September 2003 mit nachfolgenden Änderungen, zuletzt vom 1. März 2006, BAnz Nr 111 vom 17. Juni 2006, S. 4466, mit Wirkung vom 18. Juni 2006) auf der Grundlage des § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V. § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V (in der Fassung seit dem GMG vom 14. November 2003, BGBl I 2190, mit Wirkung vom 1. Januar 2004). Implantologische Leistungen sind von der zahnärztlichen Behandlung grundsätzlich ausgeschlossen (§ 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V). Versicherte haben ausnahmsweise gleichwohl in seltenen, vom GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V festzulegenden Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle Anspruch auf implantologische Leistungen, wenn sie einschließlich der Suprakonstruktion im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung als Sachleistung zu erbringen sind (zum Ganzen vgl. BSG, Urteil vom 4. März 2014 - B 1 KR 6/13 R, Rn. 9 ff.). b. Ausgehend von der BehandlRL-ZÄ. die unter Abschnitt B. VII. 2. Satz 4 Ausnahmeindikationen für Implantate und Suprakonstruktionen i.S. von § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V vorsieht, ist für den Kläger keine der Ausnahmeindikationen nachgewiesen, worauf das Sozialgericht zutreffend hingewiesen hat.
Allein in Betracht kommt in seinem Fall die Ausnahmeindikation nach Ziff. VII 2. lit. d) der o.g. BehandlRL-ZÄ, wonach besonders schwere Fälle, die eine Ausnahmeindikation für Implantate und Suprakonstruktionen begründen, die "nicht willentlich beeinflussbaren muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich (z.B. Spastiken) sind. Hingegen kommt lit c), wonach eine genetisch bedingte Nichtanlage von Zähnen gegeben sein muss, nicht in Betracht. Der Kläger gibt an, die Zähne im Laufe seines Lebens verloren zu haben. Es muss somit nicht geprüft werden, ob die Anzahl der beim Kläger fehlenden Zähnen der "Nichtanlage" gleichstehen könnte (BSG, Urteil vom 13. Juli 2004 - B 1 KR 37/02 R).
Im Hinblick auf Ziff. VII 2. lit d) ist bereits zweifelhaft, ob der Würge- oder Brechreiz eine nicht willentlich beeinflussbare muskuläre Fehlfunktion im Mund- und Gesichtsbereich ist oder bereits deshalb nicht erfasst ist, weil er als vegetativ oder psychomotorisch bedingte Störung der Rachenmuskulatur einzuordnen ist (so LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17. Juli 2014, L 5 KR 26/14, auch zum Folgenden). Ein Würgereiz oder Rachenreflex des Menschen ist primär ein normaler Abwehrmechanismus, der das Eindringen von Fremdkörpern in den Rachen (Pharynx), den Kehlkopf (Larynx) oder die Luftröhre (Trachea) verhindern kann und der durch ein taktiles Stimulieren des weichen Gaumens, der Zunge und von Teilen des Rachens ausgelöst wird. Dieser physiologische Reflex wird durch den Parasympathikus des vegetativen Nervensystems kontrolliert und ist dem Nervus glossopharyngeus und dem Nervus vagus zugeordnet. Über diese beiden Nerven werden intraorale Reize in die Medulla oblongata (Hirnstamm) geleitet und das Brechzentrum gereizt. Dies führt zu einem reflektorischen Anheben der Zunge und einer Kontraktion der Rachenmuskulatur. Folglich ist der Rachen betroffen und nicht der o.g. Mund- und Gesichtsbereich, wie es z.B. bei Spastiken der Fall ist. Vom Würgereiz ist nicht der Mund- und Gesichtsbereich, sondern der Schlundbereich, also der Halsbereich betroffen (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17. Juli 2014, L 5 KR 26/14, so auch LSG Hessen, Urteil vom 2. Juli 2009, L 1 KR 197/07 - juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. Februar 2010, L 16 B 44/09 KR - juris; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Februar 2011, L 9 KR 34/11 B ER - juris; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28. März 2017 - L 11 KR 3687/16 -, Rn. 37, juris; nachfolgend: BSG, Beschluss vom 1. November 2017 - B 1 KR 27/17 B, juris)
Zu den nicht willentlich beeinflussbaren muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich gehört zudem eine psychologisch bedingte Fehlunktion wie ein psychogen verursachter Würgereiz nicht ohne Weiteres. Der Leitfaden der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung für den implantologischen Gutachter (3. Auflage 2014, aktualisiert am 1. Juli 2018) führt dazu aus:
"Muskuläre Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich, die nicht willentlich beeinflussbar sind (z. B. Spastiken) können dazu führen, dass schleimhautgetragene Totalprothesen im Munde des Patienten keinen Halt finden. Die Aufnahme der muskulären Fehlfunktionen in die Ausnahmeindikationen für implantologische Leistungen erfolgte seinerzeit vor dem Hintergrund, dass in solchen Fällen bei den Patienten die Gefahr besteht, dass sie ihre Prothese verschlucken oder aspirieren. Auf eine eingehendere Definition der Ausnahmeindikation wurde bewusst verzichtet, da es hier im Einzelfall für die Beurteilung eines etwaigen Anspruchs auf Implantatversorgung als Sachleistung primär darauf ankommt, ob mit den Fehlfunktionen gesundheitliche Risiken verbunden sind, die eine konventionelle prothetische Versorgung nicht erlauben."
Für den Kläger ist - gemessen daran - eine neurologische muskuläre Fehlfunktion nicht nachgewiesen. Bereits nach dem MDK-Gutachten Dr. M vom 1. Februar 2016 war ein extremer Würgereiz durch den gutachterlich ausgelösten Provokationstest nicht auslösbar. Auch der behandelnde Arzt Dr. K teilt in seinem Befundbericht an den Senat vom 16. April 2019 mit, dass dem Würgereiz keine neurologische Erkrankung zugrunde liegt, sondern eine psychologische Erkrankung. Es liegt nach seinem Bekunden eine "psychogene Prothesenintoleranz" vor. Diese Einschätzung beruht auf einer zuletzt im Januar 2018 durch den Arzt erfolgten Behandlung in Gestalt einer Entfernung von (weiteren) Zähnen unter Lokalanästhesie. Daraus ergibt sich, dass die vom Kläger 2017 erlittenen Erkrankungen des Herzinfarkts und Schlaganfalles keine andere Beurteilung des Arztes rechtfertigen. Eine Gleichstellung der psychogenen mit der muskulär-neurologischen Fehlfunktion des Mund- und Gesichtsbereiches verbietet sich im Hinblick auf die Enge der Ausnahmeindikationen und der Tatsache, dass diese sich einer erweiternden Auslegung entziehen (dazu sogleich unter c.). Selbst wenn die psychogene Prothesenintoleranz in Gestalt des Würgereizes aber gleichzustellen wäre, fehlt es an der weiteren Voraussetzung der Ausnahmeindikation der Ziff. VII. 2. der BehandlRL-ZÄ, wonach eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich sein darf. Dies ist für den Kläger nicht nachgewiesen. Der vom Senat schriftlich befragte Arzt Dr. K hält eine alternative Behandlung des Würgereflexes durch eine systematische Desensibilisierung, Entspannungsübungen trotz der Vorerkrankungen des Klägers (Alkoholkrankheit und Schizophrenie) für grundsätzlich möglich, wenn auch mit unsicherer Prognose behaftet (vgl. Antwort auf Frage 3. a) des Senats vom 16. April 2019).
c. Einer ausdehnenden, ergänzenden Auslegung der Ausnahmeindikationen auf weitere Fallgruppen hat das Bundessozialgericht eine Absage erteilt (vgl. Urteil vom 4. März 2014 - B 1 KR 6/13 R, Rn. 13 ff.)
Der Ausnahmeindikation liegt eine medizinische Gesamtbehandlung zugrunde. Diese setzt sich aus verschiedenen human- und zahnmedizinischen notwendigen Bestandteilen zusammen, ohne sich in einem dieser Teile zu erschöpfen. Nicht die Wiederherstellung der Kaufunktion im Rahmen eines zahnärztlichen Gesamtkonzepts, sondern ein darüber hinausgehendes medizinisches Gesamtziel muss der Behandlung ihr Gepräge geben. Der Anspruch besteht danach nicht bereits dann, wenn Implantate zahnmedizinisch geboten sind. Eine medizinische Gesamtbehandlung liegt somit nicht schon dann vor, wenn dem Behandlungsplan des Zahnarztes ein Gesamtkonzept zur Wiederherstellung der Kaufunktion des Patienten zu entnehmen ist (BSG, Urteil vom 04. März 2014 - B 1 KR 6/13 R -, Rn. 14). Auch eine drohende Zahnlosigkeit begründet keine (weitere) Ausnahmeindikation (BSG, aaO, Rn. 17).
Implantologische Leistungen, die der Abstützung von Zahnersatz dienen sollen, sind "im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung" (nur dann) als Sachleistung zu erbringen, wenn sie notwendiger Teil einer medizinischen Gesamtbehandlung sind. Eine solche medizinische Gesamtbehandlung muss sich aus verschiedenen, nämlich aus human- und zahnmedizinischen notwendigen Bestandteilen zusammensetzen, ohne sich in einem dieser Teile zu erschöpfen. Nicht die Wiederherstellung der Kaufunktion im Rahmen eines zahnärztlichen Gesamtkonzepts, sondern ein darüber hinausgehendes medizinisches Gesamtziel muss der Behandlung ihr Gepräge geben. Versicherte sollen auf implantologische Leistungen einschließlich der Suprakonstruktion nicht schon dann Anspruch haben, wenn es allein oder auch nur hauptsächlich darum geht, Versicherten einen Zahnersatz zu ermöglichen, weil andere Behandlungsmöglichkeiten zur Ersetzung fehlender Zähne nicht bestehen. Der Anspruch besteht nur dann, wenn darüber hinausgehende Behandlungsziele verfolgt werden (BSG, Urteil vom 7. Mai 2013 - B 1 KR 19/12 R -, Rn. 9). Eine medizinische Gesamtbehandlung liegt demgemäß nicht schon dann vor, wenn dem Behandlungsplan des Zahnarztes ein Gesamtkonzept zur Wiederherstellung der Kaufunktion des Patienten zu entnehmen ist (§ 2 Abs 1 S 1 SGB V, dazu BSG, aaO, Rn. 11 - 13, 15). Wenn die Ermöglichung der Abstützung von Zahnersatz durch Implantate das einzige oder das hauptsächliche Behandlungsziel ist, sind die Kosten des Implantats vielmehr vom Versicherten nach den allgemeinen Regelungen eigenverantwortlich zu tragen. Ausgehend davon dient die Implantatversorgung, die der Kläger begehrt, in seinem Fall allein der Wiederherstellung der Kaufunktion. Sie ist nicht in eine gesamthafte Behandlung eingebettet.
d. Die Ablehnung einer Implantatversorgung verletzt den Kläger schließlich nicht in seinen Grundrechten. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl. nur Urteil vom 2. September 2014, B 1 KR 12/13 R - juris), welcher der Senat folgt, verstoßen die gesetzliche Regelung des § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V und die darauf beruhende BehandlRL-ZÄ mit den dort geregelten Ausnahmeindikationen in einem Fall wie demjenigen des Klägers nicht gegen verfassungsrechtliche Vorgaben. Welche Behandlungsmaßnahmen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen und welche nicht, unterliegt aus verfassungsrechtlicher Sicht einem weiten gesetzgeberischen Ermessen (BSG, Urteil vom 2. September 2014, B 1 KR 12/13 R - juris). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus einer grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheiten. Selbst Zahnlosigkeit stellt insoweit keine durch das Vorliegen einer durch nahe Lebensgefahr gekennzeichneten individuellen Notlage dar; der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch ist auf extreme Situationen einer krankheitsbedingten Lebensgefahr beschränkt (BVerfG, Beschluss vom 10. November 2015, 1 BvR 2056/12 - juris). Soweit § 2 Abs. 1a SGB V neben lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich Erkrankungen einen - verfassungsrechtlich nicht gebotenen - Anspruch bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen auch bei wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankungen gewährt, erreicht selbst drohende Zahnlosigkeit keinen vergleichbaren Schweregrad (BSG, Urteil vom 2. September 2014, B 1 KR 12/13 R - juris; Urteil vom 4. März 2014, B 1 KR 6/13 R - juris; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28. März 2017 - L 11 KR 3687/16 -, Rn. 39, juris)
Besteht bereits kein Anspruch auf implantologische Leistungen an sich, so besteht auch kein solcher auf implantatgestützten Zahnersatz.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Versorgung mit implantologischen Leistungen sowie einem implantatgestützten Zahnersatz.
Der Kläger ist 1956 geboren und bei der Beklagten krankenversichert. Er erhielt auf der Grundlage eines Heil- und Kostenplanes vom 6. November 2014 im Oberkiefer eine Interimsprothese.
Mit Schreiben vom 25. Februar 2015 beantragte er bei der Beklagten eine "andere Versorgung, auch außerhalb des Kassenvertrages", denn er sei mit dem Provisorium unzufrieden und bekomme immer Brechreiz, wenn dieses eingesetzt werde.
Die Beklagte verwies ihn am 3. März 2015 darauf, dass zeitnah eine endgültige Planung und Versorgung erfolgen sollte, für eine über die vertragszahnärztliche Versorgung hinausgehende Interimsprothese sei eine Kostenübernahme ausgeschlossen.
Der Kläger beantragte daraufhin unter dem 8. März 2015, ihm gemäß einem Heil- und Kostenplan mit Zahnimplantaten zu versorgen. Er leide seit dem 10. Lebensjahr unter einem empfindlichen Magen und habe seit dem 13. Lebensjahr Magengeschwüre. Seit der Versorgung mit der Interimsprothese bekomme er starken Brechreiz. Sein Arzt habe erklärt, dass der Brechreiz sowie Schwindelgefühle von der Halswirbelsäule herrührten. Außerdem leide er seit über einem Jahr an starken Schmerzen im rechten Ohr. Er übersandte neben dem Behandlungsplan vom 10. März 2015 eine ärztliche Stellungnahme der Ärzte für Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie und Plastische Operationen Dres. K/N vom 16. Juli 2015. Die Ärzte begründeten die Notwendigkeit einer Versorgung mit drei Implantaten im Oberkiefer, damit, dass ein Zahnersatz ohne Gaumenabdeckung befestigt werden könne. Es bestehe wegen des extremen Würgereizes eine Ausnahmeindikation.
Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme für eine Implantatbehandlung mit Bescheid vom 29. Juli 2015 einschließlich eines implantatgestützten Zahnersatzes als Sachleistung im Rahmen der medizinischen Gesamtbehandlung ab, weil die Voraussetzungen dafür nicht vorlägen. Eine Beteiligung der Krankenkassen an diesen Kosten einschließlich der Nebenleistungen sei nur in besonders schweren Fällen möglich, sofern eine der folgenden Indikationen vorliege und eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich sei:
-Größere Kiefer-oder Gesichtsdefekte, die ihre Ursache hätten in
• Tumoroperationen, • Entzündungen des Kiefers, • Operationen infolge von großen Zysten (z.B. große follikuläre Zysten oder Keratozysten), • Operationen infolge von Osteopathien, sofern keine Kontraindikation für eine Implantatversorgung vorliegt, • angeborenen Fehlbildungen des Kiefers (Lippen, Kiefer, Gaumenspalte, ektodermale Dysplasien) • in Unfällen,
-bei dauerhaft bestehender extremer Xerostomie (Mundtrockenheit), insbesondere im Rahmen einer Tumorbehandlung, -bei generalisierter genetischer Nichtanlage von Zähnen (Fehlen der Mehrzahl der Zähne je Kiefer) -sowie bei nicht willentlich beeinflussbaren muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich (z.B. Spastiken).
Die genannten Voraussetzungen lägen bei dem Kläger nicht vor.
Der Kläger erhob Widerspruch unter Übersendung eines Behandlungsplanes über die Versorgung mit vier Implantaten und einer Einzelrechnung der Zahnärzte Dres. C/T (über 58,51 Euro) und beantragte Kostenübernahme. Er habe infolge von acht Giftanschlägen zwischen 2005 und März 2014 fast alle Zähne verloren. Die provisorische Zahnprothese könne er maximal fünf Stunden tragen. Er sei ein Härtefall.
Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch den MDK (Dr. M). Der MDK-Gutachter kam in seinem Gutachten vom 1. Februar 2016 aufgrund einer Untersuchung am 26. Januar 2016 zu dem Ergebnis, dass insgesamt 16 Zähne fehlten, davon sieben im Oberkiefer. Es bestehe bei dem Kläger keine Ausnahmeindikation für eine Implantatversorgung. Der gutachterlich durchgeführte Provokationstest habe bei dem Kläger keinen extremen Würgereiz ausgelöst. Der Würgereflex habe seine Ursache nicht in einer neurologischen, sondern in einer psychologischen Erkrankung. Er gehöre damit nicht zu den im Ausnahmekatalog genannten Indikationen für eine Implantatversorgung. Bei Vorliegen einer psychologischen Intoleranz gegenüber dem eingegliederten Zahnersatz und entsprechend gelagerten Symptomen seien systematische Desensibilisierung des Patienten sowie Entspannungsübungen durch fachpsychiatrisches Personal notwendig. In diesem Fall bedürfe es einer interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Zahnarzt, Psychiater und Psychotherapeuten. Ein extremer Würgereiz habe im Rahmen der Begutachtung bei dem Kläger allerdings nicht festgestellt werden können.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16. März 2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger hat bereits am 14. Dezember 2015 Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben, am 22. März 2016 hat er explizit gegen den Widerspruchsbescheid der Beklagten Klage erhoben. Das Sozialgericht hat zwei Anträge auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt, die gegen den ersten Beschluss erhobene Beschwerde zum Landessozialgericht (L 1 KR 111/17 B PKH) ist erfolglos geblieben.
Das Sozialgericht hat die Klage - nach Anhörung der Beteiligten - mit Gerichtsbescheid vom 29. November 2017 abgewiesen. Der sinngemäße Antrag des Klägers, die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die Versorgung mit Implantaten in regio 4, 12,22 und 25 zu übernehmen, hilfsweise die Kosten für die Versorgung mit Implantaten in regio 4, 12,22 und 25 darlehensweise zu übernehmen, habe keinen Erfolg. Sämtliche Leistungen im Zusammenhang mit Implantaten, wie die Implantate selbst, die Implantataufbauten und die die Implantate bedingenden Verbindungselemente gehörten nicht zur zahnärztlichen Regelversorgung bei Suprakonstruktionen. Eine der vom Gemeinsamen Bundesausschuss festgelegten Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle, in denen Krankenkassen diese Leistungen einschließlich der Suprakonstruktion als Sachleistung im Rahmen der medizinischen Gesamtbehandlung erbrächten, liege bei dem Kläger nicht vor. Der vom Kläger und den Ärzten Dres. K/N angegebene Würge- bzw. Brechreiz bei Verwendung von Zahnprothesen stelle keine der aufgeführten Ausnahmeindikationen für die Versorgung mit Implantaten dar und stehe auch einer anerkannten Ausnahmeindikation nicht aus anderen Gründen gleich. Auch das Vorbringen des Klägers, dass ihm zwischenzeitlich weitere Zähne im Oberkiefer herausgefallen seien bzw. gezogen worden seien und eine Befestigung der Prothese nicht mehr möglich sei, führe zu keinem anderen Ergebnis. Die Ausnahmeindikationen seien nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts einer erweiternden Auslegung nicht zugänglich.
Der Kläger hat gegen den ihm am 12. Dezember 2017 zugestellten Gerichtsbescheid am 9. Januar 2018 Berufung sowie gegen den zweiten ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts über die Prozesskostenhilfe vom 29. November 2017 Beschwerde eingelegt und verfolgt sein Begehren weiter. Da ihm weitere Zähne verloren gegangen seien, sei eine Prothese nicht mehr möglich, da sie keinen Halt finde. Außerdem habe er 2017 einen Schlaganfall und Herzinfarkt erlitten.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 29. November 2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. Juli 2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn mit vier Implantaten im Oberkiefer gemäß dem Behandlungsplan der Ärzte Dres. K/N vom 10. März 2015 sowie einem implantatgestützten Zahnersatz zu versorgen (regio 14, 12, 22 und 25).
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die Gründe des Gerichtsbescheides. Der Senat hat die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 29. November 2017, mit dem dieses abgelehnt hat, dem Kläger Prozesskostenhilfe zu gewähren, mit Beschluss vom 22. Oktober 2018 zurückgewiesen. Der Senat hat die Verwaltungsakten der Deutschen Rentenversicherung Bund beigezogen und von den dem Arzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Dr. K einen Befundbericht eingeholt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Befundbericht vom 16. April 2019 Bezug genommen.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Entscheidungsfindung war.
Entscheidungsgründe:
I. Der Senat hat über die Berufung gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der Besetzung durch die Berichterstatterin und die ehrenamtliche Richterin und den ehrenamtlichen Richter entschieden, weil das Sozialgericht über die Klage durch Gerichtsbescheid entschieden und der Senat durch Beschluss vom 15. Mai 2019 die Berufung der Berichterstatterin zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern/Richterinnen übertragen hat.
II. Der Senat hält den Kläger zumindest für das vorliegende Verfahren für prozessfähig. Ein Beteiligter ist prozessfähig, soweit er sich durch Verträge verpflichten kann (§ 71 SGG). Die Prozessfähigkeit ist als Sachentscheidungsfähigkeit jederzeit von Amts wegen zu prüfen. Klagen von Prozessunfähigen, die nicht ordnungsgemäß vertreten sind, sind als unzulässig abzuweisen. Wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist, ist nicht geschäftsfähig (§ 104 Nr. 2 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB) und damit nicht prozessfähig. Die Voraussetzungen sind erfüllt, wenn ein Betroffener nicht mehr in der Lage ist, seine Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. Das ist dann der Fall, wenn die Willensbildung nicht auf rationalen Erwägungen beruht, sondern unkontrollierbaren Trieben oder Vorstellungen unterworfen ist. Allein die Diagnose einer auch gewichtigen psychischen Erkrankung reicht dagegen nicht aus. Vielmehr muss es auch nahe liegen, dass diese den Beteiligten daran hindert, seinen Willen frei auszuüben (Roller in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 71 SGG (Stand: 14.05.2020), Rn. 54). Gegen Geschäftsunfähigkeit spricht, wenn der Beteiligte - ggf. mit selbst organisierter Hilfe - seine gesamten wirtschaftlichen Angelegenheiten eigenständig regelt und mit dem Gericht zu korrespondieren in der Lage ist. Anhaltspunkte dafür, die Prozessfähigkeit des Klägers zu prüfen, bestehen, weil der Kläger in früheren Verfahren wegen Prozessunfähigkeit einen Verfahrenspfleger bestellt erhielt. So ordnete ihm das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg im Verfahren L 23 SO 355/15 (nachfolgend B 8 SO 73/18 B) einen Verfahrenspfleger bei, weil es von einer Prozessunfähigkeit ausging. Ausweislich des Betreuungsgutachtens R vom 5. April 2006 sowie Dr. B vom 30. Dezember 2011, welche der Senat der Akte der Deutschen Rentenversicherung Bund beigezogen hat, leidet der Kläger an einer paranoiden Psychose (Gutachten R) bzw. einer anhaltenden wahnhaften Störung (F.22, so Dr. B). Er selbst hält sich aber für in der Lage, einen Prozess zu führen, der Senat hat für das vorliegende Verfahren keine Anhaltspunkte, dass er das nicht kann. Der Kläger hat sein Begehren auf Implantatversorgung unzweideutig formuliert und es nachvollziehbar mit den vielen fehlenden Zähnen und einem bestehenden Würgereiz begründet. Er war auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in der Lage, den Ausführungen des Senats zu folgen und weitere Angaben zu seinem Gesundheitszustand zu machen und sein Anliegen sachgerecht zu vertreten. Ob er zu einem anderen Zeitpunkt oder im Hinblick auf andere Verfahren, z.B. betreffend sozialhilferechtliche Ansprüche, querulatorisch Anliegen verfolgt, ist für das mit dem Berufungsverfahren verfolgte Begehrten nicht ausschlaggebend. Auch die Beklagtenvertreterin konnte auf Anfrage des Senats im Termin von keinen entsprechend geführten Widerspruchs- und Klageverfahren gegen ihr Haus berichten (vgl. zur partiellen Prozessunfähigkeit bei Querulanz, Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/B. Schmidt, SGG, 13. Aufl. § 71 Rn. 6a).
III. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 153 Abs. 2 SGG).
Zu ergänzen und zu betonen bleibt auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens:
1. Ein Anspruch auf die begehrten Leistungen kann sich aus § 13 Abs. 3a Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) nicht ergeben. Gemäß § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachterliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Gelingt dies nicht fristgerecht und teilt sie Versicherten einen hinreichenden Grund nicht (innerhalb der Frist) mit, so gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich die Leistungsberechtigten nach Fristablauf eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (§ 13 Abs. 3a Sätze 5 bis 7 SGB V). Zwar ist im Fall des Klägers die o.g. Frist, ausgehend von seinem bei der Beklagten am 8. März 2015 eingegangenen Antrag, am 29. Juli 2015, dem Tag, an dem die Beklagte eine Entscheidung getroffen hat, abgelaufen gewesen. Die Beklagte hatte dem Kläger zuvor keinen hinreichenden Grund für eine Verzögerung mitgeteilt. Die auf § 13 Abs. 3a SGB V beruhende Genehmigungsfiktion begründet aber keinen eigenständigen Sachleistungsanspruch. Sie vermittelt nur eine vorläufige Rechtsposition, die zur Selbstbeschaffung berechtigt, und kann nur zu einem Anspruch auf Kostenerstattung bzw. Kostenfreistellung führen (jüngst: BSG, Urteile vom 19. Juni 2020, vgl. Terminbericht des BSG Nr. 21/20 in Abkehr von der Rechtsprechung des 3. Senates des BSG). Der Kläger begehrt mit seiner Klage weder eine Erstattung für aufgewendete Kosten noch Freistellung von Forderungen von Dritten, denen er wegen einer Selbstbeschaffung der Leistung ausgesetzt ist. Er hat sich die begehrte Implantatversorgung noch nicht beschafft und begehrt von der Beklagten die Erbringung der Leistung als Sachleistung.
2. Der Kläger hat auch im Ergebnis der durch den Senat unternommenen Ermittlungen keinen Anspruch auf Versorgung oder die Kostenübernahme für eine Implantatversorgung und implantatgestützten Zahnersatz. Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, ist für ihn eine Ausnahmeindikation auch unter Berücksichtigung der im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen nicht nachgewiesen.
a. Implantologische Leistungen zählen nur in engen Ausnahmefällen zu den Leistungen, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V (i.d.F. durch Art 1 Nr 14 Buchst a Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung - Gesundheitsstrukturgesetz vom 21. Dezember 1992, BGBl I 2266, in Kraft seit dem 1. Januar 1993) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u.a. zahnärztliche Behandlung und die Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a SGB V). Die zahnärztliche Behandlung ihrerseits umfasst die Tätigkeit des Zahnarztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist; sie umfasst auch konservierend-chirurgische Leistungen und Röntgenleistungen, die im Zusammenhang mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen erbracht werden. Welche Tätigkeiten des Zahnarztes i.S. des § 28 Abs. 2 Satz 1 SGB V zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig sind, konkretisiert die BehandlRL-ZÄ (Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses - GBA - für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (Behandlungsrichtlinie) vom 4. Juni 2003/24. September 2003 mit nachfolgenden Änderungen, zuletzt vom 1. März 2006, BAnz Nr 111 vom 17. Juni 2006, S. 4466, mit Wirkung vom 18. Juni 2006) auf der Grundlage des § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V. § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V (in der Fassung seit dem GMG vom 14. November 2003, BGBl I 2190, mit Wirkung vom 1. Januar 2004). Implantologische Leistungen sind von der zahnärztlichen Behandlung grundsätzlich ausgeschlossen (§ 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V). Versicherte haben ausnahmsweise gleichwohl in seltenen, vom GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V festzulegenden Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle Anspruch auf implantologische Leistungen, wenn sie einschließlich der Suprakonstruktion im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung als Sachleistung zu erbringen sind (zum Ganzen vgl. BSG, Urteil vom 4. März 2014 - B 1 KR 6/13 R, Rn. 9 ff.). b. Ausgehend von der BehandlRL-ZÄ. die unter Abschnitt B. VII. 2. Satz 4 Ausnahmeindikationen für Implantate und Suprakonstruktionen i.S. von § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V vorsieht, ist für den Kläger keine der Ausnahmeindikationen nachgewiesen, worauf das Sozialgericht zutreffend hingewiesen hat.
Allein in Betracht kommt in seinem Fall die Ausnahmeindikation nach Ziff. VII 2. lit. d) der o.g. BehandlRL-ZÄ, wonach besonders schwere Fälle, die eine Ausnahmeindikation für Implantate und Suprakonstruktionen begründen, die "nicht willentlich beeinflussbaren muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich (z.B. Spastiken) sind. Hingegen kommt lit c), wonach eine genetisch bedingte Nichtanlage von Zähnen gegeben sein muss, nicht in Betracht. Der Kläger gibt an, die Zähne im Laufe seines Lebens verloren zu haben. Es muss somit nicht geprüft werden, ob die Anzahl der beim Kläger fehlenden Zähnen der "Nichtanlage" gleichstehen könnte (BSG, Urteil vom 13. Juli 2004 - B 1 KR 37/02 R).
Im Hinblick auf Ziff. VII 2. lit d) ist bereits zweifelhaft, ob der Würge- oder Brechreiz eine nicht willentlich beeinflussbare muskuläre Fehlfunktion im Mund- und Gesichtsbereich ist oder bereits deshalb nicht erfasst ist, weil er als vegetativ oder psychomotorisch bedingte Störung der Rachenmuskulatur einzuordnen ist (so LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17. Juli 2014, L 5 KR 26/14, auch zum Folgenden). Ein Würgereiz oder Rachenreflex des Menschen ist primär ein normaler Abwehrmechanismus, der das Eindringen von Fremdkörpern in den Rachen (Pharynx), den Kehlkopf (Larynx) oder die Luftröhre (Trachea) verhindern kann und der durch ein taktiles Stimulieren des weichen Gaumens, der Zunge und von Teilen des Rachens ausgelöst wird. Dieser physiologische Reflex wird durch den Parasympathikus des vegetativen Nervensystems kontrolliert und ist dem Nervus glossopharyngeus und dem Nervus vagus zugeordnet. Über diese beiden Nerven werden intraorale Reize in die Medulla oblongata (Hirnstamm) geleitet und das Brechzentrum gereizt. Dies führt zu einem reflektorischen Anheben der Zunge und einer Kontraktion der Rachenmuskulatur. Folglich ist der Rachen betroffen und nicht der o.g. Mund- und Gesichtsbereich, wie es z.B. bei Spastiken der Fall ist. Vom Würgereiz ist nicht der Mund- und Gesichtsbereich, sondern der Schlundbereich, also der Halsbereich betroffen (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17. Juli 2014, L 5 KR 26/14, so auch LSG Hessen, Urteil vom 2. Juli 2009, L 1 KR 197/07 - juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. Februar 2010, L 16 B 44/09 KR - juris; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Februar 2011, L 9 KR 34/11 B ER - juris; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28. März 2017 - L 11 KR 3687/16 -, Rn. 37, juris; nachfolgend: BSG, Beschluss vom 1. November 2017 - B 1 KR 27/17 B, juris)
Zu den nicht willentlich beeinflussbaren muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich gehört zudem eine psychologisch bedingte Fehlunktion wie ein psychogen verursachter Würgereiz nicht ohne Weiteres. Der Leitfaden der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung für den implantologischen Gutachter (3. Auflage 2014, aktualisiert am 1. Juli 2018) führt dazu aus:
"Muskuläre Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich, die nicht willentlich beeinflussbar sind (z. B. Spastiken) können dazu führen, dass schleimhautgetragene Totalprothesen im Munde des Patienten keinen Halt finden. Die Aufnahme der muskulären Fehlfunktionen in die Ausnahmeindikationen für implantologische Leistungen erfolgte seinerzeit vor dem Hintergrund, dass in solchen Fällen bei den Patienten die Gefahr besteht, dass sie ihre Prothese verschlucken oder aspirieren. Auf eine eingehendere Definition der Ausnahmeindikation wurde bewusst verzichtet, da es hier im Einzelfall für die Beurteilung eines etwaigen Anspruchs auf Implantatversorgung als Sachleistung primär darauf ankommt, ob mit den Fehlfunktionen gesundheitliche Risiken verbunden sind, die eine konventionelle prothetische Versorgung nicht erlauben."
Für den Kläger ist - gemessen daran - eine neurologische muskuläre Fehlfunktion nicht nachgewiesen. Bereits nach dem MDK-Gutachten Dr. M vom 1. Februar 2016 war ein extremer Würgereiz durch den gutachterlich ausgelösten Provokationstest nicht auslösbar. Auch der behandelnde Arzt Dr. K teilt in seinem Befundbericht an den Senat vom 16. April 2019 mit, dass dem Würgereiz keine neurologische Erkrankung zugrunde liegt, sondern eine psychologische Erkrankung. Es liegt nach seinem Bekunden eine "psychogene Prothesenintoleranz" vor. Diese Einschätzung beruht auf einer zuletzt im Januar 2018 durch den Arzt erfolgten Behandlung in Gestalt einer Entfernung von (weiteren) Zähnen unter Lokalanästhesie. Daraus ergibt sich, dass die vom Kläger 2017 erlittenen Erkrankungen des Herzinfarkts und Schlaganfalles keine andere Beurteilung des Arztes rechtfertigen. Eine Gleichstellung der psychogenen mit der muskulär-neurologischen Fehlfunktion des Mund- und Gesichtsbereiches verbietet sich im Hinblick auf die Enge der Ausnahmeindikationen und der Tatsache, dass diese sich einer erweiternden Auslegung entziehen (dazu sogleich unter c.). Selbst wenn die psychogene Prothesenintoleranz in Gestalt des Würgereizes aber gleichzustellen wäre, fehlt es an der weiteren Voraussetzung der Ausnahmeindikation der Ziff. VII. 2. der BehandlRL-ZÄ, wonach eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich sein darf. Dies ist für den Kläger nicht nachgewiesen. Der vom Senat schriftlich befragte Arzt Dr. K hält eine alternative Behandlung des Würgereflexes durch eine systematische Desensibilisierung, Entspannungsübungen trotz der Vorerkrankungen des Klägers (Alkoholkrankheit und Schizophrenie) für grundsätzlich möglich, wenn auch mit unsicherer Prognose behaftet (vgl. Antwort auf Frage 3. a) des Senats vom 16. April 2019).
c. Einer ausdehnenden, ergänzenden Auslegung der Ausnahmeindikationen auf weitere Fallgruppen hat das Bundessozialgericht eine Absage erteilt (vgl. Urteil vom 4. März 2014 - B 1 KR 6/13 R, Rn. 13 ff.)
Der Ausnahmeindikation liegt eine medizinische Gesamtbehandlung zugrunde. Diese setzt sich aus verschiedenen human- und zahnmedizinischen notwendigen Bestandteilen zusammen, ohne sich in einem dieser Teile zu erschöpfen. Nicht die Wiederherstellung der Kaufunktion im Rahmen eines zahnärztlichen Gesamtkonzepts, sondern ein darüber hinausgehendes medizinisches Gesamtziel muss der Behandlung ihr Gepräge geben. Der Anspruch besteht danach nicht bereits dann, wenn Implantate zahnmedizinisch geboten sind. Eine medizinische Gesamtbehandlung liegt somit nicht schon dann vor, wenn dem Behandlungsplan des Zahnarztes ein Gesamtkonzept zur Wiederherstellung der Kaufunktion des Patienten zu entnehmen ist (BSG, Urteil vom 04. März 2014 - B 1 KR 6/13 R -, Rn. 14). Auch eine drohende Zahnlosigkeit begründet keine (weitere) Ausnahmeindikation (BSG, aaO, Rn. 17).
Implantologische Leistungen, die der Abstützung von Zahnersatz dienen sollen, sind "im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung" (nur dann) als Sachleistung zu erbringen, wenn sie notwendiger Teil einer medizinischen Gesamtbehandlung sind. Eine solche medizinische Gesamtbehandlung muss sich aus verschiedenen, nämlich aus human- und zahnmedizinischen notwendigen Bestandteilen zusammensetzen, ohne sich in einem dieser Teile zu erschöpfen. Nicht die Wiederherstellung der Kaufunktion im Rahmen eines zahnärztlichen Gesamtkonzepts, sondern ein darüber hinausgehendes medizinisches Gesamtziel muss der Behandlung ihr Gepräge geben. Versicherte sollen auf implantologische Leistungen einschließlich der Suprakonstruktion nicht schon dann Anspruch haben, wenn es allein oder auch nur hauptsächlich darum geht, Versicherten einen Zahnersatz zu ermöglichen, weil andere Behandlungsmöglichkeiten zur Ersetzung fehlender Zähne nicht bestehen. Der Anspruch besteht nur dann, wenn darüber hinausgehende Behandlungsziele verfolgt werden (BSG, Urteil vom 7. Mai 2013 - B 1 KR 19/12 R -, Rn. 9). Eine medizinische Gesamtbehandlung liegt demgemäß nicht schon dann vor, wenn dem Behandlungsplan des Zahnarztes ein Gesamtkonzept zur Wiederherstellung der Kaufunktion des Patienten zu entnehmen ist (§ 2 Abs 1 S 1 SGB V, dazu BSG, aaO, Rn. 11 - 13, 15). Wenn die Ermöglichung der Abstützung von Zahnersatz durch Implantate das einzige oder das hauptsächliche Behandlungsziel ist, sind die Kosten des Implantats vielmehr vom Versicherten nach den allgemeinen Regelungen eigenverantwortlich zu tragen. Ausgehend davon dient die Implantatversorgung, die der Kläger begehrt, in seinem Fall allein der Wiederherstellung der Kaufunktion. Sie ist nicht in eine gesamthafte Behandlung eingebettet.
d. Die Ablehnung einer Implantatversorgung verletzt den Kläger schließlich nicht in seinen Grundrechten. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl. nur Urteil vom 2. September 2014, B 1 KR 12/13 R - juris), welcher der Senat folgt, verstoßen die gesetzliche Regelung des § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V und die darauf beruhende BehandlRL-ZÄ mit den dort geregelten Ausnahmeindikationen in einem Fall wie demjenigen des Klägers nicht gegen verfassungsrechtliche Vorgaben. Welche Behandlungsmaßnahmen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen und welche nicht, unterliegt aus verfassungsrechtlicher Sicht einem weiten gesetzgeberischen Ermessen (BSG, Urteil vom 2. September 2014, B 1 KR 12/13 R - juris). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus einer grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheiten. Selbst Zahnlosigkeit stellt insoweit keine durch das Vorliegen einer durch nahe Lebensgefahr gekennzeichneten individuellen Notlage dar; der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch ist auf extreme Situationen einer krankheitsbedingten Lebensgefahr beschränkt (BVerfG, Beschluss vom 10. November 2015, 1 BvR 2056/12 - juris). Soweit § 2 Abs. 1a SGB V neben lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich Erkrankungen einen - verfassungsrechtlich nicht gebotenen - Anspruch bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen auch bei wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankungen gewährt, erreicht selbst drohende Zahnlosigkeit keinen vergleichbaren Schweregrad (BSG, Urteil vom 2. September 2014, B 1 KR 12/13 R - juris; Urteil vom 4. März 2014, B 1 KR 6/13 R - juris; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28. März 2017 - L 11 KR 3687/16 -, Rn. 39, juris)
Besteht bereits kein Anspruch auf implantologische Leistungen an sich, so besteht auch kein solcher auf implantatgestützten Zahnersatz.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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