L 8 SO 21/20 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 7 SO 29/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 8 SO 21/20 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 20. Mai 2020 geändert und die Beschlussformel neu gefasst: Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 29. April 2020 wird für den Zeitraum bis zum 6. Mai 2020 ohne Sicherheitsleistung und für den Zeitraum vom 7. Mai bis zum 12. Juni 2020 gegen Sicherheitsleistung in Höhe von insgesamt 2.000,00 EUR angeordnet. Die Sicherheitsleistung kann durch schriftliche, unwiderrufliche, unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts oder durch Hinterlegung von Geld oder solchen Wertpapieren bewirkt werden, die nach § 234 Abs. 1 und 3 Bürgerliches Gesetzbuch zur Sicherheitsleistung geeignet sind. Im Übrigen wird der Antrag der Antragstellerin abgelehnt.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu einem Drittel zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragsgegners hat nur teilweise Erfolg. Das Gericht entscheidet nach § 86b Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss der Berufsrichter, da ein über das allgemeine Eilbedürfnis des einstweiligen Rechtsschutzes hinausgehendes Eilbedürfnis, das eine Entscheidung durch den Berichterstatter rechtfertigen könnte, nicht ersichtlich ist.

Das Rechtsmittel des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Halle ist zulässig. Die Beschwerde ist nach § 172 Abs. 1 SGG statthaft. Die Statthaftigkeit des Rechtsmittels ist insbesondere nicht gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift ist die Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht gegeben, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre. Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt, soweit die Berufung nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Der Senat hat hier das Begehren der Antragstellerin, ihr - im Rahmen der Zielvereinbarung vom 25. Juli 2019 und des im Namen des Antragsgegners erlassenen Bescheides des Burgenlandkreises vom 6. August 2019 - Leistungen der Eingliederungshilfe vom 1. Mai bis zum 31. Juli 2020 als Persönliches Budget in Höhe von monatlich 1.758,50 EUR vorläufig zu zahlen, zugrunde gelegt. Die am 26. Juni 2020 bei dem Senat eingegangene Beschwerde des Antragsgegners ist formgerecht und, ausgehend von der Zustellung des Beschlusses des Sozialgerichts Halle bei dem Antragsgegner am 28. Mai 2020, fristgerecht eingelegt worden (§ 173 SGG).

Der Senat ist gehalten gewesen, die wiederstreitenden Interessen der Beteiligten im Rahmen des effektiven Rechtsschutzes durch die in der Beschlussformel enthaltene Regelung in Einklang zu bringen.

Wesentlich für die vorliegende Entscheidung ist, ob und ab welchem Zeitpunkt die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage nach § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG entfallen ist. Soweit die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage (d.h. nicht des Widerspruchs) nach § 86a Abs. 2 Nr. 3 SGG in Angelegenheiten der Sozialversicherung entfällt, werden hiervon die Angelegenheiten der Sozialhilfe nicht erfasst (vgl. z.B. unter Hinweis auf § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 und 5 SGG: Richter in JurisPraxiskommentar zum SGG (JurisPK SGG), § 86a RdNr. 41). Im Übrigen regelt § 93 Abs. 3 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe - SGB XII) die aufschiebende Wirkung durch Bundesgesetz im Sinne des § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG für den Bereich der Sozialhilfe abschließend und erfasst damit nicht den vorliegenden Sachverhalt. Soweit die aufschiebende Wirkung nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG in Fällen entfällt, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten ist und die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, die sofortige Vollziehung mit schriftlicher Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung anordnet, ist umstritten, ob die Entscheidung der Behörde oder Widerspruchbehörde nur mit Wirkung für die Zukunft ("ex nunc") erfolgen oder Rückwirkung (Wirkung "ex tunc") entfalten kann (eine Wirkung ex tunc in besonderen Fällen bejahend für die Gewährung von Hilflosenpflegegeld: Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin, Beschluss vom 23. Oktober 1996 - 6 S 203/96 -, NVwZ-RR 1997, 575, 575 f.; für Aufwandsentschädigung und Auslandstrennungsgeld: OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. Oktober 2001 - 1 B 943/01 -, juris, RdNr. 11 ff.; eine Rückwirkung unter Hinweis auf das Gebot des effektiven Rechtsschutzes verneinend: z.B. Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 10. August 2006 - L 8 SO 69/06 ER -, juris, RdNr. 9 ff. m.w.N.; und Bezug nehmend auf diese Entscheidung Richter in JurisPK SGG, § 86a RdNr. 64).

Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen, und nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 dieser Vorschrift in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung oder die Anordnung der sofortigen Vollziehung kann nach § 86b Abs. 1 Satz 3 SGG mit Auflagen versehen oder befristet werden. Dabei betrifft diese Regelung auch solche Fälle, in denen die Behörde die sofortige Vollziehung nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG angeordnet hat (h.M.: vgl. statt aller Richter in JurisPK SGG, § 86b RdNr. 197). Für die Auflage in diesem Sinne gilt die Definition aus § 32 Abs. 2 Nr. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X), wobei die Anwendungsvoraussetzungen dieser Regelung durch die prozessuale Regelung verdrängt werden (ähnlich Wahrendorf in Roos/Wahrendorf, SGG Kommentar, § 86b Rn. 130). Als Auflage in diesem Sinne kommt im Rahmen der Interessenabwägung insbesondere eine Sicherheitsleistung in Betracht, soweit ein Obsiegen in der Hauptsache nicht überwiegend wahrscheinlich und ein späterer Erstattungsanspruch der Behörde nicht realisierbar sein dürfte (vgl. z.B. Bundesverfassungsgericht (Kammer), Beschluss vom 3. Dezember 1998 - 1 BvR 592/97 -, juris, RdNr. 3 ff.). Dabei stellte der Senat im Rahmen der Abwägung der Interessen auf die Regelung zur Sicherheitsleistung in § 108 Zivilprozessordnung ab (vgl. zur Anwendung im Geltungsbereich des SGG: z.B. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. März 2010 - L 4 R 768/10 ER-B -, juris, RdNr. 25). Da die Antragstellerin für das vorliegende Beschwerdeverfahren die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht beantragt hat, liegen dem Senat keine Anhaltspunkte vor, die gegen die Auflage einer Sicherheitsleistung sprechen. Insoweit ist auch zu berücksichtigen gewesen, dass die Eltern von Minderjährigen Geld im Rahmen ihrer Stellung als gesetzliche Vertreter sicher anzulegen haben.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch den Antragsgegner genügt hier insbesondere in Bezug auf die Begründung des besonderen Interesses der Behörde den gesetzlichen Anforderungen. Die ohne die sofortige Vollziehung vorzunehmende Weiterzahlung von Eingliederungshilfe im Rahmen eines Persönlichen Budgets bei der nach summarischer Prüfung hier rechtmäßigen Kündigung der Zielvereinbarung begründet ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Einstellung der Zahlungen.

In Bezug auf den Zeitraum nach Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheides vom 29. April 2020 in dem (bei summarischer Prüfung des elektronisch generierten Zustellungsnachweises) am 13. Juni 2020 zugestellten Widerspruchsbescheid vom 12. Juni 2020 fehlen Gesichtspunkte, die ein Festhalten an der Entscheidung des Sozialgerichts - nun unter dem Gesichtspunkt nicht der Feststellung, sondern der Anordnung der aufschiebenden Wirkung - rechtfertigen könnten.

In Bezug auf den Zeitraum vom 1. Mai 2020 bis zur Bekanntgabe des Bescheides vom 29. April 2020 am 7. Mai 2020 sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache als offen zu betrachten. Ob eine Änderung des Bescheides des Burgenlandkreises vom 6. August 2019 mit Wirkung für die Vergangenheit, d.h. für den Zeitraum vom 1. bis zum 6. Mai 2020, rechtmäßig ist, kann der Senat aktuell nicht entscheiden.

In Bezug auf den Zeitraum nach der von dem Antragsgegner ausgesprochenen Kündigung der Zielvereinbarung vom 25. Juli 2019 und der Aufhebung des Bescheides vom 6. August 2019 mit dem hier am 7. Mai 2020 bekannt gegebenen Bescheid vom 29. April 2020 bis zur Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheides vom 29. April 2020 in dem am 13. Juni 2020 zugestellten Widerspruchsbescheid vom 12. Juni 2020 hält der Senat eine Absicherung des Antragsgegners gegen den bei dem Unterliegen der Antragstellerin in der Hauptsache wahrscheinlichen Erstattungsanspruch durch die Anordnung der Sicherheitsleistung für ausreichend. Damit wird sowohl den dogmatischen Grunderwägungen zur sofortigen Vollziehung als auch dem Sicherungsinteresse der Behörde hinreichend Rechnung getragen. Die Sicherheitsleistung ist ausgehend von dem Monatsbetrag des Persönlichen Budgets für den Zeitraum vom 7. Mai bis zum 12. Juni 2020 berechnet worden, wobei berücksichtigt worden ist, dass in der Vergangenheit der Monatsbetrag an den Leistungserbringer als Pauschale, d.h. anscheinend ohne Abrechnung der Schulanwesenheitstage, gezahlt worden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache. Insoweit ist die zunächst von der Antragstellerin ohne Erfolg eingelegte Beschwerde zu berücksichtigen. Die Beschwerde des Antragsgegners hatte nur teilweise Erfolg.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar, § 177 SGG.

gez. Klamann gez. Dr. Fischer gez. Hüntemeyer

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Rechtskraft
Aus
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