S 87 KA 175/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
87
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 87 KA 175/18
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Ermächtigungstatbestand des § 31 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV gilt unabhängig davon, ob vor Ablauf der 15 beziehungsweise 18 Monate Daueraufenthalt und Übergang in des GKV System eine psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlung begonnen wurde.
Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2 bis 6, die diese selbst tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer an die Beigeladene zu 1) erteilten Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragspsychotherapeutischen Versorgung von Geflüchteten.

Die Beigeladene zu 1) ist seit dem 4. Mai 2017 als Psychologische Psychotherapeutin approbiert mit dem Nachweis der Weiterbildung Verhaltenstherapie Behandlung von Erwachsenen. Seit dem 9. Juni 2017 ist sie in das Arztregister eingetragen.

Am 30. Mai 2017 beantragte sie die Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragspsychotherapeutischen Versorgung von Geflüchteten nach § 95 Abs. 4 SGB V, § 31 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV. Sie begründete diesen Antrag damit, dass sie muttersprachlich Persisch und Farsi spreche und daher viele Geflüchtete ohne Dolmetscher behandeln könne.

Mit Beschluss vom 31. Oktober 2017 lehnte der Zulassungsausschuss den Antrag ab und begründete dies im Wesentlichen damit, dass die Beigeladene zu 1) nicht nachgewiesen habe, dass sie bereits Geflüchtete im Rahmen des Kostenerstattungsverfahrens behandelt habe, deren Behandlung nun nach Ablauf von 15 Monaten dauerhaften Aufenthalts fortgeführt werden solle.

Aufgrund des eingelegten Widerspruchs der Beigeladenen zu 1) erteilte der Beklagte die Ermächtigung zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung von Geflüchteten für den Zeitraum 1 Juli 2018 bis 30. Juni 2020 im Umfang der Auskunft der Abteilung Qualitätssicherung der KV Berlin vom 29. August 2017. Insoweit wird auf die Anlage zum Beschluss verwiesen.

Gegen diesen Beschluss hat die Klägerin am 7. August 2018 Klage erhoben.

Am 24. Oktober 2018 hat der Beklagte für den Beschluss vom 20. Juni 2018 die vorläufige Vollziehbarkeit angeordnet.

Am 2. Juli 2020 hat der Zulassungsausschuss erneut über die Ermächtigung der Beigeladenen zu 1) entschieden. Der Beschluss liegt noch nicht vor.

Die Klägerin trägt vor, dass die Rechtsgrundlage für die Erteilung der Ermächtigung zur Behandlung Geflüchteter nach § 31 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV begrenzt sei, auf die Fälle, in denen nachgewiesen würde, dass die Behandlung der Geflüchteten bereits vor Ablauf der 15 Monate begonnen und fortgeführt werde. Der Wortlaut der Vorschrift gehe über den Sinn und Zweck hinaus, der sich aus der Gesetzesbegründung (BR-Drs 447/15) ergebe. Sinn und Zweck der Einführung der Ermächtigungsgrundlage sei allein die Vermeidung drohender Versorgungsbrüche gewesen, jedoch nicht ein privilegierter Zugang zur psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung bei Übernahme in das System der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die Norm sei daher teleologisch zu reduzieren. Die Ermächtigung komme nur zum Tragen, wenn bereits vor dem Übergang in das GKV System nach § 264 Abs. 2SGB V nach 15 Monaten Aufenthalt eine Behandlung stattgefunden habe.

Nachdem die Klägerin zunächst beantragt hat, den Beschluss des Beklagten vom 20. Juni 2018 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, über die Ermächtigung der Frau T. zur vertragspsychologischen Versorgung von Geflüchteten gemäß § 31 Abs. 1 S. 2 Ärzte-Zv i.V.m. § 2 Asylbewerberleistungsgesetz, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts, erneut zu entscheiden, beantragt sie nunmehr,

festzustellen, dass der Beschluss des Berufungsausschusses vom 20. Juni 2018 rechtswidrig war.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, dass der die Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 S. 2 Ärzte ZV gegeben seien. Ein Ausschlussgrund könne nicht aus der Gesetzesbegründung hergeleitet werden, da sich dafür im Wortlaut kein Anhaltspunkt finde. Der Wille des Gesetzgebers sei nur dann für die Auslegung von Bedeutung, wenn der Wortlaut nicht eindeutig sei. Dies sei aber nicht der Fall.

Die Beigeladenen zu 1) beantragt schriftlich,

die Klage abzuweisen.

Die Beigeladene zu 1) trägt vor, dass die Ermächtigung auch unter Beachtung der Gesetzesbegründung zu erteilen sei. Eine Beschränkung auf konkrete Behandlungsfälle, in denen ein Versorgungsbruch erst entstehen könne, sei im Tatbestand der Vorschrift nicht geregelt. Es ginge nicht um die Fortführung von Behandlungen, die bereits 15 Monate andauerten, sondern um die Behandlung von Geflüchteten, die begonnen worden sei, ohne dass diese im GKV System gewesen seien. Die Auslegung der Klägerin erfordere eine Entscheidung in jedem Einzelfall.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen, die dem Gericht vorgelegen hat und Gegenstand der mündlichen Verhandlung sowie der geheimen Beratung geworden ist.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte in Abwesenheit der Beigeladenen zu 2) bis 6) verhandeln und entscheiden, weil diese in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind, § 126 SGG.

Die Kammer hat in der Besetzung mit je einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte und der Krankenkassen verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts nach § 12 Abs. 3 S. 1 SGG handelt.

Streitgegenstand des Verfahrens ist allein der Beschluss des Beklagten vom20. Juni 2018, da er den Beschluss des Zulassungsausschusses ersetzt (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl, § 95 Rn 2 b mwN).

Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 131 Abs. 2 S. 3 SGG zulässig. Die streitgegenständliche Ermächtigung war bis 30. Juni 2020 befristet und hat sich während des Klageverfahrens erledigt. Die von der Klägerin beantragte Umstellung von der Anfechtungs- auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage stellt keine Klageänderung i.S.d. § 99 SGG dar (Wolff-Dellen in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Auflage § 131 Rn 5; BSG, Urteil vom 11. Dezember 2002, B 6 KA 32/01 R Rn 22f.).

Die Klägerin kann auch das für die Zulässigkeit notwendige Fortsetzungsfeststellungsinteresse geltend machen, denn es besteht eine Wiederholungsgefahr. Eine solche ist dann anzunehmen, wenn bei im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen die Gefahr der Wiederholung des beanstandeten Verwaltungsaktes besteht. Das BSG nimmt eine solche Wiederholungsgefahr im Falle der Erledigung bedarfsabhängiger Ermächtigungen an, wenn Änderungen in den bedarfsrelevanten Tatsachenumständen ausgeschlossen erscheinen und die Ermächtigungsentscheidung ansonsten maßgeblich von Rechtsfragen abhängt, die voraussichtlich künftig wieder relevant werden (BSG, Urteil vom 11. Februar 2002, B 6 KA 32/01 R; Urteil vom 1. Juli 1998, B 6 KA 64/97 R). Das ist vorliegend gegeben. Die Beigeladene zu 1) hat eine weitere Ermächtigung beantragt, über die mit Beschluss des Zulassungsausschusses vom 2. Juli 2020 entschieden wurde. Entscheidend für den Umfang ist die Rechtsfrage der Auslegung der Ermächtigungsgrundlage des § 31 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV.

Die Klage ist aber unbegründet. Der angegriffene Beschluss des Beklagten vom 20. Juni 2018 war rechtmäßig. Die Beigeladene zu 1) hatte einen Anspruch auf Erteilung der Ermächtigung zur vertragspsychotherapeutischen Behandlung Geflüchteter nach § 31 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV.

Gemäß § 95 Abs. 4 SGB V, § 31 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV in der Fassung vom 24. Oktober 2015 sind Ärzte mit einer für die Behandlung erforderlichen abgeschlossenen Weiterbildung sowie psychosoziale Einrichtungen mit einer fachlich-medizinischen ständigen ärztlichen Leitung vom Zulassungsausschuss auf Antrag zur ambulanten psychotherapeutischen und psychiatrischen Versorgung von Empfängern laufender Leistungen nach § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, zu ermächtigen.

Die Norm eröffnet kein Ermessen der Zulassungsausschüsse, sondern regelt einen gebundenen Anspruch.

Nach dem Wortlaut setzt die Norm allein voraus, dass die Behandelten Empfänger laufender Leistungen nach § 2 AsylbLG sind und die in der Norm genannten Traumata erlitten haben. Nach § 2 Abs. 1 AsylbLG ist das SGB XII und der Teil 2 SGB IX auf Leistungsberechtigte nach AsylbLG anzuwenden, die sich seit 18 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Bis zur Fassung vom 15. August 2019 des AsylbLG war eine Dauer von 15 Monaten des Aufenthaltes Voraussetzung.

Der Wortlaut des § 31 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV setzte mit der Verweisung auf § 2 AsylbLG also allein voraus, dass sich die Geflüchteten bereits 15 beziehungsweise nunmehr 18 Monate dauerhaft in Deutschland aufgehalten haben. Eine in dieser Zeit bereits begonnene psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlung setzt der Wortlaut nicht voraus.

Auch die Gesetzesbegründung gibt diese Beschränkung, anders als von der Klägerin vorgetragen, nicht her. Insoweit wird die Gesetzesbegründung in der Bundesrats-Drucksache 447/15 vom 29. September 2015 in den Kommentaren nur unvollständig zitiert (vgl. Düring in Schallen. Ärzte-ZV § 31 Rn 15 f.).

Bereits auf Seite 1 und 7 der Gesetzesbegründung (BR-DS 447/15 vom 29. September 2015) wird als Ziel der Ergänzung des § 31 Abs. 1 Ärzte-ZV die Stärkung der Versorgungsangebote im System der gesetzlichen Krankenversicherung genannt, um eine sichere und kontinuierliche Behandlung der Betroffenen zu gewährleisten und damit der stark zunehmenden Zahl an Asylsuchenden und Flüchtlingen mit einem besonderen psychotherapeutischen und psychiatrischen Behandlungsbedarf gerecht zu werden und daneben auch die weiterhin bedarfsgerechte allgemeine vertragsärztliche Versorgung der Bevölkerung insgesamt zu gewährleisten. Auch im Besonderen Teil auf S. 14 ff. der Gesetzesbegründung heißt es zuerst:

"Mit der Neuregelung werden die bestehenden Versorgungsangebote durch eine Erweiterung der geltenden Ermächtigungstatbestände ausgebaut."

Im Weiteren wird ausgeführt, dass der gestiegene Bedarf für die Flüchtlingsversorgung mit Ermächtigungen sichergestellt werden soll, in dem die Zulassungsausschüsse verpflichtet werden, für bestimmte Leistungserbringer auf Antrag eine Ermächtigung zu erteilen.

Erst nach diesen Ausführungen wird in der Gesetzesbegründung erläutert, warum auf Leistungsempfänger nach § 2 AsylbLG Bezug genommen wird. Das liegt daran dass Leistungsempfänger nach AsylbLG erst nach 15 Monaten beziehungsweise 18 Monaten gemäß § 264 Abs. 2 SGB V, § 2 AsylbLG in das System der GKV übernommen werden (unter Kostenerstattung der Krankenkassen durch die zuständigen Träger nach § 264 Abs. 7 SGB V). Im Anschluss an diese Erläuterung wird dann begründet:

"Ziel der Regelung ist es, sogenannte Versorgungsbrüche zu vermeiden, die entstehen können, wenn die Behandlung der betreffenden Personen in den ersten 15 Monaten durch Therapeuten erfolgt, die über keine Berechtigung zur Erbringung von Leistungen in der GKV verfügen (z. B. Psychotherapeuten in Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer). Hier muss gewährleistet werden, dass diese Therapeuten die Behandlung nach Ablauf von 15 Monaten, wenn die Versorgung gemäß § 264 Absatz 2 SGB V von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen wird, fortsetzen können. Anderenfalls müsste die betroffene Person den Therapeuten wechseln, wobei zu beachten ist, dass ein Therapeutenwechsel bei psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlungen ausgesprochen problematisch ist."

Die Vermeidung von Versorgungsumbrüchen ist damit ein weiteres Ziel der Regelung des § 31 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV, aber nicht das einzige und erste Ziel.

Dass § 31 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV auf Leistungsempfänger nach § 2 AsylbLG Bezug nimmt, ist nicht nur im Hinblick auf die Vermeidung von Versorgungsumbrüchen sinnvoll, sondern auch im Hinblick auf die Regelung der Ermächtigung für die Behandlung Geflüchteter an sich. Denn diese fallen erst nach 15 beziehungsweise nunmehr 18 Monaten Daueraufenthalts in den Anwendungsbereich des § 2 AsylbLG und damit auch des § 264 Abs. 2 SGB V. Die Geflüchteten sind also erst dann im System der GKV eingegliedert. Eine Regelung der Ermächtigung zur vertragsärztlichen Versorgung, die die Versorgung in diesem System betrifft, ist auch erst ab dann sinnvoll.

Der Klägerin ist auch nicht dahingehend zuzustimmen, dass § 31 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV keine privilegierte Behandlung Geflüchteter regeln wolle. Denn die Gesetzesbegründung erkennt ausdrücklich den erhöhten Behandlungsbedarf unter Geflüchteten an und begründet die Erweiterung des Ermächtigungstatbestandes mit diesem. Es ist demnach gewollt gewesen, dass der erhöhte Bedarf gerade durch die Erteilung entsprechender Ermächtigungen zur vertragspsychotherapeutischen oder vertragspsychiatrischen Behandlung gedeckt wird.

Die Kammer ist der Überzeugung, dass die restriktive Auslegung der Klägerin weder dem Gesetzeswortlaut entspricht noch dem in der Gesetzesbegründung ausdrücklich genannten Ziel der Regelung gerecht wird. Eine sichere und kontinuierliche psychotherapeutische und psychiatrische Behandlung von Asylsuchenden und Geflüchteten kann nur sichergestellt werden, wenn diese unabhängig von einer vor Ablauf der 15 beziehungsweise 18 Monate Daueraufenthalt begonnenen Behandlung im Rahmen der Ermächtigung behandelt werden können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs. 1 VwGO und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache. Die Beigeladene zu 1) hat einen Antrag gestellt, so dass die Kammer deren Kosten im Rahmen der Billigkeitsentscheidung für erstattungsfähig anerkannt hat. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten der Beigeladenen zu 2) bis 6) war nicht veranlasst, weil diese sich nicht an dem Verfahren beteiligt oder keine Anträge gestellt haben, § 162 Abs. 3 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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