L 9 U 165/18

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 8 U 46/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 U 165/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 86/20 B
Datum
Kategorie
Beschluss
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 27. August 2018 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit nach Nr. 1317 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BK 1317).

Der 1939 geborene Kläger war seit 1957 bis zum Renteneintritt im Oktober 2003 als Werkzeugmacher tätig. Seit September 1994 hatte der Kläger als Beschäftigter der C. Elektronik GmbH & Co. KG beim Reinigen von Kupferbügeln Umgang mit Spezialbenzin 40/80, das n-Hexan enthält. Ab Dezember 1994 hätten sich nach Angaben des Klägers Kopfschmerzen, Schwindel, Hautreizungen und Depressionen eingestellt. Im Zeitpunkt des Renteneintritts im Oktober 2003 habe er angefangen zu zittern.

Der Kläger beantragte bei der Beklagten mit Schreiben vom 16. Oktober 2014 die Anerkennung der bei ihm diagnostizierten Parkinsonerkrankung als BK. Die Beklagte stellte Ermittlungen zu den arbeitstechnischen und den medizinischen Voraussetzungen der BK 1317 an. Aus den beigezogenen ärztlichen Befundberichten, dem Vorerkrankungsverzeichnis und der Schwerbehindertenakte ergab sich, dass bei dem Kläger eine Parkinsonerkrankung und eine Polyneuropathie diagnostiziert worden waren.

Die Präventionsabteilung der Beklagten führte unter dem 11. März 2015 nach einer Arbeitsplatzbesichtigung und nach Auswertung der Informationen des Arbeitgebers des Klägers aus, dass sowohl Trichlorethen als auch n-Hexan Listenstoffe im Sinne der BK 1317 seien. Ein Atemwegskontakt des Klägers zu Trichlorethen habe nicht bestanden. Unter Berücksichtigung der technischen Schutzmaßnahmen, der Raum- und Lüftungsverhältnisse und des Gehalts von nur 4 % n-Hexan im Spezialbenzin sei von einer Exposition auszugehen, die sich unterhalb des Luftgrenzwertes bewege. Zusammenfassend stellte die Präventionsabteilung fest, dass der Kläger zwar Atemwegskontakt zu n-Hexan gehabt habe, der neurotoxische Schwellenwert, der dem Arbeitsplatzgrenzwert für n-Hexan entspreche, aber während der Beschäftigungszeit des Klägers sicher eingehalten worden sei.

Mit Bescheid vom 30. März 2015 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK 1317 ab. Ein Anspruch auf Leistungen bestehe nicht. Die festgestellte Erkrankung sei nicht ursächlich auf die berufliche Tätigkeit des Klägers zurückzuführen. Ein Atemwegskontakt zu Trichlorethen habe nicht bestanden. Der neurotoxische Schwellenwert für n-Hexan fordere für die Verursachung einer Polyneuropathie als BK eine längerfristige Exposition von mehr als 50 ppm = 180 mg/m³. Dieser sei nicht erreicht worden. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass n-Hexan eine chronische Enzephalopathie verursachen könne. Die beim Kläger festgestellte Parkinsonerkrankung gehöre nicht zu den neurologischen Krankheitsbildern, die durch Intoxikationen verursacht werden könnten.

Der Kläger legte am 24. April 2015 Widerspruch gegen den ablehnenden Bescheid ein und begründete diesen mit Schreiben vom 19. Dezember 2016. Die Beklagte befragte daraufhin ihren beratenden Arzt Dr. D., Facharzt für Arbeitsmedizin, Allergologie und Umweltmedizin. Dieser führte in seiner Stellungnahme vom 1. März 2017 aus, dass sich aus den Akten kein Hinweis auf einen regelmäßigen Hautkontakt des Klägers mit dem Spezialbenzin ergebe. Der Arbeitsplatzgrenzwert sei eingehalten worden. Die Verursachung der Polyneuropathie durch n-Hexan sei allein aufgrund des zeitlichen Verlaufs auszuschließen, da die Kribbelparästhesien an den Beinen, über die Dr. E. berichtet habe, erstmals im Jahre 2007 aufgetreten seien, also etwa vier Jahre nach dem Ende der beruflichen Tätigkeit im Oktober 2003. Das rezidivierende Auftreten solcher Kribbelparästhesien spreche eher für eine Verursachung durch die degenerativen Veränderungen im Lumbalbereich. Zudem seien die Kribbelparästhesien nicht distal symmetrisch. Darüber hinaus sei bei Patienten, die an Morbus Parkinson erkrankt seien, eine erhöhte Prävalenz von Polyneuropathien bekannt. Der Morbus Parkinson sei erst im Jahre 2008 diagnostiziert worden. Im Übrigen werde dieses Krankheitsbild nicht von der BK 1317 erfasst. Die Polyneuropathie unklarer Genese entspreche aufgrund der Befundbeschreibung nicht dem typischen Befund einer neurotoxischen Polyneuropathie. Untypisch sei auch die Verschlimmerung der Erkrankung nach Expositionsende. Die medizinischen Voraussetzungen der BK 1317 lägen daher nicht vor.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13. April 2017 zurück.

Der Kläger hat am 8. Mai 2017 beim Sozialgericht Fulda Klage erhoben.

Das Sozialgericht hat zum Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen ein Gutachten des Sachverständigen Dr. F., Fachchemiker der Medizin, eingeholt. Dieser hat in seinem berufskundlichen Sachverständigengutachten vom 20. August 2017 eine Arbeitsplatzkonzentration von 37,4 mg/m³ ermittelt, so dass der Arbeitsplatzgrenzwert von 50 ppm = 180 mg/m³ sicher eingehalten worden sei und sich daher die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 1317 nicht belegen ließen. Aus den aktenkundigen Angaben und denen des Klägers im Rahmen des mit ihm geführten Ermittlungsgespräches ließen sich für die früheren Arbeitsverhältnisse zwar Abschnitte mit Expositionen gegenüber neurotoxischen Arbeitsstoffen erkennen, nicht aber eine gefährdende Einwirkung im Sinne der BK 1317. Auf den Einwand des Klägers, er sei in den ersten drei Jahren einer höheren Belastung durch das Spezialbenzin ausgesetzt gewesen, hat der Sachverständige Dr. F. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 7. Januar 2018 ausgeführt, auch die korrigierten Angaben des Klägers, die zudem widersprüchlich seien, könnten keine den Arbeitsplatzgrenzwert überschreitende Exposition belegen. Auszugehen sei danach von 46 mg/m³. Dabei hat der Sachverständige zugunsten des Klägers ein kleineres Raumvolumen des Gefahrstofflagers, dessen genaue Abmessungen nicht bekannt seien, unterstellt.

Auf die von dem Kläger auch gegen die ergänzende Stellungnahme erhobenen Einwände hat der Sachverständige Dr. F. in einer weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 5. März 2018 zusammenfassend ausgeführt, für die Arbeitsplatzkonzentration an n-Hexan, der der Kläger ausgesetzt gewesen sei, habe er in seiner rechnerischen Abschätzung im Sinne einer worst-case-Betrachtung einen Wert von 46 mg/m³ ermittelt. In Anbetracht der hierbei zu Gunsten des Klägers berücksichtigten Annahmen müsse davon ausgegangen werden, dass der tatsächliche Wert deutlich niedriger liege, ohne dass dieser genauer benannt werden könne. Für reines n-Hexan sei ein Arbeitsplatzgrenzwert von 180 mg/m³ festgelegt. Dieser Wert werde deutlich unterschritten, wobei darauf hinzuweisen sei, dass der Kläger auch nicht mit reinem n-Hexan, sondern mit Kohlenwasserstoffgemischen mit etwa 4% n Hexan gearbeitet habe.

Zum Vorliegen der arbeitsmedizinischen Voraussetzungen hat das Sozialgericht ein Gutachten bei dem Sachverständigen Dr. G., Facharzt für Neurologie, eingeholt. Dieser hat in seinem neurologischen Gutachten vom 15. Mai 2018 im Zeitpunkt seiner Untersuchung die Diagnosen Parkinsonsyndrom und Polyneuropathie ungeklärter Ursache als im Vollbeweis gesichert angesehen, einen Kausalzusammenhang zwischen den neurologischen Erkrankungen und der Toxin-Exposition aber verneint, da die Krankheitssymptome erst Jahre nach der ersten Arbeitsplatzexposition aktenkundig geworden seien. Des Weiteren spreche gegen einen Kausalzusammenhang, dass sich das Parkinsonsyndrom trotz Expositionsende im weiteren Verlauf eindeutig verschlechtert habe. Angesichts der erheblichen Muskelatrophien in allen Extremitäten müsse auch von einem Fortschreiten der Polyneuropathie in den letzten Jahren ausgegangen werden, also lange nach Expositionsende. Im Übrigen habe das Ausmaß der Exposition nicht ausgereicht, um eine toxische Polyneuropathie oder Enzephalopathie mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen.

Mit Urteil vom 27. August 2018 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die zulässige Klage sei nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 30. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2017 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung einer BK 1317 wegen seiner Parkinsonerkrankung und der Polyneuropathie. Die Feststellung einer BK setze voraus, dass der Versicherte im Rahmen der versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen im Sinne der BK ausgesetzt gewesen sei, die geeignet seien, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken. Die BK 1317 umfasse die Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel. Zu den gesichert neurotischen Lösungsmitteln gehöre auch das vom Kläger benannte n-Hexan, welches in dem Reinigungsbenzin 40/80 enthalten sei. Die arbeitstechnischen und die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für die BK 1317 seien aber nicht gegeben.

Die Kammer schließe sich dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten von Dr. F. an und mache sich dessen Ausführungen zu eigen. Dr. F. habe in seinem berufskundlichen Gutachten vom 20. August 2017 festgestellt, dass der Arbeitsplatzgrenzwert für n-Hexan von 180 mg/m³ (50 ppm) sicher eingehalten gewesen sei und sich die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die BK 1317 nicht belegen ließen. Im Sinne einer worst-case-Betrachtung sei von einem Wert von 46 mg/m³ auszugehen. Die vom Kläger korrigierten Angaben gegenüber denen der Beklagten würden eher zu einer geringeren Exposition führen als zu einer höheren. n-Hexan gelte auch nicht als Auslöser des beim Kläger diagnostizierten Morbus Parkinson. Eine Parkinsonerkrankung gehöre zu den neurologischen Krankheitsbildern, die nicht durch Intoxikation verursacht würden. Darüber hinaus erfasse die BK 1317 nur die Polyneuropathie und die Enzephalopathie. Die Einschätzung des Sachverständigen entspreche der des Präventionsdienstes der Beklagten vom 11. März 2015.

Es seien auch die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen der BK 1317 nicht gegeben. Dr. G. habe in seinem neurologischen Gutachten vom 15. Mai 2018 zwar die Diagnosen Parkinsonsyndrom und Polyneuropathie als im Vollbeweis gesichert angesehen, einen Kausalzusammenhang zwischen den neurologischen Erkrankungen und der Toxin-Exposition aber verneint. Beschwerden in den Extremitäten, die man als Polyneuropathie-Symptome, wie auch Parkinson-Symptome, die man als Ausdruck einer Enzephalopathie werten könnte, seien erst Jahre nach der ersten Arbeitsplatzexposition aktenkundig geworden. Des Weiteren spreche gegen einen Kausalzusammenhang, dass sich das Parkinsonsyndrom trotz Expositionsende im weiteren Verlauf eindeutig verschlechtert habe. Angesichts der erheblichen Muskelatrophien in allen Extremitäten müsse auch von einem Fortschreiten der Polyneuropathie in den letzten Jahren ausgegangen werden, also lange nach Expositionsende. Aus arbeitsmedizinischer Sicht verweise die Kammer außerdem auf die Stellungnahme des beratenden Arztes der Beklagten Dr. D., der unter dem 1. März 2017 ausgeführt habe, dass sich aus den Akten kein Hinweis auf einen regelmäßigen Hautkontakt des Klägers mit dem Spezialbenzin ergebe. Der Arbeitsplatzgrenzwert sei eingehalten worden. Der Morbus Parkinson sei erst im Jahre 2008 diagnostiziert worden. Im Übrigen falle dieses Krankheitsbild nicht unter die BK 1317. Die Polyneuropathie unklarer Genese entspreche aufgrund der Befundbeschreibung nicht dem typischen Befund einer neurotoxischen Polyneuropathie. Untypisch sei auch die Verschlimmerung der Erkrankung nach Expositionsende. Die medizinischen Voraussetzungen der BK 1317 lägen daher nicht vor.

Gegen das dem Kläger am 27. August 2018 zugestellte Urteil hat dieser durch seine Bevollmächtigten am 26. September 2018 bei dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Zur Begründung verweisen die Bevollmächtigten auf den bisherigen Vortrag und führen ergänzend aus, der Kläger sei nach wie vor davon überzeugt, dass seine Gesundheitsschäden durch das hochgiftige Nervengift n-Hexan verursacht worden seien.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 27. August 2018 und den Bescheid der Beklagten vom 30. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Polyneuropathie und die Parkinsonerkrankung des Klägers als Berufskrankheit nach Nr. 1317 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen und zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten wurden mit gerichtlicher Verfügung vom 19. Februar 2019 auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richterinnen oder Richter hingewiesen.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

II.

Der Senat konnte über die vorliegende Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richterinnen oder Richter entscheiden (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Die Beteiligten sind zu der beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss angehört worden.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 27. August 2018 und der Bescheid der Beklagten vom 30. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2017 sind rechtmäßig, so dass der Kläger nicht beschwert ist (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Die Klage ist unzulässig, soweit der Kläger Entschädigungsleistungen beansprucht. Vorliegend hat die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 30. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2017 nur über die Anerkennung der Gesundheitsstörungen des Klägers als BK 1317 entschieden. Die darüber hinausgehende abstrakte Feststellung, ein Anspruch auf Leistungen bestehe nicht, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn eine konkrete Entscheidung in Bezug auf Entschädigungsleistungen wurde insoweit nicht getroffen, eine bestimmte Leistung auch nicht benannt. Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist damit allein der Anspruch des Klägers auf Anerkennung der BK 1317. Nachdem die Beklagte schon die Anerkennung der BK abgelehnt hatte, konnte es dem Kläger in der Sache daher zunächst nur um die Anerkennung der BK 1317 gehen, also um die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses, aus dem im weiteren Verlauf ggf. Leistungsansprüche abgeleitet werden können. Die Gewährung konkreter Entschädigungsleistungen - etwa einer Verletztenrente - wegen des Vorliegens einer BK ist aus den genannten Gründen nicht streitgegenständlich, die hierauf gerichtete Klage in Ermangelung einer nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG anfechtbaren Entscheidung der Beklagten unzulässig (vgl. Beschluss des Senats vom 9. Dezember 2016 - L 9 U 206/16 -; zum Ganzen siehe auch BSG, Urteil vom 7. September 2004 - B 2 U 35/03 R -; BSG, Urteil vom 30. Oktober 2007 - B 2 U 4/06 R -).

Im Übrigen ist die Klage zwar zulässig, aber unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Anerkennung seiner Erkrankungen als BK 1317.

Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - SGB VII -). Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte in Folge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Nach Satz 2 dieser Vorschrift wird die Bundesregierung ermächtigt, in einer Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht worden sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (sog. Listenprinzip). Von der Ermächtigung hat die Bundesregierung durch Erlass der BKV vom 31. Oktober 1997 - BGBl. I 2623 in der Fassung der BKV-ÄndV vom 11. Juni 2009 - BGBl. I 1273) Gebrauch gemacht. Sie hat in der Anlage 1 zur BKV unter Nr. 1317 die Polyneuropatie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische als Berufskrankheit bezeichnet.

Die Feststellung einer Listen-BK setzt voraus, dass die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist die BK nicht anzuerkennen. Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. (BSG, Urteil vom 23. April 2015 - B 2 U 10/14 R - BSGE 118, 255 m. w. N.). Der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit ist erfüllt, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 2017 - B 2 U 17/15 R - Breith. 2018, 188 m. w. N.).

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben liegt bei dem Kläger eine BK 1317 nicht vor.

Die Parkinsonerkrankung gehört bereits nicht zu den von der BK 1317 erfassten Krankheitsbildern und wird im Übrigen auch nicht durch eine Intoxikation verursacht (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valenthin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, 5.10, S. 262). Berücksichtigungsfähige Krankheitsbilder der BK 1317 sind vielmehr nur Polyneuropathien und Enzephalopathien.

Zur Überzeugung des Senats steht aufgrund des von dem Sozialgericht bei Dr. G. eingeholten Sachverständigengutachtens zwar fest, dass bei dem Kläger eine Polyneuropathie vorliegt. Es bestehen aber bereits Zweifel, ob die sogenannten "arbeitstechnischen Voraussetzungen" vorgelegen haben. Jedenfalls fehlt es an der haftungsbegründenden Kausalität.

Unter dem Begriff der arbeitstechnischen Voraussetzungen wird zunächst nur das Vorhandensein von Einwirkungen verstanden, die tatbestandliche Voraussetzung für die Anerkennung der geltend gemachten BK sind. Dies sind im Rahmen der BK 1317 das Vorhandensein organischer Lösungsmittel oder deren Gemische. Nach der Stellungnahme des Präventionsdienstes der Beklagten vom 11. März 2015 hatte der Kläger zwar Atemwegskontakt zu n-Hexan, einem Listenstoff im Sinne der BK 1317, der neurotoxische Schwellenwert, der dem Arbeitsplatzgrenzwert für n-Hexan entspreche, sei aber während der Beschäftigungszeit des Klägers sicher eingehalten worden. Ein Atemwegskontakt zu Trichlorethen habe nicht bestanden. Diese Einschätzung wird von dem Sachverständigen Dr. F. geteilt. Dieser hat in seinem für den Senat nachvollziehbaren berufskundlichen Sachverständigengutachten vom 20. August 2017 und den ergänzenden Stellungnahmen vom 7. Januar 2018 und vom 5. März 2018 ausgeführt, für die Arbeitsplatzkonzentration an n-Hexan, der der Kläger ausgesetzt gewesen sei, habe er in seiner rechnerischen Abschätzung im Sinne einer worst-case-Betrachtung einen Wert von 46 mg/m³ ermittelt. In Anbetracht der hierbei zu Gunsten des Klägers berücksichtigten Annahmen müsse davon ausgegangen werden, dass der tatsächliche Wert deutlich niedriger liege, ohne dass dieser genauer benannt werden könne. Für reines n-Hexan sei ein Arbeitsplatzgrenzwert von 180 mg/m³ festgelegt. Dieser Wert werde deutlich unterschritten, wobei darauf hinzuweisen sei, dass der Kläger auch nicht mit reinem n-Hexan, sondern mit Kohlenwasserstoffgemischen mit etwa 4% n-Hexan gearbeitet habe.

Im Ergebnis war der Kläger damit zwar gegenüber organischen Lösungsmitteln bzw. gegenüber deren Gemischen an seinem Arbeitsplatz exponiert. Erforderlich ist darüber hinaus jedoch noch der Nachweis der Einwirkungskausalität. Insoweit erscheint es fraglich, ob der Kläger in dem hier fraglichen Zeitraum von September 1994 bis Anfang Oktober 2003 an seinem Arbeitsplatz Einwirkungen ausgesetzt war, die geeignet gewesen sind, eine sog. toxische Polyneuropathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische auszulösen. Vom Vorliegen der im Verordnungstext vorausgesetzten Einwirkungen als Tatbestandsvoraussetzung ist im Zusammenhang mit dem Begriff der arbeitstechnischen Voraussetzungen die Frage zu unterscheiden, ob diese Einwirkungen in ihrer Höhe und Intensität im Sinne einer vorweggenommenen Kausalitätsbeurteilung überhaupt ausgereicht haben, um eine im Sinne des Verordnungstextes vorausgesetzte Erkrankung in Form einer Polyneuropathie oder Enzephalopathie zu verursachen. Auch wenn im Unterschied z. B. zur BK Nr. 4104 3. Alt. der Verordnungstext der BK Nr. 1317 keine Mindestdosis vorgibt, schließt dies nicht aus, bei der Anwendung einer BK-Norm die Überschreitung eines bestimmten Schwellenwertes zu verlangen, bei dessen Nichterreichen der Kausalitätsnachweis von vornherein ohne weitere Kausalitätsprüfung der arbeitsmedizinischen Umstände des konkreten Einzelfalls abgeschnitten ist (vgl. Bieresborn, NZS 2008, 354, 359 f. m. w. N.). Wie nicht zuletzt aus den Merkblättern zur BK Nr. 1317 folgt, ist die Wirkungsweise organischer Lösungsmittel jedoch zum Teil noch nicht geklärt, es handelt sich demzufolge bei der BK Nr. 1317 um eine sog. stochastische Berufskrankheit, bei der der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand vornehmlich Dosis-Häufigkeitsbeziehungen und nur vereinzelt Dosis-Wirkungsbeziehungen kennt (s. zur insoweit vergleichbaren BK Nr. 1303 Hess. LSG, Urteil vom 3. November 2004 L 3 U 1613/97; zur BK Nr. 1317 vgl. Hess. LSG, Urteil vom 1. Dezember 2009 L 3 U 255/05 -). Daher ist mit dem Vorhandensein der in der Berufskrankheitenverordnung genannten Listenstoffe am Arbeitsplatz - hier organische Lösungsmittel und deren Gemische - auch vom Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen auszugehen, so lange nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand (s. hierzu BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R -) kein Erfahrungssatz existiert, demzufolge erst ab Erreichen einer bestimmten Mindestdosis von einer Gefährdung ausgegangen werden kann (sog. sichere Dosis). Dies gilt trotz der Existenz von Arbeitsplatzgrenzwerten, weil diese zwar vom Ausschuss für Gefahrstoffe als Schichtmittelwerte aufgestellt werden, um Gefahren am Arbeitsplatz möglichst gering zu halten, jedoch keine Garantie der "sicheren Dosis" enthalten. § 9 SGB VII setzt indes voraus, dass das Ausmaß der Einwirkungen, denen der Versicherte ausgesetzt war, einen erheblich höheren Grad als die Exposition der übrigen Bevölkerung erreicht hat (zum Ganzen siehe auch Urteile des Senats vom 22. April 2013 - L 9 U 267/09 - und vom 28. November 2016 - L 9 U 37/13 -).

Vorliegend ist daher zunächst der von dem Sachverständigen Dr. F. im Sinne einer worst-case-Betrachtung ermittelte Wert von 46 mg/m³ für die Arbeitsplatzkonzentration an n Hexan in Anbetracht des Arbeitsplatzgrenzwerts von 180 mg/m³ geeignet, der beweisrechtlich erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit entgegenstehende Zweifel auszulösen (s. o.).

Zudem sprechen vorliegend gewichtige Gründe dafür, dass die Erkrankung des Klägers nicht auf berufliche Ursachen zurückzuführen ist. Insoweit folgt der Senat wie das Sozialgericht den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. G., der in seinem neurologischen Gutachten vom 15. Mai 2018 zwar im Zeitpunkt seiner Untersuchung die Diagnosen Parkinsonsyndrom und Polyneuropathie im Vollbeweis als gesichert angesehen, einen Kausalzusammenhang zwischen den neurologischen Erkrankungen und der Toxin-Exposition aber verneint hat, da die Krankheitssymptome erst Jahre nach der ersten Arbeitsplatzexposition aktenkundig geworden seien. Diese Einschätzung entspricht auch der unfallversicherungsrechtlichen Literatur. Danach besteht grundsätzlich ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der krankmachenden Exposition und dem Krankheitsbeginn, d. h. die Krankheit entwickelt sich während oder kurz nach der beruflichen Exposition. Ein längeres Intervall von Jahren zwischen letzter Exposition und Krankheitsbeginn ist toxikologisch nicht plausibel, was auch auf die kurzen biologischen Halbwertszeiten der neurotoxischen Lösungsmittel zurückzuführen ist (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, 5.10.2, S. 265). Soweit der Kläger einen solchen zeitlichen Zusammenhang selbst angegeben hat, sind - worauf Dr. G. für den Senat nachvollziehbar hingewiesen hat - die angegebenen Symptome eines Nachlassens der körperlichen Leistungsfähigkeit unspezifisch und nicht in erster Linie als Ausdruck eines neurologischen Krankheitsbildes einzuordnen. Der Senat folgt auch der Einschätzung des Sachverständigen, dass die Verschlechterung des Parkinsonsyndroms nach Expositionsende im weiteren Verlauf gegen einen Kausalzusammenhang spricht und angesichts der erheblichen Muskelatrophien in allen Extremitäten auch von einem Fortschreiten der Polyneuropathie in den letzten Jahren ausgegangen werden muss, also lange nach Expositionsende. Ein Fortschreiten der Erkrankung spricht eindeutig gegen das Vorliegen einer toxischen Polyneuropathie. Eine toxische Polyneuropathie kann nach Expositionsende zeitlich begrenzt nur über wenige Monate eine Zunahme der Symptomatik zeigen. Langfristig kommt es nicht zu einer weiteren Verschlechterung, sondern zu einer weitestgehenden Rückbildung der klinischen und neurophysiologischen Symptomatik. Reststörungen können im Einzelfall bei anfangs schwer Erkrankten auch dauerhaft persistieren (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, s. o.). Im Übrigen hat auch Dr. G. darauf verwiesen, dass das Ausmaß der Exposition nicht ausgereicht hat, um eine toxische Polyneuropathie oder Enzephalopathie mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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