L 2 AL 3/20

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 14 AL 495/19 WA
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 AL 3/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten in einem Verfahren um die Höhe von Arbeitslosengeld (Alg) darum, ob dieses durch Klagerücknahme beendet wurde, oder ob es fortzusetzen ist. Die Klägerin beantragte am 30. November 2017 Alg zum 1. Januar 2018. Zuvor war die Klägerin vom 27. Februar 2017 bis zum 31. Dezember 2017 21 Stunden wöchentlich als Trainerin beim N. beschäftigt gewesen. Vor und auch neben dieser Beschäftigung war die Klägerin als Fitnesstrainerin und Übungsleiterin selbständig tätig und entrichtete Beiträge zur Arbeitslosenversicherung nach § 28a Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Die unterhalb von 15 Stunden wöchentlich liegende selbständige Tätigkeit führte die Klägerin auch über den 1. Januar 2018 hinaus fort. Mit Bescheid vom 19. Januar 2018 rechnete die Beklagte vorläufig Nebeneinkommen an und bewilligte mit weiterem Bescheid selben Datums entsprechend Alg nach einem gekürzten Leistungssatz für Januar. Der Widerspruch der Klägerin, mit welchem diese einen höheren Freibetrag geltend machte, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2018). Die hiergegen gerichtete Klage nahm die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung nach einem Hinweis des Gerichts ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 28. August 2019 zurück. In der Sitzungsniederschrift heißt es insoweit: "Entsprechend dem mitgeteilten Ergebnis der Zwischenberatung und auf dringendes Anraten der Kammer erklärt die Klägerin: Ich nehme meine Klage zurück - Laut diktiert und genehmigt, auf erneutes Abspielen wird allseits verzichtet – " Mit Schreiben vom 29. August 2019, Eingang bei Gericht am 2. September 2019, beantragte die Klägerin die Wiederaufnahme des Verfahrens. Sie habe zwar auf die Frage, ob sie die Klage zurücknehmen wolle mit "Ja" geantwortet, nachdem sie eine Nacht darüber geschlafen habe, sei sie aber der Meinung, diese Entscheidung unüberlegt getroffen zu haben und wolle sie zurückziehen. Ihr sei gesagt worden, die Beklagte habe bei einer früheren Arbeitslosigkeit Nebeneinkommen fehlerhaft nicht angerechnet. Es könne nicht sein, dass die Beklagte Fehler mache und ohne Folgen davonkomme und sie als Einzelperson nun geradestehen müsse. Sie fühle sich als Selbständige als Arbeitslose zweiter Klasse. Das Gesetz, aufgrund dessen sie aus einer früheren Arbeitslosigkeit noch 2.000 EUR Schulden bei der Beklagten habe, gehöre geändert. Sie wünsche, dass der Rückerstattungsbetrag nochmals angesehen werde, ob er korrekt sei. Mit Gerichtsbescheid vom 8. Januar 2020 hat das Sozialgericht festgestellt, dass die Klage zurückgenommen wurde. Dies sei in der mündlichen Verhandlung wirksam erfolgt. Der Rechtsstreit sei damit erledigt. Als Prozesshandlung sei die Klagrücknahme nicht wegen etwaiger Willensmängel anfechtbar. Ein Widerruf wegen Vorliegens von Restitutionsgründen komme nicht in Betracht. Die Klägerin hat gegen den am 11. Januar 2020 zugestellten Gerichtsbescheid am 5. Februar 2020 Berufung eingelegt, mit welcher sie vorträgt, ihre Meinung habe sich nicht geändert. Sie habe verschiedene Fragen, die sie beantwortet haben wolle. Was mache eine freiwillige Arbeitslosenversicherung für einen Sinn, wenn sie erst den vollen Anspruch habe, wenn alle Tätigkeiten entfielen? Das sei Betrug gegenüber allen Selbständigen. Die gesetzlichen Regelungen seien verbesserungsbedürftig. Auch habe die Beklagte Fehler gemacht, für welche sie nicht zur Verantwortung gezogen werde. Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 8. Januar 2020 aufzuheben und festzustellen, dass das Verfahren S 14 AL 93/18 nicht durch Klagrücknahme beendet ist. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie ist der Auffassung, es habe eine Reihe Änderungs- und Erstattungsbescheide gegeben, die Gegenstand des Verfahrens S 14 AL 93/18 geworden seien. Diese seien mit der Klagrücknahme bestandskräftig geworden. Ein Anspruch auf erneute Überprüfung im Klagverfahren bestehe nicht. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten, die Grundlage der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ist nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden. Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat zu Recht festgestellt, dass die am 28. August 2019 in der mündlichen Verhandlung zur Niederschrift des Gerichts erklärte Rücknahme der Klage den Rechtsstreit S 14 AL 93/18 beendet hat.

Entsteht - wie vorliegend - Streit über die Erledigung und wird die Fortsetzung des Verfahrens beantragt, so ist hierüber durch Urteil zu entscheiden (vgl. BSG, Urteil vom 26.07.1989 – 11 RAr 31/88, Juris). Es ergeht dann entweder eine Sachentscheidung geht oder der Ausspruch, dass der Rechtsstreit beendet ist.

Gemäß § 102 Abs. 1 SGG kann die Klage bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zurückgenommen werden. Dies ist Ausfluss der auch im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Dispositionsmaxime. Die Rücknahme stellt eine Prozesshandlung dar und ist gegenüber dem Sozialgericht zu erklären. Vorliegend wurde das Verfahren durch die Erklärung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 28. August 2019 beendet. Die Klägerin hat gegenüber dem Sozialgericht ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 28. August 2019 ausdrücklich erklärt: "Die Klage wird zurückgenommen." Diese Rücknahmeerklärung der Klägerin ist wirksam.

Die Wirksamkeit der Klagerücknahme ist auch nicht von der Beachtung der Protokollierungsvorschriften abhängig. Diese enthalten zur Klagerücknahme mehrere aufeinander aufbauende Bestimmungen: (a) Die Klagerücknahme ist im Protokoll festzustellen (§ 160 Abs. 3 Nr. 8 Zivilprozessordnung (ZPO)). (b) Die Feststellung ist den Beteiligten vorzulesen oder zur Durchsicht vorzulegen; bei vorläufiger Aufzeichnung genügt es, wenn die Aufzeichnung vorgelesen oder abgespielt wird (§ 162 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO). (c) Im Protokoll ist zu vermerken, dass dies geschehen ist und die Genehmigung erteilt oder welche Einwendungen erhoben worden sind (§ 162 Abs. 1 Satz 3 ZPO). Weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn und Zweck dieser Vorschriften ergibt sich, dass sie - über § 102 SGG hinaus - weitere Voraussetzungen für die Wirksamkeit der Klagerücknahme festlegen. Die Protokollierungsvorschriften der §§ 159 ff ZPO sollen lediglich zu Beweiszwecken beurkunden, was in der mündlichen Verhandlung geschehen ist, nicht aber die Wirksamkeit des dortigen Geschehens an die Feststellung im Protokoll binden. In dem vorliegenden Fall ist die Grundregel zu (a) beachtet worden. Verfahrensfehlerhaft war allein, dass die Vorlesung unterblieben und darum auch das Gebot zu (c) unbeachtet geblieben ist. Es kann indes offenbleiben, welche Wirkung Verstöße gegen § 162 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 ZPO im allgemeinen auf die Beweiskraft der Feststellung einer Klagerücknahme im Protokoll haben. Hier steht nämlich fest, dass die Klägerin vor dem Sozialgericht die Rücknahme der Klage erklärt hat (vgl. nur BSG, Urteil vom 12. März 1981 – 11 RA 52/80, Juris).

Die Klägerin kann die Klagerücknahme auch im Übrigen nicht wirksam anfechten oder widerrufen, denn Widerruf und Anfechtung der Rücknahmeerklärung sind grundsätzlich unzulässig (vgl. BSG, Beschluss vom 29.09.2017 – B 13 R 251/14 B, Juris, m.w.N.). Einlegung und Rücknahme einer Klage sind gestaltende Prozesshandlungen, die hinsichtlich ihrer Voraussetzungen und Formerfordernisse dem Prozessrecht und nicht dem materiellen Recht unterliegen. Derartige prozessgestaltende Erklärungen binden das Gericht und die Beteiligten. Denn das Prozessrecht will die Verfahrenslage weitgehend vor Unsicherheit schützen und lässt deshalb einen Widerruf oder eine Anfechtung derartiger Prozesserklärungen lediglich in Ausnahmefällen zu. Eine solche Ausnahme besteht allenfalls dann, wenn die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 179 SGG i.V.m. §§ 579, 580 ZPO vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 24.04.1980 – 9 RV 16/79, Juris). Hierfür fehlen vorliegend jegliche Anhaltspunkte.

Ist nach allem die Klage durch die Klägerin am 28. August 2019 wirksam zurückgenommen worden, so bewirkt diese Zurücknahme nach § 102 Abs. 1 Satz 2 SGG die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache. Der Bescheid vom 18. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Januar 2018 ist deshalb mit der Rücknahmeerklärung für die Beteiligten bindend geworden (§ 77 SGG). Dem Senat ist aus diesem Grund nach der Klagerücknahme jede weitere Auseinandersetzung mit dem von der Klägerin ursprünglich geltend gemachten Begehren verwehrt. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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