L 2 AL 4/20

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 13 AL 84/16
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 AL 4/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
L 2 AL 4/20
S 13 AL 84/16
Landessozialgericht Hamburg
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Rechtsstreit

hat der 2. Senat des Landessozialgerichts Hamburg auf die mündliche Verhandlung vom 2. September 2020 durch

für Recht erkannt:

Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Das Verfahren, welches noch die Feststellung beklagtenseitiger Untätigkeit zum Gegenstand hat, hat einen Antrag auf Gleichstellung nach § 2 Abs. 3 SGB IX zum Hintergrund.

Der Kläger war seit dem 2. April 2012 Referendar beim H ... Vom 30. September 2013 bis zum 31. März 2014 und ab dem 3. Oktober 2014 war der Kläger arbeitsunfähig wegen der Diagnosen F 32.9 (depressive Episode nicht näher bezeichnet) und F 21 (Schizotype Störung). Am 29. Juni 2015 beantragte der Kläger die Gleichstellung zunächst formlos, am 1. Juli 2015 auch mit dem Formblatt. Hierbei gab er an, sein Ausbildungsverhältnis sei gefährdet wegen Erschöpfung und Atemnot sowie Konzentrationsstörungen, Gedankenkreisen und reduzierter Merkfähigkeit, die Belastbarkeit für geistige, aber auch körperliche Tätigkeiten sei stark reduziert. Mit Bescheid vom 5. August 2015 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Hiergegen legte der Kläger am 14. November 2015 Widerspruch ein unter Bezugnahme auf einen Bescheid des Versorgungsamtes Frankfurt/ Main vom 11. November 2015, mit welchem ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 durch das Versorgungsamt Frankfurt/ Main wegen seelischer Störungen festgestellt worden war. Der Kläger führte aus, sein Arbeitgeber habe eine amtsärztliche Untersuchung angekündigt. Es sei seine Entlassung geplant. Gleichzeitig stellte der Kläger am 12. November 2015 erneut einen Antrag auf Feststellung der Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen.

Der Kläger gab dabei an, dass er am 12. Juni 2015 die Ankündigung einer Untersuchung beim Personalärztlichen Dienst bekommen habe zwecks Feststellung der Dienstunfähigkeit. In der Folgezeit habe er fünf weitere Termine zur Untersuchung bekommen, aktuell für den 8. Dezember 2015. Es drohe ihm die Entlassung wegen der bei ihm bestehenden Behinderung. Auch beantrage er eine Korrektur des vorherigen Bescheides, denn dieser habe nicht berücksichtigt, dass der GdB von 30 schon seit dem 13. Juli 2015 festgestellt worden sei.

Die Beklagte leitete die Anhörungsverfahren zur Beurteilung des Arbeitsplatzes mit Schreiben vom 23. Dezember 2015 an die Personalstelle für Referendare, den Personalrat und die Schwerbehindertenvertretung ein. Der Personalrat der Referendarinnen und Referendare teilte am 14. Januar 2016 mit, der Antragsteller sei dauerhaft arbeitsunfähig. Der Arbeitsplatz sei für den Antragsteller geeignet. Eine Gefährdung des Arbeitsplatzes infolge der Behinderung sei nicht gegeben. Ergänzend teilte der Personalrat der Referendarinnen und Referendare mit, dass Referendare nicht über einen festen Arbeitsplatz innerhalb des G. verfügen würden. Die regelmäßig innerhalb von zwei Jahren zu durchlaufenden Stationen während der Ausbildung könnten größtenteils frei und selbständig gewählt werden. Die Anstellung sei auf die Dauer der Ausbildung beschränkt, eine weitere Beschäftigung erfolge nicht.
Die Personalstelle für Referendare nahm am 8. Februar 2016 Stellung. Der Kläger befinde sich auf einem auf 24 Monate angelegten öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis, einem Beamten auf Widerruf gleichgestellt. Es solle eine Untersuchung zur Frage der dauerhaften Dienstunfähigkeit stattfinden.

Mit Bescheid vom 9. Februar 2016 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gleichstellung ab. Sie führte aus, die Voraussetzungen für eine Gleichstellung lägen nicht vor. Diese solle nach § 2 Abs. 3 SGB IX vorgenommen werden, wenn Menschen mit einem nicht nur vorübergehenden GdB von weniger als 50, aber mindestens von 30, infolge ihrer Behinderung ohne Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder nicht behalten können. Bei dem Kläger könne aufgrund der andauernden Arbeitsunfähigkeit nicht eingeschätzt werden, ob er in der Lage sei, seine Beschäftigung wiederaufzunehmen und ob er diese, wenn auch mit behinderungsbedingten Einschränkungen, weiter ausüben könne. Der Kläger könne einen neuen Antrag stellen, wenn sich die Verhältnisse ändern würden, beispielsweise nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit.

Auch hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein.

Der Kläger hat am 15. Februar 2016 vor dem Sozialgericht Hamburg Untätigkeitsklage erhoben, weil über seinen Widerspruch vom 14. November 2015 gegen den Bescheid der Beklagten vom 11. November 2015 nicht innerhalb der in § 88 SGG normierten Frist entscheiden worden sei. Diese Klage ist Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens L 2 AL 4/20. In dem zu diesem Verfahren anhängigen Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz teilte der Kläger am 20. Mai 2016 mit, er habe nunmehr seine Entlassung erhalten. Inzwischen erhält der Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung und aufstockend Leistungen der Grundsicherung.

Mit Widerspruchsbescheiden vom 11. April 2016 hat die Beklagte die Widersprüche des Klägers gegen den Bescheid vom 5. August 2015 wie auch gegen den Bescheid vom 9. Februar 2016 als unbegründet zurückgewiesen. Diese Widerspruchsbescheide sind Gegenstand der Berufungsverfahren L 2 AL 5/ 20 und L 2 AL 6/20.

Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen. Auch als Fortsetzungsfeststellungsklage sei die Klage unzulässig, denn ein berechtigtes Feststellungsinteresse sei nicht gegeben. Anhaltspunkte für ein Rehabilitationsinteresse seien nicht gegeben. Ein Feststellungsinteresse wegen Folgeansprüchen sei nur gegeben, wenn die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns für einen Schadensersatzprozess wesentlich sei und insbesondere ein Amtshaftungsverfahren bereits anhängig oder mit hinreichender Sicherheit zu erwarten und nicht offensichtlich aussichtslos sei. Es sei nicht ersichtlich oder vorgetragen, dass ein Amtshaftungsverfahren bereits anhängig sei. Zudem sei nicht ersichtlich, dass die Feststellung darüber, dass die Beklagte nicht in angemessener Zeit über den Anspruch des Klägers auf Bescheidung entschieden hätte, die Rechtsstellung des Klägers in einem Verfahren auf Schadensersatz verbessern könne. In welcher Weise die möglicherweise verspätete Entscheidung der Beklagten kausal für die vom Kläger an Eides statt bereits im Verfahren vor dem LSG (L 2 AL 36/16 B ER) versicherte inzwischen eingetretenen Entlassung aus dem Referendariat beim H. sein könnte, erschließe sich nicht. Denn der Kläger habe im Rahmen einer Untätigkeitsklage lediglich einen Anspruch auf Entscheidung über seinen Widerspruch, nicht jedoch darauf, dass die Entscheidung über den Widerspruch in seinem Interesse liegend mit einem Abhilfebescheid ende. Der Kläger habe zeitnah das gerichtliche Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes genutzt, um im Hinblick auf den drohenden Verlust seiner Referendarstelle eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen. Die bereits erfolgte Entlassung aus dem Referendariat sei auch mit einer früheren Entscheidung über den Widerspruch nicht zu verhindern gewesen.

Zudem habe ein zureichender Grund für die Nichteinhaltung der in § 88 Abs. 2 SGG genannten Sperrfrist bestanden, weshalb die die Fortsetzungsfeststellungsklage auch unbegründet sei. Der dem Ablehnungsbescheid vom 5. August 2015 vorausgegangene Antrag des Klägers vom 29. Juni 2015 sei ohne Vorlage eines Feststellungsbescheides über das Bestehen eines Grades der Behinderung gestellt worden. Erst mit einem weiteren Mailkontakt vom 12. November 2015 habe der Kläger einen Feststellungsbescheid des Versorgungsamtes vom 11. November 2015 mit einem GdB von 30 übermittelt und einen erneuten Antrag auf Gleichstellung gestellt. Erst mit weiterer Mail vom 14. November 2015 habe der Kläger Widerspruch eingelegt, den er mittels Postkarte selben Datums ausdrücklich auf den Bescheid vom 5. August 2015 bezogen habe. Aus diesem chronologischen Ablauf sei zu erkennen gewesen, dass sowohl hinsichtlich des erneuten Antrages auf Gleichstellung als auch hinsichtlich des Widerspruchs des Klägers gegen den Bescheid vom 5. August 2015 weiterer Ermittlungsbedarf bestanden habe zur Art der Beschäftigung, Arbeitsplatzbeschaffenheit und den Stellungnahmen der Gremien wie Personalrat und Schwerbehinderten-Vertretung, die die Beklagte zeitnah, nämlich mit Anschreiben vom 23. Dezember 2015 in die Wege geleitet habe. Nach den vorgelegten Verwaltungsvorgängen der Beklagten sei die Stellungnahme des Personalrates für Referendare vom 14. Januar 2016 am 19. Januar 2016 bei der Beklagten eingegangen (Scan-Datum) und die Stellungnahme der Personalstelle für Referendare vom 8. Februar 2016 sei am 16. Februar 2016 bei der Beklagten eingegangen (Scan-Datum). Die Vorlage für den Widerspruchsausschuss sei am 25. Februar 2016 erstellt und am 8. März 2016 dem Widerspruchsausschuss zugeleitet worden, der schließlich am 11. April 2015 zusammengetreten sei und die Entscheidung über den Widerspruch herbeigeführt habe. Angesichts der durchzuführenden Ermittlungen bei Personalrat und Personalstelle sei ein zureichender Grund für die Dauer des Widerspruchsverfahrens gegeben gewesen.

Der Kläger hat gegen den am 6. Februar 2020 zugestellten Gerichtsbescheid am 10. Februar 2020 Berufung eingelegt. Es trete noch Wiederholunggefahr zur Begründung seines Fortsetzungsfeststellungsinteresses hinzu. Die Verzögerung der Beklagten habe in einem Organisationsverschulden bestanden.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts vom 3. Februar 2020 festzustellen, dass die Beklagte ohne zureichenden Grund über seinen Widerspruch gegen den Bescheid vom 11. November 2015 nicht innerhalb der von § 88 SGG vorgesehenen Frist entschieden hat.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Im Vorfeld der mündlichen Verhandlung hat der Senat dem mittellosen Kläger, dessen persönliches Erscheinen zum Termin nicht angeordnet war, auf seinen Antrag hin wegen der Verfahren um Gleichstellung Kostenerstattung für eine Bahnkarte für Hin- und Rückfahrt und die notwendigen Tagegelder bewilligt und unter Bezugnahme auf eine günstige, vom Gericht ermittelte Verbindung 142,90 EUR an den Kläger überwiesen. Der Kläger ist zum Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen und hat an diesem Tag um 6.25 Uhr morgens per Email mitgeteilt, das überwiesene Geld reiche nur für eine Teilstrecke, was ihm gerade erst aufgefallen sei. Er schicke dem Gericht das Ticket zu seiner Entlastung zurück und bitte für einen neuen Termin den Vorschuss rechtzeitig zu zahlen und darauf zu achten, dass das recherchierte Ticket nicht nur für eine Teilstrecke gelte.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 2. September 2020 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten, die Grundlage der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts ist nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.

Die Berichterstatterin konnte zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern an Stelle des Senats entscheiden, da das Sozialgericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden hat und der Senat ihr durch Beschluss vom 27. März 2020 die Berufung übertragen hat (§ 153 Abs. 5 SGG). Die Entscheidung konnte auch in Abwesenheit des Klägers aufgrund mündlicher Verhandlung ergehen, weil dieser unter entsprechendem Hinweis ordnungsgemäß geladen worden waren. Dem steht die Mitteilung vom Morgen des Sitzungstages nicht entgegen, denn selbst wenn man die Mitteilung als Verlegungsantrag auslegen will, was sich nicht unmittelbar aus dem Schreiben ergibt, ist ein erheblicher Grund für das Nichterscheinen des Klägers damit nicht glaubhaft gemacht (vgl. zu den Voraussetzungen für eine Vertagung: B. Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 110 Rn. 4b ff.). Zwar ist es zutreffend, dass aufgrund eines Büroversehens der übersendete Vorschuss den Reisepreis für Hin- und Rückreise nicht komplett, sondern nur zu 92% abdeckte (142,90 EUR zu 155,20 EUR), jedoch betraf der vom Kläger festgestellte Teilstreckenpreis ausschließlich die Rückfahrt von H1 nach B2, welche die Teilstrecke B. im Preis nicht abbildete. Der Kläger hatte also, sein Vortrag als zutreffend unterstellt, für die komplette Hinfahrt eine gültige Fahrkarte und hätte diese nutzen können, um dann vor Ort in der mündlichen Verhandlung den Restbetrag von 13 EUR (Differenz der Verbindungen, bzw. die Kosten einer Fahrkarte von B1 nach B2, das sind 7,90 EUR) geltend zu machen. Im Übrigen wäre dem Kläger nach Auffassung des Senats auch das einmalige Vorstrecken dieses Betrages von 13 EUR bzw. knapp 8 EUR bis zur Abrechnung seiner Reisekosten durch das Gericht zumutbar gewesen. Auch wenn sich das Bundessozialgericht (BSG) zu Bagatellgrenzen im Bereich von Grundsicherungsleistungen bisher sehr zurückhaltend geäußert hat, handelt es sich hier doch um einen einmaligen, geringfügigen Betrag, den der Kläger auch nur hätte verauslagen müssen und den er später zurückerhalten hätte.
In der Sache sieht der Senat nach eigener Überprüfung der Sach- und Rechtslage nach § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da die Berufung aus den in dem Gerichtsbescheid 3. Februar 2020 dargelegten Gründen als unbegründet zurückgewiesen wird.
Zu Recht und mit der zutreffenden Begründung, auf die nach eigener Überprüfung der Sach- und Rechtslage gemäß § 153 Abs. 2 SGG unter Absehen einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe, Bezug genommen wird, hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Senat teilt insbesondere auch die Auffassung des Sozialgerichts, dass der Beklagten ein zureichender Grund für die Dauer des Widerspruchsverfahrens zur Seite stand.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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