L 1 KR 76/19

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 21 KR 1800/18
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 76/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im Berufungsverfahren. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Zahlung von Krankengeld für den Zeitraum 8. bis 14. Mai 2018.

Der Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Er arbeitet als Linienpilot bei der L ... Nach einem stationären Reha-Aufenthalt wurde der Kläger am 13. November 2017 vom Fliegerarzt des Medizinischen Dienstes der L. für fluguntauglich und damit für arbeitsunfähig befunden. Die Flugtauglichkeit des Klägers sollte durch einen Gutachter des Luftfahrtbundesamtes positiv festgestellt werden. Zu einer solchen Begutachtung kam es allerdings erst im Mai 2018. Die Arbeitsunfähigkeit des Klägers wurde von den Fliegerärzten der L. bis dahin jeweils monatlich verlängert. Ab dem 25. Dezember 2017 lagen die Voraussetzungen für die Zahlung von Krankengeld vor. Die Auszahlung des Krankengeldes verzögerte sich allerdings, weil die vom Kläger eingereichten Fluguntauglichkeitsbescheinigungen bei der Beklagten offenbar falsch verarbeitetet worden waren.

Mit Schreiben vom 3. April 2018 stellten die Fliegerärzte die Arbeitsunfähigkeit des Klägers bis 7. Mai 2018 fest. Diese Bescheinigung vom 3. April 2018 reichte der Kläger unstreitig rechtzeitig bei der Beklagten ein.

Eine Folgebescheinigung stellten die Fliegerärzte am 8. Mai 2018 aus. Diese Folgebescheinigung gab der Kläger am 15. Mai 2018 in einer Geschäftsstelle der Beklagten ab.

Mit Bescheid vom 16. Mai 2018 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sein Krankengeldanspruch in der Zeit vom 8. bis 14. Mai 2018 ruhe. Die Arbeitsunfähigkeit sei zuletzt bis zum 7. Mai 2018 bestätigt worden. Eine neue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung habe der Kläger innerhalb einer Woche nach dem zuletzt bestätigten Ende der Arbeitsunfähigkeit bei der Beklagten einreichen müssen. Die neue Bescheinigung sei aber erst am 15. Mai 2018 und damit nicht innerhalb einer Woche bei der Beklagten eingegangen. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 23. Mai 2018 Widerspruch ein. In seinem Widerspruchsschreiben trägt der Kläger unter anderem vor, dass ihm die Arbeitsunfähigkeits-bescheinigung vom 8. Mai 2018 durch seinen Arbeitgeber verspätet zugestellt worden sei. Er habe erst am 15. Mai 2018 die Möglichkeit gehabt, die Folgebescheinigung abzugeben.

Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 5. September 2018 zurückgewiesen. Die Beklagte berief sich in der Begründung insbesondere auf die Regelung des § 49 Abs. 1 Nr. 5 Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch (SGB V). Die fortlaufende Arbeitsunfähigkeit sei der Krankenkasse grundsätzlich innerhalb einer Woche nach dem zuletzt vom Arzt bestätigten voraussichtlichen Bis-Datum zu melden. Im vorliegenden Fall sei die Meldefrist von einer Woche überschritten worden. Wegen dieser Spätmeldung ruhe der Krankengeldanspruch. Auf die verspätete Zustellung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch den Arbeitgeber komme es nicht an. Es sei Aufgabe des Versicherten, die Arbeitsunfähigkeit fristgerecht zu melden.

Der Kläger hat am 12. September 2018 Klage beim Sozialgericht erhoben. Er habe die neue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erst abends am 14. Mai 2018 in seinem Briefkasten vorgefunden.

Das Sozialgericht hat der Klage mit Gerichtsbescheid vom 20. Juni 2019 stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung der streitigen Bescheide zur Zahlung von Krankengeld für die Zeit vom 8. bis 14. Mai 2018 verurteilt. Der Anspruch des Klägers auf die Zahlung von Krankengeld folge aus § 44 Abs. 1 SGB V. Die ordnungsgemäße Feststellung der Arbeitsunfähigkeit gem. § 46 S. 1 Nr. 2, S. 2 SGB V sei zwischen den Beteiligten unstreitig geblieben. Es stelle sich allein die Frage, ob der Krankengeldanspruch in dem streitgegenständlichen Zeitraum gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5 geruht habe, weil der Kläger das Fortbestehen seiner Arbeitsunfähigkeit nicht rechtzeitig gemeldet habe. Das sei nicht der Fall; ein Ruhenstatbestand sei nicht gegeben. Nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V ruhe der Anspruch auf Krankengeld, solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet werde; dies gelte nicht, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit erfolge. Eine eigentliche Meldefrist sehe die Vorschrift nach ihrer Konstruktion (Grundsatz/Ausnahme) nicht vor; das Ruhen knüpfe grundsätzlich an den negativen Tatbestand ("solange ... nicht gemeldet wird") an. Mittelbar bewirke der 2. Halbsatz allerdings eine Meldefrist, weil eine zunächst unterlassene Meldung binnen einer Woche sanktionsfrei nachgeholt werden könne. Diese mittelbare Meldefrist sei eine so genannte Ereignisfrist, die nach § 26 Abs. 1 und 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) i.V.m. den §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu berechnen sei. Sie beginne mit dem Tag, der auf den des tatsächlichen Eintritts der Arbeitsunfähigkeit folge, und ende eine Woche später mit dem Ablauf des Tages, der dem Tag entspreche, an dem die Arbeitsunfähigkeit eingetreten sei bzw. am nächsten Werktag bei Fristende auf einem Samstag, Sonn- oder Feiertag (§ 26 Abs. 3 SGB X). Die Frist knüpfe nach dem eindeutigen Wortlaut an den Beginn der Arbeitsunfähigkeit an und beginne daher mit dem Tag nach dem tatsächlichen Arbeitsunfähigkeitsbeginn, nicht mit dem Tag der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit. Allerdings entstehe der Krankengeldanspruch gemäß § 46 S. 1 Nr. 2 SGB V erst mit der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit. Daher werde eine Meldung der Arbeitsunfähigkeit regelmäßig erst nach Ausstellung der entsprechenden ärztlichen Bescheinigung in Betracht kommen. Bei einer Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit über den ursprünglich bescheinigten Zeitraum hinaus bestehe in Rechtsprechung und Literatur Einigkeit dahingehend, dass die Meldeobliegenheit der Arbeitsunfähigkeit in § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V bei befristeter Krankschreibung nicht auf die erstmalige Bewilligung von Krankengeld beschränkt sei. Bei jeweils befristeten (abschnittsweisen) Folgebescheinigungen müssten Versicherte auch bei Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit diese rechtzeitig ärztlich feststellen lassen (§ 46 SGB V) und ihrer Krankenkasse binnen Wochenfrist melden, wenn sie das Ruhen des Anspruchs auf Krankengeld verhindern wollten. Seit der Änderung des § 46 S. 2 SGB V zum 23. Juli 2015 genüge es für die Erhaltung des Krankengeldanspruchs, wenn das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit festgestellt werde. Soweit in der bisherigen Rechtsprechung des BSG, auf die sich die Beklagte berufe, davon ausgegangen werde, dass das Fortbestehen rechtzeitig vor Ablauf des bescheinigten Arbeitsunfähigkeitszeitraums erfolgen müsse, beziehe sich dies erkennbar noch auf die alte Rechtslage. Maßgeblich für den Beginn der Wochenfrist sei vorliegend die Ausstellung der Folgebescheinigung durch die Fliegerärzte am 8. Mai 2018. Da der Kläger diese Bescheinigung am 15. Mai 2018 bei der Beklagten eingereicht habe, sei die Wochenfrist des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V eingehalten worden. Zumindest in Fällen, in denen ein Versicherter seine Arbeitsunfähigkeit am nächsten Werktag nach Ablauf der Vorbescheinigung feststellen lasse, könne entgegen der Auffassung der Beklagten nicht an den letzten Tag der vorhergehenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung angeknüpft werden. Der Wortlaut des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V knüpfe maßgeblich an das tatsächliche Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit an. Voraussetzung für das Bestehen der Meldeobliegenheit sei daher nicht der Ablauf der Vorbescheinigung, sondern vielmehr die tatsächliche Feststellung des Fortbestehens der Arbeitsunfähigkeit. Demnach könne man nicht davon ausgehen, dass sich die Wochenfrist bei Folgebescheinigungen von einer Ereignisfrist gemäß § 187 Abs. 1 BGB in eine Terminsfrist gemäß § 187 Abs. 2 BGB umwandele. Die entgegenstehende Auffassung der Beklagten würde dazu führen, dass Versicherte, die das Fortbestehen ihrer Arbeitsunfähigkeit im Einklang mit § 46 S. 2 SGB V am nächsten Werktag nach Ablauf der Vorbescheinigung feststellen ließen, faktisch eine verkürzte Meldefrist beachten müssten. Für den Kläger hätte diese Verkürzung nur einen Tag betragen. Es seien aber auch Konstellationen mit drastischeren Verkürzungen denkbar, etwa wenn die Arbeitsunfähigkeit bis zum letzten Werktag vor einem Feiertagswochenende bescheinigt werde und der Versicherte sich im Einklang mit § 46 S. 2 SGB V erst am nächsten Werktag wieder bei seinem Arzt vorgestelle. Für eine solche Verkürzung biete der Wortlaut des § 49 Abs. 1 Nr.5 SGB V keinen Anknüpfungspunkt. Ein Anknüpfen des Beginns der Meldefrist an den letzten Tag der Vorbescheinigung lasse sich auch aus systematischen Gründen nicht rechtfertigen. Die gesetzliche Regelung regele nur eine mittelbare Meldefrist, indem sie dem Versicherten die Möglichkeit einräume, die Meldung innerhalb einer Woche nachzuholen. Im Grundsatz müsse der Versicherte seine Arbeitsunfähigkeit unverzüglich bei der Krankenkasse melden. Würde man der Auffassung der Beklagten folgen, müsste der Versicherte ggf. vorsorglich noch vor der Feststellung des Fortbestehens der Arbeitsunfähigkeit eine entsprechende Meldung bei der Krankenkasse veranlassen. Das wäre unsinnig. Ein Abstellen auf den letzten Tag der Vorbescheinigung sei auch nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht geboten. Mit der Regelung des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V solle sichergestellt werden, dass die Krankenkassen nicht die Voraussetzungen eines verspätet geltend gemachten Krankengeldanspruchs im Nachhinein aufklären müsse. Sie solle die Möglichkeit erhalten, die Arbeitsunfähigkeit zeitnah durch Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung überprüfen zu lassen, um Leistungsmissbräuchen entgegentreten und Maßnahmen zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit einleiten zu können. Diesem Ziel sei aber genüge getan, wenn die Krankenkassen innerhalb einer Woche nach der letzten ärztlichen Feststellung die Möglichkeit zur Überprüfung erhielten.

Die Beklagte hat gegen den ihr am 25. Juni 2019 zugestellten Gerichtsbescheid am 5. Juli 2019 Berufung eingelegt. Eine fortbestehende Arbeitsunfähigkeit sei als einheitlicher Lebenssachverhalt zu betrachten und eine weitere Arbeitsunfähigkeit kein neues Ereignis i.S.d. Fristenregelung des BGB, so dass auch § 187 Abs. 1 BGB keine Anwendung finde. Bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit sei es erforderlich, dass die weitere Arbeitsunfähigkeit innerhalb einer Woche nach dem zuletzt vom Arzt bestätigten voraussichtlichen "Bis-Datum" der Krankenkasse gemeldet werde.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Gerichtsbescheides abzuweisen.

Der Kläger hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend und hat keinen ausdrücklichen Antrag gestellt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft, form- und fristgerecht gem. §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und daher zulässig. Sie ist aber unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen wird, hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben.

Ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen:

§ 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V stellt auf die Arbeitsunfähigkeit und deren Meldung ab. Das Mittel zur Meldung der Arbeitsunfähigkeit ist die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Diese wird wiederum nach ärztlicher Feststellung der Arbeitsunfähigkeit vom behandelnden Arzt ausgestellt. Um daher seiner Meldepflicht nachkommen zu können, braucht der Versicherte eine entsprechende ärztlich ausgestellte Bescheinigung. Hat er eine solche nicht, kann er auch keine Arbeitsunfähigkeit melden. Diese Notwendigkeit ergibt sich auch aus der neusten Entscheidung des BSG zu dieser Frage (vgl. BSG, Beschl. v. 04.06.2019 – B 3 KR 48/18 B, Rn. 13). Es ist daher in der vorliegenden Konstellation, in der die ärztliche Feststellung der weiteren Arbeitsunfähigkeit zeitlich dem Ablauf der "Bis-Frist" nachfolgt, für die Einhaltung der Meldeobliegenheit des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V das Datum der (neuen) ärztlichen AU-Feststellung maßgeblich.

Nicht zu vergleichen ist diese Konstellation mit derjenigen, in der die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit dem Ablauf der "Bis-Frist" vorausgeht. Diese Konstellation lag der von der Beklagten zitierten Entscheidung des Hessischen LSG (Urt. v. 08.02.2018 - L 1 KR 333/17) und auch der zuvor zitierten Entscheidung des BSG zugrunde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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