L 7 SO 4/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
5
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 5 SO 343/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 4/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 21. November 2019 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin zur Erteilung einer Auskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse verpflichtet ist.

Die Klägerin ist die Mutter des 1955 geborenen B. Dieser bezog von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 1. März 2016 bis zum 28. Februar 2019 (Rentenbescheid vom 15. April 2016) mit einem monatlichen Zahlbetrag von 348,99 Euro ab 1. Juli 2016 sowie eine Betriebsrente wegen voller Erwerbsminderung i.H.v. 144,26 Euro ab dem 1. März 2016 (Mitteilung der VBL vom 22. Juni 2016). Der Beklagte bewilligte dem B. ab September 2016 Sozialhilfe in Form von Hilfe zum Lebensunterhalt.

Mit Schreiben vom 30. September 2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass B. seit dem 30. September 2016 Hilfe zum Lebensunterhalt erhalte und sie nach bürgerlichem Recht zu den Personen gehöre, die nach ihren verwandtschaftlichen Rechtsbeziehungen gegenüber dem Hilfeempfänger unterhaltspflichtig seien. Die Klägerin wurde aufgefordert, anhand des beigefügten Vordrucks ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse darzulegen. Die Klägerin trug hierzu vor, es sei nicht ausreichend nachgewiesen, dass B. trotz des Bezugs einer Rente wegen voller Erwerbsminderung wenigstens in zeitlich begrenztem Umfang von bis zu drei Stunden täglich keiner Beschäftigung nachgehen könne. Es komme hinzu, dass nicht dargetan sei, weshalb der 61-jährige Hilfeempfänger bislang lediglich Rentenansprüche in Höhe von 348,99 Euro begründet habe. Sofern dies darauf beruhe, dass er seiner Erwerbsobliegenheit nicht nachgekommen sei, entfalle seine Bedürftigkeit in Höhe des erzielbaren Erwerbseinkommens.

Mit Schreiben vom 9. August 2017 teilte die Beklagte dem Bevollmächtigten der Klägerin Folgendes mit: "Nach § 117 Abs. 1 SGB XII sind Unterhaltsverpflichtete verpflichtet, Auskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu erteilen, soweit dies zur Durchführung des Gesetzes erforderlich ist. Dabei kommt es nur darauf an, dass Auskunftspflichtige zum Kreis der dem Grunde nach Unterhaltspflichtigen gehören. Im vorliegenden Fall sind die unveränderlichen Voraussetzungen einer Unterhaltspflicht, nämlich Abstammung in gerader Linie, gegeben.

Für die Auskunftspflicht kommt es nicht darauf an, ob eine Unterhaltspflicht unter Berücksichtigung der Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit tatsächlich besteht und ob dies auch durchgesetzt werden kann – oder ob Sie der Auffassung sind, dass hinsichtlich der bestehenden Erwerbsobliegenheit von Herrn B. kein Unterhaltsanspruch besteht. Diese und ähnliche Fragen werden erst akut, wenn der Sozialhilfeträger auf Grund der ihm zu erteilenden Auskünfte eine Leistungsfähigkeit festgestellt hat und tatsächlich Unterhaltsleistungen fordert. Dann wären diese Fragen in einem Zivilprozess zu klären, den der Sozialhilfeträger anzustrengen hätte, sofern Unterhalt seinerzeit nicht geleistet wird. Die Trennung zwischen verwaltungsrechtlich zu realisierendem Auskunftsanspruch und bürgerlich-rechtlichem Unterhaltsanspruch ist sachgerecht, weil im Vorfeld einer unterhaltsrechtlichen Inanspruchnahme die Rechtsbeziehungen zwischen Unterhaltspflichtigem und Hilfeempfänger und die Verhältnisse Unterhaltspflichtiger zumindest in einem groben und überschaubaren Rahmen geprüft werden müssen. Eine solche Prüfung ist nur möglich, wenn Unterhaltspflichtige entsprechende Auskünfte erteilen. Zur Durchsetzung dieses, dem Träger der Sozialhilfe zustehenden öffentlich-rechtlichen Auskunftsanspruches, ist es daher erforderlich und statthaft, den Auskunftsanspruch durch Bescheid ausdrücklich festzustellen und ein Zwangsgeld anzudrohen. Wir gehen nun nochmals auf Ihre Argumente ein: Die Deutsche Rentenversicherung übersendet medizinische Unterlagen ihrer Versicherten nur mit deren Einwilligung. Da Herr B. seine Einwilligung nicht gegeben hat und derzeit dazu auch nicht verpflichtet werden kann, können wir Ihnen keine Auskunft darüber geben, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen er genau hat. Die Tatsache, dass der Rentenversicherungsträger eine befristete gesundheitliche Beeinträchtigung festgestellt hat, die zur Erwerbsfähigkeit unter drei Stunden täglich führt, ist für die Bewilligung der SGB XII-Leistungen ausreichend. Herr B. erhält Leistungen vom Sozialamt, weil er aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen der Arbeitsvermittlung durch das Jobcenter nicht zur Verfügung steht. Die Mutter kann sich daher nicht darauf berufen, dass er seiner Erwerbsobliegenheit nicht nachkommt. Herr B. hat seit 06/1988 bis zu seiner Krankheit durchgehend gearbeitet und konnte seinen Lebensunterhalt durch seine Arbeit immer selbst bestreiten. Ohne Krankheit wäre er jetzt noch im Arbeitsverhältnis und nicht auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII angewiesen. Seine angestellte Tätigkeit ruht derzeit. Ferner hat Herr B. vor der Antragstellung sein Vermögen aufgebraucht. Folglich hat er seine Bedürftigkeit nicht selbst herbeigeführt."

Nachdem die Klägerin trotz Erinnerung keine Unterlagen vorgelegt hatte, verpflichtete die Beklagte die Klägerin mit Bescheid vom 7. Dezember 2017, der Beklagten innerhalb eines Monats über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse Auskunft zu geben. Weiter drohte sie für den Fall, dass die Klägerin nicht innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Bestandskraft des Bescheides die Auskunft erteile, die Festsetzung eines Zwangsgeldes i.H.v. 150,00 Euro an. Zur Begründung führte sie aus, Unterhaltsverpflichtete und ihre nicht getrennt lebenden Ehegatten seien gem. § 117 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) verpflichtet, dem Träger der Sozialhilfe über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse Auskunft zu geben, soweit die Durchführung des SGB XII es erfordere. Der Umfang der Auskunftspflicht ergebe sich aus den der Klägerin vorliegenden Prüfbögen zur Beurteilung der Unterhaltsfähigkeit.

Hiergegen erhob die Klägerin am 8. Januar 2018 Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 2018, auf den Bezug genommen wird, zurückwies.

Hiergegen hat die Klägerin am 8. Februar 2018 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben.

Mit Urteil vom 21. November 2019 hat das SG die Klage abgewiesen. Mit Beschluss vom 6. Mai 2020 hat das SG das Urteil in Bezug auf die Entscheidungsgründe berichtigt. Auf das berichtigte Urteil wird Bezug genommen.

Gegen das ihr am 28. November 2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 30. Dezember 2019, einem Montag, Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB XII berechtige die Beklagte nicht, Auskunft über Einkommen und Vermögen der Klägerin zu verlangen, weil ein Unterhaltsanspruch des mittlerweile 64-jährigen Sohnes gegen sie nicht bestehe. Einen Auskunftsanspruch nach dieser Norm nur dann zu versagen, wenn von vornherein ohne nähere Prüfung, ohne Beweiserhebung und ohne eingehende rechtliche Prüfung ersichtlich sei, dass ein Unterhaltsanspruch nicht bestehe, würde letztlich dazu führen, dass kaum mehr Fälle denkbar seien, in denen diese Ausnahme greifen könne. Denkbar wären sonst letztlich nur noch Fälle, in denen sich die Behörde über die Verwandtschaft der Beteiligten geirrt oder sich an eine falsche Person gewandt habe. Eine derartige Auslegung führe aber nicht nur zu einer Spaltung der Rechtsordnung, sondern auch zu einer Verkürzung des Rechtsschutzes der in Anspruch genommenen Verwandten. Vorliegend gehe es auch nicht um komplexe Unterhaltsberechnungen oder die Bewertung schwieriger Verwirkungsfragen. Maßgeblich sei vielmehr, dass B. keinerlei Ausbildung angetreten oder abgeschlossen und über Jahre hinweg nicht gearbeitet habe. Daher sei sein Unterhaltsanspruch entfallen. Schließlich würden auch die Entscheidungsgründe des – unberichtigten – angefochtenen Urteils die Entscheidung nicht tragen. Während der Tatbestand der Entscheidung den Sachverhalt noch korrekt wiedergebe, folgten in den Entscheidungsgründen Ausführungen des Gerichts zur Frage der Übernahme von Mietkosten "während der Haftzeit des Klägers". Schon aus diesem Grund sei das Urteil falsch und aufzuheben.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 21. November 2019 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. Dezember 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Januar 2018 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 144 Abs. 1 Satz 1 SGG). Einer Zulassung bedarf die Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG nur, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 Euro nicht übersteigt. Vorliegend ist nicht eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung streitig, sondern eine Auskunftsverpflichtung. Diese ist nicht bezifferbar, sodass die Regelung des § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG über den Berufungsausschluss nicht greift. Die Berufung wurde auch gem. § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt.

2. Gegenstand des vorliegenden Rechtstreits ist der Bescheid vom 7. Dezember 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Januar 2018, mit dem die Beklagte die Klägerin zur Erteilung einer Auskunft verpflichtet hat. Dagegen wendet sich die Klägerin statthaft im Wege der isolierten Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG.

3. Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

a. Das angefochtene Urteil hat zwar ursprünglich keine Entscheidungsgründe enthalten. Gem. § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG enthält das Urteil die Entscheidungsgründe. Keine Entscheidungsgründe liegen vor, wenn die angeführte Begründung völlig unverständlich und verworren oder sonst derart unbrauchbar ist, dass die aufgeführten Entscheidungsgründe unter keinem Gesichtspunkt geeignet sind, den Urteilstenor zu tragen (BSG, Beschluss vom 5. Oktober 2010 – B 8 SO 62/10 B – juris Rdnr. 7). Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat das angefochtene Urteil des SG keine Entscheidungsgründe enthalten. In den so bezeichneten Entscheidungsgründen hat sich das SG in keiner Weise mit dem streitigen Sachverhalt auseinandergesetzt, den es im Tatbestand noch zutreffend skizziert hat. Die Ausführungen haben sich vielmehr ausschließlich auf eine Übernahme von Mietkosten während der Haftzeit "des Klägers" gem. § 67 SGB XII, die in keinem erkennbaren rechtlichen oder sachlichen Zusammenhang mit dem vorliegenden Rechtsstreit stehen, bezogen. Das SG hat das Urteil nicht mit der gebotenen Sorgfalt abgefasst und ganz offensichtlich dem Urteil ursprünglich die Entscheidungsgründe eines anderen Verfahrens beigefügt. Durch die nachträgliche Urteilsberichtigung sind dem Urteil jedoch die maßgeblichen Entscheidungsgründe beigefügt worden, wobei der Berichtigungsbeschluss im vorliegenden Berufungsverfahren nicht auf seine sachlich-rechtliche Richtigkeit zu überprüfen ist.

Unabhängig hiervon und ungeachtet der verschleppenden Verfahrensweise des SG (vgl. Aktenanforderung beim SG am 7. Januar 2020; Eingang der SG-Akten beim Senat am 15. Mai 2020) kann der Senat gleichwohl in der Sache entscheiden. Denn im Berufungsverfahren als weiterer Tatsacheninstanz prüft das Berufungsgericht den Streitfall in gleichem Umfang wie das Sozialgericht. Es hat auch neu vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel zu berücksichtigen (§ 157 SGG). Das Berufungsgericht ist danach nicht auf die bloße Nachprüfung der Richtigkeit der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung beschränkt, sondern entscheidet – innerhalb des Berufungsantrags – wie das Ausgangsgericht über das Klagebegehren selbst. § 157 SGG stellt auch klar, dass eine Bindung an bloße Begründungselemente der mit der Berufung angefochtenen Entscheidung ausgeschlossen ist (Binder in HK-SGG, 5. Aufl. 2017, § 157 Rdnrn. 2, 8; Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 13. Aufl. 2020, § 136 Rdnr. 7h).

b. Rechtsgrundlage für den Auskunftsanspruch der Beklagten als sachlich und örtlich für die Erbringung der Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt an den Hilfeempfänger zuständiger Sozialhilfeträger (§§ 3 Abs. 1, 97 Abs. 1, 98 Abs. 1 SGB XII i.V.m. §§ 1 Abs. 1, 2 des baden-württembergischen Gesetzes zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (AGSGB XII)) ist § 117 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB XII. Nach der Regelung des § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, welche Ausdruck des Grundsatzes des Nachranges der Sozialhilfe ist (§ 2 SGB XII), haben die Unterhaltspflichtigen, ihre nicht getrenntlebenden Ehegatten oder Lebenspartner und die Kostenersatzpflichtigen dem Träger der Sozialhilfe über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse Auskunft zu geben, soweit die Durchführung dieses Buches es erfordert. Dabei haben sie die Verpflichtung, auf Verlangen des Trägers der Sozialhilfe Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen. Die Vorschrift ermächtigt den Träger der Sozialhilfe, die Auskunftsverpflichtung durch Verwaltungsakt gegenüber dem Pflichtigen geltend zu machen und bei Auskunftsverweigerung im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchzusetzen (Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 21. Januar 1993 – 5 C 22/90BVerwGE 91, 375 zu der im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorgängerregelung des § 116 Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG)). Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB XII liegen vor, wenn der zivilrechtliche Unterhaltsanspruch des Hilfeempfängers gegen die Klägerin weder offensichtlich im Wege der Negativevidenz noch nach § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ausgeschlossen ist (vgl. BSG, Urteil vom 20. Dezember 2012 – B 8 SO 75/12 B – juris Rdnr. 7 ff.; Senatsurteile vom 6. November 2014 – L 7 SO 5083/12 – (n.v.); vom 12. Dezember 2013 – L 7 SO 4209/09 – juris Rdnr. 34; vom 28. Februar 2013 – L 7 SO 4014/11 – (n.v.) und vom 21. Juni 2018 – L 7 SO 1715/16 – juris Rdnr. 21; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26. Januar 2015 – L 20 SO 12/14 – juris Rdnrn. 40 ff.; Bayerisches LSG, Urteile vom 23. Oktober 2014 – L 8 SO 212/12 – juris Rdnrn. 39 ff. und vom 28. Januar 2014 – L 8 SO 21/12 – juris Rdnrn. 43 ff.; vgl. ferner BVerwG, Urteil vom 6. November 1975 – V C 28.75BVerwGE 49, 311 – juris Rdnr. 15). Die Rechtmäßigkeit des Auskunftsverlangens setzt nicht voraus, dass dem Hilfeempfänger der Unterhaltsanspruch tatsächlich und nachweisbar zusteht. Nach ständiger Rechtsprechung ist es ist nicht Aufgabe der Sozialgerichte, unterhaltsrechtlichen Fragen (näher) nachzugehen. Diese Prüfung obliegt in dem gegliederten Rechtsschutzsystem der Bundesrepublik Deutschland den insoweit rechtswegmäßig zuständigen Zivilgerichten. Nur wenn ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch nach objektivem, materiellem Recht offensichtlich ausgeschlossen ist – und insofern ist mit Blick auf die gegliederte Aufgabenzuweisung strikte Zurückhaltung geboten –, ist ein gleichwohl erlassenes, erkennbar sinnloses Auskunftsersuchen aufzuheben.

Dabei folgt der Senat in ständiger Rechtsprechung nicht dem Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 1. September 2010 (L 12 SO 61/09 – juris) (z.B. Senatsurteile vom 12. Dezember 2013 – L 7 SO 4209/09 – juris Rdnr. 34; vom 28. Februar 2013 – L 7 SO 4014/11 – (n.v.) und vom 21. Juni 2018 – L 7 SO 1715/16 – juris; nachfolgend BSG, Beschluss vom 14. Januar 2019 – B 8 SO 56/18 B – juris). Dieses hatte in dem zitierten Urteil die Auffassung vertreten, ein Auskunftsanspruch des Sozialhilfeträgers sei ausgeschlossen, wenn sich der Sachvortrag des vermeintlich Auskunftspflichtigen hinsichtlich des Wegfalls eines Unterhaltsanspruchs als schlüssig und eine Beweisbarkeit des Vortrages als nicht unwahrscheinlich darstelle. Das BSG hat hierzu im Beschluss vom 20. Dezember 2012 (B 8 SO 75/12 B – juris Rdnr. 8) überzeugend darauf hingewiesen, dass das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 1. September 2010 im Widerspruch zu der von diesem selbst herangezogenen Rechtsprechung des BVerwG steht und den Grundsatz der Negativevidenz konterkariert. Entscheidend ist vielmehr, dass die Prüfung des Unterhaltsanspruchs nach zivilrechtlichen Maßstäben durch das nach dem zugewiesenen Rechtsweg sachlich kompetente Gericht – somit durch das Zivilgericht – erfolgen soll. Die Negativevidenz soll nur klare Fälle ausscheiden, bei denen eine Inanspruchnahme für die Auskunft von vorherein sinnlos ist, weil der Unterhaltsanspruch unter keinen Umständen bestehen kann. Eine Negativevidenz kann damit auch im Rahmen des § 117 Abs. 1 SGB XII nur dann vorliegen, wenn von vornherein, d.h. ohne nähere Prüfung, ohne Beweiserhebung und ohne eingehende rechtliche Überlegungen ersichtlich ist, dass der Unterhaltsanspruch nicht besteht (vgl. wiederum Senatsurteil vom 21. Juni 2018 – L 7 SO 1715/16 – juris Rdnr. 22). Dies führt gerade nicht zu einer Spaltung der Rechtsordnung, wie die Klägerin meint, sondern dient gerade der Einheit der Rechtsordnung, indem die Prüfung des tatsächlichen Unterhaltsanspruchs den Zivilgerichten vorbehalten bleibt. Auch führt die Verpflichtung zur Auskunftserteilung nicht zu einer Verkürzung des Rechtsschutzes der Klägerin. Denn mit der Erteilung der Auskunft steht noch nicht fest, dass der Auskunftspflichtige auch zur Unterhaltsgewährung verpflichtet ist. Die Beklagte soll hierdurch vielmehr erst in die Lage versetzt werden zu prüfen, ob ggf. ein Anspruch gegen die Klägerin geltend gemacht werden soll, der dann ggf. in einem Rechtsstreit vor den Zivilgerichten geltend zu machen wäre und in dem die Klägerin nicht gehindert ist, sämtliche gegen einen Unterhaltsanspruch sprechenden Gründe vorzubringen.

c. Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig. Die Beklagte, die dem Sohn der Klägerin Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII seit September 2016 erbracht hat, ist als tatsächlicher und sachlich zuständiger Leistungserbringer auch für das Auskunftsersuchen zuständig. Dahingestellt bleiben kann, ob vor Erlass eines Auskunftsersuchens eine Anhörung durchzuführen ist (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. Mai 2013 – L 9 SO 212/12 – juris Rdnr. 33), da ein Verstoß hiergegen jedenfalls mit der Durchführung des Widerspruchsverfahrens als geheilt anzusehen ist (§ 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X)).

d. Der angefochtene Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die Klägerin ist ihrem Sohn dem Grunde nach unterhaltspflichtig. Nach § 1601 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sind Verwandte in gerader Linie verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. Der Hilfebedürftige muss bedürftig sein (vgl. § 1602 BGB), woran vorliegend jedenfalls unabhängig von der von der Klägerin aufgeworfenen Frage, ob B. seiner unterhaltsrechtlichen Erwerbsobliegenheit nachgekommen ist (vgl. Langeheine in MüKo-BGB, 8. Aufl. 2020, § 1602 Rdnr. 14 ff.), keine Zweifel bestehen, und der Unterhaltspflichtige muss leistungsfähig sein (§ 1603 BGB), was erst nach einer Auskunftserteilung geprüft werden kann. Die Unterhaltsverpflichtung ist gem. § 1611 Abs. 1 Satz 1 BGB beschränkt auf Unterhalt in der Höhe, die der Billigkeit entspricht, wenn der Unterhaltsberechtigte durch sein sittliches Verschulden bedürftig geworden ist, er seine eigene Unterhaltspflicht gegenüber dem Unterhaltspflichtigen gröblich vernachlässigt oder sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen oder einen nahen Angehörigen des Unterhaltspflichtigen schuldig gemacht hat. Die Verpflichtung zur Gewährung von Unterhalt fällt gem. § 1611 Abs. 1 Satz 2 BGB ganz weg, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre.

Unterhaltsansprüche im Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern betreffen zwar überwiegend den Unterhalt während der Minderjährigkeit und danach den Ausbildungsunterhalt, die elterliche Unterhaltspflicht kann aber über die Minderjährigkeit hinaus andauern bzw. auch später wieder aufleben, wenn die Bedürftigkeit des Kindes fortbesteht oder nach bereits erlangter Selbständigkeit neu entsteht, etwa aufgrund einer Erkrankung oder Behinderung oder in Folge von Arbeitslosigkeit (Brudermüller in Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, § 1611 Rdnr. 3). Insoweit sind die von der Klägerin angeführten Urteile des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 4. März 1998 – XII ZR 173/96 – juris) und des Oberlandesgerichts (OLG) Celle (Urteil vom 18. Februar 2004 – 15 UF 208/03 – juris) nicht einschlägig, da sie lediglich den Ausbildungsunterhalt nach § 1610 Abs. 2 BGB betreffen. Auch der Vortrag der Klägerin, einem Unterhaltsanspruch ihres Sohnes stehe entgegen, dass er keine Ausbildung absolviert habe, greift nicht durch. Denn vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob der Hilfebedürftige eine Ausbildung abgeschlossen hat, da der Abschluss einer Ausbildung nicht dem Grunde nach Voraussetzung für einen Unterhaltsanspruch ist. Ein Unterhaltsanspruch ist auch nicht deswegen "verwirkt", weil für den Hilfeempfänger von August 1978 bis Juni 1988 keine Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet worden sind. Maßgeblich sind vielmehr die Verhältnisse bei Eintritt der Hilfebedürftigkeit. Vorliegend ist die Hilfebedürftigkeit erst im Jahr 2016 eingetreten, nachdem B. seit Juni 1988 in einem Arbeitsverhältnis gestanden hatte und seinen Lebensunterhalt bis zum Eintritt einer Erkrankung selbst bestreiten konnte. Seine Hilfebedürftigkeit nach dem SGB XII ist zudem erst eingetreten, nachdem er sein Vermögen verbraucht hat. Unabhängig davon zeigen die Einwendungen der Klägerin, dass gegebenenfalls der unterhaltsrechtliche Sachverhalt, z.B. die Bildungs- und Erwerbsbiographie des B., zu ermitteln und zu bewerten wäre. Dies ist – wie dargelegt – nicht Aufgabe des vorliegenden Verfahrens.

Die Vorschrift des § 94 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 1 und 2 SGB XII steht der Rechtmäßigkeit des Auskunftsverlangens ebenfalls nicht entgegen. Danach gehen Unterhaltsansprüche nicht nach § 94 Abs. 1 SGB XII auf den Sozialhilfeträger über, soweit die unterhaltspflichtige Person Leistungsberechtigte nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII ist oder bei Erfüllung des Anspruchs würde (Nr. 1) oder der Übergang des Anspruchs eine unbillige Härte bedeuten würde (Nr. 2). Insbesondere liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin selbst zum anspruchsberechtigten Personenkreis nach §§ 19 Abs. 1 und 2, 27, 41 SGB XII gehört. Dies könnte im Übrigen erst nach Erteilung der Auskunft festgestellt werden. Auch ist eine besondere Härte i.S. des § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Diese öffentlich-rechtliche Regelung ist von den unterhaltsrechtlichen Voraussetzungen der Verwirkung des Unterhaltsanspruches in § 1611 Abs. 1 BGB abzugrenzen. Umstände, die bereits nach bürgerlichem Recht ganz oder teilweise der Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs entgegenstehen, kommen nicht als Härtegrund i.S. des § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB XII in Betracht (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26. Januar 2015, a.a.O. Rdnr. 49; Bayerisches LSG, Urteil vom 23. Oktober 2014, a.a.O. Rdnr. 55; Urteil vom 28. Januar 2014, a.a.O. Rdnr. 63; BGH, Urteil vom 15. September 2010, XII ZR 149/09 - juris Rdnr. 44). Denn soweit ein Unterhaltsanspruch nicht besteht, kann er auch nicht auf den Träger der Sozialhilfe übergehen. Die Bedeutung der unbilligen Härte im Sinne der Übergangsvorschrift muss deswegen darüber hinausgehen. Eine solche Härte kommt in Betracht, wenn die Inanspruchnahme des Unterhaltsverpflichteten aus der Sicht des Sozialhilferechts soziale Belange vernachlässigen würde, wenn also von dem Unterhaltspflichtigen in dieser Situation üblicherweise nicht (mehr) erwartet werden kann, nun (auch noch) im Hinblick auf den Unterhaltsanspruch in die Pflicht genommen zu werden. Eine solcher Fall ist vorliegend nicht gegeben. Die Klägerin hat vielmehr ausschließlich dazu vorgetragen, dass die Bedürftigkeit ihres Sohnes selbstverschuldet sei.

Die Klägerin ist ihrer Auskunftsverpflichtung nicht nachgekommen. Sie hat nachdrücklich eine Auskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse abgelehnt. Entsprechende Angaben hat sie auch in der Folgezeit nicht gemacht und Unterlagen nicht eingereicht.

Schließlich kommt es auch auf die Frage, ob die Sozialhilfe rechtmäßig gewährt wurde, im Rahmen der Auskunft durch potentiell Unterhaltspflichtige grundsätzlich nicht an (vgl. dazu im Einzelnen Senatsurteile vom 28. Februar 2012 – L 7 SO 4014/11 – (n.v.) und vom 21. Juni 2018 – L 7 SO 1715/16 – juris). Der Wortlaut des § 117 Abs. 1 SGB XII stellt – ebenso wie zuvor § 116 Abs. 1 BSHG – lediglich auf den tatsächlichen Bezug von Sozialhilfeleistungen ab; auch andere Erwägungen zwingen nicht zu einer darüber hinausgehenden Auslegung. Sinn und Zweck der Pflicht zur Auskunft ist die Durchsetzung des Nachranges der Sozialhilfe (§ 2 SGB XII). Dadurch wird dem Träger der Sozialhilfe ein rechtliches Instrumentarium zur Verfügung gestellt, das diesen in die Lage versetzt, durch Eintritt in die Gläubigerposition den vom Gesetz gewollten Vorrang der Verpflichtung anderer, die dem Hilfeempfänger die erforderliche Hilfe hätten gewähren können, nachträglich zu verwirklichen. Dieses Bedürfnis besteht schon dann, wenn die Hilfe als Sozialhilfe gewährt worden ist, unabhängig davon, ob dies zu Recht oder zu Unrecht erfolgt ist. Insoweit ist es im Rahmen des Auskunftsverlangens auch unbeachtlich, auf welchen "angeblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen" die Erwerbsunfähigkeit des Hilfebedürftigen beruht.

Durch die begehrte Auskunftserteilung wird die Klägerin auch nicht unangemessen in Anspruch genommen. Insbesondere wird ihr in Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschütztes Persönlichkeitsrecht, vor allem ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung, nicht in rechtswidriger Weise verletzt, sondern durch § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB XII im höherrangigen Allgemeininteresse, namentlich im Interesse der Herstellung des Nachrangs der Sozialhilfe, in zulässiger Weise eingeschränkt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 7. Mai 2012 – L 20 SO 32/12 – juris Rdnr. 53 m.w.N.). Die vom Beklagten erbetenen Auskünfte sind erforderlich, um eine etwaige Unterhaltspflicht der Klägerin prüfen zu können.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsgerichtsordnung (VwGO), da die Klägerin nicht zu dem in § 183 Satz 1 SGG genannten Personenkreis gehört, für den das Verfahren vor den Sozialgerichten kostenfrei ist. Gem. § 154 Abs. 1 VwGO trägt der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens. Im Rahmen der Kostenentscheidung ist nicht zu berücksichtigen, dass das angefochtene Urteil zunächst nicht mit Gründen versehen war und die Berufung (auch) hierauf gestützt worden ist, wobei die Klägerin auch nach den Hinweisen des Senats vom 21. Januar 2020 und vom 27. Februar 2020 und nach Erlass des Berichtigungsbeschlusses des SG vom 6. Mai 2020 an ihrer Berufung festgehalten hat und zudem die Zulassung der Revision angeregt hat. Denn die Entscheidung über die Nichterhebung von Kosten wegen unrichtiger Sachbehandlung ist nicht im Erkenntnisverfahren, sondern im Kostenansatzverfahren zu treffen (OLG München, Rpfl. 1987, S. 214; Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 155 Rdnr. 24).

5. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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