L 7 AS 9/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AS 551/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 9/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 15. November 2019 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung höherer Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) an den Kläger für die Zeit von November 2016 bis April 2017 streitig. Vorrangig sind prozessrechtliche Fragen zu klären.

Der 1956 geborene Kläger bezieht vom Beklagten laufende Leistungen nach dem SGB II.

1. Mit Bescheid vom 24. Oktober 2016 bewilligte der Beklagte dem Kläger vorläufige Leistungen für die Zeit vom 1. November 2016 bis zum 30. April 2017 in Höhe von monatlich 845,27 Euro. Hierbei legte er einen ernährungsbedingten Mehrbedarf von monatlich 40,40 Euro und einen unabweisbaren, laufenden Bedarf für Waschmittel von monatlich 10,41 Euro zugrunde.

Mit Bescheid vom 24. November 2016 hob der Beklagte den Bescheid vom 24. Oktober 2016 (teilweise) auf und bewilligte dem Kläger für die Zeit vom 1. Dezember 2016 bis zum 30. April 2017 vorläufige Leistungen in Höhe von monatlich 804,87 Euro. Ab dem 1. Dezember 2016 werde ein Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung nicht mehr gewährt.

Mit Änderungsbescheid vom 26. November 2016 bewilligte der Beklagte dem Kläger aufgrund der Erhöhung des Regelsatzes von Januar 2017 bis April 2017 monatlich 809,87 Euro.

Gegen alle Bescheide erhob der Kläger Widerspruch.

Mit Bescheid vom 2. Februar 2017 hob der Beklagte die Bescheide vom 24. Oktober 2016 und 24. November 2016 wegen erzielten Einkommens des Klägers teilweise auf und setzte die Erstattung von 456,48 Euro fest.

Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2017 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 24. Oktober 2016 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 24. November 2016 zurück. Hiergegen hat der Kläger am 22. Februar 2017 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben (S 14 AS 551/17).

Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Juni 2017 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 26. November 2016 zurück. Hiergegen hat der Kläger am 4. Juli 2017 Klage zum SG erhoben (S 14 AS 2036/17).

2. Mit Bescheid vom 21. September 2016 lehnte der Beklagte den Antrag auf Übernahme von Kosten für ein Desinfektionsmittel ab. Mit Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 2017 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Hiergegen hat der Kläger am 22. Februar 2017 Klage zum SG erhoben (S 14 AS 552/17).

Einen Antrag des Klägers auf Erstattung der Kosten für das Medikament C. (Behandlung von Fuß- und Nagelpilz) in Höhe von 16,48 Euro, den der Beklagte als Antrag auf Überprüfung des Bescheids vom 21. September 2016 (Ablehnung von Kosten für Desinfektionsmittel) wertete, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 27. Januar 2017 ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies er mit Widerspruchsbescheid vom 12. Juni 2017 zurück. Hiergegen hat der Kläger am 4. Juli 2017 Klage zum SG erhoben (S 14 AS 2037/17).

3. Mit Bescheid vom 21. September 2016 lehnte der Beklagte den Antrag auf Übernahme von Reparaturkosten für Lederschuhe ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies er mit Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 2017 zurück. Hiergegen hat der Kläger am 21. Februar 2017 Klage zum SG erhoben (S 14 AS 554/17).

4. Einen im März 2017 gestellten Antrag auf Übernahme der Kosten für eine im März 2017 vom Kläger angeschaffte Jahreskarte für das H. Bad in Höhe von 164,00 Euro wertete der Beklagte als Antrag auf Überprüfung eines Bescheids vom 23. Januar 2015, mit dem ein Mehrbedarf wegen therapeutischen Rückenschwimmens abgelehnt worden war und gegen den bereits ein Klageverfahren anhängig war. Mit Bescheid vom 21. April 2017 lehnte der Beklagte den Antrag ab, dieser werde Gegenstand des laufenden Klageverfahrens. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies er mit Widerspruchsbescheid vom 12. Juni 2017 zurück. Hiergegen hat der Kläger am 4. Juli 2017 Klage zum SG erhoben (S 14 AS 2039/17).

5. Mit Bescheid vom 21. April 2017 lehnte der Beklagte den im März 2017 gestellten Antrag des Klägers auf Übernahme der im Jahr 2017 anfallenden Kosten für Schuhreparaturen ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies er mit Widerspruchsbescheid vom 12. Juni 2017 zurück. Hiergegen hat der Kläger am 4. Juli 2017 Klage zum SG erhoben (S 14 AS 2040/17).

6. Nachdem der Kläger vom Kammervorsitzenden im Erörterungstermin vom 25. Mai 2018 darauf hingewiesen worden war, dass die isolierte Geltendmachung eines laufenden Mehrbedarfs unzulässig sei und dass die Kosten für das H. Bad im Monat ihres Entstehens geltend zu machen seien, hat die Kläger die Klagen in den Verfahren S 14 AS 554/17, S 14 AS 2029/17 und S 14 AS 2040/17 zurückgenommen.

7. Mit Beschluss vom 28. Mai 2018 hat das SG die Verfahren S 14 AS 551/17, S 14 AS 552/17, S 14 AS 2036/17 und S 14 AS 2037/17 unter dem Aktenzeichen S 14 AS 551/17 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

8. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 15. November 2019 hat der Kläger ausweislich des Protokolls beantragt, den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 24. Oktober 2016 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 24. November 2016, dieser in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Februar 2017 zu verpflichten, ihm für November 2016 weitere 76,97 Euro und für Dezember 2016 bis April 2017 monatlich weitere 117,37 Euro zu gewähren.

Mit Urteil vom 15. November 2019 hat das SG die Klagen abgewiesen. Die Berufung sei nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulassungsbedürftig, da der Wert des Beschwerdegegenstandes mit 663,82 Euro den Wert von 750,00 Euro nicht übersteige. Die Berufung werde nicht zugelassen, da keiner der Berufungszulassungsgründe des § 144 Abs. 2 SGG gegeben sei. In der Rechtsmittelbelehrung hat das SG ausgeführt, gegen dieses Urteil stehe den Beteiligten die Berufung nur zu, wenn sie nachträglich zugelassen werde. Zu diesem Zweck könne die Nichtzulassung der Berufung mit der Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde sei von dem Kläger innerhalb von drei Monaten nach Zustellung des Urteils bei dem Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg einzulegen.

Gegen das dem Kläger am 30. November 2019 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schreiben vom 30. Dezember 2019, beim LSG Baden-Württemberg am 2. Januar 2020 eingegangen, Berufung eingelegt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts M. vom 15. November 2019 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 24. Oktober 2016 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 24. November 2016, dieser in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Februar 2017 zu verpflichten, ihm für November 2016 weitere 76,97 Euro und für Dezember 2016 bis April 2017 weitere 117,37 Euro monatlich zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen.

Mangels Zulassung durch das SG sei die Berufung unzulässig.

Die Beteiligten sind auf die Absicht des Senats, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen, hingewiesen worden. Ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogenen Akten des Beklagten Bezug genommen.

II.

1. Die Berufung des Klägers ist mangels Zulassung unzulässig und daher gemäß § 158 Sätze 1 und 2 SGG zu verwerfen.

a) Die Berufung des Klägers ist zwar form- und fristgerecht eingelegt worden. Die in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils genannte Frist von drei Monaten ist unzutreffend. Die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde bzw. der Berufung beträgt grundsätzlich einen Monat (§§ 145 Abs. 1 Satz 2, 151 Abs. 1 SGG) nach Zustellung des vollständigen Urteils. Nur bei Zustellung im Ausland - die hier nicht vorliegt – beträgt die Einlegungsfrist entsprechend § 87 Abs. 1 Satz 2 SGG drei Monate. Da die Rechtsbehelfsbelehrung fehlerhaft ist, gilt somit die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG.

b) Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG in der hier anwendbaren, ab 1. April 2008 geltenden Fassung, bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 Euro nicht übersteigt. Diese Regelung findet nur dann keine Anwendung, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Für die Frage, ob die Berufung der Zulassung bedarf, ist der Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels entscheidend (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 8. Oktober 1981 - 7 RAr 72/80 - juris Rdnr. 16 m.w.N.; BSG, Urteil vom 23. Februar 2011 - B 11 AL 15/10 R - juris Rdnr. 13; - LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Juli 2015 - L 4 R 3257/13 - juris Rdnr. 41; Breitkreuz/Schreiber in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl. 2014, § 144 Rdnr. 6; Sommer in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 144 Rdnr. 24). Der Beschwerdewert bemisst sich ausschließlich nach der Höhe des Geldbetrages, um den unmittelbar gestritten wird (BSG, Beschluss vom 22. Juli 2010 - B 4 AS 77/10 B - juris Rdnr. 6). Fallen mehrere Streitgegenstände in den Anwendungsbereich des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG, sind die Beschwerdewerte zu addieren (BSG, Urteil vom 5. Februar 1998 - B 11 AL 19/97 - juris Rdnr. 15; BSG, Beschluss vom 18. April 2016 - B 14 AS 150/15 - juris Rdnr. 6).

c) Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für eine zulassungsfreie Berufung nicht vor.

aa) Ein Beschwerdewert von mehr als 750,00 Euro wird nicht erreicht.

(1) Der Beschwerdegegenstand richtet sich danach, was durch das angefochtene Urteil des Sozialgerichts versagt, also abgelehnt worden ist, und mit der Berufung weiterverfolgt wird (BSG, Beschluss vom 5. August 2015 - B 4 AS 17/15 B - juris Rdnr. 6 m.w.N.). Dies ist durch Vergleich des vor dem Sozialgericht beantragten Gegenstandes mit dem ausgeurteilten Gegenstand und dem in der Berufung weiterverfolgten Begehren zu bestimmen (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 144 Rdnr. 14 m.w.N.; Wehrhahn in jurisPK-SGG, 2017, § 144 Rdnr. 19). Maßgeblich ist insoweit, was der Berufungskläger in Wirklichkeit als sachlich verfolgtes Prozessziel anstrebt, was er unter den gegebenen Umständen allenfalls wollen kann (BSG, Urteil vom 5. März 1980 - 9 RV 44/78 - Rdnr. 14). Maßgebend ist der materielle "Kern" des gerichtlichen Verfahrens (BSG, Urteil vom 5. März 1980 - 9 RV 44/78 - Rdnr. 14).

(2) Das Begehren des Klägers zielt bei sachgerechter Auslegung seines Vorbringens auf die Gewährung von höheren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 1. November 2016 bis zum 30. April 2017. Der Kläger hat den geltend gemachten Anspruch in dem in der mündlichen Verhandlung vor dem SG gestellten Klageantrag dahingehend beziffert, dass er für November 2016 weitere 76,97 Euro und für Dezember 2016 bis April 2017 monatlich weitere 117,37 Euro geltend macht. Damit ist ein Betrag von insgesamt 663,82 Euro streitig, der den Wert von 750,00 Euro nicht übersteigt.

bb) Die Berufung betrifft auch nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG, sondern Leistungen für die Zeit vom 1. November 2016 bis zum 30. April 2017 und damit für lediglich sechs Monate.

d) Die Berufung ist auch nicht durch das SG zugelassen worden. Das SG hat vielmehr im Urteilstenor entschieden und in den Entscheidungsgründen und in der Rechtsmittelbelehrung des Urteils darauf hingewiesen, dass die Berufung nicht zugelassen wird.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

3. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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