L 7 SO 257/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SO 3310/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 257/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 18. November 2019 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII). Des Weiteren beanstandet er ein Schreiben des Beklagten, mit welchem er zur Mitwirkung aufgefordert wurde.

Der 1966 geborene Kläger ist kosovarischer Staatsangehöriger und im Besitz einer Niederlassungserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland. Nach der Feststellung des Rentenversicherungsträgers ist der Kläger auf Dauer voll erwerbsgemindert. Er ist freiwillig krankenversichert bei der H. Krankenkasse. Er stand seit mehreren Jahren im Bezug von Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII beim Beklagten.

Zuletzt wurden dem Kläger mit Bescheid vom 29. März 2019 laufende Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 1. November 2018 bis 31. Oktober 2019 in Höhe von 777,43 Euro für die Monate November und Dezember 2018, in Höhe von 813,00 Euro für den Monat Januar 2019 sowie in Höhe von 1030,42 Euro monatlich ab dem Monat Februar 2019 bewilligt.

Mit Schreiben vom 17. April 2019 bestätigte der Beklagte den Eingang von Schreiben des Klägers vom 7. April, 9. April und 11. April 2019 und verwies den Kläger unter anderem wegen eines Wechsels von Türschlössern an die Stadt B., forderte Nachweise zu einem auf den Kläger zugelassenen Kraftfahrzeug, bat um Konkretisierung, welche Anträge aus seiner Sicht noch nicht beschieden seien, und verwies wegen der Beschaffung von Brillen auf einen Versagungsbescheid vom 27. Februar 2019, wegen Leistungen zur Wahrnehmung des Umgangsrechts mit seinem Sohn auf den Bescheid vom 1. März 2019 sowie wegen Leistungen für Bekleidung auf erfolgte Unterlagenanforderungen.

Am 20. April 2019 legte der Kläger gegen den Bescheid vom 29. März 2019 Widerspruch ein (WS SO 44/2019). Am 12. Mai 2019 legte der Kläger auch gegen das Schreiben vom 17. April 2019 Widerspruch ein (WS SO 65/2019).

Mit Bescheid vom 27. Mai 2019 entzog der Beklagte die mit Bescheid vom 29. März 2019 gewährten Leistungen mit Wirkung ab 1. Juni 2019 und ordnete die sofortige Vollziehung des Entziehungsbescheides an.

Am 19. Juni 2019 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Freiburg (S 7 SO 2572/19) und beantragte gleichzeitig den Erlass einer einstweiligen Anordnung (S 7 SO 2571/19 ER), wobei er sich insbesondere auf das Widerspruchsschreiben vom 10. Mai 2019 bezüglich des Schreibens vom 17. April 2019 bezog und im Verlauf des Eilverfahrens auch gegen die Leistungseinstellung mit Bescheid vom 27. Mai 2019 richtete. Den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung lehnte das SG mit Beschluss vom 7. August 2019 ab, die dagegen beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegte Beschwerde (L 7 SO 2863/19 ER-B) wies das LSG mit Beschluss vom 3. September 2019 zurück.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 2019 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 29. März 2019 als unbegründet und den Widerspruch gegen das Schreiben vom 17. April 2019 als unzulässig zurück.

Mit Gerichtsbescheid vom 5. September 2019 wies das SG die Klage S 7 SO 2572/19 betreffend das Schreiben vom 17. April 2019 ab. Die Klage sei als Anfechtungsklage zumindest seit Erlass des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2019 zulässig, aber nicht begründet, da die mit der Klage angefochtenen Entscheidungen, insbesondere der Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 2019 nicht zu beanstanden seien, weil der Widerspruch gegen das Schreiben vom 17. April 2019 nicht zulässig gewesen sei.

Am 15. August 2019 hat der Kläger gegen den Bescheid vom 29. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2019 Klage zum Sozialgericht (SG) Freiburg (S 7 SO 3310/19) erhoben. Gegen das Schreiben vom 17. April 2019 und den Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 2019, soweit er sich auch das Schreiben vom 17. April 2019 bezieht, hat der Kläger ebenfalls Klage zum SG Freiburg (S 7 SO 3311/19) erhoben. Das SG hat die Klagen mit Beschluss vom 24. Oktober 2019 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Mit Gerichtsbescheid vom 18. November 2019, der der Betreuerin und Generalbevollmächtigten des Klägers am 19. November 2019 zugestellt worden ist, hat das SG die Klagen abgewiesen. Der streitbefangene Zeitraum der Klage S 7 SO 3310/19 erstrecke sich vom 1. November 2018 bis 31. Mai 2019. Ab dem 1. Juni 2019 gelte der Versagungsbescheid vom 27. Mai 2019, der bestandskräftig geworden sei. Die Klage sei unbegründet, weil der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf höhere laufende Leistungen ab dem 1. November 2018 nicht feststellbar sei. Die ursprüngliche Klage S 7 SO 3311/19 sei unzulässig wegen entgegenstehender Rechtskraft. Die Rechtmäßigkeit des Schreibens vom 17. April 2019 und des Widerspruchsbescheids vom 17. Juli 2019 seien insoweit bereits Gegenstand des Klageverfahrens S 7 SO 2572/19, das durch Gerichtsbescheid vom 5. September 2019 abgeschlossen worden sei, gewesen.

Am 14. Januar 2020 hat der Kläger gegen "alle Entscheidungen des SG Freiburg, die in letzter Zeit zu seinem Nachteil ergangen sind", die Einlegung einer "Beschwerde" erklärt. Die Entscheidungen seien aufzuheben. Krankheitsbedingt sei er nicht in der Lage, die Beschwerde ausführlich zu begründen.

Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 18. November 2019 sowie 1. das Schreiben vom 17. April 2019 und den Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 2019, soweit er das Schreiben vom 17. April 2019 betrifft, aufzuheben und 2. den Bescheid vom 27. Mai 2019 aufzuheben, den Bescheid vom 29. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2019 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. November 2018 bis 31. Oktober 2019 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erachtet den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend und die Berufung aufgrund des Ablaufs der Berufungsfrist für unzulässig.

Das Ablehnungsgesuch des Klägers gegen VRLSG hat der Senat mit Beschluss vom 5. März 2020 zurückgewiesen (S 7 SF 585/20 AB).

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht fristgerecht erhoben wurde, und daher gemäß § 158 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu verwerfen.

Nach § 158 Satz 1 SGG ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen, wenn sie nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Frist oder nicht schriftlich oder nicht in elektronischer Form oder nicht zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt worden ist.

Zweifelhaft ist bereits, ob der Kläger gegen den Gerichtsbescheid vom 18. November 2019, mit welchem das SG über das Schreiben vom 17. April 2019 bzw. den Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 2019, soweit er das Schreiben betrifft, und den Bescheid vom 29. März 2019 in der Fassung des Bescheides vom 27. Mai 2019, der nicht den streitigen Zeitraum beschränkt, sondern gemäß § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden ist, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2019 entschieden hat, überhaupt wirksam Berufung eingelegt hat. Zwar hindert nicht die Bezeichnung des Rechtsmittels als "Beschwerde", den Schriftsatz des Klägers vom 14. Januar 2020 im Wege der Auslegung gemäß § 133 Bürgerliches Gesetzbuch als Berufungseinlegung zu verstehen (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 151 Rdnr. 11). Jedoch ist Zulässigkeitsvoraussetzung, dass aus der Berufungsschrift bzw. den Begleitumständen zweifelsfrei hervorgeht, gegen welche Entscheidung sich die Berufung richtet (vgl. Leitherer a.a.O, Rdnr. 11b). Ob diese Voraussetzung mit der Erklärung, dass gegen alle Entscheidungen des SG "der letzten Zeit" ein Rechtsmittel eingelegt wird, erfüllt ist, obwohl schon mangels Nennung eines konkreten Zeitraums nicht konkret bestimmt werden kann, welche Entscheidungen angefochten werden sollten, kann letztendlich offenbleiben, weil die Berufung bezogen auf den Gerichtsbescheid vom 18. November 2019 jedenfalls nicht rechtzeitig eingelegt worden ist.

Gegen einen gemäß § 105 Abs. 1 SGG ergangenen Gerichtsbescheid können die Beteiligten innerhalb eines Monats nach dessen Zustellung das Rechtsmittel einlegen, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte (§ 105 Abs. 2 Satz 1 SGG). Gemäß §§ 143, 144 SGG wäre bei einer Entscheidung durch Urteil die Berufung statthaft. Nach § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Landessozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung bei dem Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird (§ 151 Abs. 2 Satz 1 SGG). Nach § 64 Abs. 1 SGG beginnt der Lauf einer Frist, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit dem Tage nach der Zustellung. Eine nach Monaten bestimmte Frist endet mit dem Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats, welcher nach der Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt - hier also die Zustellung - fällt (§ 64 Abs. 2 Satz 1 SGG); fällt das Ende der Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages (Abs. 3 a.a.O.). Vorliegend ist die Berufungsfrist versäumt, ohne dass Wiedereinsetzungsgründe gegeben sind.

Der Gerichtsbescheid des SG vom 18. November 2019 war mit einer zutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehen (vgl. § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG i.V.m. §§ 136 Abs. 1 Nr. 7, 66 Abs. 1 SGG); dort war der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim LSG einzulegen sei, die Berufungsfrist jedoch auch gewahrt sei, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist beim SG eingelegt werde. Die Ausfertigung des Gerichtsbescheids ist der Betreuerin und Generalbevollmächtigten des Klägers, nachdem diese in der Wohnung nicht angetroffen werden konnte, ausweislich der - die inhaltlichen Anforderungen des § 182 Zivilprozessordnung (ZPO) beachtenden - Postzustellungsurkunde am 19. November 2019 (einem Dienstag) durch Einlegen in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten wirksam zugestellt worden (vgl. § 180 Satz 1 i.V.m. § 178 Abs. 1 ZPO). An die Bevollmächtigte des Klägers konnte auch wirksam zugestellt werden (§ 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGG i.V.m. § 172 Abs. 1 ZPO). Damit endete die Berufungsfrist von einem Monat (§ 151 Abs. 1 SGG) am 19. Dezember 2019 (einem Donnerstag). Demgegenüber ist die Berufung des Klägers erst am 14. Januar 2020 beim LSG eingegangen.

Wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung kann dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden. Wiedereinsetzung ist (nur) zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine Verfahrensfrist einzuhalten (§ 67 Abs. 1 SGG). Dies ist dann der Fall, wenn der Beteiligte diejenige Sorgfalt aufgewendet hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig//Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 67 Rdnr. 3). Derartige Gründe, welche den Kläger schuldlos an einer rechtzeitigen Einlegung der Berufung gehindert haben, sind von diesem nicht vorgebracht und erst recht nicht glaubhaft gemacht; sie sind auch sonst nicht ersichtlich.

Wegen Versäumung der Berufungsfrist ist dem Senat eine Prüfung des klägerischen Begehrens in der Sache verwehrt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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