L 7 SO 258/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SO 3332/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 258/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 18. November 2019 wird als unzulässig verworfen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt im Rahmen von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) die Übernahme von Umzugs- und Einlagerungskosten, die Übernahme von Kosten für Hygieneartikel und Medizinprodukte sowie von Zahnimplantaten und die Gewährung eines höheren Darlehens für die Anschaffung neuer Elektrogeräte.

Der 1966 geborene Kläger ist kosovarischer Staatsangehöriger und im Besitz einer Niederlassungserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland. Nach der Feststellung des Rentenversicherungsträgers ist der Kläger auf Dauer voll erwerbsgemindert. Er ist freiwillig krankenversichert bei der H. Krankenkasse. Er stand seit mehreren Jahren im Bezug von Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII beim Beklagten.

Zuletzt wurden dem Kläger mit Bescheid vom 29. März 2019 laufende Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 1. November 2018 bis 31. Oktober 2019 in Höhe von 777,43 Euro für die Monate November und Dezember 2018, in Höhe von 813,00 Euro für den Monat Januar 2019 sowie in Höhe von 1030,42 Euro monatlich ab dem Monat Februar 2019 bewilligt. Mit Bescheid vom 27. Mai 2019, der Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 29. März 2019 geworden ist, entzog der Beklagte die gewährten Leistungen mit Wirkung zum 1. Juni 2019. Der Bescheid vom 29. März 2019 in der Fassung des Bescheides vom 27. Mai 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2019 ist Gegenstand des Klageverfahrens S 7 SO 3310/19 und des Berufungsverfahrens L 7 SO 257/19.

Bereits am 5. Juli 2018 stellte der Kläger beim Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Beihilfen für die Beschaffung neuer Haushaltsgeräte (Kühlschrank, Elektroherd, Waschmaschine), weil die vorhandenen Geräte defekt seien. Mit Bescheid vom 3. Januar 2019 gewährte der Beklagte dem Kläger ein Darlehen zur Beschaffung eines Kühlschranks, eines Elektroherdes und einer Waschmaschine in Form eines Gutscheins. Dabei waren für den Kühlschrank und den Herd jeweils 77,00 Euro und für die Waschmaschine 200,00 Euro vorgesehen. Am 19. Februar 2019 legte der Kläger beim Beklagten eine Rechnung über insgesamt 953,98 Euro für den Kauf eines Elektroherdes, eines Kühlschranks, einer Waschmaschine, Transportkosten und Anschlusskosten vor. Am 7. April 2019 beantragte der Kläger die Gewährung eines weiteren Darlehens für die Beschaffung der Elektrogeräte, soweit die Kosten den bereits gewährten Darlehensbetrag überstiegen. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 16. April 2019 ab. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 22. April 2019 Widerspruch (WS SO 43/2019) ein.

Am 25. November 2018 beantragte der Kläger beim Beklagten die Übernahme der Kosten für diverse Hygieneartikel und Medizinprodukte (für Artelac Tropfen und Gel 50,00 Euro monatlich, für Inkontinenzeinlagen 200,00 Euro monatlich, für Prothesenhaftcreme 48,00 Euro monatlich, für Shampoo 50,00 Euro monatlich, für Nasenöl Coldastop 40,00 Euro monatlich, für Kondome und "Potenzmittel" 50,00 Euro monatlich) bzw. deren Berücksichtigung als Bedarf im Rahmen der laufenden Grundsicherungsleistungen. Am 26. Januar 2019 beantragte der Kläger des Weiteren die Übernahme von Kosten für Zahnimplantate in Höhe von 715,00 Euro. Mit Bescheid vom 28. Februar 2019 lehnte der Beklagte die Anträge auf Übernahme bzw. Berücksichtigung der Kosten für Hygieneartikel und Medizinprodukte sowie auf Leistungen für Zahnimplantate ab. Am 9. April 2019 beantragte der Kläger die Überprüfung des Bescheides vom 28. Februar 2019. Den Überprüfungsantrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 15. April 2019 ab, wogegen der Kläger am 20. April 2019 Widerspruch (WS SO 39/2019) einlegte.

Bis Ende Januar 2019 war der Kläger zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit in eine Unterkunft in der R.str. in B. eingewiesen. Am 8. Januar 2019 erfolgte eine Umsetzungsverfügung durch die Gemeinde in eine neue Unterkunft in der K.straße in B. zum 1. Februar 2019. Daraufhin beantragte der Kläger am 26. Januar 2019 die Übernahme von Umzugs- und Einlagerungskosten beim Beklagten, wozu er mehrere Kostenvoranschläge vorlegte. Zum 1. Februar 2019 zog der Kläger in die neue Unterkunft. Mit Bescheid vom 10. Mai 2019 lehnte der Beklagte den Antrag auf Übernahme der Umzugskosten ab. Dagegen legte der Kläger am 15. Juli 2019 Widerspruch (WS SO 58/2019) ein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 2019 wies der Beklagte die Widersprüche gegen die Bescheide vom 15. April 2019, vom 16. April 2019 und vom 10. Mai 2019 zurück.

Am 16. August 2019 hat der Kläger gegen die Bescheide vom 15. April 2019 und vom 10. Mai 2019 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2019 jeweils eine Klage zum Sozialgericht (SG) Freiburg (S 7 SO 3332/19 und S 7 SO 3333/19) erhoben. Am 20. August 2019 hat er außerdem Klage (S 7 SO 3360/19) gegen den Bescheid vom 16. April 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2017 erhoben. Das SG hat die Klagen mit Beschluss vom 24. Oktober 2019 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Mit Gerichtsbescheid vom 18. November 2019, der der Betreuerin und Generalbevollmächtigten des Klägers am 19. November 2019 zugestellt worden ist, hat das SG die Klagen abgewiesen.

Am 14. Januar 2020 hat der Kläger gegen "alle Entscheidungen des SG Freiburg, die in letzter Zeit zu seinem Nachteil ergangen sind", die Einlegung einer "Beschwerde" erklärt. Die Entscheidungen seien aufzuheben. Krankheitsbedingt sei er nicht in der Lage, die Beschwerde ausführlich zu begründen.

Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 18. November 2019 aufzuheben sowie 1. den Bescheid vom 15. April 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2019 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm unter Aufhebung des Bescheides vom 28. Februar 2019 und Abänderung des Bescheides vom 29. März 2019 in der Fassung des Bescheides vom 27. Mai 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2019 um monatlich 338,00 Euro höhere Leistungen sowie unter Aufhebung des Bescheides vom 28. Februar 2019 715,00 Euro für Zahnimplantate zu gewähren, 2. den Bescheid vom 16. April 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2019 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm ein weiteres Darlehen in Höhe von 599,98 Euro für die Beschaffung von Elektrogeräten zu gewähren und 3. den Bescheid vom 10. Mai 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2019 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm Umzugskosten zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erachtet den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend und die Berufung aufgrund des Ablaufs der Berufungsfrist für unzulässig.

Das Ablehnungsgesuch des Klägers gegen VRLSG hat der Senat durch Beschluss vom 5. März 2020 zurückgewiesen (L 7 SF 586/20 AB).

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht fristgerecht erhoben wurde, und daher gemäß § 158 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu verwerfen.

Nach § 158 Satz 1 SGG ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen, wenn sie nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Frist oder nicht schriftlich oder nicht in elektronischer Form oder nicht zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt worden ist.

Zweifelhaft ist bereits, ob der Kläger gegen den Gerichtsbescheid vom 18. November 2019, mit welchem das SG über die Bescheide vom 15. April 2019, 16. April 2019 und vom 10. Mai 2019 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2010 entschieden hat, überhaupt wirksam Berufung eingelegt hat. Zwar hindert nicht die Bezeichnung des Rechtsmittels als "Beschwerde", den Schriftsatz des Klägers vom 14. Januar 2020 im Wege der Auslegung gemäß § 133 Bürgerliches Gesetzbuch als Berufungseinlegung zu verstehen (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 151 Rdnr. 11). Jedoch ist Zulässigkeitsvoraussetzung, dass aus der Berufungsschrift bzw. den Begleitumständen zweifelsfrei hervorgeht, gegen welche Entscheidung sich die Berufung richtet (vgl. Leitherer a.a.O, Rdnr. 11b). Ob diese Voraussetzung mit der Erklärung, dass gegen alle Entscheidungen des SG "der letzten Zeit" ein Rechtsmittel eingelegt wird, erfüllt ist, obwohl schon mangels Nennung eines konkreten Zeitraums nicht konkret bestimmt werden kann, welche Entscheidungen angefochten werden sollten, kann letztendlich offenbleiben, weil die Berufung bezogen auf den Gerichtsbescheid vom 18. November 2019 jedenfalls nicht rechtzeitig eingelegt worden ist.

Gegen einen gemäß § 105 Abs. 1 SGG ergangenen Gerichtsbescheid können die Beteiligten innerhalb eines Monats nach dessen Zustellung das Rechtsmittel einlegen, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte (§ 105 Abs. 2 Satz 1 SGG). Gemäß §§ 143, 144 SGG wäre bei einer Entscheidung durch Urteil die Berufung statthaft. Nach § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem LSG schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung bei dem Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird (§ 151 Abs. 2 Satz 1 SGG). Nach § 64 Abs. 1 SGG beginnt der Lauf einer Frist, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit dem Tage nach der Zustellung. Eine nach Monaten bestimmte Frist endet mit dem Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats, welcher nach der Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt - hier also die Zustellung - fällt (§ 64 Abs. 2 Satz 1 SGG); fällt das Ende der Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages (Abs. 3 a.a.O.). Vorliegend ist die Berufungsfrist versäumt, ohne dass Wiedereinsetzungsgründe gegeben sind.

Der Gerichtsbescheid des SG vom 18. November 2019 war mit einer zutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehen (vgl. § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG i.V.m. §§ 136 Abs. 1 Nr. 7, 66 Abs. 1 SGG); dort war der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Landessozialgericht einzulegen sei, die Berufungsfrist jedoch auch gewahrt sei, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist beim SG eingelegt werde. Die Ausfertigung des Gerichtsbescheids ist der Betreuerin und Generalbevollmächtigten des Klägers, nachdem diese in der Wohnung nicht angetroffen werden konnte, ausweislich der - die inhaltlichen Anforderungen des § 182 Zivilprozessordnung (ZPO) beachtenden - Postzustellungsurkunde am 19. November 2019 (einem Dienstag) durch Einlegen in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten wirksam zugestellt worden (vgl. § 180 Satz 1 i.V.m. § 178 Abs. 1 ZPO). An die Bevollmächtigte des Klägers konnte auch wirksam zugestellt werden (§ 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGG i.V.m. § 172 Abs. 1 ZPO). Damit endete die Berufungsfrist von einem Monat (§ 151 Abs. 1 SGG) am 19. Dezember 2019 (einem Donnerstag). Demgegenüber ist die Berufung des Klägers erst am 14. Januar 2020 beim LSG eingegangen.

Wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung kann dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden. Wiedereinsetzung ist (nur) zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine Verfahrensfrist einzuhalten (§ 67 Abs. 1 SGG). Dies ist dann der Fall, wenn der Beteiligte diejenige Sorgfalt aufgewendet hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig//Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 67 Rdnr. 3). Derartige Gründe, welche den Kläger schuldlos an einer rechtzeitigen Einlegung der Berufung gehindert haben, sind von diesem nicht vorgebracht und erst recht nicht glaubhaft gemacht; sie sind auch sonst nicht ersichtlich.

Wegen Versäumung der Berufungsfrist ist dem Senat eine Prüfung des klägerischen Begehrens in der Sache verwehrt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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