L 7 SO 791/20 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SO 5396/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 791/20 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 2. März 2020 abgeändert. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig laufende Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit vom 24. Dezember 2019 bis 30. Juni 2020, längstens jedoch zum Eintritt des Bestandskraft des Bescheides vom 7. Oktober 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2019 lediglich unter Anrechnung der vom Antragsteller bezogenen Altersrente als Einkommen zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

Die nach §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde des Antragsgegners hat lediglich in geringem Umfang Erfolg.

Gegenstand des am 24. Dezember 2019 vom Antragsteller beim Sozialgericht Freiburg (SG) anhängig gemachten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens war sein Begehren auf eine (vorläufige) Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), nachdem die Antragsgegnerin den – nach unter Anordnung der sofortigen Vollziehung erfolgter Zurücknahme des Bescheides vom 30. April 2019, wogegen der Antragsteller erfolglos einstweiligen Rechtsschutz beantragt (S 7 SO 2774/19 ER) und Beschwerde eingelegt (L 7 SO 3530/19 ER-B) hatte – vom Antragsteller am 14. Mai 2019 erneut gestellten Antrag mit Bescheid vom 7. Oktober 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2019 abgelehnt hat, wogegen der Antragsteller zugleich Klage erhoben hat. Das SG hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 2. März 2020 den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig ab 1. Dezember 2019 bis 30. Juni 2020 lediglich unter Anrechnung der vom Antragsteller bezogenen Altersrente zu gewähren. Dagegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.). Die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO) gelten entsprechend (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG).

Vorliegend kommt, wie vom SG zutreffend erkannt, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 2. Alt. SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt zunächst die Statthaftigkeit und Zulässigkeit des Rechtsbehelfs voraus. Die Begründetheit des Antrags wiederum hängt vom Vorliegen der Anordnungsvoraussetzungen ab, nämlich dem Anordnungsanspruch und dem Anordnungsgrund (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 – L 7 AS 2875/05 ER-B – FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 – L 7 SO 2117/05 ER-B – FEVS 57, 164). Eine einstweilige Anordnung darf mithin grundsätzlich nur erlassen werden, wenn beide Voraussetzungen gegeben sind. Dabei betrifft der Anordnungsanspruch die Frage der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs, während der Anordnungsgrund nur bei Eilbedürftigkeit zu bejahen ist. Denn die Regelungsanordnung dient zur "Abwendung" wesentlicher Nachteile mit dem Ziel, dem Betroffenen die Mittel zur Verfügung zu stellen, die zur Behebung aktueller – noch bestehender – Notlagen notwendig sind (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. etwa Beschlüsse vom 13. Oktober 2005 – L 7 SO 3804/05 ER-B –, 28. März 2007 – L 7 AS 121/07 ER-B – und 2. September 2010 – L 7 SO 1357/10 ER-B –, alle juris). Es ist nicht Aufgabe des einstweiligen Rechtsschutzes, Angelegenheiten, die nicht dringlich sind, einer Regelung, die ohnehin nur vorläufig sein kann, zuzuführen; in derartigen Fällen ist dem Antragsteller vielmehr ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache zumutbar (vgl. Senatsbeschlüsse vom 25. August 2009 – L 7 AS 2040/09 ER-B – und 25. Juni 2010 – L 7 SO 2034/10 ER-B –; ferner Landessozialgericht [LSG] Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 30. Januar 2008 – L 9 B 600/07 KR ER – und 4. Juni 2009 – L 34 AS 815/09 B ER –, beide juris). Die Anordnungsvoraussetzungen, nämlich der prospektive Hauptsacheerfolg (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen – insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz – wiegen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. schon Beschluss vom 15. Juni 2005 – L 7 SO 1594/05 ER-B – juris unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts [BVerfG]; z.B. BVerfG NVwZ 1997, 479; NVwZ 2005, 927; NZS 2008, 365). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange der Antragsteller vorzunehmen. Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom 1. August 2005 a.a.O. und vom 17. August 2005 a.a.O.).

Nach diesen Maßgaben sind die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung vorliegend erfüllt. Das SG hat zutreffend und ausführlich dargelegt, dass im Rahmen des Eilverfahrens eine vollständige Klärung der Sach- und Rechtslage namentlich in Bezug auf das Bestehen eines Schenkungsrückforderungsanspruchs des Antragstellers gegen seine Mutter, welcher gegebenenfalls einem Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung entgegenstehen könnte, nicht möglich ist. Des Weiteren ist das SG nach der unter Berücksichtigung der Vorgaben des BVerfG bei einem offenen Verfahrensausgang vorgenommenen Güter- und Interessenabwägung zutreffend davon ausgegangen, dass diese zugunsten des Antragstellers ausfällt. Der Senat nimmt auf die Ausführungen des SG in dem angefochtenen Beschluss Bezug und sieht von einer weiteren Darstellung der Gründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend ist auszuführen, dass auch das Bestehen eines Schenkungsrückforderungsanspruchs in Höhe des vom Antragsteller selbst angesparten Betrages von 3.500,00 EUR dem Vorliegen eines Anordnungsgrundes nicht entgegensteht. Grundsätzlich können zwar bei der Frage des Anordnungsgrundes auch Mittel Berücksichtigung finden, die bei der materiellen Frage der Hilfebedürftigkeit außen vor bleiben müssen, weil es sich insbesondere um Schonvermögen (§ 90 Abs. 2 SGB XII) handelt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. März 2007 – 1 BvR 535/07 – n.v.; Beschluss des Senats vom 14. März 2019 – L 7 AS 634/19 ER-B – juris Rdnr. 8 m.w.N.). Vorliegend ist jedoch zu berücksichtigen, dass es sich nicht um einen Barbetrag oder sonstigen seiner unmittelbaren Verfügungsbefugnis unterliegenden Geldwert handelt, der dem Antragsteller zum sofortigen Verbrauch zur Verfügung steht, sondern um eine bloße Forderung, die zunächst, gegebenenfalls unter Einsatz weiterer finanzieller Mittel und Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes, realisiert werden müsste.

Ein Anordnungsgrund ist jedoch für die Zeit vor der Anbringung des einstweiligen Rechtsschutzgesuches beim SG nicht gegeben, weshalb der Beschluss des SG entsprechend abzuändern war. Durch eine einstweilige Anordnung sollen nur diejenigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, die zur Behebung einer aktuellen, d.h. gegenwärtig noch bestehenden Notlage erforderlich sind. Für die Gewährung von Leistungen für die Vergangenheit besteht demgegenüber regelmäßig kein Anordnungsgrund (Beschluss des Senats vom 30. Juli 2019 – L 7 SO 2356/19 ER-B – juris Rdnr. 11 m.w.N.). Einen ausnahmsweise wegen eines Nachholbedarfs bestehenden Anordnungsgrund hat der Antragsteller nicht geltend bzw. nicht glaubhaft gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 und 4 SGG. Angesichts der Geringfügigkeit des Unterliegens des Antragstellers erachtet der Senat eine Tragung dessen außergerichtlicher Kosten durch die Antragsgegnerin in vollem Umfang für angemessen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved