L 7 SO 938/20 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 5 SO 218/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 938/20 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. Februar 2020 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung im Rahmen der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Der 1962 geborene Antragsteller bewohnt eine Unterkunft auf einem Gartengrundstück, welches nicht mit Wasser und Strom versorgt wird, zu einer monatlichen Miete von 290,00 EUR zzgl. 40,00 EUR Betriebskosten. Er ist freiwillig kranken- und pflegeversichert. Von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg wurde dem Antragsteller mit Bescheid vom 11. Juli 2016 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer ab 1. Mai 2015 mit einem monatlichen Zahlbetrag von 84,54 EUR bewilligt.

Am 18. Juli 2016 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin unter Geltendmachung eines diabetesbedingten Bedarfs einer kostenaufwändigen Ernährung die Gewährung von Grundsicherungsleistungen, wobei er unter anderem einen Medikamentendosierungsplan von Dr. Z. vom 5. Juli 2016 vorlegte, in welchem u.a. das Bestehen eines chronischen Schmerzsyndroms, eines Diabetes mellitus Typ II, eines inflammatorischen Pseudotumors der Leber sowie Wirbelsäulenschäden und eine depressive Störung aufgeführt sind.

Mit Bescheid vom 12. September 2016 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ab dem 1. Juli 2016 bis 30. Juni 2017 unter Berücksichtigung des Regelbedarfs, Bedarfen für die Kranken- und Pflegeversicherung sowie Kosten der Unterkunft und Heizung. Einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung berücksichtigte die Antragsgegnerin nicht.

Am 28. Oktober 2016 reichte der Antragsteller einen weiteren Medikamentendosierungsplan von Dr. Z. vom 11. Oktober 2016 sowie einen fachorthopädischen Bericht ein. Die Antragsgegnerin forderte den Antragsteller daraufhin zur Klärung der Gewährung eines Mehrbedarfs aufgrund einer Tumorerkrankung zur Einreichung eines ärztlichen Attests auf.

Mit Bescheid vom 21. November 2016 änderte der Antragsgegner die Leistungsbewilligung für den Monat Oktober 2016 und mit Bescheid vom 10. Januar 2017 für die Monate November 2016 bis Januar 2017 wegen der Anrechnung der Erwerbsminderungsrente ab.

Der Antragsteller reichte am 18. Januar 2017 einen Arztbrief der Tropenklinik T. vom 22. Dezember 2016 über einen eintägigen stationären Aufenthalt wegen Herzrhythmusstörungen und eines entgleisten Diabetes mellitus Typ II ein.

Mit Bescheid vom 22. Januar 2017 änderte die Antragsgegnerin die Leistungsbewilligung ab dem Monat September 2016 wegen der Berücksichtigung monatlicher Trinkwasserkosten ab.

Der Hausarzt des Antragstellers, Dr. Z., bescheinigte unter dem 7. Februar 2017 das Bestehen einer konsumierenden Erkrankung, gestörten Nährstoffaufnahme bzw. Nährstoffverwertung und gab das Bestehen eines sehr schweren insulinpflichtigen Diabetes mellitus sowie Herzrhythmusstörungen an, die einen besonderen erhöhten Ernährungsaufwand erforderten.

Durch das von der Antragsgegnerin mit einer Begutachtung des Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung beauftragte Gesundheitsamt (Dr. P.) wurde mitgeteilt (Schreiben vom 3. März 2017), für die bestehenden Erkrankungen werde nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins eine Vollkost empfohlen. Eine individuelle Prüfung unter Berücksichtigung der vorgelegten Befunde komme zu keinem abweichenden Ergebnis.

Am 13. März 2017 reichte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin ein an das Landratsamt T. gerichtetes Schreiben ein, mit welchem er auf einen besonderen Kostenaufwand aufgrund der Diabeteserkrankung hinwies und das die Antragsgegnerin entsprechend weiterleitete. Mit Schreiben vom 10. April 2017 verwies der Antragsteller gegenüber der Antragsgegnerin anlässlich der Bescheidung seines Feststellungsantrags nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) erneut auf eine kostenaufwändige Ernährung aufgrund einer Herz- und Zuckererkrankung.

Nachdem der Antragsteller bei der Antragsgegnerin geltend gemacht hatte, aufgrund seiner Herz- und Zuckererkrankung wesentlich teurere Produkte im Bio-Laden kaufen zu müssen, hielt das Gesundheitsamt an seiner bisherigen Stellungnahme fest (Schreiben vom 17. Juli 2017).

Mit Bescheid vom 2. November 2017 bewilligte die Antragsgegnerin Grundsicherungsleistungen ab 1. März 2017 bis 30. Juni 2018 unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs aufgrund der Feststellung des Merkzeichens "G" ab 1. März 2017.

Mit Bescheid vom 28. November 2017 berechnete die Antragsgegnerin die Leistungen ab 1. Juli 2017 aufgrund einer Erhöhung der Rente und der Krankenversicherungsbeiträge sowie ab Januar 2018 aufgrund einer Erhöhung des Regelbedarfs neu.

Mit Bescheid vom 15. August 2018 gewährte die Antragsgegnerin Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit ab 1. Juli 2018 bis 30. September 2019 unter Berücksichtigung eines höheren Einkommens aufgrund der Erwerbsminderungsrente und setzte die Leistungen ab Januar 2019 mit Bescheid vom 24. Februar 2019 und nochmals mit Bescheid vom 22. März 2019 neu fest.

Wegen der Vorlage einer von der Antragsgegnerin angeforderten fachärztlichen Stellungnahme eines Kardiologen oder Diabetologen zur Prüfung eines Bedarfs für kostenaufwändige Ernährung machte der Antragsteller wiederholt Fristverlängerung geltend. Unter dem 28. Januar 2019 attestierte sodann die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. B. das Bestehen eines kostenaufwändigen Mehrbedarfs durch die erforderliche Diät bei insulinpflichtigem Diabetes mellitus und Herzinsuffizienz.

Mit Bescheid vom 4. Februar 2019 lehnte die Antragsgegnerin die Übernahme eines krankheitsbedingten Mehrbedarfes wegen kostenaufwändiger Ernährung ab.

Den gegen den Bescheid vom 4. Februar 2019 eingelegten Widerspruch des Antragstellers wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 8. April 2019 zurück.

Mit Bescheid vom 26. April 2019 änderte die Antragsgegnerin die Leistungsbewilligung für Mai 2019 ab. Mit Bescheid vom 24. Mai 2019 setzte sie die Leistungen ab Juni 2019 neu fest und gewährte Leistungen bis 31. März 2020. Weitere Leistungsbescheide für die Zeit ab Juni 2019 sind unter dem 15. Juli 2019, dem 30. Juli 2019 und dem 14. Februar 2020 ergangen.

Am 23. April 2019 erhob der Antragsteller gegen den Bescheid vom 4. Februar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. April 2019 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) (S 5 SO 994/19), die weiterhin anhängig ist. Das SG hat den Erlass eines Gerichtsbescheides, der nicht vor dem 4. April 2020 ergehen werde, angekündigt.

Am 28. Januar 2020 hat der Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Zur Begründung hat er vorgetragen, der Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung sei aufgrund des belegten Krankheitsbildes begründet und durch Klinikberichte sowie ärztliche Atteste von Dr. Z. und Dr. B. bewiesen. Wegen der Eilbedürftigkeit hat er auf die Bearbeitungsdauer durch die Antragsgegnerin und das SG hingewiesen. Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 26. Februar 2020 abgelehnt.

Am 17. März 2020 hat der Antragsteller Beschwerde zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Die Terminierung nicht vor dem 4. April 2020 sei zeitlos und könne auch der "Sankt-Nimmerleins-Tag" sein. Sein Antrag datiere vom 15. Januar 2017. Aufgrund der Bearbeitungsdauer beantrage er, einer vorläufigen Klage zuzustimmen.

Der Antragsteller beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. Februar 2020 aufzuheben und die Antragsgegnerin zur verpflichten, ihm vorläufig Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Die nach §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Der Antragsteller begehrt die Anerkennung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung im Rahmen der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII). Entsprechende Leistungen hat der Antragsteller bereits mit seinem ersten Antrag auf Grundsicherungsleistungen geltend gemacht. Die Antragsgegnerin hatte Leistungen von Beginn an fortlaufend ohne Anerkennung eines entsprechenden Mehrbedarfs bewilligt, wobei der Antragsteller die entsprechenden Leistungsbescheide nicht angefochten hat. Sämtliche Bescheide für die Zeit ab 1. Juli 2016 sind bestandskräftig und damit bindend (§ 77 SGG) worden. Über den Mehrbedarf hat die Antragstellerin mit gesondertem Bescheid vom 4. Februar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. April 2019 entschieden. Als Rechtsgrundlage für diesen Bescheid kommt allein § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Betracht. Zwar ist beim Streit um Sozialhilfehilfeleistungen eine Beschränkung des Streitgegenstands insbesondere auf Sonderbedarfe nach § 42 Nr. 2 SGB XII in Verbindung mit § 30 Abs. 5 SGB XII (Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung) zulässig (vgl. BSG, Urteil vom 19. Mai 2009 – B 8 SO 8/08 R – SozR 4 3500 § 42 Nr. 2 Rdnr. 13). Dies ändert jedoch nichts daran, dass es einer Grundlage für die von der Antragsgegnerin erlassene Entscheidung bedarf. Da die Mehrbedarfe nach § 30 SGB XII Teil des monatlichen Gesamtbedarfs (vgl. § 43 Abs. 1 SGB XII) und nicht gesondert zu beantragen (vgl. § 44 Abs. 1 SGB XII) sind, ist die Entscheidung der Antragsgegnerin vom 4. Februar 2019 nur dahingehend zu verstehen, dass sie eine Änderung der erlassenen Bewilligungsbescheide vom 12. September 2016, 21. November 2016, 10. Januar 2017, 22. Januar 2017, 2. November 2017, 28. November 2017 und 15. August 2018 hinsichtlich der Berücksichtigung des Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X geprüft und abgelehnt hat. Da zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 4. Februar 2019 lediglich über Leistungen bis zum 30. September 2019 entschieden worden war (Bescheid vom 15. August 2018) und sich die Überprüfung lediglich auf die bereits ergangenen Bescheide bezogen haben kann, ist der vom Bescheid vom 4. Februar 2019 umfasste Überprüfungszeitraum auf die Zeit vom 1. Juli 2016 bis 30. September 2019 beschränkt. Die nach Erlass des Bescheides vom 4. Februar 2019 ergangenen Änderungs- und Bewilligungsbescheide (Bescheide vom 24. Februar 2019, 22. März 2019, 26. April 2019, 24. Mai 2019, 15. Juli 2019, 30. Juli 2019 und 14. Februar 2020) haben den Bescheid vom 4. Februar 2019 nicht abgeändert oder ersetzt, sodass sie nicht gemäß §§ 86, 96 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens und des Klageverfahrens geworden sind. Soweit die Antragsgegnerin mit diesen Bescheiden Leistungen wiederum ohne Berücksichtigung eines Mehrbedarfs gewährt hat, hat sie diesen damit konkludent abgelehnt. Diese Bescheide sind jedoch mangels dagegen vom Antragsteller eingelegten Widerspruchs bindend geworden und können allenfalls in einem – weiteren – Verfahren nach § 44 SGB X überprüft werden.

Auf dieser Grundlage erweist sich der Antrag des Antragstellers vom 28. Januar 2020 auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihm Leistungen wegen kostenaufwändiger Ernährung zu gewähren, jedenfalls für die Zeit ab 1. Oktober 2019 als unzulässig und für die vorangegangene Zeit seit Beginn des Bezugs von Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung als unbegründet.

Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Abs. 1, für Vornahmesachen in Abs. 2. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache ferner, soweit nicht ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Nach § 86b Abs. 3 SGG sind die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 schon vor Klageerhebung zulässig.

Hinsichtlich der geltend gemachten Begehren kommt allein der Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG in Betracht. Der Erlass einer Regelungsanordnung setzt gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zunächst die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs voraus. Die Begründetheit des Antrags wiederum hängt vom Vorliegen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund ab (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Eine einstweilige Anordnung darf nur erlassen werden, wenn beide Voraussetzungen gegeben sind. Dabei betrifft der Anordnungsanspruch die Frage der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs, während der Anordnungsgrund nur bei Eilbedürftigkeit zu bejahen ist. Die Anordnungsvoraussetzungen, nämlich der prospektive Hauptsacheerfolg (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 a.a.O. und vom 17. August 2005 a.a.O.).

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist in Bezug auf Mehrbedarfsleistungen für die Zeit ab 1. Oktober 2019 bereits unzulässig, da die Bescheide vom 24. Mai 2019, 15. Juli 2019, 30. Juli 2019 und 14. Februar 2020, mit denen die Antragsgegnerin die Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung ab Oktober 2019 (konkludent) abgelehnt hat, mangels Widerspruchseinlegung gemäß § 77 SGG bestandskräftig und diese Entscheidungen, wie ausgeführt, nicht Gegenstand des beim Sozialgericht Reutlingen anhängigen Klageverfahrens S 5 SO 994/19 geworden sind. Die Bestandskraft eines Verwaltungsaktes steht einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz entgegen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage, § 86b Rdnr. 26d; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. Mai 2017 – L 11 KR 1417/17 ER-B - juris). Ausgehend vom Streitgegenstand eines Anordnungsverfahrens, im Eilverfahren zu prüfen, inwieweit dem Antragsteller für eine Zwischenzeit bis zur Hauptsacheentscheidung eine bestimmte Rechtsposition zusteht, ist einstweiliger Rechtsschutz bei einer bindenden Hauptsacheentscheidung unzulässig. Es gibt dann keine Rechtsposition, die bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren gesichert werden könnte (Bayerisches LSG, Beschluss vom 23.09.2010 - L 7 AS 651/10 B ER - juris; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 9. Oktober 2018 - L 9 AS 2944/18 ER-B - n.v.).

Soweit der Antrag zulässig ist, fehlt es für die Zeit vom 1. Juli 2016 bis zum 30. September 2020 jedenfalls an einem Anordnungsgrund. Durch eine einstweilige Anordnung sollen nur diejenigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, die zur Behebung einer aktuellen, d.h. gegenwärtig noch bestehenden Notlage erforderlich sind. Für die Gewährung von Leistungen für die Vergangenheit besteht demgegenüber regelmäßig kein Anordnungsgrund (Beschluss des Senats vom 30. Juli 2019 – L 7 SO 2356/19 ER-B – juris Rdnr. 11 m.w.N.). Einen ausnahmsweise wegen eines Nachholbedarfs bestehenden Anordnungsgrund hat der Antragsteller nicht geltend bzw. nicht glaubhaft gemacht. Weder eine lange Bearbeitungsdauer eines Antrages noch die Ankündigung des Gerichts, den Rechtsstreit nicht vor einem bestimmten Termin zu entscheiden, um dem Antragsteller Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Verfahrensweise zu geben, begründen eine besondere Eilbedürftigkeit für eine Entscheidung über einen in der Vergangenheit liegenden abgeschlossenen Zeitraum, sofern der Antragsteller durch die Nichtgewährung der begehrten Leistungen nicht in eine aktuell fortwirkende existenzielle Notlage geraten ist. Hierfür ergeben sich aus dem Vortrag des Antragstellers und den vorliegenden Akten keinerlei Anhaltspunkte.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass auch ein Anspruch des Antragstellers auf Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung, mithin ein Anordnungsanspruch, nicht ersichtlich ist.

Die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung umfassen gemäß § 42 SGB XII u.a. auch den hier streitigen Mehrbedarf nach § 30 Abs. 5 SGB XII. Nach § 30 Abs. 5 SGB XII wird für Kranke, Genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder von einer Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt. Nach der Parallelvorschrift im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) wird bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt (§ 21 Abs. 5 SGB II). Damit wird zwar der Kreis der Anspruchsberechtigten in § 21 Abs. 5 SGB II und § 30 Abs. 5 SGB XII jeweils anders definiert, jedoch bestehen zwischen den beiden Normen keine inhaltlichen Unterschiede. Die Vorschriften sind gleich auszulegen (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 10. Mai 2011 - B 4 AS 100/10 R - juris Rdnr. 18 ff.; Urteil vom 9. Juni 2011 - B 8 SO 11/10 R - juris Rdnr. 24). Voraussetzung für den Rechtsanspruch auf einen Mehrbedarf ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine besondere Ernährung erforderlich macht, deren Kosten höher sind als dies für Personen ohne eine solche Einschränkung der Fall ist (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. bspw. Urteil vom 14. Februar 2013 - B 14 AS 48/12 R - juris Rdnr. 12 und Urteil vom 20. Februar 2014 - B 14 AS 65/12 R - juris Rdnr. 13 jeweils m.w.N.). Es muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden oder einer drohenden Erkrankung oder Behinderung und der Notwendigkeit einer besonderen Ernährung vorliegen und diese besondere "Krankenkost" muss gegenüber der in der Bevölkerung üblichen, im Regelfall zum Ausdruck kommenden Ernährung kostenaufwändiger sein (BSG, Urteil vom 14. Februar 2013, a.a.O.). Der Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung aus medizinischen Gründen soll helfen, im Hinblick auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums eine Ernährung zu finanzieren, mit der der Verlauf einer (bestehenden) gesundheitlichen Beeinträchtigung durch Abmilderung von deren Folgen, Verhinderung oder Hinauszögern einer Verschlechterung oder deren (drohenden) Eintretens beeinflusst werden kann (BSG, Urteil vom 20. Februar 2014, a.a.O. Rdnr. 15). Dabei ist zu beachten, dass § 30 Abs. 5 SGB XII lediglich den Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung erfasst. Der notwendige Bedarf für Ernährung wird als ein Teil der Regelleistung bzw. des Regelbedarfs typisierend zuerkannt, wobei von der Deckung der laufenden Kosten eines typischen Leistungsberechtigten im Rahmen eines soziokulturellen Existenzminimums für eine ausreichend ausgewogene Ernährung im Sinne einer ausreichenden Zufuhr von Proteinen, Fetten, Kohlenhydraten, Mineralstoffen und Vitaminen ausgegangen wird (BSG, Urteil vom 20. Februar 2014, a.a.O. Rdnr. 13). Damit gilt im Ergebnis eine Vollkosternährung als vom Regelbedarf gedeckt, weil es sich hierbei um eine ausgewogene Ernährungsweise handelt, die auf das Leitbild des gesunden Menschen Bezug nimmt (bspw. BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 - B 4 AS 100/10 R - juris Rdnr. 24).

Der Antragsteller stützt sein Begehren auf Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung auf seine Diabetes- sowie Herzerkrankung. Welcher besonderen Kostform er wegen dieser Erkrankungen seiner Meinung nach bedarf, ergibt sich aus seinem Vortrag nicht. Zwar hat Dr. Z. unter dem 7. Februar 2017 das Bestehen einer konsumierenden Erkrankung mit gestörter Nährstoffaufnahme bzw. –verwertung durch die Diabeteserkrankung und Herzrhythmusstörungen bescheinigt und Dr. B. ebenfalls das Erfordernis einer Diät bei insulinpflichtigem Diabetes mellitus und Herzinsuffizienz attestiert. Welche besondere (kostenintensive) Kostform insoweit erforderlich sein soll, lässt sich den Attesten jedoch nicht entnehmen. Auch die vorliegenden Krankenhausberichte enthalten keinen Hinweis auf die Erforderlichkeit der Einhaltung einer besonderen Ernährungsform. Nach dem Bericht der Medizinischen Klinik des Universitätsklinikums T. vom 10. August 2017 wurde dem Antragsteller angeraten, statt der einseitigen von ihm zur damaligen Zeit praktizierten und für gesund gehaltenen Ernährung mehr langkettige Kohlenhydrate und vor allem Gemüse zu sich zu nehmen sowie regelmäßiger zu essen. Für den stationären Aufenthalt wurde ihm vorgeschlagen, es mit mehr Vollkorn, Gemüse und Salaten zu versuchen. Dass der Antragsteller einer anderen Kostform als der vom Regelbedarf umfassten Vollkost bedürfte, ist danach nicht ersichtlich. Nach der Auflistung seiner Ausgaben gegenüber der Antragsgegnerin am 19. Januar 2017 hat der Antragsteller Kosten für Haferflocken, Müsli, Milch, Kartoffeln, Linsen, Möhren und Öl aufgeführt. Auch dies bietet keinen Anhaltspunkt für eine von Vollkost abweichende Ernährungsform. Schließlich hat auch Dr. P. vom Gesundheitsamt nach Auswertung der medizinischen Befunde kein von Vollkost abweichendes Erfordernis einer bestimmten Ernährung festgestellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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