L 7 SO 1083/20 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SO 253/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 1083/20 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 5. März 2020 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die nach §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Gegenstand des am 22. Januar 2020 von dem Antragsteller beim Sozialgericht Freiburg (SG) anhängig gemachten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens (S 6 SO 253/20 ER) ist sein Begehren auf eine (vorläufige) Gewährung von Sozialhilfeleistungen in Form der Übernahme rückständiger Beiträge des Antragstellers bei seiner (privaten) Krankenversicherung, der INTER Krankenversicherung AG, hilfsweise die Gewährung von Hilfe bei Krankheit nach § 48 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Das SG hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 5. März 2020 das einstweilige Rechtsschutzbegehren abgelehnt. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde.

2. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Abs. 1, für Vornahmesachen in Abs. 2. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache ferner, soweit nicht ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Nach § 86b Abs. 3 SGG sind die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 schon vor Klageerhebung zulässig.

Hinsichtlich der begehrten vorläufigen Leistungsgewährung kommt allein der Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG in Betracht. Der Erlass einer Regelungsanordnung setzt gem. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zunächst die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs voraus. Die Begründetheit des Antrags wiederum hängt vom Vorliegen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund ab (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Eine einstweilige Anordnung darf nur erlassen werden, wenn beide Voraussetzungen gegeben sind. Dabei betrifft der Anordnungsanspruch die Frage der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs, während der Anordnungsgrund nur bei Eilbedürftigkeit zu bejahen ist. Die Anordnungsvoraussetzungen, nämlich der prospektive Hauptsacheerfolg (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 a.a.O. und vom 17. August 2005 a.a.O.).

3. Die Anordnungsvoraussetzungen sind auch im Beschwerdeverfahren sowohl bezüglich des Hauptantrags als auch des Hilfsantrags nicht gegeben.

a. Soweit die Übernahme rückständiger Beiträge für die Zeiten bis zum 31. Dezember 2017 und ab dem 1. September 2019 geltend gemacht wird, ist schon ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Denn die Beiträge für diese Zeiten hat der Antragsgegner jeweils an die Krankenversicherung des Antragstellers in zutreffender Höhe überwiesen, was vom Antragsteller auch nicht bestritten wird.

Auch soweit der Antragsteller vorträgt, die Beitragsrückstände resultierten aus fehlerhaften Überweisungen des Antragsgegners, ergibt sich daraus jedenfalls kein Anordnungsgrund. Offen bleiben kann, ob der Antragsteller einen weiteren Leistungsanspruch (in Form der Zahlung an die Versicherung) für die Zeit vom 1. Januar 2018 bis zum 31. August 2019 hat, weil die Leistungen für seine private Krankenversicherung teilweise an ihn und nicht - wie in § 32a Abs. 2 SGB XII vorgesehen - an die Versicherung gezahlt worden sind und deshalb durch die Zahlung an den Antragsteller (anstatt an die Versicherung) keine Erfüllung gem. § 362 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), dessen Grundsätze auch im Sozialrecht gelten, eingetreten ist. Denn wie das SG schon im angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt hat, würde auch bei einer Zahlung nur der rückständigen Beiträge für die Zeit vom 1. Januar 2018 bis zum 31. August 2019 an die Krankenversicherung im Raume stehen, dass diese weiterhin mit den darüber hinaus bestehenden rückständigen Beiträgen gegen Leistungsansprüche des Antragstellers aufrechnet.

Dahingestellt bleiben kann vorliegend, ob die Krankenkasse hierzu berechtigt ist und ob es verneinendenfalls dem Antragsteller zumutbar wäre, die Krankenversicherung auf Leistung zu verklagen, wie das SG angenommen hat. Denn der Krankenversicherungsschutz des Antragstellers kann bereits auf andere Weise sichergestellt werden.

Der Antragsteller ist im Basistarif versichert und bleibt auch in diesem Tarif, wenn die Beiträge nicht entrichtet werden. Er wechselt dann nicht in den Notlagentarif, für den der Bundesgerichtshof (BGH) die Zulässigkeit der Aufrechnung bejaht hat mit der Begründung, der Wortlaut der Regelungen der § 193 Abs. 6 bis 9 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) enthalte keinerlei Anordnung eines Aufrechnungsverbotes des Versicherers. Rechtsfolge des in § 193 Abs. 6 Satz 1 bis 3 VVG geregelten Prämienrückstandes sei das Ruhen des Vertrages nach § 193 Abs. 6 Satz 4 VVG. Dieses trete allerdings nicht ein oder ende, wenn der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person hilfebedürftig im Sinne des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) oder des SGB XII werde (§ 193 Abs. 6 Satz 5 VVG) (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2018 - IV ZR 81/18 - juris Rdnr. 21). Letzteres ist beim Antragsteller der Fall.

Für ein Aufrechnungsverbot im Basistarif könnte die Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage in der 16. Legislaturperiode (vgl. BT-Drucks. 16/13892 S. 33) sprechen, wonach die Aufrechnung der eingereichten Rechnungen des Versicherten mit den noch ausstehenden Beitragszahlungen im Basistarif unzulässig sei (vgl. BGH, a.a.O., juris Rdnr. 18). Auch in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung ist die Zulässigkeit einer Aufrechnung von Kostenerstattungsansprüchen mit offenen Beitragsansprüchen im Basistarif verneint worden (z.B. Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. Oktober 2009 - L 20 B 56/09 SO ER - juris Rdnr. 32).

Zwar hat das Landgericht (LG) Köln die Zulässigkeit der Aufrechnung im Basistarif bejaht mit der Begründung, der Basistarif sei nach Art, Umfang und Höhe mit den Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen vergleichbar und hinsichtlich der Kosten auf den GKV-Höchstsatz gedeckelt, er sei daher anders als der Notlagentarif, bei dem nur die Kosten für Akutmaßnahmen übernommen werden, in wesentlichen Punkten mit anderen privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen vergleichbar und nicht spezifisch für Situationen konzipiert worden, in denen finanzielle Engpässe beim Versicherungsnehmer aufträten; anders als beim Notlagentarif, der gerade einen Versicherungsschutz für Notfälle gewährleisten solle, erscheine nach der ratio der gesetzlichen Regelung des Basistarifs ein allgemeines Aufrechnungsverbot nicht geboten (LG Köln, Urteil vom 5. März 2014 - 23 S 15/13 - juris Rdnr. 16). Gleichwohl besteht für den Antragsteller die Möglichkeit, dass er medizinische Leistungen in Anspruch nimmt und der Leistungserbringer seinen Anspruch nicht gegenüber dem Antragsteller, sondern gegenüber dem Versicherer/der Krankenkasse geltend macht. Denn nach § 192 Abs. 7 VVG kann der Leistungserbringer bei der Krankheitskostenversicherung im Basistarif nach § 152 VVG seinen Anspruch auf Leistungserstattung auch gegen den Versicherer geltend machen, soweit der Versicherer aus dem Versicherungsverhältnis zur Leistung verpflichtet ist; Versicherer und Versicherungsnehmer haften dann im Gesamtschuldverhältnis.

Eine gleichwohl erklärte Aufrechnung der Krankenkasse gegenüber dem Antragsteller/Versicherungsnehmer entfaltet im Außenverhältnis gegenüber dem Leistungserbringer keine Wirksamkeit. Der Antragsteller/Versicherungsnehmer und die Krankenkasse haften dem Leistungserbringer nach § 192 Abs. 7 Satz 2 VVG im Rahmen der Leistungspflicht des Versicherers aus dem Versicherungsverhältnis als Gesamtschuldner. Der Leistungserbringer ist daher nach § 421 Satz 1 BGB berechtigt, seinen Anspruch vollständig von der Krankenkasse einzufordern; gemäß § 421 Satz 2 BGB ist die Krankenkasse als Gesamtschuldnerin bis zur Bewirkung der ganzen Leistung dem Leistungserbringer gegenüber zur Leistungserbringung verpflichtet. Nach der gesetzlichen Konzeption der Gesamtschuld sind dabei Leistungen und andere Vorgänge im Innenverhältnis der Gesamtschuldner - zwischen dem Antragsteller und seiner Krankenkasse - für den Anspruch des Leistungserbringers gegen die Gesamtschuldner unerheblich (LG Köln, a.a.O. juris Rdnrn. 20 ff.). Damit ist eine Leistungspflicht aus dem Versicherungsverhältnis des Antragstellers mit seiner Krankenversicherung für den Zeitraum des fortbestehenden Leistungsverhältnisses sichergestellt (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22. März 2010 - L 8 SO 3/10 B ER - juris Rdnr. 33).

b. Ein Anordnungsanspruch besteht auch nicht hinsichtlich des im Hilfsantrag geltend gemachten Anspruchs auf Hilfe bei Krankheit nach § 48 SGB XII. Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, setzt dieser Anspruch voraus, dass kein gesetzlicher oder privater Krankenversicherungsschutz besteht. Ein privater Krankenversicherungsschutz des Antragstellers ist vorliegend jedoch durch die Versicherung im Basistarif bei der INTER Krankenversicherung AG gegeben (vgl. BSG, Urteil vom 27. Mai 2014 - B 8 SO 26/12 R - juris Rdnr. 29; Söhngen in jurisPK, SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 48 Rdnr. 10).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

5. Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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